Wortkreation

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Dorian

Mitglied
Letztens lief eine dieser Verkaufssendungen im Fernsehen. Nicht das diese nicht immer laufen würden, aber irgendjemand kam irgendwann mal auf die dankenswerte Idee, sie auf einen eigenen Kanal zu verbannen, so dass man sich den Schamott nur anschauen muß, wenn man auch wirklich will. Ich vermute, man versuchte hiermit auch gleichzeitig auf jugendfreie Art endlich einen uralten Menschheitstraum zu erfüllen: den Masochistenkanal.
Doch zurück zu meinem eigentlichen Anliegen. Vor einiger Zeit beschlossen ein paar private Sendeanstalten ihren Rund-um-die-Uhr-Sendebetrieb billiger zu gestalten, indem sie nächtens das Programm dieser hauseigenen Verkaufssender zeigen. Da ich manchmal an Schlafstörungen leide, habe ich mir angewöhnt bei besonders schlimmen Fällen von Nichtmehreinschlafenkönnitis den Fernseher einzuschalten, Schlafstörungen haben dann meist keine lange Lebensdauer.
In dieser speziellen Nacht sah ich das Programm eines besonders verdammenswerten Senders, wo einem ein völlig unglaubwürdiger Kerl in Jeans und Flanellhemd ein Topf-Set zu verkaufen versuchte, daneben stand ein anderer Kerl (dieser fette, hässliche, der früher Ansager bei „Der Preis ist heiß“ war) im Smoking und laberte Blödsinn, den er für lustig hielt. Und dann sagte der Flanellhemd-Mensch einen Satz, der bei mir zu Ausbrüchen spontaner Heiterkeit führte, wodurch ich erst recht nicht mehr schlafen konnte.
Er sagte: „ Mit der Technik hinter diesem Topf-Set können sie besonders vitaminfrei und fettschonend kochen.“

Man kann dem armen Mann zugute halten, dass er sich einfach nur versprochen hat, aber man fragt sich doch, ob nicht vielleicht ein Freudscher Versprecher dahintersteckt. Das er eigentlich gar kein Vertrauen zu der von ihm angepriesenen Ware hat. Das er sich genauso wie jeder andere auch morgens zur Arbeit schleppt und sich wünscht, es wäre Freitag, 17:00 Uhr. Das er den Job nur macht, weil er gut verdient und endlich sein Haus abzahlen kann, während ihm die Gattin am Wochenende eröffnet hat, dass sie schon wieder schwanger ist. Das er seinen Boss, der ihm die Suppe eingebrockt hat, am liebsten erwürgen würde. Das er zu Hause achtzehn Videorecorder um den Fernseher verteilt hat, damit nur ja jede Minute seines Lebens, die er im Fernsehen zu sehen ist, auch aufgenommen wird, weil das sein einziger Lichtblick für die Zukunft ist.
All das schoß mir in diesem Augenblick durch den Kopf. Und ich kriegte mich vor Lachen nicht mehr ein. Ob dieser grausamen Ironie könnte einem der arme Tropf fast leid tun, wenn nicht die meisten anderen arbeitenden Menschen auf der Welt mit der gleichen Misere zu kämpfen hätten. Andererseits fühle ich mich fast zur Solidarität genötigt, eine Gefühlsregung, die ich in diesem Fall beileibe nicht für wünschenswert oder angebracht halte. Also ziehe ich es vor, mir den Flanellmenschen mit dem Topf-Set als jemanden vorzustellen, der von sich glaubt, dass er das, was er macht, GUT macht. Sofort sind jegliche Anflüge von Anteilnahme im Keim erstickt.
Seitdem sitze ich Nacht für Nacht vor dem Fernseher und durchforste den Mediendschungel nach einem weiteren Blick auf meinen Liebling, bis jetzt wurde mir jedoch keiner vergönnt. Ich warte sehnsüchtig auf den Tag, an dem er mir einen wasserintensiven und reinigungssparenden Duschkopf, komplett mit leistungsverbrauchender und energiestarker eingebauter Stichsäge verkaufen will. Dann hätte ich alles gesehen und könnte in Frieden sterben.

