1. Im Dorf
Michael saß, wie so oft, auf dem Schreibtisch in seinem Zimmer. Wenn seine Mutter ihn sah, sagte sie: „Michael, du thronst da, wie der Kaiser von China." Ihm gefiel es sehr gut hier oben. Er blickte auf die Straße und sah jeden, der vorbei ging.
Der erste, den er von seinem Thron aus gesehen hatte, war ein Junge aus dem Dorf. Er hatte vor dem Fenster angehalten, Michael angegrinst und ihm anschließend die Zunge heraus gestreckt.
Noch nicht lange lebte Michael mit den Eltern und seiner Schwester Nele im Neubaugebiet des kleinen Dorfes. Das einzige alte Haus in ihrer Straße gehörte dem Förster und Michael freute sich, dass ihr Haus direkt daneben stand.
Hinter dem Haus befand sich auf der großen Wiese ihre Schaukel. Von der Wiese aus führte eine kleine Treppe hinunter zum Bach. Dort spielten sie am liebsten. Der Bach war weder breit, noch tief. Staudämme konnten sie bauen und Steinstraßen ans andere Ufer legen. Nur wenn es stark geregnet hat und im Frühling der Schnee schmolz, wurde dieser kleine Bach zu einem reißenden Fluss. Da hieß es: weg vom Fluss, und diese Regel mussten die Kinder einhalten!
Außer ihnen wohnten noch keine Kinder in der Straße. Sie wussten, dass im Dorf andere Kinder lebten. Wenn sie mit der Mutter im Laden einkauften oder mit dem Vater ins Milchhäuschen gingen, kamen sie an den Bauernhöfen vorbei, in denen diese Kinder lebten. Mit ihnen würden sie im nächsten Jahr zur Schule gehen.
Aber Michael und Nele gingen nie zu den Kindern ins Dorf zum Spielen und diese kamen nicht ins Neubaugebiet.
Sie besuchten oft ihre Nachbarin, die Frau Wegmann. Sie hatte Katzen und Hasen, den Esel Jockel und Muckel*, das Schaf. Die Kinder durften ihr beim Füttern helfen. Nele brachte dem Esel Äpfel und Möhren, Michael kümmerte sich um die Hasen. Ihr Fell fühlte sich so wunderbar weich an.
Die andere Nachbarin, die Frau des Försters, hatte einen sehr großen Blumen- und Gemüsegarten und eilte stets durch die Beete. Am besten gefiel den Kindern die Holzhütte im Försterhof. Sie hätten gern gewusst, was da drin war. Doch jedes Mal, wenn die Kinder die Nachbarin fragte, sagte sie: „Nichts für euch!", und schon hastete sie weiter.
„Demnächst steige ich einmal über den Zaun!", versprach Michael seiner Schwester. Das hatte die Mutter gehört und sie bat: “Geh durch die Tür, wenn du unsere Nachbarin besuchen willst!"
„Keiner schließt die Gartentür ab, nur sie", maulte Nele.
„Sie wird schon ihren Grund haben", antwortete die Mutter.
Nele und Michael winkten der Nachbarin zu, wenn sie im Garten war, doch sie beachtete die Kinder nicht.
(* Von Jockel und Muckel gibt es eine Gute Nacht Geschichte.)
David
Wieder einmal standen Michael und Nele am Zaun und starrten sehnsuchtsvoll auf den Schuppen. Da ratterte ein Junge mit einem Handleiterwagen die Straße entlang. Es war der Kerl aus dem Dorf, der Michael die Zunge rausgestreckt hatte.
„Hallo, was gibt's da zu gaffen?", rief er und rollte den Leiterwagen die Hofeinfahrt hinunter.
Michael verlangte: "Sag erst mal wie du heißt". „David“, erwiderte der Junge knapp, „und ich weiß, dass du Michi heißt und deine Schwester Nele.
Also, was gibt’s zu gaffen?“ Michael deutete auf den Schuppen.
„Na, und? Was ist in dem Schopf*?", fragte David.
„Das wissen wir leider auch nicht!" gestand Michael, „wahrscheinlich ist dort was gefährliches versteckt!"
„Vielleicht sitzt der Nachtkrap drin“, sagte David.
„Was ist das denn, ein Nachtkrap?", erkundigte sich Nele.
„Den kennt ihr nicht?", staunte David. Nele und Michael schüttelte den Kopf.
David schaute sich nach allen Seiten um, dann flüsterte er: „Das ist doch der schrecklich große Vogel, der nur in der Nacht fliegt. Alle Kinder, die er auf der Straße erwischt, zwickt er ins Bein. Manche schleppt er auch fort!" Die beiden glaubten ihm kein Wort. Er aber blieb dabei, seine Oma hatte ihm oft davon erzählt.
„Aber im Schuppen sitzt kein Vogel", sagte Michael.
„Woher willst du das so genau wissen, du warst doch nicht drin", funkelte er Michael an.
