13 wahre Märchen

nikko_rosko

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»Zu Fliegen ist einfach.
Schwer ist es zu landen.«
Carl O’Connor

Am Abend brach ein Schneesturm aus, der alle Lebewesen zwang sich zu verstecken um das schlechte Wetter abzuwarten. Die schweren, schnell heranstürmenden Wolken wurden von den scharf gezackten Gipfeln der Berge zerrissen. Aber die Wolken gaben nicht auf; ihre Zahl nahm zu, sie fielen immer tiefer und füllten die Täler mit einem brodelnden Strom. Die Kronen der hohen Kiefern brummten und schwankten im Wind, ihre Stämme knarzten und ächzten klagend, klammerten sich mit aller Kraft an die Steine mit ihren orangefarbenen Wurzeln, unfähig, die zwischen ihnen durchbrechenden Schneewirbel zurückzuhalten. Nur die düsteren, alten Tannen hielten noch standhaft die Front und zwangen den Feind in ihren schweren und weichen Umarmungen stecken zu bleiben, vom Kreischen zum Flüstern überzugehen und hier im Wald seinen Schneeballast auszuschütten statt weiter zu tragen.

Eine kleine Gruppe von zwei Reisenden, einem Mann und einem Esel, kletterte hartnäckig eine schmale, kurvenreiche und schneebedeckte Straße hinauf. Der Esel sah aus wie ein gewöhnlicher Esel. Und sein dünner und hochgewachsener Begleiter, in einem langen und schwarzen Kapuzenumhang verborgen, sah aus wie ein Wandermönch oder wie eine Person, die wegen einiger Sünden in ihrer Vergangenheit nicht erkannt werden möchte. Der Gerechte und der Sünder sehen oft gleich aus. Vielleicht weil beide nicht so sein wollen wie alle anderen. Und aus eben jenem Grund sind sie schwer voneinander zu unterscheiden, sodass man manchmal viel zu spät merkt, dass soundso nicht der ist, für den man ihn gehalten hat.

Es wurde kälter. Der Wind nahm weiter zu, seine Böen pressten entweder den Saum des Umhangs um die Beine des Mönches und hinderten ihn am Gehen, oder sie warfen den Saum hoch zu schwarzen Flügeln. Der Wanderer beugte sich vor und versuchte sich dem Wind seitwärts zu stellen, aber es half nicht viel - der heimtückische Wind änderte ständig die Richtung, schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu wehen, warf wütend stacheligen Schnee ins Gesicht, kratzte die geröteten Wangen, versuchte die Kapuze vom Kopf zu reißen und mit seinen kalten Fingern kletterte er in jede Lücke in der Kleidung. Der Reisende hatte keine Handschuhe, weshalb seine Hände gefroren waren und es wurde immer schwieriger, die Zügel des Esels zu halten. Er versuchte die Hände zu wechseln, um seine Finger mit seinem Atem zu wärmen, indem er zuerst von der einen Seite des Esels, dann von der anderen neben herging. Aber das war noch anstrengender und er ließ die Zügel vollständig los und steckte seine über der Brust verschränkten Arme in seine Ärmel.

Es wurde schnell dunkel, wie es in den Bergen üblich ist, und es wurde immer schwieriger den Weg zu erkennen. Irgendwo zu ihrer Linken war ein Abgrund, der jetzt von einer Schneedecke verborgen war, und sie versuchten dicht an den ächzenden und schwankenden Baumstämmen zu bleiben, um nicht versehentlich vom Weg abzukommen. Aber bald verschwanden die Bäume in der verschneiten Dämmerung. Der Esel und der Mann blieben allein zurück, mitten in den Schneewirbeln, die um sie herumkreiselten.
Jetzt musste jeder Schritt vorsichtig nach der Straße tastend gesetzt werden. Die Füße sanken tief in weichen, lockeren Schnee. Dem trotzend gingen sie weiter und hinterließen zwei Rillen, die sogleich durch Schneewirbel aufgeweht wurden. Ein paar dutzend Schritte weiter hinter ihnen konnte niemand mehr das kleinste Zeichen erkennen, dass hier kürzlich jemand vorbeigekommen war.
Der Esel hatte es noch schwerer. Schnee hat seinen Rücken und die Gepäcksäcke an den Seiten mit einer weißen Decke belegt, seinen Schweif und seine Mähne zu grauen Strähnen verfilzt, flog ihm in die Ohren und klebte sogar an seinen Wimpern, was ihn dazu brachte, den Hals zu senken und gelegentlich den Kopf zu schütteln, im Versuch sich davon zu befreien.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Orientierung im Raum vollständig verloren. Es war nicht mehr klar, ob Schnee von oben fiel oder vom Boden aufstieg, wo sie rechts oder links hatten, wo vorne und wo hinten war. Vielleicht gingen sie direkt in den Abgrund oder drehten sich unmerklich um und gingen zurück, aber sie hörten nicht auf zu gehen. Jetzt sahen sie einander nicht mehr, sondern spürten nur noch die Seite ihres Kameraden.
Das hat jedoch gereicht. Jeder verließ sich auf den anderen. Der Esel verließ sich auf den Verstand des Menschen und der Mensch auf den natürlichen Instinkt des Esels. Jeder von ihnen glaubte also an das, was er selbst nicht hatte, und glaubte daran, dass dies ein Zeichen der Zuverlässigkeit sei. Das ist ein einfaches Beispiel, wie zu zweit mehr Selbstvertrauen entsteht als allein, wenn auch ohne Grund. Schließlich glaubte jeder an das, woran der Besitzer ebendessen selbst nicht glaubte. Der Mann glaubte nicht an den menschlichen Verstand, auf den sich der Esel verließ und der Esel glaubte nicht an den natürlichen Instinkt, auf den sich der Mann verließ. Beide wussten also nichts, was Zuversicht geben würde, aber beide waren sich sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Menschen und Esel weigern sich oft völlig, den breiten und offensichtlichen Weg zu gehen, aber sie folgen bereitwillig anderen, weil man zumindest an deren Erfahrung und Wissen glauben kann, während sie sich ihrer Unsicherheit sicher sein können.

Auf diese Weise können wir noch dazu dem anderen die Schuld geben, wenn es uns trotzdem an die falsche Stelle führt.

Und jetzt - meine sehr geehrten Damen und Herren - wie es im Märchen oder in A-Movies üblich ist, tritt auch hier im Moment der größten Gefahr sofort einen Ausweg ein. B-Movies bekamen ihren Namen, weil sie sich nicht um ein Happy End kümmerten - wenn sie sich denn überhaupt um das Ende einer Geschichte kümmerten. Der Schneesturm, als wäre er von ihrer Entschlossenheit bis zum Ende zu gehen überzeugt, begann allmählich schwächer zu werden. Der Wind peitschte nicht mehr so stark ins Gesicht und brachte sogar von irgendwoher einen schwachen Rauchgeruch aus einem Kamin, den sogar ein Mensch trotz seiner gefrorenen Nase verspürte. Der Esel hat es schon früher bemerkt. Aber dafür erkannte der Mensch früher das Licht vor sich, das durch den fallenden Sternenregen aus Schneeflocken flackerte, wie ein Leuchtturm in einem tobenden, nächtlichen Meer.

Die Stimmung heiterte auf, gab ihnen Kräfte sich zu beschleunigen, und in wenigen Minuten standen sie schon vor der einsamen Straßentaverne, dessen Mauern aus massiven, mit der Zeit nachdunkelnden Steinen die Zuversicht gaben, dass man sich hinter ihnen vor jedem Unwetter verstecken kann. Über ihren Köpfen schwankte im Wind eine Laterne und wehrte die Dunkelheit mit einem warmen, orangefarbenen Licht ab. Direkt darunter war ein Schild, auf dem in großen, unbeholfenen Buchstaben »Zum ATLER« prankte. Daneben war etwas gemalt, das aussah wie ein von einem Lastwagen zerquetschtes Tabakhuhn, und unten in kleineren Buchstaben stand »Geöfnet 23 Stunden am Tak«.

Ein weiteres Schild direkt an der schweren, schwarzmetallisch gestreiften Holztür lautete: »Essel sint erlaubt«. Darin wurde zur Verdeutlichung ein kleiner Esel gezeichnet, der nach Meinung des Reisenden eher einem Hund ähnelte. Aber dem Esel selbst gefiel offenbar das Bild, da er es mit sichtlichem Vergnügen betrachtete. Es ist schön, eine Inspirationsquelle zu sein, unabhängig von der Begabung des Künstlers. Dadurch wird man praktisch zur Muse, die den Künstler inspiriert hat. Dies ist eine sehr schmeichelhafte Analogie für einen Esel. Aus dem gleichen Grund ist es auch für Künstler angenehm – sie verstehen sich selbst schließlich als Quelle der Inspiration. Die Muse wird mit ihrer Inspiration nicht zu einem Unwürdigen kommen. Und selbst bei koketter Unzufriedenheit beider Seiten mit dem Werk werden Beide die Mängel des Kunstwerks auf der anderen Seite verordnen. Der Künstler wird in seinem Herzen das Modell beschuldigen und das Modell wird in seinem Herzen den Künstler beschuldigen.

»Das ist das Erfolgsgeheimnis jeder echten Arthouse-Veranstaltung«, dachte sich der Esel, »erfolgreich ist sie dann, wenn sie allen Teilnehmern erlaubt, sich für den Sinn der ganzen Aktion zu halten. Und dafür braucht man nicht viel. Ja, im Ganzen wird überhaupt nichts benötigt, außer ein beliebiges Stück Raum mit einem Band einzuschließen. «

Aber der Reisende interessierte sich mehr für die Inschrift über die »23 Stunden«.
»Was machen sie in dieser verbleibenden Stunde?«, dachte er. Und wenn es zu dieser Stunde unmöglich ist, die Taverne zu betreten, ist es dann möglich, sie zu verlassen? Und wenn es möglich ist sie zu verlassen, warum ist es dann nicht möglich auch in demselben Moment einzutreten? Und wie kann man wissen, dass jetzt genau nicht diese vierundzwanzigste Stunde ist? Technisch gesehen lässt das Schild die Möglichkeit niemals geöffnet sein zu können, entschied er und klopfte an die Tür.

Niemand antwortete, deswegen drückte er einfach dagegen - und tatsächlich war die Tür nicht verschlossen. Also muss gerade noch nicht die vierundzwanzigste Stunde laufen. Zumindest etwas Gewissheit. Der Reisende ließ den Esel aus Höflichkeit vor, obwohl es eher ein »aus Höflichkeit schob er den Esel vorwärts« war und ging ihm hinterher.

Nach dem grellen Laternenlicht außen schien es erst ziemlich dunkel. Innen war es ruhig, gemütlich und warm. Es roch nach frischem Brot und ein wenig nassem Eselshaar. Die Halle war groß genug um die Wände in der Dunkelheit verborgen zu halten. Die Balken der Decke, die aus dicken, knorrigen, vom Rauch verrußten Baumstämmen bestehen, waren nicht einmal durch Sprünge zu erreichen.
Das einzige Licht war schwach und kam vom Feuer im Kamin an der gegenüberliegenden Wand. Vor ihm waren die Silhouetten einiger Menschen zu sehen, die auf einer niedrigen und robusten Holzbank saßen. Nach dem leisen Raunen ihrer Gespräche untereinander zu urteilen waren es ziemlich viele Leute im Raum.

»Einen guten Tag diesem Haus«, sagte der Reisende in die Runde, die erwiderte ihm mit einem ungebrochenen Brummen von einem Dutzend Stimmen. Einer von ihnen hat streng hinzugefügt:

»Mach die Tür zu... Es ist schließlich noch kein Monat Mai.«

Der verlegene Mönch schloss gehorsam die Tür und schnitt damit das schlechte Wetter von der heimeligen Behaglichkeit der Taverne ab. Als erstes wandte er sich dem Esel zu, nahm ihm die Last ab und hängte die Säcke an die alten, gusseisernen Haken in der Wand die dafür gedacht waren. Einen der Säcke, mit Hafer gefüllt, öffnete er – nach einer langen Reise würde der Esel sicherlich eine Kleinigkeit essen wollen. Mit den durchgeweichten Kordeln unter dem eigenen Kinn, die Kapuze auf dem Kopf halten, musste er sich ziemlich viel bemühen, bevor er es schaffte, die schwere, nasse Kapuze nach hinten zu werfen und die Reste des schmelzenden Schnees von seinen Schultern zu schütteln. Erst jetzt begann er zu spüren, wie kalt ihm war – seine Hände und sein Gesicht begannen schmerzhaft zu kribbeln.

