Ich denke noch an die Lavendelfelder

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich denke noch an die Lavendelfelder
... es ist verrückt!
Die Luft war schwer und grün die Wälder -
war das ... das Glück?

Sterne können nicht im All ertrinken -
ich weiß das, weil ich traurig bin.
Ich denke noch an die Lavendelfelder
und daran, dass ich einsam bin.

Manchmal nimmt der Winter sich ein Leben
hinter einem Fenster, durch das keiner sieht.
Ich denke noch an die Lavendelfelder
und frage mich, obs dich noch gibt.

... das Lachen und das viele Weinen ...
wenn die Sonne ihren Anker aus der Tiefe zieht.
Ich denke noch an die Lavendelfelder
und frage mich, hab ich geliebt?
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Erst der Fitzelkram: "und daran, dass ich einsam bin" ist vielleicht einen Hauch eines Ticks zu "in-da-face", ein Minimüchelchen zu dick aufgetragen (?). Dito legt sich für mein Liking auch das "und frage mich, hab ich geliebt?" ein winzelbisschen zu sportlich in die Kurve, zumal das halt der Schlusssatz ist.
Und noch etwas Fitzeliger: Bei der ankerlichtenden Sonne (ein cooles Bild von Bachmannscher Qualitität!) könnte ich eine Silbe mehr vertragen, um an dieser schönen Selle den Sprachfluss etwas zu glätten.

Zum Verdeutlichen meiner Punkte:


Ich denke noch an die Lavendelfelder
... es ist verrückt!
Die Luft war schwer und grün die Wälder -
war das ... das Glück?

Sterne können nicht im All ertrinken -
ich weiß das, weil ich traurig bin.
Ich denke noch an die Lavendelfelder
und dass ich vielleicht einsam bin.

Manchmal nimmt der Winter sich ein Leben
hinter einem Fenster, durch das keiner sieht.
Ich denke noch an die Lavendelfelder
und frage mich, obs dich noch gibt.

... das Lachen und das viele Weinen ...
sobald die Sonne ihren Anker aus der Tiefe zieht.
Ich denke noch an die Lavendelfelder.
Den Duft hast du doch immer so geliebt.


So... und damit genug gefitzelt. Jetzt braucht die Begeisterung Raum. :)
Ich höre hier Anklänge an Ingeborg Bachmann und Christine Lavant und Steffen Jacobs (Kindertodtenlied), aber vor allem einen ganz eigenen Ton.
Wie ich finde, zeigen deine Zeilen ganz hervorragend, dass ein Gedicht durchaus gereimt (und auch ein bisschen metrisch gebunden), aber dennoch auch "jetzig" sein kann. Solche Reimgedichte würde ich in Anthologien zeitgenössischer Lyrik gerne (noch) ein bisschen häufiger lesen (ohne dadurch auf sprachlich Widerborstigeres verzichten zu wollen). :)
Sehr sehr sehr schön!

LG!

S.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Patrick,

irgendwie passen Lavendelfelder und Wälder nicht zusammen. Ich war bis jetzt zweimal in der Provence, das Bild, was man vor sich hat, wenn man dein Gedicht liest, gibt es so nicht. Lavendelfelder sind nicht unmittelbar neben Wäldern, da stehen höchstens vereinzelt Bäume.

Ansonsten hat mir das Gedicht auch einen Tick „furchtbarer Schmerz" zu viel. Es badet geradezu in Emotionen und bringt eigentlich immer dasselbe Thema, mir ist es ehrlich gesagt zu kitschig. Auch wenn ich mich jetzt unbeliebt mache.

Sterne können nicht im All ertrinken -
Auch der Vers macht nicht viel Sinn. Natürlich können Sterne nicht im All ertrinken, warum muss man auf etwas, was für sich allein schon keinen Sinn macht, hinweisen?

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

seefeldmaren

Mitglied
Hallo Patrick,

irgendwie passen Lavendelfelder und Wälder nicht zusammen. Ich war bis jetzt zweimal in der Provence, das Bild, was man vor sich hat, wenn man dein Gedicht liest, gibt es so nicht. Lavendelfelder sind nicht unmittelbar neben Wäldern, da stehen höchstens vereinzelt Bäume.

Ansonsten hat mir das Gedicht auch einen Tick „furchtbarer Schmerz" zu viel. Es badet geradezu in Emotionen und bringt eigentlich immer dasselbe Thema, mir ist es ehrlich gesagt zu kitschig. Auch wenn ich mich jetzt unbeliebt mache.



Auch der Vers macht nicht viel Sinn. Natürlich können Sterne nicht im All ertrinken, warum muss man auf etwas, was für sich allein schon keinen Sinn macht, hinweisen?