Besonders gelungen fand ich übrigens die Wortkreation „vitaminfrei“. Die erinnert mich immer so schön an „sinnfrei“.
 

Wounded2001

Mitglied
hallo dorian
ich vermisse den humor hier. auch kann ich keinerlei satire darin entdecken. obwohl ich mit deiner meinung über diese verkaufsender absolut konform gehe ;-)!
allerdings las ich alles mehr unter einem blick von zynismus. ich denke, das trifft es eher , oder? die beleidigungen, mit denen du den übergewichtigen verkäufer (den wir ja wohl alle kenne hier *g*) überäufst, haben auch nichts mit humor und satire zu tun.
vielleicht kannst du den text nochmals überarbeiten, und mehr auf das einbringen von humorischen und satirischen passagen achten? der text und das thema wären es absolut wert. na, vielleicht darf ich ihn nochmals in einer "überarbeiteten" version hier vorfinden. hoffe du verstehst meine kritik als kontstruktiv, und ich hoffe auch, das sie dies ist!
liebe grüsse
 

Dorian

Mitglied
Hallo Wounded!

Danke fürs Arschaufreißen.
Ich meine das durchaus ernst, denn bis jetzt wurde ich, mit einer Ausnahme, in der Leselupe von den Kritikern immer nur verwöhnt. Da kommt es mir schon zupaß, wenn mir jemand zeigt wo der Hammer hängt.
Ich hatte selbst schon das Gefühl, daß mir dieser Beitrag nicht so gut gelungen ist, aber probieren geht über studieren, wie der Volksmund fälschlicherweise behauptet. Andererseits kann das auch ein guter Grund sein etwas in einem unabhängingen Forum zu veröffentlichen: nämlich um zu sehen, was die Leute davon halten.
"Wortkreation" ist ein Teil meines Kabarett-Programms, welches im Moment noch immer im entstehen begriffen ist.
Dank Deiner Kritik weiß ich, daß ich noch daran feilen muß, um hier noch einen Blumentopf gewinnen zu können, ob ich es auf der Bühne anders bringe, weiß ich noch nicht.
Im Falle des Kabaretts ist es außerdem so, daß der Dialekt viel mit hineinspielt und das keine Aufführung wie die andere ist...
Und so weiter , blablabla.
In letzter Zeit allerdings, läuft mein Leben besser und dadurch das Schreiben schlechter, also weiß ich nicht, ob ich die Muse finden werde, bereits veröffentlichte Posts nocheinmal zu überarbeiten.

LG

Dorian

P.S.: Ja, ich meine es so. Wer kreativ sein will muß leiden. Das habe nicht ich gesagt, sondern irgendein Dichterfürst. Und zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, daß der Wappler recht hat(zumindest, soweit es mich betrifft). Wolfgang Hohlbein sei hier ausgenommen.
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Dorian,

na, das ist ja richtig schwierig!
Wounded findet keine Humor in der Geschichte. Witzig geschrieben ist sie aber zweifellos. Satirisch ist sie auch nicht, stimmt, dazu ist sie zu wahr. Sie paßt aber für meine Begriffe trotzdem in diese (Lupen-) Kategorie.
In einem Kabarettprogramm kann ich mir diesen Monolog gut vorstellen.
Am meisten kämpfe ich mit dem "man fragt sich doch". Fragt man sich, oder weiß man das? Wenn man es aber ohnehin weiß, ist der ganze folgende Teil hinfällig, denn dann ist es nicht mehr komisch, sondern tragisch.
Der wohlbeleibte Ansager war früher Moderator bei Radio Gong in München, btw, weiß nicht, ob er das immer noch macht; aber er klang da schon immer ein wenig nach Werbespot (ist ja auch ein kommerzieller Sender). Soll er uns nun Leid tun, weil er den Sprung in den gehobeneren Journalismus nicht geschafft hat, oder ist er eigentlich zu beneiden, weil er einen Platz gefunden hat, den er so sehr mit Leib <gg> und Seele ausfüllt? Er strahlt immer so zufrieden in seinen Sendungen :)

Gruß
Gabi
 



 
Oben Unten