Der erklärte: „Die Nachbarin lässt manchmal die Tür offen und ein Vogel wäre da schon längst fort geflogen!"
„Also, wenn du meinst, dass der Nachtkrap nicht drin sitzt, guck ich jetzt nach!", sagte David und schob den Leiterwagen an den Zaun. Er befahl Nele und Michael, den Wagen fest zu halten. Schnell kletterte er hinein, stellte sich auf die Seitenwand und sprang über den Zaun in Nachbars Garten. Die Kinder duckten sich. David hockte auf dem Boden, grinste und winkte den beiden zu. Er rappelte sich auf und eilte gebückt, an Blumen und Büschen vorbei, zum Schuppen.
Gerade fasste er die Türklinke an, da tauchte die Nachbarin auf. Michael schlug entsetzt die Hände vors Gesicht und Nele stöhnte leise. Als sie wieder in Nachbars Hof schauten, war David verschwunden. Nele flüstere: „Wahrscheinlich hat sie ihn eingesperrt!"
Michael nickte düster: „Dann müssen wir ihn wohl befreien!" Das war zum Glück nicht nötig. David stand wieder oben auf der Straße und rief: „Hallo, bringt mir den Wagen!"
Sie bestürmten ihn mit Fragen. Nele wollte wissen, ob ihn die Nachbarin ausgeschimpft hätte und Michael fragte: „Hast du gesehen, was im Schuppen ist?" David schüttelte nur den Kopf.
„Erzähl doch mal", bat Nele.
David kicherte und sagte: „Sie hatte keine Zeit zum Schimpfen, ich habe ihr gleich viele liebe Grüße von meiner Oma ausgerichtet. Aber was im Schopf* ist, konnte ich leider nicht sehen."
Michael schlug vor, noch einmal in den Garten zu steigen, jedoch nur, wenn die Nachbarin das Haus verlassen hatte. David nickte eifrig: „Klar. „Soll ich euch mein großes Geheimnis verraten?" Nele und Michael schauten ihn erwartungsvoll an. David musterte sie schweigend, dann sagte er:
„Nein, heute nicht, das nächste Mal vielleicht, jetzt muss ich heim!"
Er ließ die beiden stehen und zuckelte mit seinem Wagen davon. „Kommst du morgen wieder?", rief Nele. Er drehte sich um: „Vielleicht."
Sie blieben auf der Straße, bis sie David nicht mehr sahen.
*Schopf: Gartenhütte, Geräteschuppen ...
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Beim nächsten Mal geht es um Geheimnisse, auch das von David.
Michael saß, wie so oft, auf dem Schreibtisch in seinem Zimmer. Wenn seine Mutter ihn sah, sagte sie: „Michael, du thronst da, wie der Kaiser von China." Ihm gefiel es sehr gut hier oben. Er blickte auf die Straße und sah jeden, der vorbei ging.
Der erste, den er von seinem Thron aus gesehen hatte, war ein Junge aus dem Dorf. Er hatte vor dem Fenster angehalten, Michael angegrinst und ihm anschließend die Zunge heraus gestreckt.
Noch nicht lange lebte Michael mit den Eltern und seiner Schwester Nele im Neubaugebiet des kleinen Dorfes. Das einzige alte Haus in ihrer Straße gehörte dem Förster und Michael freute sich, dass ihr Haus direkt daneben stand.
Hinter dem Haus befand sich auf der großen Wiese ihre Schaukel. Von der Wiese aus führte eine kleine Treppe hinunter zum Bach. Dort spielten sie am liebsten. Der Bach war weder breit, noch tief. Staudämme konnten sie bauen und Steinstraßen ans andere Ufer legen. Nur wenn es stark geregnet hat und im Frühling der Schnee schmolz, wurde dieser kleine Bach zu einem reißenden Fluss. Da hieß es: weg vom Fluss, und diese Regel mussten die Kinder einhalten!
Außer ihnen wohnten noch keine Kinder in der Straße. Sie wussten, dass im Dorf andere Kinder lebten. Wenn sie mit der Mutter im Laden einkauften oder mit dem Vater ins Milchhäuschen gingen, kamen sie an den Bauernhöfen vorbei, in denen diese Kinder lebten. Mit ihnen würden sie im nächsten Jahr zur Schule gehen.
Aber Michael und Nele gingen nie zu den Kindern ins Dorf zum Spielen und diese kamen nicht ins Neubaugebiet.
Sie besuchten oft ihre Nachbarin, die Frau Wegmann. Sie hatte Katzen und Hasen, den Esel Jockel und Muckel*, das Schaf. Die Kinder durften ihr beim Füttern helfen. Nele brachte dem Esel Äpfel und Möhren, Michael kümmerte sich um die Hasen. Ihr Fell fühlte sich so wunderbar weich an.
Die andere Nachbarin, die Frau des Försters, hatte einen sehr großen Blumen- und Gemüsegarten und eilte stets durch die Beete. Am besten gefiel den Kindern die Holzhütte im Försterhof. Sie hätten gern gewusst, was da drin war. Doch jedes Mal, wenn die Kinder die Nachbarin fragte, sagte sie: „Nichts für euch!", und schon hastete sie weiter.