Unterbrochen durch die Ankunft, setzten die Leute in der Taverne unterdessen ihr Gespräch fort. Eine junge, neckische Stimme sagte:

»Und jetzt stellen sie sich vor, das ganze Dorf schwört mir, dass die ganze Geschichte die reine Wahrheit ist, vom ersten bis zum letzten Wort. Und trotz meiner Zusicherungen, dass ich ihnen wie mir selbst glaube, bemerkten sie anscheinend immer noch einen Hauch des Zweifels in meinen Augen oder sie vertrauten meinem Glauben an mich selbst nicht - und deshalb zogen sie mich buchstäblich an der Hand in eine Höhle in der Nähe, einander zuzwinkernd und in Erwartung meiner Überraschung mit der Zunge schnalzend. Und dort zeigten sie mir feierlich den lebenden Beweis der ganzen Geschichte. Oder besser gesagt, den toten Beweis - der Schädel genau dieses Zyklopen. Was glauben sie, war es tatsächlich? Der Schädel eines uralten Nashorns!«

Es gab Gekicher.

»Bauern, naiv wie Kinder, im rührenden Glauben daran, dass das Loch im Schädel, in dem das Horn des alten Fossils befestigt war, eine Augenhöhle sein soll. Und dies soll ein klarer Beweis dafür sein, dass Odysseus auf seiner Reise wirklich einem Zyklopen begegnete. Einem Monster, das mit nur einem Auge in der Stirn sich deutlich von Menschen unterscheidete, und ihn durch List besiegte.«

Der Esel hatte wenig Interesse an den menschlichen Gesprächen und hatte bereits seinen Kopf tief im offenen Hafersack versteckt.

»Gleichzeitig kann man aber nicht behaupten, dass sie komplett gelogen hätten«, sagte eine andere Stimme nachdenklich. »Er war ja wirklich einäugig. Obwohl der Verlust eines Auges bei einem betrunkenen Kampf in einer Hafen-Taverne nicht als natürliche Anomalie angesehen werden kann, schmückte es dennoch sein Aussehen nicht. Der Charakter des alten Piraten war ja auch unmenschlich und könnte als monströs angesehen werden. Nun, er glänzte auch nicht mit seinem Verstand, also war es wirklich nicht schwer ihn zu täuschen. Er war doch der Jugendliche, den ein paar Gauner dazu überredeten Goldmünzen auf irgendeinem Acker zu vergraben, damit ein Geldbaum wächst? Es gab also eine gewisse Grundlage für die Geschichte, bevor sie zum Nashorn geführt war.«

Der Mönch, der nicht sah, ob irgendwo ein Platz frei war, beschloss sich der Wärme zu nähern und die Leute auf der Bank machten ihm auf der rechten Seite Platz. Er setzte sich auf, streckte seine Hände gen Flammen und genoss die Wärme. Über dem Feuer hing an einer Kette, die von oben herabhing, ein großer Kessel, der mit leicht duftendem Dampf rauchte. Der Reisende hielt es für unhöflich, den Kessel eines anderen so genau zu untersuchen, weil dies bedeuten würde, dass er sich mehr für körperliche als für geistige Nahrung interessiere, die durch die Kommunikation mit anderen Menschen repräsentiert wird. Er richtete seinen Blick auf die rußbedeckten Steine des Schornsteins, der über dem Feuer hing, wo graue Rauchschwaden aus dem Feuer im Herd aufstiegen. Eine interessante technische Lösung.

»Mit dem im Feld vergrabenen Geld war es nicht ganz so.«, knurrte eine dritte Stimme. »Tatsächlich drängten ihn ein paar Gauner dazu das Geld zu vergraben und versicherten ihm, dass ein Geldbaum wachsen würde. Und er war wirklich begeistert von der Idee, Geld in sein zukünftiges Wohlbefinden zu investieren. Er entwickelte die Idee jedoch kreativ weiter - mit all dem Geld kaufte er ein Fass Brandy und vergrub es in diesem Feld. Wie er selbst später seinen Gedankengang erklärte: das Geld braucht man für einen regnerischen Tag in seinem Leben, in einer schwierigen Zeit der Katastrophe und Not. Aber braucht man in Not und Ausweglosigkeit wirklich Geld? Na, man hat dann zwar Geld, und was kauft man davon? Natürlich wirst du an der Stelle erst Brandy kaufen - schließlich hast du einen schwarzen Streifen im Leben, und zu dieser Zeit ist Alkohol so gut, als sei es vom Doktor so verschrieben. Also kann das Geld einfach als ein überschüssiger Zwischenschritt von der Gleichung entfernt und der Brandy direkt vergraben werden. Außerdem versicherst du sich so gegen die Inflation – guter Brandy wird mit der Zeit nur teurer.«

Weiter wandte sich das allgemeine Gespräch einer Diskussion über die Intelligenz des alten einäugigen Piraten zu, aber der Mönch hörte nicht mehr zu. Er philosophierte darüber, ob die Fähigkeit zu sprechen das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen erhöht oder verringert. Paradoxerweise stellt sich heraus, dass Sprache auch das Verständnis beeinträchtigen und zu unerwünschten Täuschungen führen kann. Es wäre also notwendig, nicht mit den eigenen Worten zu hetzen, sondern mehr auf die Worte anderer Menschen zu hören. Manchmal ist Schweigen besser als Reden.

»Aber allgemein spielt es keine Rolle.«, sprach jemand in diesem Moment. »Wie wir sehen können, leben Geschichten in der Tat ihr eigenes Leben und verändern sich auf dem Weg von Erzähler zu Erzähler auf skurrile Weise. Und niemanden kann deswegen ein Vorwurf gemacht werden. Schließlich missverstehen wir selbst manchmal die Anderen. Oder umgekehrt -- wir sagen etwas und es wird missverstanden.«

»Echt so. Es kommt sogar vor, dass wir gar nichts gesagt haben und es schon missverstanden wird.«

Alle nickten nachdenklich. Tatsächlich passiert mal sowas.

Die Stille zog sich hin, die Unterhaltung verebbte.
»Weil wir gerade über wahre Geschichten sprechen«, sagte die gleiche junge Stimme, die die Geschichte über den Nashornschädel erzählte. »Wie ich verstehe wird niemand mehr dazustoßen. Von daher brauchen wir auch nicht mehr zu warten. Lassen Sie uns jeder eine wahre Geschichte erzählen. Eine Geschichte wie sie war, bevor sie verzerrt wurde. Da ich als Erster gekommen bin, kann auch ich der Erste sein der anfängt.«

Es gab kurzes Geraschel, aber keine Einwände. Sicherlich wäre zu einer solchen Zeit und an einem solchen Ort eine gute Geschichte keine schlechte Idee.
Der junge Mann räusperte sich, sammelte seine Gedanken und begann.

»Es gab einen seltsamen Baron in unserem Land, weit weg von hier. So seltsam, dass ihn niemand beim Namen nannte und ihn sogar niemand einen Baron nannte. Und das ist an sich schon ziemlich seltsam. Normalerweise, wenn es um ihn ging, winkten die Leute abfällig ab und sagten: »Hast du gehört, was dieser Kauz sich wieder einfallen lassen hat?« oder »Unser Eigenbrötler zeichnete sich wieder aus« oder andere seltsame Worte, und jeder verstand immer, von wem er sprach.

Eigentlich war seine ganze Familie nicht sehr standardmäßig.

Sein Großvater war einst ein berühmter Räuber. Niemand weiß, woher er kam, aber als er erschien, stellte er eine große Bande zusammen, raubte Karawanen von Händlern auf den Straßen aus und lässt die Portemonnaies von Alleinreisenden nicht vorbei. Er manövrierte geschickt zwischen konkurrierenden Machtzentren, unterstützte rechtzeitig diejenigen, die zum Erfolg kamen, und verriet zur richtigen Zeit diejenigen, die von einer Niederlage bedroht waren. Niemand hat jemals davon gehört, dass er Beute an die Armen verteilte. Also ist es nicht verwunderlich, dass sein Weg zum königlichen Hof führte, denn dort versammelt sich normalerweise Seinesgleichen. Im Gegensatz zu ihnen zeichnete er sich aber in einigen Schlachten aus, hauptsächlich dadurch, dass jeder sah wie er zu Beginn der Schlacht tapfer auf den Feind zu galoppierte und dann nach dem Ende der Schlacht wohlbehalten Trophäen sammelte. Aber niemand sah ihn während der Schlacht. Menschen, die inmitten in einer Schlacht als tapfere Kämpfer angesehen wurden, erhalten die Anerkennung in der Regel posthum. Und das ist nicht die Anerkennung, die unser Held gesucht hat, sonst könnte er sie leichter bekommen - nur durch das Verteilen des geplünderten Geldes an die Armen.

Am Ende erhielt er wegen seiner Verdienste vom König einen Adelstitel mit Ländereien und starb, wie es sich für einen wahren Ritter gehörte - auf einem Pferd. Er versuchte bei vollem Galopp durch ein zu niedriges Tor einer nahen gelegenen Burg zu reiten.

Der Sohn des Mannes, (also der Vater unseres Freaks), zeichnete sich trotz der gleichen Aggressivität nicht durch Mut und Kampffähigkeiten aus, und hatte daher viel Erfolg in Rechtsstreitigkeiten und Methoden des unlauteren Wettbewerbs. Während seines Lebens bring an den Bettelstab einiger benachbarter Barone und kaufte ihre Besitztümer und Schlösser, darunter desjenigen, in deren niedrigen Toren sein Vater, also der Großvater unseres Freaks, starb. Er machte das Tor nicht höher, sondern befestigte nur das Familienwappen darüber.

Ein ganzes Team von Spezialisten für Gynäkologie oder Genealogie - ich erinnere mich nicht genau, wie diese Spezialisten genannt werden - durchsuchte in seinem Namen alle alten Manuskripte und stellte fest, dass die Familie unserer Baronen seit undenklichen Zeiten baronial ist und vor tausend Jahren mit einem der ersten normalen Menschen beginnt, die unser Land betraten.

Davor, wie es in diesen Manuskripten geschrieben stand, sollen hier nur abnormale Menschen gelebt haben.

Zu unglaubliche Altertümlichkeit der Familie wurde die Geschichte des ersten Barons aus dieser Familie beigelegt. Als er mit einem Schiff zu diesem Land ankam und von dem Fallreep abstiege, soll sein Pferd gestolpert sein und er soll zu diesem Pferd einige verletzende Worte gesagt haben, die in verschiedenen Manuskripten angeblich unterschiedlich aufgenommen wurden. Im selben Manuskript wurde das Wappen der gesamten Familie gefunden: In der unteren rechten Ecke befand sich ein Reiter auf einem aufbäumendes Pferd und in der oberen linken Ecke des Wappens ein hufeisenartiges Steintor der Burg.

Das beweist uns, dass die Genealogen nicht ohne Gefühl für Humor waren - auf diese Weise schlossen sie die ganze Geschichte. Zu Beginn der Geschichte beleidigt der Baron das Pferd, am Ende der Geschichte rächt sich das Pferd am Baron. Es war nicht das Tor, das zu niedrig war, sondern es war das Pferd, das beschloss sich auf seinen Hinterbeinen aufzustellen, als es durch das Tor ging.

Jedenfalls freute sich der Vater des Freaks über dieses neu erworbene Wappen und nagelte es an die Tore aller Burgen, die er gewissermaßen erobert hatte.

