1. Leseprobe zu

Harry Popow

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1. Leseprobe zum Buch „In die Stille gerettet“ - Autor Harry Popow


Es ist einer jener Tage im frühlingshaften März, von denen man sich wünscht, sie mögen andauern, in diesem Zustand der heiteren Gelassenheit, so würzig die Luft, so schwerelos die menschliche Seele, so eins kann sie sein mit der Natur, so ausgeglichen und glücklich darf man sich fühlen. Da sitzt er nun, ein in die Jahre gekommener grauhaariger Mann, auf der Terrasse am kleinen schwedischen Holzhäuschen, über ihm der unendlich kobaltblaue Himmel. Weiße Schwäne ziehen in langer Kette mit gleichmäßigem Flügelschlag zu den stillen Seen in den weiten nordischen Wäldern. Noch sind die Baumäste kahl, doch dicht am Haus haben sich bereits Schneeglöckchen und Krokusse eingefunden, verpackt in einem Erdboden, der des Nachts noch in Eiseskälte erstarren wird. In den Niederungen liegen die Sümpfe noch unter brüchigem Eis. Irgendwo bellt ein Hund, eine Kreissäge kreischt. Der Träumer in ihm ist nicht totzukriegen.

Plötzlich ein Beben, dann ein Grollen, ein Donner, der über die Wälder kommt. Das Eis des Orrefors-Sees bricht auf mit lautem Getöse, gleich starken Explosionen. Diese Geräusche – da sind sie wieder, die Bilder von einst, sie drängen sich mitunter hinter seine Stirn: Er jagt als Ausbilder junge Männer über das Übungsfeld. Jahre danach greift er zum Kugelschreiber und schreibt über jene, wie sie sich plagen, wie sie das Notwendige meistern lernen. Ja, er hat als Offizier und Militärjournalist in der Nationalen Volksarmee zweiunddreißg Jahre mitgewirkt an einer Alternative zum Krieg, an einem Entwurf für ein großartiges Gesellschaftsgemälde. Darauf ist der einstige Oberstleutnant stolz. Nicht aber darauf, daß man im kleinen Land mit der Zeit vieles vermasselt hatte. Eine ganze geschichtliche Periode, ein Startversuch in ein menschenwürdigeres Dasein ist durch Unvermögen abgestürzt. Auf absehbare Zeit unwiderruflich. Verspielte Chancen! Und was dann kam ...

Nun aber aalt er sich in der Vormittagsstunde auf der Sonnenbank, freut sich darauf, mit Cleo, seiner Frau, auch heute wieder kilometerweit zu wandern, hin und wieder zu schreiben an seinen Tagebuchnotizen oder zu malen. An wärmeren Tagen wird er seine Staffelei in den Garten stellen, Farben und Pinsel bereit legen. Ja, er hat wieder Lust, seinem späten Hobby nachzugehen. Ihm schwebt ein Ölgemälde vor, mit roten Rosen, Tulpen, Dahlien, Gladiolen, Kapuzinerkresse. Er sieht sie schon vor sich, die sommerlichen Farbtupfer im Garten, und mittendrin das schwedische Holzhaus. Ja, das will er malen ...


Das kleine Schwedenhaus

Es ist bei weitem kein repräsentatives Traumhaus, in dem Cleo und Henry seit 1996 leben, eher ein bescheidenes, aber sehr schmuckes kleines Holzhäusel mit vier Zimmern. Ausreichend für sie, ihre tollen Kinder und Enkel, die, so oft es geht, gern zu Besuch kommen. Das Grundstück umfaßt einen 900 Quadratmeter großen Garten, bewachsen mit riesigen Haselnußhecken, drei imposanten Wacholdern und einer gewaltigen, etwas altersschwachen Birke. Das Haus hat – ganz schwedentypisch - zwei Eingänge, um in strengen Wintern bei Schneeverwehungen zwei Notausgänge zu haben. Im Wohnzimmer steht ein antiker weißer Porzellankachelofen, der bis zur Decke reicht. Dieser ist auch als Kamin nutzbar. Geheizt wird nur mit Holz, das es ja in Schweden zur Genüge gibt. Ein Durchgang führt zum Eßzimmer. Vom runden Tisch aus hat man nach allen Seiten einen herrlichen Blick in den am Grundstück angrenzenden Wald. Steigt man die Holztreppe hinauf, findet man zwei Zimmer mit schrägen Wänden, das Schlafzimmer in Hellblau mit weißen antiken schwedischen Möbeln, das Gästezimmer ganz in Rosé. Ein Schmuckstück auch das voll geflieste Bad mit Holzdecke und romantischen Badraummöbeln im gleichen Dekor. Außergewöhnlich schön ist die Herbstzeit. Dann liegt oft ein wenig Schwermut über dem stillen Ort Gadderos (im Glasreich Smaland gelegen) mit seinen roten, gelben oder braun-weißen Holzhäusern. Am frühen Nachmittag kriecht langsam aus den Wäldern die Dunkelheit hervor und hinter den Fenstern leuchten die Schwibbögen.

Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3

Hier der Blog des Autors: http://cleo-schreiber.blogspot.com
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Lieber Harry Popow,

vom Schreibstil her ist der Text nicht der schlechteste. Mit dem Inhalt habe ich Probleme. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Du hier ein Selbstporträt entwickelst? Liege ich falsch, fiele ein Urteil über den Text leichter; ich schriebe dann ja nur über eine fiktive Person, deren Motive und Ansichten ich nicht teilen kann:

Er jagt als Ausbilder junge Männer über das Übungsfeld. Jahre danach greift er zum Kugelschreiber und schreibt über jene, wie sie sich plagen, wie sie das Notwendige meistern lernen.

Was ist "das Notwendige" am Kriegshandwerk? Muss es "gemeistert" werden wie z.B. das Handwerk eines Tischlers, Elektrikers, Fleischers?

Ja, er hat als Offizier und Militärjournalist in der Nationalen Volksarmee zweiunddreißg Jahre mitgewirkt an einer Alternative zum Krieg, an einem Entwurf für ein großartiges Gesellschaftsgemälde. Darauf ist der einstige Oberstleutnant stolz.

Ist die Alternative zum Krieg der Krieg, zur Drohung mit Waffen die Drohung mit Waffen? Wenn der Ex-Offizier gewirkt hat, dann doch höchstens als mittleres Rädchen im Getriebe des nicht sonderlich stabilen Ost-West-Konfliktes... Die Mitarbeit am "großartigen Gesellschaftsgemälde" vermittelt den Eindruck, die Jahre des kalten Krieges hätten in einem Hobbykeller vor schönen, unschuldigen, leeren Leinwänden begonnen, alle Malinteressierten hätten einen Pinsel bekommen und freien Zugang zu den Farben - ich glaube, diesen Hobbykeller mit Pinseln, Farbtöpfen und viel Lust und guter Laune gab es so nicht: Es gibt ihn jetzt - allerdings nur in den Köpfen einiger Vergangenheitsnostalgiker.

Nicht aber darauf, daß man im kleinen Land mit der Zeit vieles vermasselt hatte. Eine ganze geschichtliche Periode, ein Startversuch in ein menschenwürdigeres Dasein ist durch Unvermögen abgestürzt. Auf absehbare Zeit unwiderruflich. Verspielte Chancen! Und was dann kam ...

Wer hat was vermasselt? Wer ist "man"? Sind das nicht immer auch die Menschen, die Verantwortung, Macht und Einfluss hatten? Lenkt das "man" nicht ab vom eigenen Handeln, also auch von der eigenen Schuld, vom eigenen Blindsein, Versagen? Ist es insofern nicht äußerst unehrlich, dieses "man"?

Ich bin im Übrigen der Meinung, dass die Menschen im "kleinen Land" weder besser noch schlechter, weder weit- noch kurzsichtiger oder beschränkter als die Menschen anderer Länder waren. Zu Fall brachten das "kleine Land" die unzeitgemäßen Strukturen, kurz gesagt: fehlende Basisdemokratie, fehlende Meinungs- und Pressefreiheit, das verlogene Wahlsystem usw. Und natürlich auch die äußeren Umstände, es war ja Teil eines staatenübergreifenden Blocksystems, in dem genau die gleichen anachronistischen Defizite herrschten...

P.
 

Harry Popow

Mitglied
Hallo Penelopeia, die Zeilen und das gelebte Leben sowie alles drumrum - das bin ich, nur ich und meine Umgebung. Nimm es so, wie es ist. Ich erkläre hier gar nichts. Lies doch mal in meinem Blog meinen kurzen Beitrag zu Gauck auf der Sicherheitskonferenz. Ich war und bleibe ein durchweg politischer Mensch. Mit klaren Ansichten, mit alten und neuen Fragen. Und fühle mich gut dabei.
Gruß von Harry
 



 
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