schon wieder

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Tula

Mitglied
Schon wieder

ein Unglück. Da siehst du nun
wie’s jeden Abend wirbelt, kracht und überschwemmt
die Mitleid-Ebene. Da ist kein Grund mehr sichtbar;
nur noch Treibgut treibt direkt unfassbar durch's
synaptische Notstandsgebiet.

Schon wieder
war's der wärmste Tag des Winters, schwärmt der Eisbär
jetzt durch jedes Dorf auf Nova-Semmelland - kurios!
Dann stürzte - fürchterlich! - ein Haus ein irgendwo am Ganges.
Zwanzig Kinder nähten dort im Schein der Wunderlampe
sich die Finger wund. Du ahnst, du hast
von allem nichts gewusst.

Schon wieder
seimt noch jemand eine Meinung, ganz persönlich
sitzt du aussichts-los
vor deinem Tischchen zwischen dir und all den Bildern
wartest du bereits seit langem auf

kein Zeichen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Tula, dein Unwohlsein gegenüber dem Fernsehen hat seine Gründe. Wir alle haben es auch seit Jahren, wir haben es uns geradezu abgewöhnt, den Fernseher einzuschalten, um nicht den kleinen Rest in uns, der sich noch der Vernunft erinnert, auch noch verblöden zu lassen.

Da sitzt einer taub vor dem Fernseher, und die Bilder rieseln über ihn hinweg, und er denkt: Jeden Tag derselbe Käse. Und dann das schleimige Mitleid mit denen, die nicht in unserem wunderschönen Deutschland wohnen dürfen. Kinderarbeit! Was für ein Verbrechen! Warum diese Kinder arbeiten, arbeiten müssen, wird nicht gesagt. Aber das Ziel ist erreicht: Nie war Deutschland so schön wie heute. Das soll der Zuschauer denken, und das denkt er auch nach diesem Fernsehen. Er hält das für Denken, wirkliches Denken ist er nicht gewohnt. Denn er fragt die Bilder nicht, er nimmt sie hin wie das tägliche Zähneputzen: Muss sein. Und das soll er auch - er ist ein guter deutscher Bürger, ein guter deutscher Fernsehbürger.
Ein ausgewogener Fernsehabend.

Wenn ich dein Gedicht lese, bin ich nicht so recht zufrieden mit deiner Kritik. Du gehst nicht auf den Grund der Dinge, sondern zählst lediglich auf, was dich am Fernsehen "stört".
Das ist mir ein Zuwenig an Kritik, ein Spiel mit der Kritik.
Es gehört Traute dazu, die Dinge beim Namen zu nennen, das ist wahr. Dieses Gedicht aber hat die Traute noch nicht.

blackout
 

Tula

Mitglied
Moin blackout

Es geht hier um den Zuschauer! Der nichts mehr hinterfragt. Zugerieselt. So wie du es beschreibst.

Der Grund der Dinge? Um den geht's auch im Fernsehen nicht. Manchmal schon, aber auch das wird nicht mehr wahrgenommen.
Nie war Deutschland so schön wie heute. Das soll der Zuschauer denken.
Nun, das meinte ich so nicht. Du interpretierst da eine Aussage hinein. Aber der Zuschauer mag sich durchaus selbst davon überzeugen, dass am Ende noch alles in Ordnung ist.

Danke für deinen ausführlichen Kommentar.

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Tula, du hast recht, dass der Zuschauer denken soll "Nie war Deutschland so schön", diesen Satz hast du leider nicht geschrieben. Aber darum geht in der Fernsehpropaganda. Vor nichts hat unsere Obrigkeit mehr Angst als davor, dass das inkompetente Volk Forderungen stellt, die Unruhe schaffen könnten, ganz zu schweigen von einer deutschen Revolution. Ruhe an der Bevölkerungsfront, damit störungsfrei gegen den Willen der Bevölkerung regiert werden kann, darum geht es. Und diese Aufgabe übernimmt das Fernsehen: die Zuschauer stillzuhalten. Insofern ist dein Gedicht (ich schrieb, ein Spiel) keine wirkliche Kritik, sondern allerhöchstens Krittelei. Weil ein Vers in diesem Sinne gefehlt hat. Nicht nur, aber vor allem.

blackout
 

Tula

Mitglied
Hallo blackout

Ich sehe hinter den Medien nicht unbedingt bewusste Verdummungsstrategien höherer Gewalten. Auch, aber nicht ausschließlich.
Mir geht es hier tatsächlich um den Zuschauer als 'haufenweiser Zeitgenosse' - das vom Kästner kennst du ja auf jeden Fall, der nicht denken WILL bzw. zu bequem dazu geworden ist. Die Kritik gilt IHM, nicht den Medien. Sonst hätte ich mich mehr auf den täglich verabreichten Brei konzentriert.

Danke nochmals

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 20370

Gast
Hallo Tula,

allein die zweite Strophe hätte ausgereicht, ein substanzielles Gedicht zu formen - in ihr steckt alles drin (die kommentierenden kurios und fürchterlich aber bitte löschen).

synaptische Notstandsgebiet - überanstrengt und zu ambitioniert

eine Meinung seimen ... hm

auf kein Zeichen warten ... hm

aber

im Schein der Wunderlampe - da kommt wieder dein Ton hervor, Tula! Stark!

Es grüßt
Dyrk
 

Tula

Mitglied
Hallo Dyrk

Dank auch dir für Kommentar und Bewertung. Dran herumbasteln will jetzt nicht, dieses lief sang- und klanglos durch einen Wettbewerb und es ist was es ist.

Der synaptische Notstand deutet auf Übersättigung, technisch wie Übersteuerung, da geht eben nichts mehr.

Die letzte Zeile ist mir ebenso wichtig. Über den Rest werde ich gern nachdenken. Später.

LG
Tula
 



 
Oben Unten