Er war auch dreimal verheiratet, jedes Mal mit reichen Bräuten aus den Handelskreisen, die nach einem Titel für ihren Reichtum suchten, aber schnell an unbekannten Krankheiten starben, obwohl schon als anerkannte Baroninnen, so dass die prächtige Inschrift auf ihren Gräbern sie alle ein Vermögen kostete. Überstürzen Sie es nicht mit Ihrem herablassenden Gekicher! Wenn nicht alle Menschen nach einem solchen Ende ihres Lebens suchen -- wer von den Menschen würde dann ein solches Ende ablehnen, da das Ende immer noch sein wird? Dabei verlieren viele Menschen ihr Vermögen ohne üppige Inschrift am Grab oder sie haben eine üppige Inschrift, aber haben während des Lebens kein Vermögen. Und eine unzählig große Anzahl von Menschen hat weder das eine noch das andere. Man kann also immer noch sagen, dass die Baroninnen ein seltenes Glück gehabt hatten.

Ungefähr mit solchen Worten erklärte der mittlere Baron seinem jugendlichen Sohn - dem zukünftigen Freak - den plötzlichen Tod seiner letzten offiziellen Stiefmutter.

In den Archiven der örtlichen bürokratischen Behörden gab es separate Aktenschränke allein mit seinem Namen. In den Ordnern der Lokalzeitung war ihm die Hälfte der jovialen Chronik jener Jahre gewidmet. Die örtliche juristische Hochschule lehrte den Studenten in einem Sonder-Fach, welche Wege er erfand, um die Gesetze zu umgehen. Ansonsten war er für nichts Anderes berühmt.

So erbte unser Freak ein großes Vermögen, brauchte nichts und zeigte eine solche Naivität und Unfähigkeit im Geschäft, dass sein zankteufeliger Vater oft drohte, das gesamte Vermögen nicht an seinen läppischen Sohn, sondern an das nächstgelegene Kloster zu übertragen. Infolge dessen starb der Vater auf einmal durch einen seltsamen Zufall unmittelbar nach dem Besuch des nächstgelegenen Klosters; und mit Symptomen, die denen seiner Frauen stark ähnelten, als sie an einer unbekannten Krankheit starben.

Nun aber stellte es sich heraus, dass die Drohungen alle leer waren und alles dem Sohn vermacht wurde. Man sagt, dass das Kloster sehr verärgert war. War es aber möglich, schon im Voraus das zu verstehen – allein davon, dass Papa die Worte »ich werde es dem Kloster geben« als Synonym für die Worte »in den Wind werfen« verwendet.

Selbst Freaks eigene Pächter, die normalerweise keine Gelegenheit auslassen um von irgendwelchen Ablässen Gebrauch zu machen, bemitleideten ihren naiven Baron-Gutsbesitzer, zahlten ohne Täuschung und waren sogar stolz darauf vor den Bauern anderer Barone. Er ist unser Narr, und es ist eine Sünde so einen zu täuschen, denn wir sind ehrliche Menschen, wir beleidigen Kinder nicht.

Opas Name war Rotbart, weil er einen roten Bart hatte. Papas Name war auch Rotbart. Aus dem gleichen Grund.

Eines Tages, nachdem er beschlossen hatte, sich einen Bart wachsen zu lassen, war unser Baron überrascht zu erfahren, dass seine Haare auch rot werden. Da er sich selbst als eine andere Kreatur als sein Großvater und Vater betrachtete, nämlich mehr zu spirituellen Errungenschaften geneigt, beschloss er, seinen Bart absichtlich blau zu färben. Um nicht zu verwechselt werden.

Von da an atmeten alle auf und nannten ihn Blaubart. Manchmal wurde auch in offiziellen Staats- und Rechtsdokumenten so geschrieben: »Baron De La Blaubart«. Baron De La Blaubart ritt auf einem selbstgemachten Brett mit Rädern durch den Hof seines Schlosses, krempelt seine Hose fast bis zu den Knien hoch, im Winter ging er ohne Mütze raus, rauchte eine überseelische Wasserpfeife und fügte niemandem Schaden zu.

Natürlich träumten alle umliegenden Familien davon ihre Töchter für so einen Einfaltspinsel herzugeben und auf diese Weise das gesamte Eigentum auf sich selbst umschreiben zu können und im Anschluss nach dem Rezept von Vater Rotbart ein prächtiges Denkmal für den ehemaligen Besitzer des Reichtums zu setzen. Und es war so einfach, dass es doch kompliziert war. Der naive Freak ließ sich nach Belieben täuschen und glaubte an die Tugenden aller angebotenen Bräute, und deshalb mussten sie alle verzweifelt miteinander konkurrieren. Viele Familien arrangierten auf dieser Grundlage ganze Kriege untereinander, kompromittierten sich gegenseitig mit dem schmutzigsten Klatsch und diffamierten einander in jeder Hinsicht vor dem Bräutigam. Deshalb war Blaubart im Alter von fast vierzig Jahren wie sein Vater nur dreimal verheiratet und ritt immer noch auf einem Brett mit Rädern und ohne Mütze über den Hof. Alle seine Frauen verschwanden ohne Wissen kurz nach der prächtigen Hochzeit und ließen ihren Mann wieder alleinstehend.

Seltsam ist nur, wenn dies bei jemand anderem passiert wäre, hätte die Familie ihn vor langer Zeit schon vor Gericht gezerrt oder ihn sogar versehentlich auf der Jagd erschossen. Aber aus irgendeinem Grund stellte niemand Blaubart Fragen, und auf Jagd ging er nicht wegen seiner Liebe zu Tieren. Die Angehörigen aller vermissten Ehefrauen zuckten nur verlegen mit den Schultern, rieten unbeholfen davon ab und erhoben keine Ansprüche gegen ihren ehemaligen Schwiegersohn.

Es gab viel Klatsch unter den Leuten darüber, aber da Blaubart von allen, wenn auch ohne ersichtlichen Grund, geliebt wurde, ahnte man nichts Schlechtes. Oder besser gesagt man ahnte nichts Schlechtes, nämlich von ihm, denn an seiner Stelle könnten sie selbst gleich ein Dutzend schlechte Taten anbieten, aber das liegt daran, dass sie selbst sehr schlau sind und für sie so etwas ausdenken eine kinderleichte Sache ist. Wie aber kann der Narr, der seinen Bart blau färbte, an solche kluge Idee kommen? Nicht mal im Leben. In gewisser Weise könnte solches Verhältnis also Unliebe genannt werden, aber da es sich nicht in den Konsequenzen von der Liebe unterscheidet, welchen Unterschied macht es dann?

Und so floss alles Tag für Tag in Frieden und Ruhe.

Bis zu dem Moment, als eines Tages kommen zu eine kinderlose alte Paar aus dem lokalen Adel, aus den Armen, aber altertümlichen, die Kinder eines ihrer Cousins zu Besuch.

Diese Cousine verließ sie in ihrer Jugend und heiratete in einer entfernten Provinz, und seitdem hat sie keine Nachrichten über sich selbst mehr gegeben. Und jetzt tauchten plötzlich ihre Kinder auf - zwei Schwestern und zwei Brüder, mit einem Brief von diesem vermissten Verwandten. Sie schrieb in dem Brief, dass sie sehr krank sei, weshalb ihre Handschrift zittert und scheinbar ungewohnt ist. In Erwartung ihres bevorstehenden Todes an dieser Krankheit erinnerte sie sich an ihre Verwandten und bat unter Tränen, ihre Kinder nicht ohne Fürsorge zu lassen, da ihr Mann bereits seit acht Jahren gestorben war und die armen Waisen in der weiten Welt ganz allein gelassen würden.

Die Kinder sahen natürlich überhaupt nicht wie wehrlose Kätzchen aus. Die jüngere Schwester war achtzehn, die ältere neunzehn, und die Brüder waren noch älter. Aus irgendeinem Grund waren sich die Schwestern gar nicht ähnlich, und der Unterschied zwischen Schwestern und Brüdern war noch größer. Wenn die Schwestern Engeln ähnelten, dann sahen die Brüder aus wie echte Banditen, bärtig, behaart und von Kopf bis Fuß mit Waffen behängt. Aber da die alten Männer gute Menschen waren und außerdem Angst hatten, unter der Verwandtschaft als kaltherzig bekannt zu werden, akzeptierten sie die Waisenkinder als ihre eigenen und nannten sie sogar so - ihre eigenen Kinder.

Die Mädchen nahmen bald einen Platz in anständigen Kreisen ein und erhielten sogar ein paar Heiratsanträge, wobei sie noch niemandem den Vorzug gaben. Die Brüder hingegen erwiesen sich als gleichgültig gegenüber dem gesellschaftlichen Leben wie Bällen, Musik, Gedichten und anderen bescheidenen Unterhaltungen, die den Nachkommen einer Adelsfamilie angemessen waren. In der Gesellschaft dergleichen jungen Libertins verbrachten sie lieber Zeit mit Jagen, Trinken, Duellieren und grausamen Witzen über gewöhnliche Menschen.

Und auf einem Ball trafen die Schwestern Blaubart. Gelegentlich war ich einfach vorbei auf dem Ball und sah, wie es passierte. Die Jüngste von Schwestern, die ein Glas leichten Roséwein trinken wollte, drehte sich unbeholfen um und übergoss versehentlich Blaubarts Rücken. Aber als er sich umdrehte schrie sie vor Schreck auf und bat auch sofort um Vergebung, da er sie angeblich erschreckte mit der Größe seiner Statur und der ungewöhnlichen Farbe seines Bartes.

Natürlich begann Blaubart ihr seine vollkommene Harmlosigkeit zu versichern, während er mit seinem nassen Oberteil in den Händen dastand, welches er zuvor ausgezogen hatte, aber nicht wusste was damit tun soll. Sehr hastig erschien dann die ältere Schwester auf der Stelle und nahm trotz der Einwände die jüngere Schwester mit.

Viele glaubten, dass sie ihre Schwester wegen der schlechten Nachrichten über Blaubarts verschollenen Frauen weggenommen hatte. Und andere entschieden sich für das Gegenteil, aus Eifersucht auf die jüngere Schwester und dem Wunsch selber eine enge Beziehung mit einem so beneidenswerten Bräutigam zu beginnen, obwohl er nicht ganz geeignet für die Schwestern ist vom Alter her. Und bis heute haben die Leute ihren Streit nicht gelöst wer von ihnen Recht hat und ob überhaupt jemand Recht hat. Das liegt an jedem selbst zu entscheiden.

Aber wie dem auch sei, am Ende wurden die Schwestern zu häufigen Gästen im Schloss Blaubart. Natürlich nicht in alleiniger Anwesenheit, was für edle Damen nicht angemessen wäre, sondern in Gesellschaft ihrer Freunde und jungen Leute, die die Gastfreundschaft des Besitzers, wie einige sagten, sogar zu bereitwillig ausnutzten. Eines Tages, drei Monate nachdem die Schwestern in unserer Stadt erschienen waren, machte Blaubart einer der Schwestern, nämlich der jüngsten, einen Heiratsantrag. Also gab die Partei, die auf die ältere Schwester gesetzt haben zwei Tage lang Wodka aus an diejenigen, die auf die Jüngere gewettet hatten. Die Hochzeit war sehr bescheiden, aber sehr plötzlich organisiert, was eine weitere Welle von Klatsch und Tratsch verursachte, ob es einen Grund für einen solchen Dringlichkeit gab, aber der Verdacht war nicht dazu bestimmt, überprüft zu werden.

Am Morgen nach der Hochzeit sollte Blaubart seine Geschäfte auf seinem Anwesen auf dem Land erledigen und entschuldigte sich bei seiner jungen Frau und ihrer Schwester dafür, dass er sie allein zu Hause lassen müsse. Bevor er ging, rief er seine Frau an und übergab ihr einen großen Schlüsselbund für sein gesamtes Schloss und erklärte ihr ausführlich, welcher Schlüssel für welche Tür geeignet sei.

