XX.XX.’XX

Anonym

Gast
XX.XX.’XX



Badezimmer

Spieglein, Spiegelei, Milben an der Wand,
wer ist der Schläfrigste im ganzen Land?


Küche

Oh, schwere Kost auf meinem Frühstücksteller!
Ein Kühlschrankherz, das kalt und steif von
niemandem umarmt nun Speise sein muss.
Die Schneide meiner Sehnsucht ist groß, aber stumpf.
Und stumm ziehen Muskeln aneinander.
Und stumm malte Gogh den Gefallenen.
Ich glaube, es ist die Einsamkeit, die mein
Ohr von meinem Kopf abtrennen will. Wie
viele wohl so sitzen mögen: minimalisiert,
auf minimalistischen Möbeln, in minimaler Umgebung.

Es fehlt nicht viel und alles Lachen schwindet ewig.


Fußballfeld

Richtig schön mit Anstand gegen den Ball treten.
Schwarzweißer Stereotypenrund wird von Netzen gefangen,
ein Grund zur Freude, ein Grund zum nackt werden.
Wer braucht den Torwart noch?
Die Welt ist begrenzt von vier Pfählen, dahinter windet
sich das Aus, das Meer fließt ins Universum.


Bar

Ich spiel in braunfarbener Umgebung.
Es geht nicht um Töne;
Spontaneität schwebt und erhält den Menschen.
Natürlich könnte ich auf diese Tische springen und
Gläser treten. Ich könnte alle zwingen, den Boden
zu säubern. Sie brauchen ihre Zungen sonst zu nichts.
Ich könnte meine Spiegel treten. Und dann?

Vermutlich ist diese Kneipe meine persönliche Strafkolonie.
Viele Gebote ließen sich in meinen Rücken stechen:
lüge nicht, schlage nicht, missbrauche nicht, töte nicht,
ehre, heilige, doch begehre nicht, stehle nicht und lebe nicht.
Ich werfe mich in den Staub, die Vögel sehen Nester
in meinen Augenhöhlen ...
Wann brecht ihr durch die Schale und fliegt frei?
Freiheit?
Aus mir soll Leben schlüpfen! Liebe Ärzte, wann?
Und der Preis?

Seht euch diesen Specht an, Freunde.

Sie reden über mich in fremden Sprachen.


Wohnzimmer

Schwarze Bälle rollen auf den Fliesen.
Sieht sie keiner? Sie verfolgen nichts und
rollen bloß, rollen, rollen...
Niemand sieht sie, denn der Letzte ist
verschwunden. Man hört das Stroh nicht
länger knistern. Grün wird wieder Blau und Gelb,
das Licht geht aus, wir gehn nach Haus,
Rabimmel – Rabammel – Rabumm.
Kegel sind Kegel und Bälle sind Bälle,
wer kann aus Ecken Kurven formen?
Heiß, scharf, 12 Cent die Minute, das Leben ist
ein Abenteuer. Leben? Die Apfelschorle ist leer.

Und wenn ich in die Nacht spreche, erschrecke ich
über mein Grunzen. Und wenn Laternen sterben,
schließe ich die Lider. Und wenn ich zu lange
telefoniere, werden die Kosten zu hoch.

Rabimmel – Rabammel – Rabumm.


Terrasse

Manchmal wird der Himmel blau, ganz hell und blau.
Dann gehe ich über Wasser.
Nicht ertrinken, nicht heute.


Schlafzimmer

Doch bleibt Celan ein ewig schöner Klang.
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Sehr schöne Bilder. Am besten: die Bar, für meinen Eindruck wenigstens. Gebote, die "in den Rücken stechen" - das beeindruckt mich. Lässt sich der Titel erklären?

LG

P.
 

Anonym

Gast
Dankeschön für deinen Kommentar zu einem Text, den ich aus einer staubigen Ecke hervorgeholt habe; zwei Jahre müsste er wenigstens alt sein.

Die Bildsprache in der zweiten Strophe der Bar ist ein Zitat aus Kafkas In der Strafkolonie. Tolle Erzählung, sollte ich eigentlich mal wieder lesen.

Der Titel ist ein (?) Datum. In der Forum-Ansicht kann offenbar der Apostroph nicht richtig angezeigt werden, aber im Text selbst stehts ja richtig.

So far,
A.
 



 
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