„Demnächst steige ich einmal über den Zaun!", versprach Michael seiner Schwester. Das hatte die Mutter gehört und sie bat: “Geh durch die Tür, wenn du unsere Nachbarin besuchen willst!"
„Keiner schließt die Gartentür ab, nur sie", maulte Nele.
„Sie wird schon ihren Grund haben", antwortete die Mutter.
Nele und Michael winkten der Nachbarin zu, wenn sie im Garten war, doch sie beachtete die Kinder nicht.
(* Von Jockel und Muckel gibt es eine Gute Nacht Geschichte.)
David
Wieder einmal standen Michael und Nele am Zaun und starrten sehnsuchtsvoll auf den Schuppen. Da ratterte ein Junge mit einem Handleiterwagen die Straße entlang. Es war der Kerl aus dem Dorf, der Michael die Zunge rausgestreckt hatte.
„Hallo, was gibt's da zu gaffen?", rief er und rollte den Leiterwagen die Hofeinfahrt hinunter.
Michael verlangte: "Sag erst mal wie du heißt". „David“, erwiderte der Junge knapp, „und ich weiß, dass du Michi heißt und deine Schwester Nele.
Also, was gibt’s zu gaffen?“ Michael deutete auf den Schuppen.
„Na, und? Was ist in dem Schopf*?", fragte David.
„Das wissen wir leider auch nicht!" gestand Michael, „wahrscheinlich ist dort was gefährliches versteckt!"
„Vielleicht sitzt der Nachtkrap drin“, sagte David.
„Was ist das denn, ein Nachtkrap?", erkundigte sich Nele.
„Den kennt ihr nicht?", staunte David. Nele und Michael schüttelte den Kopf.
David schaute sich nach allen Seiten um, dann flüsterte er: „Das ist doch der schrecklich große Vogel, der nur in der Nacht fliegt. Alle Kinder, die er auf der Straße erwischt, zwickt er ins Bein. Manche schleppt er auch fort!" Die beiden glaubten ihm kein Wort. Er aber blieb dabei, seine Oma hatte ihm oft davon erzählt.
„Aber im Schuppen sitzt kein Vogel", sagte Michael.
„Woher willst du das so genau wissen, du warst doch nicht drin", funkelte er Michael an.
Der erklärte: „Die Nachbarin lässt manchmal die Tür offen und ein Vogel wäre da schon längst fort geflogen!"
„Also, wenn du meinst, dass der Nachtkrap nicht drin sitzt, guck ich jetzt nach!", sagte David und schob den Leiterwagen an den Zaun. Er befahl Nele und Michael, den Wagen fest zu halten. Schnell kletterte er hinein, stellte sich auf die Seitenwand und sprang über den Zaun in Nachbars Garten. Die Kinder duckten sich. David hockte auf dem Boden, grinste und winkte den beiden zu. Er rappelte sich auf und eilte gebückt, an Blumen und Büschen vorbei, zum Schuppen.
Gerade fasste er die Türklinke an, da tauchte die Nachbarin auf. Michael schlug entsetzt die Hände vors Gesicht und Nele stöhnte leise. Als sie wieder in Nachbars Hof schauten, war David verschwunden. Nele flüstere: „Wahrscheinlich hat sie ihn eingesperrt!"
Michael nickte düster: „Dann müssen wir ihn wohl befreien!" Das war zum Glück nicht nötig. David stand wieder oben auf der Straße und rief: „Hallo, bringt mir den Wagen!"
Sie bestürmten ihn mit Fragen. Nele wollte wissen, ob ihn die Nachbarin ausgeschimpft hätte und Michael fragte: „Hast du gesehen, was im Schuppen ist?" David schüttelte nur den Kopf.
„Erzähl doch mal", bat Nele.
David kicherte und sagte: „Sie hatte keine Zeit zum Schimpfen, ich habe ihr gleich viele liebe Grüße von meiner Oma ausgerichtet. Aber was im Schopf* ist, konnte ich leider nicht sehen."
Michael schlug vor, noch einmal in den Garten zu steigen, jedoch nur, wenn die Nachbarin das Haus verlassen hatte. David nickte eifrig: „Klar. „Soll ich euch mein großes Geheimnis verraten?" Nele und Michael schauten ihn erwartungsvoll an. David musterte sie schweigend, dann sagte er:
„Nein, heute nicht, das nächste Mal vielleicht, jetzt muss ich heim!"
Er ließ die beiden stehen und zuckelte mit seinem Wagen davon. „Kommst du morgen wieder?", rief Nele. Er drehte sich um: „Vielleicht."
Sie blieben auf der Straße, bis sie David nicht mehr sahen.
*Schopf: Gartenhütte, Geräteschuppen ...
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Beim nächsten Mal geht es um Geheimnisse, auch das von David.