»Dieser Schlüssel«, sagte er, »stammt vom Schleusentor aus. Dieser ist für Haustüren. Dieser ist für Vorratskammern mit Wein und Essen. Dieser ist für Schränke mit wertvollen Utensilien. Dieser ist für das Zimmer mit den besten Kleidern, die man für Geld kaufen kann. Dieser ist für einen Waffenraum, mit schönen antiken Rüstungen, Schwertern und Schilden, die meine Vorfahren gesammelt haben. Dieser ist für eine Truhe mit Silbermünzen und dieser ist für eine Truhe mit Goldmünzen. Noch eine mit Edelsteinen. Alle meine Diener werden Sie als ihre Herrin gehorchen.«

»Und wozu dient dieser kleine Schlüssel?«, fragte die junge Frau, sehr neugierig.

Blaubart nahm den kleinen Schlüssel, antwortete aber nicht sofort.

»Dies ist der Schlüssel zum fensterlosen Raum im ersten Stock, am Ende des Korridors, der immer geschlossen ist. Als Herrin des Hauses haben Sie das Recht, diesen Schlüssel zu besitzen, aber ich bitte Sie, ich bitte Sie - betreten Sie niemals diesen Raum! Versprechen Sie, niemals hineinzugehen!«

»Warten Sie mal!«, mischte sich die ältere Schwester ein. »Warten Sie. Gib ihr bitte nicht den Schlüssel, süßer Schwäger!«

»Ich kann nicht«, Blaubart schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht anders, als ihn ihr zu geben.«

»Dann nimm ihn nicht, süße Schwester!«, sagte die ältere Schwester. »Mir zuliebe.«

Aber ihre jüngere Schwester gehorchte nicht.

»Ich verspreche, diesen Raum nie zu betreten«, sagte sie und nahm alle Schlüssel an sich.

Das war das Ende der Angelegenheit und Blaubart ging seinen Geschäften weiter nach, ohne Wert auf kleinere Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schwestern zu legen.

Wie es jeder an ihrer Stelle tun würde, gingen die Schwestern im ganzen Schloss herum, überprüften und durchanfassten alles, anprobierten alle Kleider, zählten das ganze Geld, bestaunten die diversen Seltenheiten und waren erst zum Abendessen damit fertig.

Es wurde ihnen langweilig.

»Was in Bezug auf Reichtum, Schmuck und Immobilien ärgerlich ist, dass man früher oder später alles zu Ende zählen kann«, sagte die ältere Schwester und seufzte. »Ich hätte nichts dagegen mein ganzes Leben damit zu verbringen. Diese Aktivität ist irgendwie moralisch beruhigend.«

Dann schaute die kleine Schwester auf den kleinen Schlüssel, den einzigen, den sie noch nicht benutzt hatten, und sagte, sie wolle auch in das kleine Zimmer gehen.

»Aber du hast versprochen, nicht hineinzugehen!«, versuchte ihre ältere Schwester sie davon abzubringen.

»Na und, dass ich das versprochen habe?«, antwortete der Jüngere, »ich bin die Herrin meines Wortes. Mein Wille es zu geben - mein Wille es zurückzunehmen.«

»Aber das ist nicht fair! Das gegebene Wort muss eingehalten werden; sonst darf es gar nicht erst gegeben werden.«

»Es war nicht fair, mir den Schlüssel zu geben, aber mir zu verbieten, ihn zu benutzen. Probleme durch Täuschung entstehen bei den Getäuschten, denn an ihm ist es über die Prävention davor zu sorgen. Die Rettung der Getäuschten ist die Sorge der Getäuschten selbst.«

»Okay, moralische Argumente wirken bei dir nicht. Aber es muss nicht alles getan werden, was getan werden kann.«

»Aber wie tut man nicht, was tut man will?«, erhob die Jüngere Einspruch. »Bist du selbst nicht neugierig?«

»Obwohl ich neugierig bin, würde ich niemals in diesen Raum gehen. Schließlich musst du dann damit leben, was du dort siehst.«

»Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Ich bin viel mehr eingeschüchtert von der Aussicht darauf, mit der Tatsache leben zu müssen etwas nicht erlebt zu haben. Ich will es so sehr und das ist das Ende der Diskussion!«, sagte die Jüngste, nahm die Lampe mit und ging allein zu dem Raum, in den sie nicht gehen durfte.

Die ältere Schwester blieb in der Haupthalle ohne etwas zu unternehmen, und beschloss die Möbel und das Geschirr in den Vitrinen vom Staub zu befreien. Ansonsten ist es unbekannt wann die Diener das tun und ob sie das auch sorgfältig genug machen.

Als die Jüngere den Raum aufschloss und hineinging stellte sie fest, dass der Raum leer war. Es war ein sauberes weißes Zimmer, das absolut nichts in sich hatte. Sie klopfte an alle Wände und untersuchte alle Bretter im Boden im Versuch einen geheimen Speicher zu entdecken, fand aber rein gar nichts Auffälliges. Es gab kein Loch, keine Spalte, keine Möbel, kein Buch, keinen Löffel und keine Gabel, keinen Blumentopf und keine Schüssel Milch, keine Inschrift und keinen Fleck. Es war nicht einmal Staub darin, der Raum wurde offensichtlich oft gereinigt - im Gegensatz zum Rest des Schlosses.

Als sie in die Haupthalle zurückkehrte, lachte sie laut.

»Willst du mich nicht fragen, was ich dort gesehen habe?«, fragte sie ihrer älteren Schwester.

»Nein!«, antwortete sie. »Außerdem ist es Zeit, die Geschäfte zu erledigen. Dein Mann sollte bald wiederkommen, wir müssen uns auf das Abendessen vorbereiten, und wir haben noch nicht zu Mittag gegessen.«

»Nichts!«, sagte die Jüngere. »Es war nichts im Zimmer. Es war völlig leer. Ich klopfte an alle Wände und untersuchte alle Bretter im Boden, fand aber nichts.«

»Das ist es, wovor ich Angst hatte.«, sagte die Älteste, ließ den Teller aus ihren Händen fallen und fing an bitterlich zu weinen.

»Du bist ein Feigling!«, ihre jüngere Schwester klopfte ihr auf die Schulter. »Aber ich hatte keine Angst. Vertraue deiner kleinen Schwester, ich werde alles arrangieren.«

Dann gab es ein Geräusch im Hof, Pferderascheln und die Stimmen der Diener - Blaubart kehrte nach Hause zurück. Als er hereinkam, umarmte er seine junge Frau und begann, sich auf das Abendessen vorzubereiten, sehr fröhlich und zufrieden mit der Art und Weise, wie die Dinge gelaufen sind. Der Ertrag ist hoch, die Bauern zahlen pünktlich. Und er ist nicht bloß mit dem Geld zufrieden, sondern mit der Tatsache, dass alle das Geld haben und jeder satt und zufrieden wird.

»Warum befindet sich nichts im Raum?«, unterbrach die junge Frau seine Erzählungen streng. »Ich war extrem neugierig, von der Neugier fast zerfressen. Warum haben Sie mir verboten in einen Raum zu gehen in dem nichts drin ist?«.

Auf einmal wurde Blaubart düster, verärgert und setzte sich auf einen Sessel, den Kopf auf den Arm gestützt.

»Sie waren also trotz Ihres Versprechens im Raum.«, er fragte das nicht, er behauptete.

»Natürlich war ich es! Aber wie hätten Sie davon erfahren?«

»Von Ihnen. Das haben Sie mir erzählt.«

»Ich könnte aber auch hineingehen, ohne Ihnen darüber zu berichten.«

»Nein, das könnten Sie nicht. Man könnte schweigen, wenn etwas im Raum gewesen wäre, selbst das Kleinste, selbst wenn ein Krümel Brot auf dem Boden. Man könnte dann meinen, der Krümel Brot ist das Mysterium. Aber genau deshalb ist der Raum leer. Wenn Sie sich nicht davon abhalten konnten in einen Raum aus Neugier zu gehen um das Geheimnis zu erfahren, dann wie halten Sie sich von den Fragen ab, bei nicht entdecktem Geheimnis des Raumes? Sie würden also auf jeden Fall fragen.«

»Aber haben Sie wirklich gedacht, dass ich da nicht hineingehen würde?«

»Ich dachte…«, gab Blaubart bitter zu, »Ich dachte wirklich, dass Sie nicht hineingehen würden. Dass ich denjenigen Menschen getroffen habe, der nicht reingeht. Das denke ich immer.«

»Worüber reden Sie?«, fragte die junge Frau ihre Stirn runzelnd.

»Über Vertrauen«, erklärte Blaubart. »Über Vertrauen. Was sind die schönsten Tugenden Wert, wenn du dieser Person nicht vertrauen kannst? Ich weiß, dass ich meine Frau niemals verraten werde. Dass ich nichts versprechen werde, was ich nicht halten kann, und nachdem ich mein Wort gegeben habe - erfülle ich es unbedingt. Ich glaube sie aufs Wort und tue niemals, was ihr schaden könnte. Aber woher kann ich erfahren, dass sie mir genauso anvertraut wie ich an sie? Dass sie mich vollumfänglich akzeptiert, zusammen mit meinen allerlei Geheimnissen? Dass ich ihr nicht nur in der Freude, sondern auch in der Trauer glauben kann, ohne zweifeln zu müssen und ständig zurückzublicken, ohne sie überprüfen zu müssen und sie ihr ganzes Leben lang zu verdächtigen? Woher weiß ich, dass ich in meiner grausamsten Stunde nicht betrogen werde, noch bevor diese Stunde kommt?

Es gab nichts in diesem Raum und es hat auch nie etwas gegeben. Ich habe nicht darum gebeten irgendetwas zu tun, ich habe nur darum gebeten, etwas nicht zu tun. Das kleinste Ding der Welt, nichts, buchstäblich nichts - in einem leeren Raum nicht auf die Leere zu schauen. Ich gab einfach den Schlüssel zu dem leeren Zimmer und bat um das Versprechen niemals hinein zu gehen. Es spielt keine Rolle warum – einfach nur weil es mir wichtig ist. Und keine von meinen vorherigen Ehefrauen hielt ihr Versprechen. Aber Sie sind die Erste, die es noch am ersten Tage bricht...«

»Ja«, sagte die junge Frau, »seit meiner Kindheit bin ich es nicht gewohnt, die Umsetzung von Plänen auf die lange Bank zu schieben. Schwester!«, rief sie zur Älteren, welche weder lebendig noch tot da saß und lange Zeit nichts Gutes von den Plänen ihrer Schwester erwartete. »Gehe nach oben zum Turm, schaue auf die Straße herab und sag mir, was du dort gesehen hast.«

Ohne ein weiteres Wort verlies die Ältere zurückblickend das Zimmer.

»Wie geht es nun weiter?«, fragte Blaubarts junge Frau.

»Wie immer, nehme ich an«, antwortete er.

»Und was war immer?«

»Ich bot meinen Frauen tausend Golddukaten an, eine große Summe, von der man lange Zeit in fernen Provinzen leben kann. Und die Wahl, dass ich sonst die ganze Geschichte unserer ganzen Gesellschaft erzählen werde und sie unter Eid von all meinen Dienern bestätigt wird. Es ist kein großes Vergehen, ohne jegliche schlechte Konsequenzen etwas zu verraten, nicht mehr als das Vertrauen des Ehemannes und das eigene ehrliche Wort zunichtemachen - aber das Ansehen wird zerstört, niemand sonst wird die Frau heiraten und es bleibt ihr nur noch die Zeit dann im Elternhaus oder Kloster zu verbringen...«.

»Was siehst du?«, schrie die Jüngere durch das Fenster.

»Ich sehe den blauen Himmel und die grünen Felder«, antwortete ihre ältere Schwester irgendwo von oben.

»Haben die Frauen das zugestimmt?«, fragte die Jüngste ihren Mann.

Er nickte.