Schöne Grüße
SilberneDelfine
Hallo SilberneDelfine,

ich glaube, du vermischst hier ein bisschen Äpfel mit Birnen. Alltagslogik in der Lyrik zu suchen, ist so eine Sache - kann man machen, führt aber oft am Eigentlichen vorbei.
"Sterne können nicht im All ertrinken –
ich weiß das, weil ich traurig bin."
Diese Zeile ist zutiefst paradox - gerade das Unmögliche macht die Aussage poetisch. Hier wird Traurigkeit in eine interessante Dimension überführt: Sterne - oft Sinnbilder des Ewigen, des Leuchtenden - stehen in einer Leere, nämlich im All. Dass sie „nicht ertrinken können“, wird plötzlich mit dem Wissen des lyrischen Ichs verknüpft, das traurig ist.

Die Pointe: Es geht nicht um die Sterne an sich, sondern um das Bedürfnis, in der eigenen Traurigkeit eine Wahrheit zu finden - eine Wahrheit, die sich der Logik entzieht. Der Vers stellt also keine naturwissenschaftliche Behauptung auf, sondern schafft ein Bild für das Gefühl, dass auch etwas Großes, Strahlendes wie ein Stern in der Leere versinken könnte - aber nicht darf, weil sonst alles verloren wäre. Es ist ein verzweifelter Versuch, sich an etwas festzuhalten. Das Besondere an Sterne ist zudem, dass ihr Licht, das wir sehen, ein Rest ihres Lebens ist, denn die meisten sind bereits erloschen oder erlagen dem kosmischen Exodus.
"Ich denke noch an die Lavendelfelder"
Diese Wiederholung ist kein bloßer Rückblick, sondern eine Art Mantra, eine Beschwörung eines vergangenen Gefühls. Sie verleiht dem Gedicht meiner Meinung nach seine melancholische Musik und macht deutlich, dass das Ich gefangen ist zwischen Erinnerung und Zweifel, zwischen Vergangenheit und gegenwärtiger Einsamkeit:
"und frage mich, hab ich geliebt?"
Diese letzte Frage ist zutiefst existenziell, findest Du nicht? Sie stellt die gesamte Erinnerung, das erlebte Leben, infrage. War es wirklich Liebe? War es Glück? Oder nur ein Traum? Auch dies entzieht sich einer rationalen Antwort.

Zum Thema Lavendelfelder und Wälder: Deine Annahme, dass das nicht zusammengeht, stimmt so nicht. Es gibt durchaus Orte, wo Lavendelfelder direkt an Wälder grenzen - z.B. bei uns in Deutschland, Stichwort Lavendeltour in Meinberg - aber Meinberg steht nicht allein: Thüringer Becken, im Harz, Hunsrück-Naheland usw usf. Das weiß ich nicht aus dem FF, habe ich aber eben gegoogelt. Aber viel wichtiger ist doch: In einem Gedicht geht es nicht darum, ob das landschaftlich exakt so vorkommt, sondern was das Bild im Kopf auslöst. Lavendel steht oft für Sehnsucht, Leichtigkeit, vielleicht Erinnerungen an bessere Zeiten. Wälder dagegen für Tiefe, Dichte, vielleicht auch für etwas Undurchschaubares. Diese Kombination finde ich poetisch schon spannend - sie soll nicht naturgetreu sein, sondern Atmosphäre schaffen. Natürlich hat jeder Mensch gemessen daran seine eigenen Präferenzen.

Und der Vers „Sterne können nicht im All ertrinken“ - ja, natürlich nicht. Aber genau darum geht’s doch. Das Bild will ein Gefühl transportieren: Verlorenheit, Machtlosigkeit in dieser riesigen Leere des Alls. Sterne stehen oft für Hoffnung, Licht - und jetzt stell dir vor, selbst ein Stern könnte untergehen in dieser unendlichen Dunkelheit. Schön finde ich auch die Personifikation des Sterns. Das ist ein starkes Bild, ein Paradoxon, das genau deshalb funktioniert, weil es sich der Alltagslogik entzieht. Wobei, ich finde, dass es selbst in der Alltagslogik vorkommt. Ich fühle mich auch öfter so, als würde ich an einer Sache oder an einem Umstand ertrinken. Nur bin ich kein Stern, obwohl ich auf atomarer Ebene aus den Teilchen eines Sternes bestehe ;)

Es zeigt, wie fragil selbst das scheinbar Unzerstörbare ist. Und das wird hier mit der eigenen Traurigkeit verknüpft - das ist nicht „unsinnig“, sondern, wie ich finde, tief. Natürlich könnte man, wollte man Kritik satteln, sagen, dieses Bild als autonome Metaphorik, sei abgegriffen. Ich finde es nicht abgegriffen, weil ich das Paradoxon für sehr einfühlsam und ehrlich halte.

