11. Unter Räubern

Amadis

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Jolene war sich nicht sicher, was sie von der Sache halten sollte, in die sie unversehens hineingeraten war. Sie verspürte nicht die geringste Lust, in dieser merkwürdigen Welt einen Krieg zu führen, mit dem sie ihrer Meinung nach absolut nichts zu tun hatte. Sie wollte überhaupt keinen Krieg führen, in keiner Welt!
Eldens Erzählung war nicht sehr ermutigend gewesen. Demnach hatte sie – und die drei anderen, die sie noch nicht kannte – es nicht nur mit einer unbekannten Anzahl feindlicher Soldaten zu tun, sondern auch noch mit einer Zauberin – auch wenn sie diesem Teil der Geschichte noch weniger Glauben schenken konnte, als dem übrigen Unsinn.
Andererseits schien dieser Elden nicht der Typ zu sein, der Märchen erzählte. Und es war immerhin eine Tatsache, dass sie sich hier befand – wenn das nicht der übelste Drogentrip war, von dem sie je gehört hatte.
Man hatte ihr eine der Hütten zur Verfügung gestellt – offenbar die von Elden – und die Frauen waren rührend um ihr Wohlergehen bemüht. Es war Jolene fast peinlich, so umsorgt zu werden.
Gegen Abend war eine Gruppe von Männern im Lager eingetroffen, die man mit lautem Gejohle begrüßt hatte. Sie brachten einige Säcke und eine kleine Truhe mit, die ganz offensichtlich Diebesgut enthielten. Das war allerdings nur noch das letzte Puzzlestück gewesen, denn Jolene war schnell klar geworden, womit Eldens Leute ihren Lebensunterhalt verdienten.
Nachdem sie eine Weile geschlafen hatte, waren auch die Kopfschmerzen verschwunden, die sie seit ihrem Erwachen im Wald geplagt hatten. Sie stand von dem primitiven Lager aus Reisig und Laub auf und verließ die kleine Hütte.
Es war inzwischen dunkel geworden. Die Männer saßen in kleinen Gruppen um das große Feuer herum, über dem sich an einem Spieß ein undefinierbares Tier von der Größe eines Hirsches drehte, und unterhielten sich leise. Fett tropfte zischend ins Feuer. Jolene erkannte auch Rafag unter den Männern. Offenbar hatte er bei der Jagd Glück gehabt.
Überall wo sie auftauchte, stockten die Gespräche, und große Augen richteten sich auf sie. Nach einer Weile wandte man sich aber wieder der unterbrochenen Unterhaltung zu.
Jolene suchte im Schein des Lagerfeuers nach Elden. Endlich erkannte sie seine hoch aufgeschossene Gestalt am anderen Ende des Lagers. Sie schlenderte wie zufällig in seine Richtung.
„Ihr seid wach!“, freute sich der Anführer. Seine Narbe glänzte im Schein des Feuers und auch seine Augen funkelten, als seien sie von einem ganz eigenen Licht beseelt. Jolene taxierte ihn. Das war schon eine andere Sorte Mann, als Harmon Michael Herbert der Dritte und seinesgleichen. Sie musste unwillkürlich lachen, als sie den möchtegerncoolen Yuppie mit diesem „Räuberhauptmann“ verglich.
„Es freut mich, Euch zu amüsieren, hohe Dame!“, meinte Elden mit einer spöttischen Verbeugung.
„Wäre es vielleicht möglich, dass sie mich einfach Jolene nennen?“, fragte Jolene. Dieses Getue um ihre angebliche Zugehörigkeit zum Alten Geschlecht war ihr zuwider. Elden neigte den Kopf.
„Wie du wünschst, Jolene. Was kann ich für dich tun?“
Er setzte sich auf eine Bank und bot Jolene ebenfalls Platz an. Nachdem sie sich hingesetzt hatte, wandte sie sich an den Anführer der Räuberbande.
„Wie stehst du zu diesem Reas Fei und seiner Gefolgschaft?“, erkundigte sie sich.
Elden schien eine Weile zu überlegen.
„Grundsätzlich versuchen wir, uns aus der großen Politik herauszuhalten“, erklärte er dann. „Weißt du, wir sind froh, wenn wir unser Auskommen haben und man uns ansonsten in Ruhe lässt. Allerdings haben wir für Reas Fei wenig übrig. Es ist nur so, dass es bisher keine Frage gab, dass es ziemlich egal war, auf welcher Seite wir standen. Möglicherweise wird das aber demnächst eine Frage werden. Die Zeichen sprechen dafür.“
Das war für seine Verhältnisse schon eine ziemlich lange Rede gewesen.
„Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, wie ich mich verhalten soll.“ Jolene schaute Elden Hilfe suchend an. Es war für sie ein ungewohntes Gefühl, sich an jemanden um Hilfe zu wenden – vor allem an eine Person, die sie so gut wie gar nicht kannte.
