sachsenhausen 2007

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kleinebärin

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Sich stellen, endlich, den Worten der Generationen, an mich herangetragen, vom Großvater über den Vater an die Tochter...
Dann, an diesem sonnigen Tag im Februar mit dem Versprechen des Frühlings bereits in der Luft...durch einen Nebeneingang trete ich ein. Gras und Wind und hier und da ein Baum oder Strauch, sanfter Wind und inmitten dessen braune Holzbaracken in symmetrischen Parallelen. Die Worte des Taxifahrers, der mich hierher gefahren hat, noch im Ohr wie erstarrte Schwingungen, ein Stück glasklares Eis...hier wurden vor ein paar Jahren erst die Massengräber entdeckt...schmelzendes Eis unter dem Duft von ersten sich öffnenden Knospen.
Inmitten der Mauern fängt sich der Frühlingswind, ich öffne die Knöpfe meines Wintermantels. Er bläht sich im Wind, und die Wärme scheint jede meiner Poren zu öffnen, empfangsbereit zu machen für die anschwellenden Laute...Ich höre Stiefeln, die hart aufsetzen, rhythmisch, und dazwischen Scharren und Schleppen anschwellender Schritte. Von den Reihen aufsteigender Gesichter, die mich umgeben, mit riesigen Augen steigt aus weit geöffnetem Mund ein klagender, so lauter Schrei. Ich fühle Schwindel und aufsteigende Übelkeit und je tiefer ich einzuatmen versuche und mich dem friedlichen Wind zuneige, desto mehr fühle ich mich dem Ersticken gleich...
Ich lehne mich an die harte Mauer, und die in das Leben geschriebenen Worte und Taten und Augen und Blicke, geschrieben binnen Sekunden und Minuten,Stunden, Tagen, Monaten und Jahren, beginnen sich zu Zeilen zusammenzufügen, in denen ich lesen kann.
Und es liegt in meiner Entscheidung,ob ich lesen will, im hier und jetzt.
 

Raul Reiser

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Hi kleine Bärin,
sorry, ich war da auch mal. Mir gings ähnlich wie Dir und das Wetter war ähnlich. Aber ich meine, dass nicht unser Gefühle (alleine) da erwähnenswert sind. Sondern die Schicksale dieser Menschen. In diesen Baracken zu leben, unter diesen Bedingungen - und mit dieser grauenhaften Perspektive ... das zu verbinden wäre toll gewesen. So ist es (nur) eine Gefühlsbeschreibung von Dir. Die Verursacher/innen, die Leidenden selbst sind so tot wie vorher.
Denen gings übrigens an schönen heißen Sommertagen auch nicht gut. Die haben gestunken wie die Schweine und zu wenig zu trinken bekommen. Wenn's November wurde, wussten sicher viele,d ass sie diesen Winter nicht mehr überleben (können).
Ich selbst bin innerlich nach diesem Besuch einfach stumm geworden. Das muss kein Vorbild sein. Aber die Menschen dort, und was da passiert ist ... wenn man einzelne Tische oder Betten sieht - oder die Vorstellung des morgendlichen Appells, bei jedem Wetter ... Ich bitte Dich, das auch in Erinnerung zu halten - und wenn man nicht darüber schreiben kann, sollte man schweigen.
Viele Grüße
Raul
 



 
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