Herbst

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petrasmiles

Mitglied
Den jungen Ahorn teilen sich Gelb und ein wenig Grün.
Gerupft sieht er aus, schon sichtbar wieder die nachbarlichen Fensterreihen.

Der alte hält noch sein Kleid, doch die gelben Tupfen werden mehr und die Winde
haben die Samen schon verweht.
Nicht lange und sie sprießen in meinen Blumenkästen.

Das heute seltene Rot behält sich die Vogelbeere vor.
Wann holten sich die Vögel ihre schwarzroten Früchte?

Einzig die Birke zeigt sich unbeeindruckt. Doch wie lange noch?
Sind da nicht schon Lücken und kaschiert der kühne Schwung der belaubten Äste
die mangelnde Fülle?

Der Abschied für immer naht und wäre da nicht das keimende Versprechen,
man müsste verzweifeln.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Guten Abend Petra,
ich melde mich mal, weil ich Naturgedichte mag.
Du beobachtest recht genau und beschreibst sehr nüchtern, bis dann in der letzten Strophe Empathisches sichtbar wird.

Je öfter ich es lese, umso mehr kribbelt es in meinen Fingerspitzen, dieser nüchternen Naturbeobachtung ein passendes Versmass anzuziehen. Vielleicht einen trochäischen Vierheber. Da muss sich auch nichts reimen, allerdings erhielten die Bilder eine fließendere Bewegung.

Muss natürlich nicht sein.
LG Hans
 

petrasmiles

Mitglied
Guten Abend zurück!

Dieses Kribbeln kann ich kaum nachvollziehen - bei mir kribbelt da nix - obwohl ich gelungene Reime (was ich mit Versmaßen verbinde) sehr mag - i.S. von lesen.
Jetzt hast Du mich trotzdem neugierig gemacht - wie sähe das denn aus?

Liebe Grüße
Petra
 
G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Ich überleg mir mal etwas und melde mich dann wieder.
 

sufnus

Mitglied
Hey Petra!
Da frag ich mich jetzt ja doch, warum Du nicht häufiger ein Gedicht mit uns teilst.
Diese zarte Herbstallegorie macht mir jedenfalls Lust auf mehr! :)
Eine streng metrisch gebundene Fassung, wie von Hans vorgeschlagen, drängt sich mir jetzt auch bei diesem Text der leisen Töne auch nicht unbedingt auf, aber es könnte einen sehr interessanten und reizvollen Kontrast zum Sujet ergeben.
So lange freu ich mich jetzt erstmal an diesen wirklich sehr schönen Zeilen! :)
LG!
S.
 

petrasmiles

Mitglied
Hey Petra!
Da frag ich mich jetzt ja doch, warum Du nicht häufiger ein Gedicht mit uns teilst.
Diese zarte Herbstallegorie macht mir jedenfalls Lust auf mehr! :)
Eine streng metrisch gebundene Fassung, wie von Hans vorgeschlagen, drängt sich mir jetzt auch bei diesem Text der leisen Töne auch nicht unbedingt auf, aber es könnte einen sehr interessanten und reizvollen Kontrast zum Sujet ergeben.
So lange freu ich mich jetzt erstmal an diesen wirklich sehr schönen Zeilen! :)
LG!
S.
Lieber sufnus,

danke für das Kompliment.
Ich muss da leider immer auf die Musenküsse warten. Ich setze mich nicht hin und denke, ein Gedicht, ein Gedicht!
Es ist eher das Gefühl in einer Situation, das mir dann die Worte eingibt - wenn ich nicht gerade missing in action bin, was leider auch vorkommt.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass es schwer wäre, für 'verzweifeln' einen passenden Reim zu finden.
Dieses Wort ist aber die zentrale Aussage - mit der geichzeitigen Aufhebung der Schwere durch das Keimende, das neues Leben verspricht.
Ich bin im Sommer geboren und würde den nahenden Winter kaum ertragen, wüßte ich nicht, dass an seinem Ende wieder das Leben seine Köpfchen durch das Eis bricht.
Ich finde, dass der moderne Mensch viel zu wenig seine Eingebettetheit in die Natur begreift, dass er nie wirklich getrennt von ihr ist; das sind keine locations für fun events.
Ich komme schon wieder ins Schwatzen :D