„Nun“, meinte Elden zögernd. „Ich bin nicht sonderlich bewandert in den alten Legenden. Aber in Torfing lebt ein Zauberer namens Harbon, der sich mit den Legenden beschäftigt hat – das glaube ich zumindest. Ich werde morgen einen Mann zu ihm schicken. Ansonsten solltest du zunächst einmal andere Kleidung tragen, denn was du jetzt trägst ist – mit Verlaub gesagt – recht auffällig! Und du fällst allein durch deine Hautfarbe schon mehr auf, als uns lieb sein kann.“ Er grinste, während er sie von oben bis unten musterte.
Jolene hatte zwar ob der hohen Temperaturen ihr Pelzjäckchen abgelegt, trug aber noch die Jeans und vor allem die dünne Seidenbluse. Das Fähnchen hatte in ihrer Stammboutique auf dem Broadway fast fünfhundert Dollar gekostet. Jolene zuckte mit den Schultern und lächelte.
„Da hast du wohl Recht“, gab sie zu. „Können mir eure Frauen einige Kleider abtreten? Aber bitte nichts Besonderes!“
„Das sicher nicht“ entgegnete Elden. „Vielleicht wäre Männerkleidung am praktischsten. Es steht zu befürchten, dass wir in naher Zukunft viel unterwegs sein werden.“
Elden winkte einen seiner Männer heran und tauschte sich leise mit ihm aus. Der nickte, warf Jolene einen kurzen, abschätzenden Blick zu und verschwand dann jenseits des Feuers.
„Bist du hungrig?“, erkundigte sich Elden.
Jolene schaute ihn überrascht an. An etwas so Simples wie essen hatte sie überhaupt nicht gedacht. Jetzt aber bemerkte sie ein starkes Hungergefühl, das in ihren Eingeweiden nagte und der Bratenduft, der vom Feuer herüber wehte, ließ ihr das Wasser im Mund zusammen laufen..
„Gern“, nickte sie und gesellte sich zu Elden, der sich in Richtung des großen Lagerfeuers in Bewegung setzte.
Eine der Frauen schnitt eine Scheibe vom Braten herunter und legte sie auf einen hölzernen Teller. Dazu gab es ein Stück frisch gebackenes Brot. Das Fleisch war würzig und hatte einen schwachen Wildgeschmack. Elden setzte sich neben Jolene auf einen Baumstamm.
„Du solltest den Ring nicht so offen tragen“, meinte er zwischen zwei Bissen. „Ich besorge dir eine Schnur, dann kannst du ihn um den Hals und unter deiner Kleidung tragen.“
Jolene schaute ihn fragend an.
„Hier im Lager weiß inzwischen jeder, wer und was du bist. Ich vertraue diesen Menschen hier blind. Aber wir werden hier nicht bleiben können, fürchte ich. Wenn jemand den Ring sieht, könnte er auf die Idee kommen, die Information an Reas Fei oder einen seiner Schergen zu verkaufen. Die meisten Menschen werden schwach, wenn es um Geld geht.“
Jolene registrierte mehr nebenbei, dass Elden sich selbst mit einbezog, als sei das völlig selbstverständlich. Sie nickte nachdenklich und schaute in die Runde.
„Was sind das alles für Leute hier?“, erkundigte sie sich vorsichtig.
„Wovon wir leben, weißt du ja wohl inzwischen.“ Elden grinste. „Aber wir waren nicht immer Räuber und Diebe. Rafag zum Beispiel hatte einen kleinen Hof ein Stück hinter Torfing. Nichts Großes, aber fruchtbares Land mit Zugang zum Fluss, ein paar Bantas, Getreidefelder ... Eines Tages kam ein Gardetrupp vorbei. Sie hatten in Torfing getrunken und einer von ihnen meinte, Rafag habe ihn beleidigt. Sie fesselten ihn an einen Baum und er musste zusehen, wie sie seine Frau vergewaltigten und töteten und danach auch seinen kleinen Sohn umbrachten. Irgendwie gelang es ihm, sich loszumachen und den Gardisten zu entkommen. Seitdem lebt er hier. Ich könnte dir eine Menge ähnlicher Geschichten erzählen.“ Eldens Stimme klang bitter.
Jolene schaute betroffen in die Runde. Diese so fröhlich und unabhängig anmutende Schar musste eine Menge Schreckliches durchgemacht haben. Dies war kein Abenteuerurlaub oder Pfadfinderlager.
„Meinst du, dieser ... Zauberer ...“ Sie konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass es etwas wie Zauberer geben sollte. „Dieser Zauberer kommt her, wenn du nach ihm schickst?“
Elden nickte.
„Sicher, Harbon ist ein guter Freund, wenn er auch manchmal etwas ... schwierig ist. Aber du wirst ihn ja kennen lernen.“ Er lachte.
 