»Kein Wunder, wissen Sie doch selbst – es ist Blütezeit der Feudalismus auf dem Hof. Der Hinsicht auf die Moral der Frauen ist hart, und niemand hat von Frauenrechten und Frauenunabhängigkeit gehört. Ich bin immer noch so liberal, denn der Nachbar rechts von uns zieht seiner Frau jedes Mal wenn er das Haus verlässt ein Eisenhöschen mit einem großen Schloss an.«

»Mir kam zu Ohren, dass ihm das nicht viel geholfen haben soll?«

»Mir auch. Acht Kinder, und keines von denen sieht aus wie er«, stimmte Blaubart zu.

»Ich frage mich, wie sie das macht?«

»Ich weiß es nicht. Aber das erste Kind ist dem Stadtschlüsselmeister sehr ähnlich. Die gleichen großen Ohren und ab dem Alter von drei Jahren sägt er alle Drüsen, die er sieht.«

»Was siehst du?«, rief die Jüngere wieder zu ihrer Schwester aus dem Fenster.

»Ich sehe den blauen Himmel und grüne Felder«, kam wieder als Antwort von oben.

»Aber trotz allem erwartet Einsamkeit einen dort als auch hier. Jedoch ist das leibliche Haus immer noch besser, als ein Fremdes«, begann die Jüngere laut zu denken. »Die ehemalige Gemahlin könnten dem Deal auch nicht zustimmen und hierbleiben.«

»Nein, wieso? Eine leicht und leise durchgeführte Scheidung – für Geld ist alles möglich - so dass an einem neuen Ort ein neues Leben, eine neue Familie und ein Leben begonnen werden kann mit einer Person, die eines Tages betrogen wird. Und diejenigen, die nicht wollten, wurden schnell von ihren eigenen Familien überzeugt.«

»Tausend Golddukaten?«, zweifelte immer noch die Jüngste.

»Ganze Tausend«, korrigierte Blaubart. »Der Preis ist gering, verglichen mit dem, das Ihr ganzes Lebenserfolg verloren gehen könnte.«

»Wo Sie recht haben, dann haben Sie recht!« , stimmte die Jüngere bereitwillig zu. »Genau auf den Punkt gebracht… Siehst du was?«, schrie sie wieder.

»Ich sehe Staub auf der Straße und zwei Reiter, die direkt auf unser Tor zu galoppieren.«

»Aber es gibt Fehler.« , fuhr der Jüngere fort und wandte sich zu Blaubart. »Solche Tricks sollten besser geheim gehalten werden. Und Sie haben Diener und Verwandte von den ehemaligen Frauen die Bescheid wissen. Wenn jemand wissen will, wohin Ihre früheren Frauen auf mysteriöse Weise verschwunden sind, wird man es herausfinden.«

»Na und, hat Sie das vor ihrer Neugier bewahrt?«

»Mich? Das ist Ihr zweiter Fehler. Zu denken, dass Neugier einzig und allein die Neugierigen bedroht.«

»Sind das alle meine Fehler, oder gibt es noch mehr?«, fragte Blaubart.

»Es gibt noch einen dritten Fehler...«

»Moment!« Der Erzähler wurde von einer Stimme aus der Ecke der Taverne unterbrochen. Es gab dort fast kein Licht, so dass ausschließlich die kleine Statur des Mannes erkennbar war, jedoch genauso breit wie hoch - und sehr behaart. Trotz der geringen Größe ihres Besitzers war die Stimme jedoch so tief und selbstbewusst, als hätte ihr Erzeuger eine große Axt und vielleicht etwas anderes in Reserve. »Lass mich raten. Sein dritter Fehler war, die Tore und Türen nicht zu verriegeln?«

»Aber die Schlüssel waren bei seiner Frau«, erinnert der Erzähler.

»Und der dritte Fehler«, sagte die junge Frau zu ihrem Mann, Blaubart, war es, »die Moral und Sittlichkeit seiner Frauen zu überprüfen, nachdem die Ehe bereits geschlossen worden war.«

Plötzlich stürmten die beiden Brüder der Schwestern mit gezogenen Waffen in der Hand den Raum und töteten Blaubart, ohne ihm die Möglichkeit eines einzigen Wortes zu geben.

»Habt ihr mitgebracht, worum ich euch gebeten habe?«, fragte die jüngere Schwester ihrer Brüder.

»Ja«, sagten sie, »wir nahmen alles, was der Metzger hatte. Und einen Sack voller Knochen und sogar ein Fässchen mit Schweineblut haben wir dabei.«

»Okay«, sagte sie ihnen und gab ihnen einen kleinen Schlüssel. »Geht in den leeren Raum am Ende des Korridors, verstreut dort die Knochen und bespritzt alles mit Blut. Ihr müssen nichts weiter tun, der Rest wird von den Leuten selbst erledigt.«

Und genau so geschah es. Nach dem Tod von Blaubart begannen alle sofort zu erzählen, dass er ein Schurke und ein Verbrecher gewesen ist, der alle seine Frauen getötet hat. Nur das letzte, unglückliche Baby entkam auf wundersame Weise eine Sekunde vor dem Tod, als er sie mit einem großen Säbel in seinem schrecklichen Folterraum töten wollte.

Niemand wollte das Ansehen eines anderen auf Kosten seines eigenen schützen. Umso einfacher ist es einen anderen zu belasten, wenn man selbst als guter Mensch erscheint. Und wenn jemand vorher etwas Positives über Blaubart gesagt hatte, dann bloß, weil er sich wegen seiner Freundlichkeit solche Schrecken nicht einmal vorstellen konnte, getäuscht von der scheinheilige Harmlosigkeit des Verbrechers. Niemand fragte, warum Blaubart seinen Frauen einen Schlüssel zum Zimmer mit Beweisen für seine Verbrechen gab. Und wenn er einen Grund brauchte, um seine Frauen zu töten, und der Grund Verrat an seinem Vertrauen war, warum dann die Leichen? Es wäre auch Verrat gewesen einen leeren Raum zu besuchen. Und wenn der Raum tatsächlich leer ist, wer sagt dann, dass er ein Mörder ist, und was nützt es, das zu behaupten?

Niemand zweifelte an irgendetwas, und wenn jemand zweifelte, gab man es niemandem zu. Sogar die Bauern sagten, dass sie immer etwas Schlechtes von den Baron vermuteten, und niemand bezahlte ihn pünktlich und vollständig. Allen voran waren die Angehörigen der angeblich ermordeten Ehefrauen, die die Wahrheit genau kannten, maßlos empört. Sie gaben nicht nur dem bereits verstorbenen Baron die Schuld, sondern forderten auch, dass ihnen ein Teil des Erbes als Entschädigung für ihre Opfer zugeteilt werde. Die junge Frau verweigerte ihnen dieses Recht in keiner Weise und unterstützte sie sogar auf jede erdenkliche Art. So wurde mit der vollen Einstimmigkeit der ganzen Gesellschaft der Fall der Verbrechen von Blaubart fast sofort durchgeführt, der Baron wurde posthum für schuldig befunden, sein Eigentum wurde einvernehmlich unter allen Teilnehmern des Dramas aufgeteilt, und zwei Wochen später war alles vorbei, und die Schwestern und Brüder, nachdem sie ihren Anteil erhalten hatten, verließen unsere Stadt.

Nur eine Sache ist seltsam. Die Brüder gingen am Morgen durch die nördlichen Stadttore. Die jüngere Schwester zur Mittagszeit, durch das Westtor. Und die ältere Schwester am Abend, durch das südliche...«



Der Erzähler verstummte.
Eine Weile herrschte Stille, bis der offensichtlich mutigste der Anwesenden seine Meinung äußerte.

»Ich würde es als Andeutung verstehen, dass diese Geschwister gar keine Geschwister waren«, durchbohrte die selbstbewusste Stimme des quadratischen Mannes aus der Ecke die Stille, als ob er eine Frage beantworten würde, die in der Luft hing.

Niemand erhob Einwände. Dasselbe dachten auch alle.

»Ich persönlich ahnte dies sogar nach dem Schreiben in zitternder Handschrift«, sagte einer von denen, die neben unserem Begleiter saßen, auf einer Bank vor dem Herd. Er war dünn, aber muskulös, wie ein Zirkussathlet. Das zerzauste rote Haar als ein hellen Fleck unterschied ihn von der düsteren Umgebung, und eine große Adlernase ragte nach vorne. »An solchen kleinen Bestandteilen sind wahre Geschichten gewissermaßen zu erkennen. Im Unterschied dazu lassen die verquirlten Geschichten eine Menge unbeantworteter Fragen, die einem die Unrichtigkeit signalisieren.

Zum Beispiel, wie unser Erzähler schon sagte, in der bekannten Spätfassung der Geschichte von Blaubart wird man sich unweigerlich fragen müssen, warum Blaubart den Schlüssel zu dem Leichenraum in die fremden Hände übergibt? Das wäre sein Todesurteil. Schon die zweite Frau in der Reihe meldete sich bei den Wachen, womit die ganze Geschichte zu Ende gewesen wäre.

Und wenn er so dumm war, wie in der Geschichte beschrieben, wie kam er dann zu Geld und Status?

Und wenn seine früheren Frauen in Wirklichkeit keinen Grund hatten, zur Polizei zu rennen, wohin sind sie dann verschwunden?

Warum haben sie überhaupt einen schrecklichen Mann geheiratet, dessen Frauen spurlos verschwunden waren?

Woher wusste Blaubart, dass die Ehefrauen ihr Versprechen gebrochen hatten? In der klassischen Version der Geschichte müssen die Geschichtenerzähler auf Magie zurückgreifen, um diese unerklärliche Kuriosität zu erklären. Aus irgendeinem Grund ließen alle Frauen am selben Ort im selben Moment den Schlüssel in eine Blutlache fallen, und auf seltsame Weise konnten sie dieses Blut nicht vom Schlüssel abwischen.

Wie frisch muss das Blut in dieser Lache sein? Hat er alle halbe Stunde seine Frauen getötet, damit die Blutlachen keine Zeit zum Trocknen hatten?

Durch welches Wunder waren die Brüder genau im richtigen Moment am Ort des Geschehens, und zwar beide bewaffnet , um den Säbel bereits über ihrer Schwester erhoben zu sehen, aber bevor der Säbel fiel?

Eine gute Ermittlungsbeamte unbedingt fragen musste - wer und wo genau sich im Moment in der Zimmer befand, wie genau haben sie das erschafft, ihn zu töten, bevor er jegliche Schaden an ihre Schwester erbracht?

Selbst die Blaubart ist eine solche Frage - was für ein Bedeutung hat für die Geschichte eine gefärbte Bart, wenn genau dieser Mann hat in die Geschichte beschrieben, und kein andere?

Schlussendlich, wenn die Geschichte verzerrt ist, dann wer und wozu hat sie verzerrt?

Das braucht man künftig nicht so deutlich zu ergänzen, da jeder aufmerksame Hörer selbst solche Fragen bemerken kann und wie ein Detektive diese Faden zu folgen, bis sie zu Wahrheit ihn führen.

Also von der Logikseite her ist mir alles klar. Passiert genau das, dass passieren musste, und könnte es nichts anderes passieren. Aber emotional tut mir der Typ leid. Es ist nicht immer der ein Verbrecher, der als Verbrecher scheint. Der Typ hat nicht nur sein Hab und Gut verloren, und nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch seine Name, er bleibt nur bei Spitznahme bekannt.« .

