weihnachten

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ikumi

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Das Krippenspiel

Frau Meier sitzt wie jedes Jahr
inmitten einer Kinderschar.
Und immer wieder muss sie mahnen,
dass Ruhe ist, denn sie will planen.
Am Weihnachtsfest ein Krippenspiel
ist wiedermal ihr höchstes Ziel.

„Maria“ spielt – Halleluja -
des Pastors Tochter Gundula.
Und Hans, des Bürgermeisters Sohn
kennt lange man als „Josef“ schon.
Die heil'gen Könige - ist klar -
spiel'n Hans und Franz und Waldemar.
Als Engel, Schäfer dient der Rest
wie jedes Mal am Heil'gen Fest.

Man ist zufrieden mit den Rollen.
„Dabei sein“ ist 's, was alle wollen.
Doch Fritzchen sagt: „ Das ist gemein!
Ich würd' auch gern „Maria“ sein!“
Frau Meier tröstet ihn und spricht:
„Bist doch ein Junge. Geht doch nicht!“

Die Proben nehmen ihren Lauf.
Man nimmt das Üben gern in Kauf.
Klein Fritzchen hat nur wenig Text
und jeden Tag sein Unmut wächst.
Weiß nicht wohin mit den Gefühlen.
Er möcht' so gern „Maria“ spielen.
Die Mutter tröstet ihn und spricht:
„Zu kurz dein Haar. Das geht doch nicht!“

Fast alle Rollen sitzen nun.
Als Schäfer hat man kaum zu tun.
Die Engel flattern durch die Gänge.
Man übt noch ein paar Lobgesänge.
Doch Fritzchen sieht nur Gundula.
Sie ist der Mittelpunkt, der Star.
Wie gern wär' er an ihrer Stelle.
Wär' sicher gut, auf alle Fälle.
Der Vater tröste ihn und spricht:
„Du bist zu klein. Das geht doch nicht!“

Heut' ist der letzte Tag der Probe
Das ganze Spiel heut' in Garderobe.
Verzweifelt stürzt Frau Meier rein:
„Die Gundula brach grad' ihr Bein!
Schnell muss ich für Ersatz jetzt sorgen.
Der große Tag, der ist schon Morgen!
Was mach' ich nur? Wer könnt' es sein?“
Da fällt ihr nur klein Fritzchen ein.
Er kennt „Marias“ Text sehr gut.
Hat auch zum Singen rechten Mut.

Jetzt muss das Ganze ruckzuck gehen.
Die Leute woll'n „Maria“ sehen!
Ein Haarteil – ehemals ein Zopf -
befestigt man auf Fritzchens Kopf.
Ein Tuch darüber noch gelegt,
dass niemand einen Zweifel hegt.
Ein wenig Farbe für die Wangen,
ein Gürtel für das Kleid, dem langen,
unter den Po noch ein paar Kissen.
Kein Mensch wird Gundula vermissen!

Dem Fritzchen scheint es wie ein Traum.
Er ist ganz still. Er atmet kaum.
„Der Herrgott hat mein'n Wunsch vernommen.
Hab' nun die Rolle doch bekommen.“

Der große Augenblick ist da.
Erst kommt der Pastor im Talar,
danach das Kinderkrippenspiel,
Heut' mit besonders viel Gefühl,
denn Fritzchen wiegt am Festtag heut'
das Jesuskind aus Zelluloid.
Und durch sein'n Körper geht ein Beben.
„Das war mein schönster Tag im Leben.“


ikumi
 
M

Marc Leistner

Gast
Hallo Ikumi,

mir gefällt Dein Gedicht...es liest sich gut, und der Inhalt spricht mich an, da ich mich auch mit geschlechtsbewusster Erziehung (für Jungen wie auch für Mädchen) interessiere...ebenso für das Hinterfragen der zu starren Rollenbildern in unserer Gesellschaft.
Zum Glück ist am Ende alles gut gegangen...während des Lesens fieberte ich mit.

LG
Marc
 
Hallo Ikumi,
deine Weihnachtsgeschichte hat mir sehr, sehr gut gefallen.
Ein wenig erinnert sie mich an Barbara Robinsons Kinderbuch „Hilfe die Herdmanns kommen.“
Es grüßt dich und wünscht dir noch eine schöne Vorweihnachtszeit
Marie-Luise
 



 
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