Liebe Grüße
Petra
 

Scal

Mitglied
Liebe Petra,

Deine Zeilen haben mich dazu geführt, über den "Geschmack" des Wortes "reiflich" zu sinnen. Der Herbst ist reiflich, und Deine ihm zugewandte "Stimme" desgleichen. Texte dieser Art, scheint mir, keimen hiesig selten.

Lieben Gruß
Scal
 

Tonmaler

Mitglied
Einzig die Birke zeigt sich unbeeindruckt. Doch wie lange noch?
Sind da nicht schon Lücken und kaschiert der kühne Schwung der belaubten Äste
die mangelnde Fülle?
Das Gedicht hat mir sehr gut gefallen, nur bei obig zitierter habe ich das Gefühl, das könnte weg. Das Ende mit dem nur scheinbaren Paradox schließt sich an den vorigen Teil mit dem Beerenklau schön an -- und im obigen Teil sind mit 'unbeeindruckt' 'kaschieren' und 'mangelnder Fülle' die Bilder nicht ganz auf dem Niveau der anderen Abschnitte.
Ansonsten sehr klangvoll und stimmig.

Gruß
T.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Schön Petra! Viele verfallen der Lyrik und werden dann gezwungen lyrisch. Das sind jene, die am Impressionismus und an Klarheit vorbeischrammen in das Prätentiöse.
Das fehlt deinem Werk, und das ist sehr gut so.
 

petrasmiles

Mitglied
Vielen Dank für die lobende Beachtung meines 'Herbstes'.

@Tonmaler
Danke für Deine Rückmeldung. Ich nehme mal an, der Eindruck, dass etwas weg könne, entsteht durch die Abstraktion des Naturgeschehens auf den Text.
Ich bin da eher auf der Ebene der Naturbetrachtung, und die Birke steht da, und sie unterscheidet sich von den anderen Bäumen.

Bei einem Prosatext bin ich vollkommen bei Dir, dass der so lange befeilt wird, bis kein überflüssiges Wort mehr da steht.
Und es gibt auch Autoren hier, die es beherrschen, ihr Naturerleben in eine perfekte Form zu bringen (mir fällt da immer wieder fee_reloaded ein, weil ich ihre Naturgedichte liebe, aber das beherrschen hier auch andere). Bei mir aber endet der Impuls des Bearbeitens, wenn ich diesen Moment der Betrachtung und was er in mir auslöste eingefangen habe.
ich habe gar nicht den Impuls, diesen Vers zu verteidigen und habe kein anderes Argument für seine Existenz, als wie oben gesagt: Sie steht da.

Vielleicht erklärt es besser was ich meine, was Matze gesagt hat mit dem Impressionismus

@esnvhg
Vielen Dank für diese Erläuterung! Ich hätte (und habe) das nicht so erklären können, finde mich aber darin wieder was Du sagst.

Ich wünsche allen einen guten Rutsch ins neue Jahr und möge 2024 ein gutes Jahr werden - hier und überall!

Liebe Grüße
Petra
 

Tonmaler

Mitglied
Danke für Deine Rückmeldung. Ich nehme mal an, der Eindruck, dass etwas weg könne, entsteht durch die Abstraktion des Naturgeschehens auf den Text.
Hallo Petra! Danke für die Antwort! Nein, das ist nicht der Grund. Ich bin kein Lyrik-Könner. Und auch kein großer Kenner. Heißt, meine Meinung fußt hauptsächlich auf 'gefallen/weniger gefallen/nicht gefallen'. Nicht auf handwerklichem 'Wissen' und so was.
Und da ist es mir, dass ich dein Gedicht, ohne die zitierte Stelle, insgesamt schöner finde.
Das war's schon :)

Gruß
T.
 
herbstgedicht, von gottfried benn, 1935, ja, damals gabs halt noch richtige herbste ...