Unser Mönch sah sich um und fragte sich ob es angebracht wäre seine Meinung zu äußern und beschloss Einspruch zu erheben:

»Vielleicht wäre diese Geschichte, die wir grade gehört haben, von denen, die einst von seinem Vater und Großvater getäuscht und ausgeraubt wurden, ganz anders bewertet worden und sie hätten darin, wenn auch verspätet, Gerechtigkeit gefunden.«

»Das ist richtig.«, Rotkopf stimmte bereitwillig zu. »Rache an Nicht-Schuldigen ist genauso herzerwärmend wie Rache an den Schuldigen.«

»Soso. Wer weiß, wer er gewesen wäre, wenn er nicht die Gelegenheit gehabt hätte ein tugendhaftes Leben mit blutdurchtränktem Geld zu führen. Sein Großvater und sein Vater waren böse Leute, aber Leben der Blaubart auf Prozentsatz der fremden Sünden ist nicht auch eine Sünde?«

»Sollen Sie nicht von Sünden freisprechen, unser Heiliger Pfarrer?«

»Deine Ironie ist verständlich, mein Sohn, zumal meine Heiligkeit stark übertrieben ist. Aber die Sündenerlass einiger Menschen ist die Zuschreibung von Sünden an andere. Und Aufladen der Sünden auf einigen, ist die Rechtfertigung anderer. Er vergab dem Mörder und gab damit seinem Opfer die Schuld. Er ignorierte die Sünden des Opfers - er legte diese Sünde auf den Mörder. Das Böse existiert, auch wenn es nicht bemerkt wird oder üppige Inschrift hat.«

Als der Mönch erkannte, dass er zu leidenschaftlich in einen Streit geraten war, obwohl er mehr schweigen als sprechen wollte, schämte er sich. »Das ist nur meine Meinung, und das bedeutet nicht, dass es unbedingt richtig ist.«

Der unwillkürliche Gegner bestand nach einer Gedankenpause auch nicht darauf:

»Ich glaube, ich war zu kategorisch. Ich stimme zu. Das Böse ist da, auch unbemerkt, und du kannst dich nicht entspannen, wie dieser Kerl es getan hat. Im Nachhinein ist das, was passiert ist, nicht mehr zu korrigieren, oder das bräuchte sonder Mut. Vor einer Minute wusste ich nicht, welche Geschichte ich erzählen sollte, weil ich viele davon habe, aber jetzt habe ich es verstanden.«

Der Mann kämmte sein rotes Haar zu fünft, oder besser gesagt, brach es noch mehr, sammelte seine Gedanken und begann so:


===


»Einst in einem fernen Land mit dichten Wäldern, grünen Hügeln und kristallblauen Seen, lebten Bruder und Schwester. Ihr bescheidenes Haus, gebaut aus starken Felsbrocken, mit einem mit Rasen bedeckten Dach, stand an einem Hang zwischen Bäumen nahe dem Ufer eines klaren Sees, in dem sich der Himmel, die Wolken und die Berge spiegelten. Das Mädchen war mit Hauswirtschaft, Kochen und Nähen beschäftigt und ihr Bruder jagte oder fischte. Manchmal reisten sie in die Stadt, weit weg von ihrer Hütte, um Tierhäute, getrockneten Fisch und gestrickte Hemden der Schwester auf der Messe zu verkaufen und im Gegenzug zu kaufen, was sie selber brauchten. Wolle, Salz, Streichhölzer und solche Sachen.

Als sie das Haus mit dem Land kauften, ich muss sagen es war sehr billig - für ein Hemd und einen Haufen getrockneten Fisches zu haben, warnten die Bewohner eines nahen gelegenen Dorfes sie vor dem bösen Geist in dieser Gegend. Der Geist verschleppt angeblich unvorsichtige Menschen, und zwar so geschickt, dass die Leichen später nie gefunden werden. Andere sagten, dass er sie in genau diesen See zog, an dessen Ufer sie lebten. Angeblich wurde er sogar vom Vorbesitzer dieses Hauses gesehen und der beschloss in Eile und Angst diesen Bereich zu verlassen und niemandem die Einzelheiten dieses Treffens erzählen zu wollen.

Die Menschen glaubten, dass es möglich sei diesem bösen Geist zu entkommen, indem der Herd im Haus nie gelöscht würde. Angeblich kann er ohne Erlaubnis der Eigentümer nicht in ein Wohnhaus gelangen; und ein Haus mit einem erloschenen Herd ist, selbst in Gegenwart der Bewohner, so gut wie verlassen, wenn auch nur kurz und formell, und daher wehrlos gegen das Böse.

Der Bruder lachte über den Aberglauben des Dorfes, aber die Schwester bat ihn immer noch, das Feuer im Herd immer an zu halten. Einfach so, nur für den Fall der Fälle.

»Fakten! Fakten!«, sagte der Bruder und hob die Gabel bedeutend nach oben. Er aß gerade zu Mittag, nachdem er aus dem Wald zurückgekehrt ist, um Brennholz dort zu hackten. »Die Wissenschaft erlaubt keine mehrdeutigen Interpretationen, oder es ist keine Wissenschaft, sondern Magie. So, siehst du den Lichtfleck auf unserem zertrampelten Lehmboden? Er ist entweder da oder er ist es nicht.«

»Ich sehe den Lichtfleck«, stimmte Schwester zu, und die Stricknadeln blitzten schnell in ihren Händen. Sie strickte ein neues Hemd zum Verkauf, nachdem sie Zeit hatte vor ihrem Bruder zu Mittag zu essen. Sie aß nicht viel und wollte ihre Form behalten, wie sie es nannte. »Übrigens haben wir einen Riss im Dach. Aber wer weiß, was dieser Lichtfleck ist, wenn wir ihn nicht betrachten – ein Fleck oder ein Muster aus abwechselnd hellen und dunklen Streifen? Ich denke, wenn ich mich abwende, ist es nicht so, wie wenn ich es anschaue. Ich habe versucht, einen Fleck auf dem Betrug zu fangen, indem ich mich davon abwandte und mich dann sehr schnell umsah, aber es schafft es immer, sich einen Moment vorher zu ändern.«

»Ich werde das Dach reparieren, als ich das Brennholz aus dem Wald nehme, bevor der Regen das Holz feucht macht. Bis ein Phänomen bewiesen ist, existiert es nicht in den Augen der Wissenschaft.«

»Verschiedene Augen sehen anders«, die Schwester gab nicht auf.

»Das stimmt«, aberkannte der Bruder nicht. »Deshalb ist es wichtig, das, was wir echt sehen, von dem zu unterscheiden, was uns nur scheint zu sehen.«

»Ich sehe Wälder und Berge in der Ferne, ich sehe einen azurblauen Himmel, ich sehe unseren schönen See zwischen smaragdgrünen Hügeln. Was siehst du?«

»Ich sehe, wie vor 20.000 Jahren ein Gletscher hierherkam, einen Kilometer hoch. Er war es, der die Felsbrocken hierher brachte, aus denen unser Haus gebaut wurde. Und vor 10.000 Jahren schmolz er, kristallklares Wasser füllte die Seen unter dem blauen Himmel zwischen den Hügeln, die ich grün nenne, weil ich noch nie Azurblau und Smaragde gesehen habe. Genau wie du. Kannst du mir bitte das Salz geben?«

»Hier ist das Salz. Ist es um unser Essen lecker machen oder ist es um unsere Träne salzig machen?«, seine Schwester übergab ihm Salz.

»Ich denke fürs Essen, denn Weinen ist nicht notwendig, im Gegensatz zum Essen.«

»Aber in dem Fall wird es weniger Nuancen, Farben und Emotionen in der Welt geblieben. Die Welt wird langweiliger.«

»Aber verschwinden dann von der Welt auch leere Ängste«, sagte der Bruder und streute Salz auf die Bulette. »Ich sollte nochmal auf die Jagd gehen, sonst geht das Fleisch aus. Wir sollten Angst vor realen Dingen haben, nicht vor Geistern. Ein Schwert kann viel Böses tun, aber was kann ein böser Gedanke tun? Wenn ein Mensch einen gesunden Verstand hat, dann sieht er keine Geister.«

»Ist ja auch klar«, antwortete seine Schwester. »Aber trotzdem ist es mir kribbelig. Jedes Schwert wird gehalten von einer Hand, und zu jeder Hand gehört ein damit verbundener Kopf, und was in diesem Kopf ist, ist es schwer zu erraten.«

»Zweifel! Das ist es, was dem Verstand schadet!«, der Bruder hob ein Stück Bulette auf einer Gabel auf und zeigte, wie wichtig dieser Gedanke war.

»Habt ihr Materialisten keine Zweifel? Ich dachte, alles sei zweifelhaft für dich, bis das Gegenteil nicht bewiesen ist.«

»Ich bin kein Materialist, ich bin Realist. Wenn ich eine Bulette auf meinem Teller krabbeln sehe, weigere ich mich nicht, es zu sehen, wie ein Materialist macht, da Buletten nicht kriechen können, und folglich kann er das nicht sehen, es ihm nur täuscht. Aber ich glaube auch nicht an die Vernunft der Bulette als Mystiker, allein aus dem Grund, dass ich sehe, wie es kriecht. Ich nehme diese Tatsache als Realität und fange an, nach jemandem zu suchen, der die Bulette bringt zu bewegen, zumal sie Vegetarierin ist. «

»Okay, aber inwiefern wird es der Realität schaden, wenn du den Herd nicht ausgehen lässt, auch wenn du nicht an die wirkliche Gefahr der Geister glaubst?«, sagte die Schwester bettelnd und hörte auf, die Bulette zu bewegen.

Der Bruder aß die Bulette zu Ende und stimmte zu, dass das eine dem anderen nicht schadet. Die Schwester war schwach in logischen Argumenten, aber stark in bittenden. Und seitdem warf er aus Respekt vor seiner Schwester Holz in den Herd, wenn er bemerkte, dass dieser kurz davor war auszugehen.

Ein paar Tage später ging Bruder sehr früh am Morgen, noch vor dem Sonnenaufgang, auf die Jagd. Er würde an diesem Tag weit gehen, über den Pass hinaus, und hätte vielleicht keine Möglichkeit, vor dem Sonnenuntergang zurückzukehren. Die Schwester schlief derweil noch und vor seinem Aufbruch warf er nochmal Brennholz in den Herd, damit das Feuer nicht erlosch.

Aber es kam, wie es kommen musste, dass es an diesem Morgen zu regnen begann, und durch ihr altes Rasendach begann Wasser zu fließen, gerade durch den Riss, der über dem Herd war, und Regentropfen löschten das Feuer. Die müde Schwester, die bis spät in die Nacht im Schein einer Öllampe Wolle gesponnen hatte, schlief an diesem Morgen unter dem einlullenden Rascheln des Regens auf dem Dach und bemerkte nicht, dass der Herd erloschen war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bruder es bereits geschafft, weit zu kommen und blickte bereits am Pass selbst zurück und bewunderte, wie die Sonne, die zwischen den Wolken hervorlugte, einen mehrfarbigen Halbkreis des Regenbogens in der Luft erhellte, wie eine glänzende Brücke über den See. Am anderen Ufer am Hang, in der smaragdgrünen sonnenbeschienener Büsche und Bäume, sah er ihr Haus. Es kam kein Rauch aus seinem Schornstein, obwohl er genug Brennholz hineingeworfen hat. Vielleicht war das Feuer schwach und produzierte nicht genug Rauch, um aus einer solchen Entfernung gesehen zu werden, dachte er. Ja, auch wenn der Herd ausgegangen ist - das ist nur ein lokaler Aberglaube, dass ausgehende Herd zu Gefahren führen kann. Und die Schwester wird es wahrscheinlich wieder entfachen. Und selbst wenn es einen bösen Geist gäbe, warum würde er gerade jetzt kommen, genau dieses Mal? Er ist zu weit davon entfernt um zurückzukehren, und es gibt ohnehin keinen Grund.

Er rückte sein Schwert an seinen Gürtel zurecht und rannte zurück, nach Hause.

Die gleiche Sonne weckte das Mädchen mit einem Lichtfleck, der über ihr Gesicht kroch. Die Hütte war ruhig, und sie bemerkte nicht einmal sofort die dunkle Gestalt eines seltsamen jungen Mannes, der schweigend dastand, sich mit dem Rücken an die Wand in der Nähe der Tür lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Er lächelte. Er schien lange dort zu stehen und war froh, dass sie endlich aufgewacht war.