Maren
 

Mimi

Mitglied
Lieber Patrick,
ich habe mich gerne mit deinem Gedicht beschäftigt ... und das nicht nur wegen der starken Bildsprache, sondern auch wegen der Diskussion, die es ausgelöst hat.
Dass manche Leser es als „zu kitschig“ empfinden könnten, kann ich nachvollziehen, sehe das aber differenzierter.

Lyrik darf übertreiben, darf aufgeladen sein, darf ins Emotionale kippen, gerade weil sie kein Tatsachenbericht ist, sondern eine verdichtete Form innerer Zustände. Gefühle sind nicht immer subtil, oft sind sie überbordend ... nun warum sollte ein Gedicht das nicht auch wiedergeben oder sein dürfen?

Die Kritik am Bild der Lavendelfelder neben „grünen Wäldern“ mag ja teilweise geographisch berechtigt sein, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber ich lese das nicht als Beschreibung eines realen Ortes, sondern als symbolisches Spannungsfeld: zwischen Leichtigkeit und Schwere, Duft und Dichte, Erinnerung und Gegenwart.
Für mich funktioniert das Gedicht eher als inneres Bild, als Erinnerungston, weniger als naturgetreue Beschreibung.
Gerade diese Reibung macht das Bild für mich im poetischen Sinne interessant.

"Sinnlos" finde ich den Vers „Sterne können nicht im All ertrinken“ übrigens nicht unbedingt.
Tatsächlich ist er nicht rational erklärbar, aber darin kann ich durchaus einen Reiz erkennen.
Dieser Vers formuliert keine Tatsache, sondern eher eine innere Erfahrung von Haltlosigkeit oder Orientierungslosigkeit, gegen die sich das lyrische Ich mit einem paradoxen Bild zur Wehr setzt.

Natürlich ist das Gedicht durch und durch melancholisch, vielleicht sogar überladen. Aber es trägt diese spürbar schmerzhafte Melancholie konsequent (siehe auch die mantraartigen Wiederholungen), ohne sich dabei auf eine andere (oder weitere) Tonebene abzusichern oder gar zu erweitern.
Und ja, das kann man kritisieren, oder man erkennt darin ein Stück literarischer Ehrlichkeit.

Mich hat das Gedicht erreicht, lieber Patrick, vielleicht gerade, weil es so kompromisslos ist.

Gruß
Mimi
 
Hallo seefeldmaren,

zunächst einmal danke für deine aufschlussreiche Antwort. Auch wenn ich nicht unbedingt mit allem konform gehe, kann ich einiges daraus mitnehmen.

Zum Thema Lavendelfelder und Wälder: Deine Annahme, dass das nicht zusammengeht, stimmt so nicht. Es gibt durchaus Orte, wo Lavendelfelder direkt an Wälder grenzen - z.B. bei uns in Deutschland, Stichwort Lavendeltour in Meinberg - aber Meinberg steht nicht allein: Thüringer Becken, im Harz, Hunsrück-Naheland usw usf. Das weiß ich nicht aus dem FF, habe ich aber eben gegoogelt.
Spontan fällt mir dazu die Frage ein: Wenn in der Lyrik alles erlaubt ist, egal, ob es das gibt oder nicht, warum ist es dann wichtig, es zu überprüfen?
Ist es doch nicht so egal?

Über die Zeile „Sterne können nicht im All ertrinken" habe ich noch einmal nachgedacht. Gestört hat mich auch, dass sie so gar nicht zur ersten Strophe zu passen schien. Wie kommt man von Wäldern und Lavendelfeldern auf einmal ins All?

Diese Zeile ist zutiefst paradox - gerade das Unmögliche macht die Aussage poetisch. Hier wird Traurigkeit in eine interessante Dimension überführt: Sterne - oft Sinnbilder des Ewigen, des Leuchtenden - stehen in einer Leere, nämlich im All. Dass sie „nicht ertrinken können“, wird plötzlich mit dem Wissen des lyrischen Ichs verknüpft, das traurig ist
Hm .... Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig liege, aber könnte es sein, dass das LI verlorene Lieben als Sterne ansieht?

Das kann natürlich nur der Autor beantworten (wenn er möchte).

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Rachel

Mitglied
Hei Patrick,

mir bleiben diese beiden Zeilen ganz besonders hängen:

Manchmal nimmt der Winter sich ein Leben
hinter einem Fenster, durch das keiner sieht.


So könnte glatt ein dicker Roman anfangen. :)

LG, Rachel
 

Agnete

Mitglied
nachdenklich und fragend. Und poetisch durch die Wiederholung des tragenden Satzes. Sehr hübsch, Patrick. lG von Agnete
 



 
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