absolut unlyrischer morgen

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im lichtkegel der schreibtischlampe
schwebt gedankenstaub zwischen wahn und wissen
lebensartig sortiert erfahrung langweile am spätmorgenfenster
mit mutproben ohne folgen dröhnt die erste maschine nach Warschau
über die dächer unter schneespeicherwolken warten noch nicht entlaubte blutbuchen
der humpelnde spitz geht mit der humpelnden nachbarhauswitwe gassi
heinz hartmann kratzt eis von der windschutzschreibe seines Esjuwies
auf lohmeiers balkon brennen ganztags vorweihnachtslichterketten
graue mülltonnen quellen immer montags über

und das reicht doch wohl nie
für angewandte poesie
 

Ralf Langer

Mitglied
HAllo Karl,

"im lichtkegel der schreibtischlampe
schwebt gedankenstaub zwischen wahn und wissen"

es gibt so Gedichte, da bleibe ich lange sinnierend an einem Wort hängen.
Hier war es " Wahn":

Wahn kommt als Subst.aus dem altger. Wort "waeno"
und bedeutet soviel wie "Hoffnung , Erwartung"
hier im nhdt im Zusammenhang mit "wähnen"
als adjkt. " wana" leer, unverständig



oft eingesetzt im Zusammenhang mit "Wana sinan"
Wobei sinan " Sinn" in etwa " Weg, Spur" bedeutet

Vor der Christianisierung Mitteleuropas hatten die Menschen
Respekt vor dem " Wahnsinnigen".
Dachte man doch, das die von diesem Wesenzug betroffenen Menschen um besondere Wege, gefährliche möglicherweise, zu Erkenntnissen wüssten, die den "Normalen" verwehrt blieb.

So hat der " Wahn" seinen Sinn und vielleicht müßte man ab und zu auf diesen verschlungenen Pfaden wandeln?!

Ach, ich weiß nicht was dies Alles mit deinem Stück zu schaffen hat, aber manchmal überholen einen die Gedanken...

Lg
Ralf
 
Lieber Ralf,
danke für deinen Gedankenausflug. Habe dabei wieder eine Menge gelernt. So erweitert sich für mich der Begriff Wahn erheblich und ganz in meinem Sinne, denn Wahn als irres, verrücktes Wahrnehmen war mir immer zu einseitig negativ.
Gruß
Karl
 

revilo

Mitglied
N´Morgen, Kalle.......absolut spitze......... für angewandte Posie reicht dieser Ausblick beim besten Willen nicht, wohl aber für ein herrlich bissiges Gedicht....LG revilo
 
Lieber Karl,
zuerst habe ich dein Gedicht in eine für mich gefälligere Form gebracht.
Jetzt denke ich darüber nach.
Viele Grüße
Marie-Luise


im lichtkegel der schreibtischlampe
schwebt gedankenstaub
zwischen wahn und wissen
lebensartig sortiert
erfahrung langweile am spätmorgenfenster
mit mutproben ohne folgen
dröhnt die erste maschine nach Warschau
über die dächer

unter schneespeicherwolken warten
noch nicht entlaubte blutbuchen
der humpelnde spitz geht
mit der humpelnden nachbarhauswitwe gassi
heinz hartmann kratzt eis
von der windschutzschreibe seines Esjuwies
auf lohmeiers balkon brennen ganztags
vorweihnachtslichterketten
graue mülltonnen quellen immer montags über

und das reicht doch wohl nie
für angewandte poesie
 
H

Heidrun D.

Gast
Du wirst doch nicht noch zum Reimer, Karl?

Der stete Umgang mit der Komischen Lyrik treibt wohl eine schräge Blüte aus *lächel, die sich hier sehr schön schmiegt.

Ich mag die Formatierung dieses Gedichts, weniger die Spitze, welche für mich schon aufgrund ihres Obertonkläffens ( ;) ) zu dem Grässlichsten gehören, was der Bellomarkt zu bieten hat.

Dir deshalb einen spitzfreien Tag
Heidrun
 
Lieber Karl,
hier sind meine Gedanken:

Ein beklemmender Montagmorgen.
Du hast den Alltag in der tristesten Form dargestellt,
der auch nicht durch Lohmeiers Vorweihnachtlichterketten erhellt wird.
Der Lichtkegel der Schreibtischlampe am späten Morgen hebt auch nicht meine Stimmung.
Wohler würde ich mich fühlen, wenn der Spitz fröhlich bellend neben seinem hübschen Frauchen hergesprungen wäre. Das wäre schon ein Lichtblick.
Oder sehe ich alles zu prosaisch? Doch du sagst in den letzten Zeilen ja selbst, dass es unpoetisch sei.
Auf jeden Fall bin ich von deinem Werk begeistert.
 
Liebe Heidrun,
deswegen habe ich den Spitz extra für dich (damit du deine Abneigung pflegen kannst) humpeln lassen. Oder spürst du gar schon Mitleid mit dem armen Hund??
Danke für deine Zeilen und alles Liebe für dich
Karl
 
Liebe Marie-Luise,
danke für deine Gedanken. Für sich würde ich ja glatt den Spitz bellen lassen. Und gegen ein nettes Frauchen hätte ich natürlich nicht einzuwenden. In jedem Fall wäre ich dann ich einer lyrischeren Stimmung.
Herzliche Grüße und Dank fürs Kompliment
Karl
 



 
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