Warum ich gern auf die Insel fahre

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Anonym

Gast
Warum ich gern auf die Insel fahre

Es war Sonntagmorgen. Die Brötchen dufteten. Die Geburtstagsblumen auch. Die Geschenke lagen noch auf dem Überraschungstisch. Am liebsten hätte ich alles noch mal ausgepackt. Mein kleiner Bruder spielte mit seinem Essen. Papa und Mama stritten wieder. Mama ging zum Regal. Papa fragte, was sie da macht.
Den Kasettenrekorder einschalten. Damit du später hören kannst, was du alles sagst und mich nicht Lügnerin nennst.
Papa guckte mit Schlitzaugen und gesenktem Kopf zu Mama. Ich an seiner Stelle hätte mich unter dem Tisch versteckt und die Augen fest zugemacht. Er packte das Käsemesser als wollte er sich daran festhalten. Sein Mund verzog sich wie zwischen Lachen und Weinen. Er fasste auf die scharfe Seite (das darf man nie machen!) und sprach ganz leise mit Mama. Dabei hat er das Scharfe vom Messer immer wieder mit dem Daumen gestreichelt. Ich konnte nicht hingucken. Weggucken auch nicht.
Mama war dann still. Damals war ich ungefähr vier. Wie viele Jahre er schon tot ist, weiß ich nicht mehr. Ich fahre am liebsten auf die Insel, wo wir einmal so lange in Urlaub waren. Mir ist, als wäre etwas von ihm da geblieben. Am Strand, glaube ich.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
sehr sensibel, wenngleich man hie und dort noch glätten könnte... aber trotzdem irgendwie gelungen, finde ich. das ende ist abgeschmackt, funktioniert aber trotzdem...

lg,
hakan
 

Anonym

Gast
aber trotzdem irgendwie gelungen, finde ich. das ende ist abgeschmackt, funktioniert aber trotzdem...
Lieber Hakan,

... vom Leben (so abgeschmackt scheint es mitunter zu funktionieren) abgeschrieben - allerdings aus verzerrter Perspektive.
Schön, dass Du die kindliche Sensibilität erkennst. Am Ende gewinnt die naive nicht verurteilend andenkende Nachsicht.

Erwachsen sein bedeutet, von Kindern noch lernen zu können.

Ich freue mich, in Dir einen Fürsprecher dieses Kurztextes gefunden zu haben. Danke.

Gruß, A.


Lieber lapismont,

der Text ist aber nicht irgendwie ironisch gemeint. Mich interessierte vorrangig, ob die kindliche Sicht und Sprache authentisch rüber kommt.
Das Erschreckende ist, wie genau die Beobachtungsgabe und das Gedächtnis unserer Schutzbefohlenen arbeitet; das Beruhigende, wie großherzig sie in einer halbwegs friedfertigen/vertrauensvollen Umgebung ins Leben gehen.

Danke für die Wertung und Gruß von A.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
ich hab auch gar nichts von Ironie geschrieben. Das ist kein Text für große Statements.

cu
lap
 

Anonym

Gast
Danke, lap., ich war nur verunsichert, wie das "böse" gemeint war.
 



 
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