Astern – schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du –
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.
 

fee_reloaded

Mitglied
Aus meiner Sicht gehört da nix weg und ist dein Gedicht auch gar nicht so nüchtern, liebe Petra.

Mag sein, ich lese heute besonders nah am Gefühl (ich weiß: an manchen Tagen liest man dasselbe Gedicht völlig anders als an den Tagen zuvor...so, als wäre ein Lichtschalter angegangen, der endlich das richtige Licht wirft, um alles zu erfassen und erspüren)...ich entdecke jedenfalls eine Dimension in deinen scheinbar nüchtern gehaltenen Versen, die tief greift und anrührt und ein ICH erkennen lässt, das in die Natur, die es beschreibt, sich völlig eingebettet fühlt. Vielleicht sogar in ihr ruhend. Besser kann ich's nicht beschreiben, was deinen Text für mich heute so besonders berührend macht.

Auf jeden Fall sehr gerne gelesen (und schon öfter und immer mit diesem Gefühl "ach, ich muss das nochmal lesen, bevor ich das Gefühl habe, ich hab alles gelesen, was da steht"). Und wohl auch nicht zum letzten Mal.

Liebe Grüße,
fee
 

petrasmiles

Mitglied
das in die Natur, die es beschreibt, sich völlig eingebettet fühlt.
Liebe Fee,

vielen lieben Dank für Dein genaues Hinhören.
Du hast vollkommen Recht! Jetzt, wo Du es sagst, spüre ich selbst diese Wahrheit hinter den Versen.
Und eigentlich macht das auch vollkommen Sinn: Ich bezeichne mich selbst als spirituellen Menschen - und das ist ja nichts abstrakt Abgehobenes, sondern eine Art mit den Dingen mitschwingende Suche nach einer Art Wahrhaftigkeit. Und die kommt nur schwer von den Menschen, die so viele Ablenkungsmanöver zelebrieren (können), sodass man erst mit Reife fündig wird.

Vielen Dank! Dein Besuch hat mich sehr gefreut!

Liebe Grüße
Petra
 
ein oktober-herbst-poemoid, mit dem ende:
"Der Abschied für immer naht(,) und wäre da nicht das keimende Versprechen,
man müsste verzweifeln." - nun ja, erstmal kommt nach oktober ja das allseits beliebte "weih-nachten", und dann "winter", und das keimende versprechen der ahörner auf der fensterbank leuchtet mir nicht wirklich ein, weil ja auch diese ahörner denselben herbst und untergang erleiden werden, es ist immer dasselbe = nichts neues unter der sonne, und es kommt letztlich nur darauf an, ob man "auf die enden" = die herbste, wert legen will, oder auf die neuanfänge zb "im frühling", oder darauf, dass ALLES ständig wechselt und sich verändert - selbst der gerade eben keimende ahorn trägt genetisch bereits den herbst, das wieder-absterben-müssen, festprogrammiert in sich, insoweit ist es also nicht wirklich "tröstlich", einen neubeginn, das aufkeimen von was auch immer, als "trost" zu sehen, oder begreifen zu wollen ?
 

petrasmiles

Mitglied
Eine interessante Wortschöpfung - poemoid. Du wirst Dir etwas dabei gedacht haben und es macht nichts, wenn ich es nicht verstehe.
Deine Aussage stimmt, aber es ist nur die halbe Geschichte: Auch der Neubeginn ist genetisch bestimmt und Neues bei diesem Vorherbestimmten kann es da nicht geben.
Aber im Erleben geht diese Generation an Blättern für immer und im Erleben ist es eine Person, die sich in der 'verneinenden Gebärde' des Herbstes voll Trauer fühlt, vielleicht noch andere Abschiede empfindet und Hoffnung daraus schöpft, dass (immer wieder) neues Leben wachsen wird.
Wenn Du ihm nichts abgewinnen kannst, dann ist es wahrscheinlich nicht für Dich gemacht.