Das Mädchen schrie überrascht auf, und der junge Mann, der ihre Reaktion sah, beeilte sich, sie zu beruhigen:

»Hab keine Angst, süße Prinzessin! Ich bewunderte dich im Schlaf und freute mich, dass ich dich endlich gefunden hatte. Oh, wie viele Jahre suchen wir schon nach dir! Ich habe so sehr davon geträumt, dass ich dich finden würde!«

Er war jung und gutaussehend. Sein schwarzes langes Haar kräuselte sich über seinen Schultern. Seine Augen waren blau und tief, wie das Wasser ihres Sees. Seine schwarze Ritterrüstung war wie neu, ohne einen einzigen Kratzer oder eine einzige Delle aus vergangenen Schlachten. Und seine hohen Reitstiefel waren nicht mit Staub bedeckt. In jenen Jahren gab es keine Anilinfarbstoffe und reines Schwarz war sehr teuer und bedeutete, zur Oberschicht zu gehören.

»Warum nennst du mich eine Prinzessin?«, fragte das Mädchen.

»Weil du die Prinzessin bist! Unsere schöne Prinzessin Oygrig!«, lächelte der Ritter.

»Oygrig? Aber das ist nicht mein Name.«

Er stellte einen stabilen Eichenstuhl näher an den erloschenen Herd in der Mitte des Raumes, setzte sich vorsichtig mit dem Rücken zu dem Mädchen, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, während sie sich anzog, und erzählte die ganze Geschichte.

Sein Name sei der Ritter vom Schwarzen See. Eines Tages wurde dem König von einem großen, reichen und mächtigen Königreich eine Tochter geboren. Sie erhielt den Namen Oigrig. Alle Prominenten wurden zu Ehren der Geburt ihrer Tochter zur Feier eingeladen, darunter drei Schwestern, gute Feen. Sie waren sehr zufrieden mit der Empfängnis. Und die erste Fee schenkte dem Mädchen himmlische Schönheit. Die zweite vorhersagte ihr eine bemerkenswerte Vernunft. Die dritte wünschte ihr engelhafte Milde. Sie alle schwenkten ihre Zauberstäbe und ihre Wünsche wurden erfüllt.

Aber sie vergaßen, ihre vierte Schwester einzuladen, eine böse Hexe, die fünfzig Jahre lang allein im Turm lebte und von der alle glaubten, dass sie bereits gestorben war.

Oder vielleicht haben sie es einfach vorgezogen, es zu glauben. Was uns zeigt, wie gefährlich es ist, das Gewünschte und das Tatsächliche zu verwechseln. Darüber hinaus kann uns diese Geschichte lehren, dass wir auch Ursache und Wirkung nicht verwechseln sollten. Zum Beispiel ist überhaupt nicht bekannt, wer böse und wer unter ihnen gut wäre, wenn sie diese böse Hexe eingeladen und vergessen hätten, diese drei Guten einzuladen. Dem infolge wird es nicht nur das, dass eine zufriedene Fee in einer Konfrontation mit drei Beleidigten wäre, sondern auch das, dass nun eine Fee nur ein Wünsch für neugeborene Mädel statt drei vorherigen erwünschen kann. Und das ist ein großes Problem - was genau soll man der Prinzessin wünschen, weil man sich eine von der drei Wünschen wählen muss?

Nicht jeder kann sofort zwischen Schönheit, Freundlichkeit und Intelligenz wählen. Oder, um genauer zu sagen, mit welche zwei von dieser Wunschliste zu opfern?

»Ich wäre definitiv verwirrt«, gab der rothaarige Erzähler zu. Alles ist so erbärmlich. Wähle den Verstand - und Verstand wird dir sicherlich sagen, dass du einen großen Fehler gemacht hast, als du dich entschieden hast, böse und hässlich zu werden. Du wirst deine ganze Intelligenz darauf verwenden müssen, um mit der Welt zu konfrontieren, der dir sicher ein Krieg wegen deine Boshaftigkeit und Hässlichkeit erklärt.

Wählst du die Schönheit, dann bleibst du dumm. Wie dann, ohne Vernunft, verstehst du, ob es dir gut oder schlecht ist, oder wo die Gefahr droht? Und die Gefahren drohen dir sicherlich, da du auch böse bist, und der Welt sicher dich dafür bestraft.

Die Wahl der Freundlichkeit scheint auf den ersten Blick vorzuziehen, jedoch ist das Leben hässlicher und dummer Weltverbesserer sehr kurz. Jeder wird versuchen so einen gutmütigen Trottel ohne Gnade und Ende zu eigenen Gunsten zu benutzen, weshalb uneigennützige Arbeiter bald sterben werden.

So oder so, aber wird es getan, was es getan wird - eingeladen werden drei Feen, und eine nicht. Die böse Hexe war durch eine solche Unaufmerksamkeit gegenüber ihrer Person beleidigt. Mit Hilfe der Hexerei stahl sie das Baby aus der Wiege, brach es über alle Berge und gab es gewöhnlichen Menschen, mit der Anweisung, dem Mädchen niemals zu sagen, dass sie adoptiert wurde, sonst würde ein schrecklicher Fluch auf sie fallen.

Seitdem haben alle Helden des Königreichs die Prinzessin im Lande, im Himmel und im Wasser gesucht, konnten sie aber nirgendwo finden. Er selbst war damals noch ein barfüßiger Junge, aber schon dann träumte er davon, dass er, wenn er erwachsen wäre, der beste Ritter des Königreichs wird und Prinzessin Oygrig findet. Er dachte so viel an sie, dass er sich Hals über Kopf in sie verliebte. Die Liebe führte ihn zu ihr wie Ariadnes Faden, der ihm den Weg wies. Er ging einfach dorthin, wohin sein Herz ihn hinführte. Aber jetzt, wo er sie sah, war sie tausendmal schöner, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Von nun an ist er ihr treuer Ritter.

»Aber ich erinnere mich an nichts davon«, zweifelte das Mädchen.

»Natürlich! Da warst du auch ein Baby, Prinzessin Oygrig. Du wusstest es nicht mit deinem Kopf – aber du wusstest es sicherlich in deinem Herzen. Hast du nicht zumindest manchmal in dir selbst das Gefühl gehabt, dass du besser bist als andere Menschen, dass du wegen eines Fehlers hier bist, dass du für etwas Größeres geboren wurdest?«, er umkreiste die arme Hütte mit der Hand.

Das Mädchen musste zustimmen, dass sie ein paar Mal von solchen Gedanken heimgesucht wurde. Sie setzten das freundliche Gespräch bei einer Tasse belebender und duftender Kräutertee fort, und der Ritter war so höflich, respektvoll und naiv fasziniert von ihr, dass das Mädchen bald aufrichtige Sympathie für ihn empfand.

»Zum Beispiel mag ich diejenigen, die mich mögen«, hier machte der Erzähler einen Exkurs und wandte sich an seine Zuhörer in der Taverne. »Warum sollte es bei ihr anders sein?«

»Ich mag dich!«, sagte sofort der kleine bärtige Mann, dessen Stimme vermuten ließ, dass er eine Axt hatte.

Der Erzähler strich einige Sekunden lang über sein rotes Haar und lauschte den Empfindungen:

»Ja, es funktioniert definitiv. Trotzdem habe ich bei allem Verständnis für die Ironie deines Satzes einen Impuls der Sympathie zu dir verspürt. Eine andere Sache ist, dass es nur kurzlebig war. Schließlich führe ich die Rede dazu, dass an sich Wohlwollen der Schwester gegenüber fremdem Ritter zunächst eine positive und verzeihliche Charaktereigenschaft ist, wenn man andere Umstände nicht berücksichtigt.«

Als sie bereits gute Freunde geworden waren, runzelte der schwarze Ritter, der versehentlich aus dem Fenster ein Blick geworfen hat, plötzlich die Stirn. Seine Stimmung änderte sich, er stand abrupt auf, knarrend mit seinen Stiefeln und reichte dem Mädchen eine Hand:

»Meine Prinzessin, es ist Zeit für uns! Deine Eltern und deine Leute warten auf dich!«

»Wie? Jetzt gerade?«, wunderte sich Prinzessin Oygrig. »Ich dachte, dass dies, wie jede große Veränderung im Leben, eine allmähliche Angelegenheit ist. Ich kann nicht so gehen, direkt in dieser Alltagkleidung, ungewaschen, ungekämmt. Tja, ich bereite mich drei Stunden ins Dorf für eine Messe vor. Wie kann man sich für eine halbe Stunde zusammenbereiten? Und dann müssen wir noch auf meinen Bruder warten, er wird am Abend von der Jagd zurückkehren. Er ging in die Berge, jenseits des Passes, in ein anderes Tal, und ihm kann nicht einmal ein Signal gegeben werden.«

»Wir haben keine halbe Stunde Zeit. Wir haben nicht einmal fünf Minuten Zeit. Als ich mit einem so angenehmen Gesprächspartner wie dir, meine Prinzessin, sprach, vergaß ich völlig den unaufhaltsamen Lauf der Zeit und verpasste fast die Frist. Bald wird sich die magische Passage zwischen den Welten schließen und wir werden nicht in unsere Heimat zurückkehren können. Und deinen Bruder werden wir später zu uns einladen, und du wirst ihn zum edelsten Herrn deines Reiches machen.«

»Wenn er also später zum Königreich kommen kann, dann gehen wir später. Ich kann meinen Bruder nicht so verlassen, plötzlich und ohne Erklärung!«

»Oh nein, er wird nicht gehen wollen und er wird dich nicht lassen! Überhütung, ob aus Liebe oder Egoismus, erkennt auch nicht das Recht auf eigene Entscheidungen an. Sag mir, hat er nicht versucht, dich in deinem persönlichen Leben einzuschränken?«

»Nun, er warnte vor schlechten Menschen«, erinnerte sich die Prinzessin.

»Das wars! Und jetzt wird er dir verbieten, irgendetwas zu ändern. Du bist zu weich und gehorsam, so ist dein Engelscharakter, aber um ein echter Herrscher zu werden, musst du Unabhängigkeit erlernen.«

»Aber er wird nicht wissen, was mit mir passiert ist, bis wir ihn holen, und er wird schrecklich leiden, wenn er denkt, dass mir etwas Schlimmes passiert ist.«

»Das wird die Schuld der bösen Hexe sein, die dich von deinem Königreich getrennt hat. Und er, wenn er dich liebt, wird dich verstehen und dir vergeben. Wenn er dich nicht versteht und für eine Tat vergibt, die dir Glück bringen wird, dann liebt er dich nicht, sondern benutzt dich selbstsüchtig. Es gibt keine Zeit zu warten, hier ist meine Hand, Prinzessin, kommst du?«

Der Ritter streckte seine Hand aus, und die Prinzessin, immer noch unsicher, nahm sie. Sie begannen, nicht auf dem gewundenen Pfad zum See hinabzusteigen, sondern direkt durch die Büsche und sprangen von Stein zu Stein.

»Die Leute denken«, der Ritter sagte ihr auf dem Weg und half ihr, durch die Spalte zu klettern, »dass sie im Wasser die Reflexionen ihrer Welt sehen. Es ist aber eigentlich eine andere Welt, wenn auch eine sehr ähnliche. Es ist, als würde man aus dem Fenster schauen. Wasserfläche und Spiegeln sind wie Glas zwischen zwei Welten. Sie sind wie ein dünner unsichtbarer Film, der Licht von dort nach hier überträgt. Aber um zwischen den Welten zu gehen, braucht ein Mensch besondere Magie oder besondere Kraftorte zu einer bestimmten Zeit, wenn der Film so dünn ist, dass die Wesen dadurch kommen könnten.«

Schließlich kletterten sie auf einen Felsvorsprung über dem Wasser, der Ritter zeigte auf das Wasser und sagte: »Jetzt müssen wir hinunterspringen, und wir werden in unserer Welt sein.«

Die Prinzessin wollte gerade einen Schritt machen, als ihr Bruder mit einem Geräusch und einem Knall aus dem Gebüsch rannte. Er hatte es so eilig, seine Schwester mit dem schwarzen Mann einzuholen, dass er ziemlich außer Atem war, also stand er zuerst nur da, beugte sich vor, atmete schwer und winkte seiner Schwester stumm zu, um zu zeigen, dass sie nach Hause zurückkehren mussten.