Hallo Amadis,

endlich hab ich mal wieder etwas Zeit gefunden weiter zu lesen :D
Ich muss sagen, deine Räuber wirken sehr sympathisch. Und wie wir Leser durch die Hintergrundgeschichte mit Rafag erfahren, sind sie Menschen, die viel verloren haben. Elden mag ja neutral den beiden "Kriegs"parteien gegenüber sein, dennoch glaube ich, dass er im Grunde seines Herzens etwas (wenn nicht sogar vieles) in seinem Land verändern möchte.

Hier noch ein paar Anmerkungen:

Das war schon eine andere Sorte Mann() als Harmon Michael Herbert der Dritte und seinesgleichen.
Hier ist ein Komma zuviel.

'Wäre es vielleicht möglich, dass (S)ie mich einfach Jolene nennen?', fragte [strike]Jolene[/strike] sie.
Pass auf die persönliche Anrede auf!

'Es ist nur so, dass es bisher keine Frage gab, dass es ziemlich egal war, auf welcher Seite wir standen.
Dieser Satz verwirrt mich ein wenig. Meintest Du vielleicht da es ziemlich egal war?

Und ab ins nächste Kapitel :D
 

FrankK

Mitglied
Hallo, Amadis

Am Anfang dieses Kapitels häufen sich die Gedankenstriche, am stärksten registrierte ich diese in folgendem Mammutsatz:
Demnach hatte sie – und die drei anderen, die sie noch nicht kannte – es nicht nur mit einer unbekannten Anzahl feindlicher Soldaten zu tun, sondern auch noch mit einer Zauberin – auch wenn sie diesem Teil der Geschichte noch weniger Glauben schenken konnte, als dem übrigen Unsinn.
Beispiel für eine Veränderung:
Demnach [blue]hatten[/blue] sie und die drei [blue]Anderen[/blue], die sie noch nicht kannte, es nicht nur mit einer unbekannten Anzahl feindlicher Soldaten zu tun, sondern auch noch mit einer Zauberin. [blue]Auch[/blue] wenn sie diesem Teil der Geschichte noch weniger Glauben schenken konnte, als dem übrigen Unsinn.

„Wäre es vielleicht möglich, dass [blue]sie[/blue] mich einfach Jolene nennen?“ [blue], fragte Jolene.[/blue]
  • Sie spricht Elden höflich an (Sie), im Kapitel 6 war es noch ein vertrauteres „du“ (was eher Jolenes Character entspräche)
  • Das „fragte Jolene“ wirkt sperrig, durch die doppelte Verwendung des Namens und die Erklärung, dass es eine Frage gewesen sei. Wer hier redet ist alleine durch den Text dem Leser klar.
  • Solltest Du beim „Sie“ bleiben, denke an die Großschreibung

Elden [blue]schien[/blue] eine Weile zu überlegen.
Konkretisieren. Wenn es nur „schien“, dass er überlegte, was hat er dann wirklich gemacht?

„Wie [blue]du[/blue] wünschst, Jolene. Was kann ich für [blue]dich[/blue] tun?“
Zuvor (auch im Kapitel 6) spricht Elden sie noch mit Hochachtung an. Leute seiner Art sind darauf konditioniert, hochstehende Persönlichkeiten (für eine solche hält er Jolene) nicht(!) zu duzen. Vom Situationsgefühl fände ich es logischer, wenn er sie vielleicht beim Namen nennt (Jolene statt „Herrin“ oder „hohe Dame“), sie aber weiterhin höflich siezt. Zumindest jetzt noch, für eine vertrautere Beziehung ist später noch genügend Zeit.

„Da hast du wohl [blue]Recht[/blue]“
Korrektur: recht (Dudenempfehlung)

... ließ ihr das Wasser im Mund [blue]zusammen laufen[/blue]..
Korrektur: zusammenlaufen
Am Ende des Satzes ist auch ein Punkt zuviel.

„Ich besorge dir eine [blue]Schnur[/blue], dann kannst du ihn um den Hals und unter deiner Kleidung tragen.“
Die ansonsten recht ausgewählte Sprache Eldens erfährt hier, für meinen Geschmack, einen kleinen Stilbruch. Einfach nur ein „Band“ oder sogar ein „Lederband“ empfände ich als angemessener.

„Sicher, Harbon ist ein guter Freund, wenn er auch manchmal etwas [blue]...[/blue] schwierig ist. Aber du wirst ihn ja [blue]kennen lernen[/blue].“
Korrektur: kennenlernen
Die Auslassungszeichen empfinde ich an dieser Stelle nicht als notwendig.


Jolene und Elden erfahren in diesem Kapitel einen guten Character-Aufbau, beide Figuren wirken realistisch und durchdacht.


Viele Grüße aus Westfalen
Frank
 



 
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