Schönen Abend noch!
Petra
 
abschiede gehören zum leben wie das atmen oder essen oder oder ..., jede jetzt-sekunde sind wir von der vorherigen unwiderruflich verabschiedet, das leben besteht ganz praktisch gesehen nur aus endloser folge von kleinen bis größeren abschieden-von ..., ein panoptikum aus lauter abschieden wird durchwandert, und das nennt man/nennt sich, "leben". daher leuchtet mir die "trauer"-empathie nicht ein, die auf abschiede gelegt werden soll, sonst müsste man das ganze leben lang ja depressivisch-ver/ge/stimmt herumlaufen? / und mal ganz ehrlich: wir trauern immer kurz über verluste, dafür gibts sogar rituale, die abgearbeitet werden, und dann geht "unser leben" weiter, als wäre nix geschehen, weil wir selbst instinktiv "wissen", wir haben nur ein leben, also im grunde garkeine zeit für trauer, weil wir selbst leben-müssen - dass man "abschied" mit "herbst" analogisieren kann, begreife ich. - [poemoide} = sämtliche gedichtformen und gedichtähnliche formen zusammengefasst
 

gitano

Mitglied
Hallo,
auch nach meinem Empfinden sollten die schönen Herbstbilder etwas sprachrhythmischer daherkommen.. Ob jambisch oder trochäisch ist für mich eher zweitrangig. Eine, unter sehr vielen Möglichkeiten könnte sein Das Jambische mit dem Trächischen abwechselnd in Vierhebern zu schreiben, dann bleibt viel vom Oben Gesagtem im OrIginal erhalten z.B. (bidde net draufprügeln, ist ein Beispiel und Schnellschuss)

Den jungen Ahorn teilen sich
Gelb und etwas Grün, gerupft
steht er da und sichtbar schon
die nachbarlichen Fensterreihen

zwei jambische Verse ( mit unterschiedlichen Endungen) umschließen zwei trochäische Verse

Metrikschema: (senkende Betonung = V , steigende Betonung = -)
v - v - v - v -
- v - v - /v -
- v - v - v -
v - v - v - v - v

denkbar wären auch Langzeilenverse (sechshebig) oder Alexandriner, allerdings müßten man dann die aufeinanderstoßenden Trochäen entfernen.
Winke & Grüße
gitano
 

petrasmiles

Mitglied
@Waldemar Hammel

Da hast Du jetzt sehr bildlich vorgeführt, wie man vom selben spricht und anderes meinen kann.

Wie Du es darstellst, kann man an die Gefühle der Trauer bei Abschieden (meist) einen Haken setzen, weil es zum Lebensprinzip dazu gehört.
Sehr rational - und man kann sich so auch Gefühle vom Halse halten.

Weniger rationale Menschen befinden sich anders im Strom der Ereignisse und nutzen das Momentum des Fallens der Blätter dafür, um ihrem Bewusstsein Raum zu geben für die Verarbeitung dieses immerwährenden Kreislaufs vom Werden und Vergehen.

Deine Behauptung:
und mal ganz ehrlich: wir trauern immer kurz über verluste, dafür gibts sogar rituale, die abgearbeitet werden, und dann geht "unser leben" weiter, als wäre nix geschehen, weil wir selbst instinktiv "wissen", wir haben nur ein leben, also im grunde garkeine zeit für trauer,
ist eine grobe Vereinfachung und wird der Vielfalt der inneren Welten nicht gerecht, die man von außen nicht (er-) kennen kann - schon gar nicht mit Rationalität.
 



 
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