»Oh, was für ein Glück, dass du gekommen bist!«, die Prinzessin antwortete auf seine Zeichen. »Lasst uns gemeinsam auf die andere Seite des Wassers gehen! Was haben wir hier vergessen? Diese Welt war grausam zu uns. Und in der anderen Welt bin ich Prinzessin Oygrig, die Tochter wahrhaft liebender Eltern. Drei gute Feen schenkten mir himmlische Schönheit, einen ungewöhnlich scharfen Verstand und engelhafte Milde. Aber die böse Fee stahl mich aus der Wiege und brachte mich hierher. Sie haben viele Jahre nach mir gesucht und jetzt hat mich mein glorreicher Ritter gefunden. Sogar in Träumen können wir uns so etwas Zauberhaftes nicht vorstellen. Komm mit mir, Bruder!«

»Ritter?«, endlich stellte der Bruder der Atem her, »Siehst du nicht seine scharfen Reißzähne und seinen langen Schwanz? Ja, er ist dieser böse Geist. Der Herd ging aus, und er kam für dich.«

Die Prinzessin sah den Ritter an und fand, dass er gutaussehend war.

»Bruder, du bist voreingenommen. Wenn es kleine Reißzähne gibt, dann von der Ungerechtigkeit des Lebens. Ich glaube, sein Umfeld versteht ihn nicht und er muss sich so sehr verteidigen. Und es gibt keinen Schwanz. Und wenn doch, ist es ein sehr winziger, es ist ein Atavismus, den jeder tatsächlich hat, und es ist unanständig, darauf zu achten.«

»Entweder bin ich voreingenommen oder er betrügt dich. Woher wusste er, dass du eine Prinzessin bist, wenn du als Baby entführt wurdest? Sollen Märchen nicht ein geheimnisvolles Amulett um den Hals eines armen Waisenkindes haben, mit Zeichnungen von unverständlichen, aber eindeutig mit Macht ausgestatteten Personen?«

»Er dachte dort so viel an mich, dass er sich ohne Erinnerung verliebt hatte, und seine Liebe brachte ihn wie einen Kompass zu mir.«

»Wie Ariadnes Faden«, korrigierte der Schwarze Ritter sie.

»Wie Ariadnes Faden«, das Mädchen wiederholte pflichtbewusst. »Ich weiß nicht, was das Ding ist, aber es funktioniert eindeutig. Hier ist das Beispiel.«

»Ich bezweifle, dass es möglich ist, sich in jemanden zu verlieben, den man nicht wirklich kennt, allein wegen eigener Gedanken.«

»Das ist immer so! Und dann hast du selbst gesagt, dass Zweifel schädlich für den Verstand sind.«

»Ja, aber dann... Als...«, der Bruder fand nichts, um gegen die Auslegung seiner eigenen Worte Einspruch zu erheben, und tat, was in solchen Fällen alle tun, die keine Argumente mehr finden können. Das heißt, er zog ein Schwert aus seiner Scheide. »Ich lasse dich mir nicht einfach von ihm wegnehmen! Du wirst mir später danken.«

»Ich sagte dir, Prinzessin, dass er versuchen würde, sich einzumischen«, sagte der Ritter, und zog auch das Schwert mit einem Klang aus seiner Scheide.

Aber das Mädchen wollte natürlich nicht, dass einer von ihnen leidet. Und warum sollten dann andere Menschen für sie entscheiden, was sie tun soll? Es ist ihr Leben, ihre Entscheidung und ihre Verantwortung. Unabhängigkeit von Entscheidungen bedeutet, schlechte Folgen für eigene mögliche Fehler zu bekommen. Was für die eigenen Lösungen werden sie sein, wenn jemand anderen muss sie zuerst nach Gefahren prüfen und erlauben? Darüber hinaus gingen die Meinungen der Treuhänder, wie wir sehen können, auseinander. Das Mädchen sprach sie mit einer solchen Rede an.

Die beschämten Männer senkten ihre Schwerter.

Sie schaute auf das Haus, schaute auf den See und beschloss endlich, von der Klippe ins Wasser aussteigen, als sie plötzlich bemerkte, dass nur sie sich im Wasser spiegelte. Und der schwarze Ritter, der neben ihr stand, spiegelt sich nicht im Wasser. Seltsam, dachte sie. Wenn er und ich beide aus derselben Welt sind, warum gibt es dann einen solchen Unterschied zwischen uns? In sie haben sich genau die Zweifel eingeschlichen, die den Geist entweder zerstören, oder auch retten, nach Meinung ihre Bruder.

»Ich gehe nicht«, entschied sie.

»Falsche Wahl«, sagte der Schwarze Ritter und stach mit seinem Schwert auf sie ein, sodass das Mädchen taumelte und ins Wasser fiel. Sie kam ohne Spritzer und Wellen auf, als würde sie sich zwischen Luft und Wasser auflösen.

Ihr Bruder wollte ihr nacheilen, aber der Schwarzer Ritter stellte sich ihm in den Weg.

»Wenn du dachtest, sie würde ertrinken, hast du umsonst gehofft -– sie fühlt sich in Wasser so locker, wie ein Frosch«, sagte der Bruder.

»Es ist egal«, antwortete der Ritter, »sie ist wirklich auf der anderen Seite des Wassers. Sie wird für immer um diesen See wandern, auf der Suche nach ihrem Spiegelbild, versuchen, in diese Welt zurückzukehren. Aber sie wird nie rauskommen, und du wirst nie dorthin kommen, um ihr zu helfen. Die Tore schließen sich.«

Der Bruder lachte nur über diese Worte.

»Du unterschätzt sie. Sie kam aus solchen Schwierigkeiten schon mehrmals heraus. Aber selbst, wenn du Recht hast, kannst du den Sieg nicht genießen – ich hacke dir den Kopf ab.«

Sie wirbelten langsam durch die Lichtung, versuchten, den besten Moment zum Angriff zu wählen, bohrten sich gegenseitig die Blicke...«

»Moment«, jemand anderes unterbrach den Erzähler. »Und warum ist der Schwarze Ritter nicht ins Wasser gesprungen?«

»Aber dann würde der Bruder des Mädchens hinter ihm hereilen, und er wäre in dieser Welt allein gegen zwei, zudem noch sehr wütende, Menschen. Ich denke, deshalb musste er warten, bis sich das Portal zwischen den Welten schloss«, antwortet der Erzähler und sprach weiter.

»Und so sagt der Ritter:

»Mein Name ist Vlad, ich bin ein Drache und ich habe viele Köpfe. Einen meiner Köpfe abzuhacken ist zu wenig, um zu gewinnen.«

»Und ich denke, du bist eher wie eine Ratte. Vielleicht hast du viele Köpfe. Aber das Herz ist nur eins, oder?«

»Wenn du mich tötest, wirst du wie ich werden.«

»Das ist eine falsche Bedrohung. Daher wird sich für das Universum nichts ändern, aber alles wird sich für dich ändern.«

»Und für dich auch.«

»Nun, das bedeutet, dass sich alles bereits geändert hat, auch wenn es noch nicht passiert ist. Diese Entscheidung ist für mich bereits getroffen.«

Sie stürmten aufeinander zu und begannen zu kämpfen. Wie die örtliche Einheimischen später erzählten - von der Kollision ihrer Schwerter gab es ein solches Brüllen, als ob die Erde riss, blendende Blitze den Himmel durchbohrten und der Staub zum Mond aufstieg.

Höchstwahrscheinlich haben sie übertrieben. So reden sie über jede Schlacht.«

»Vielleicht beschrieben sie ein uraltes Erdbeben?«, fügte der junge Nashornkenner ein.

»Könnte sein. Allmählich stieß der Bruder den schwarzen Ritter von der Klippe weg und drückte ihn an den Felsen nieder. Wenige Sekunden später verlor der schwarze Ritter sein Schwert, das sich im Flug drehte und unter den Sonnenstrahlen funkelte bis es im See landete. Der Bruder zögerte nur eine Sekunde, abgelenkt vom Schwertflug, bevor er zu seinem letzten Schlag ansetzte, aber für den schwarzen Ritter war es Gelegenheit genug. Mit einer Handbewegung von ihm öffnete sich ein Durchgang in den Felsen und er verschwand darin.

Man sagt, dass in den Hügeln kleine Menschen leben, und wenn man den Weg kennt, könne man in ihr Land gelangen. Es gibt dort einen ewigen Feiertag, es gibt reich verzierte Hallen und Korridore, es gibt Musik und Lichter, dort können Sie Spaß mit den kleinen Leute haben, ohne Müdigkeit zu kennen. Aber wenn dort ein Tag vergeht, vergeht hier ein Jahr. Und Sie können, vergessend, für immer dortbleiben.

Viele versuchten das Geheimnis zu lüften, das eine kleine Nation einst entdeckt hatte. Vor sehr langer Zeit, in Uralt, wurden sie von Feinden verfolgt - große schreckliche Menschen in Tierhäuten, mit bemalten Gesichtern und Hörnern auf dem Kopf, die fanden Kleiner, wo auch immer sie sich versteckten. Und sie haben fast die kleine Nation ausgelöscht, wenn die kleinen Leute nicht endlich einen Weg gefunden hätten, sich dort zu verstecken, wo sie sich nicht finden lassen. Einige sagen, dass du langsamer werden musst, damit Zeit und Feinde an dir vorbeiziehen und in die Ferne verschwinden, und niemand kann dich fangen. Und andere sagen, dass Sie im Gegenteil so schnell eilen müssen, dass die Zeit nicht mit Ihnen Schritt halten wird. Aber keiner der Menschen hat dieses Geheimnis enthüllt, es sei denn, sie werden von den kleinen grünen Männchen selbst erzählt oder erhalten einen Schlüssel zu ihrer Welt. Den geben sie den Menschen sehr widerwillig aus Erinnerungen an ihre alten Feinde.

In diesem Land der grünen Hügel und blauen Seen glaubt man, dass in jedem Haus und in jedem Raum, einmal nachts sich die Tür zur Welt der kleinen Leute öffnen kann und die kleinen Leute leise, unbemerkt von irgendjemandem, zur Krippe gehen und das Kind zu sich nehmen können, in ihre Welt unter den Hügeln. Niemand, der heute lebt, hat es mit eigenen Augen gesehen, und wenn jemand es getan hat, wird er nichts darüber erzählen - aber die Leute glauben es doch.

So verschwand der schwarze Ritter im Gang und der Bruder schlug mit seinem Schwert hinter ihm her, aber es war zu spät. Der Durchgang verschwand wieder und verwandelte sich in einen Felsen, so dass das Schwert im Stein stecken blieb und nicht herausgezogen oder bewegt werden konnte.

So endete die Geschichte.

Sie sagen jedoch, dass manchmal, sehr selten, ein anderer Fischer eine weiße Forelle im See fangen kann, mit einem kleinen roten Fleck auf seiner Seite. Es wird gesagt, dass sie zum Gefolge der Seefee gehört, und eine solche Forelle soll mit Ehrfurcht und Entschuldigung wieder in den See entlassen werden. Denn wer das nicht tut, verurteilt seinesgleichen zum Unglück.

Und andere sahen in diesem See das Spiegelbild eines traurigen Mädchens, das am Ufer stand und ins Wasser schaute. Aber das Mädchen selbst war nicht am Ufer, sondern da war nur ihr Spiegelbild im Wasser. Einige sagten sogar, dass ihr Haar grün sei, worauf andere entgegneten, dass es höchstwahrscheinlich auf den Blickwinkel, das Wetter oder den Schatten aufs Wasser zurückzuführen sei. Andere glaubten, dass es Glück war, ein solches Mädchen zu sehen, während andere einwandten, dass sich nichts im Leben änderte, außer der Einstellung der Person selbst - als sie die Trauer eines anderen sahen, begannen sie, mehr zu schätzen, was sie bereits hatten.

Oh, und hier ist noch etwas, es ist wichtig zu beachten - niemand sonst verschwand an den Ufern dieses Sees. Einige hielten es für den Verdienst der grünhaarigen Fee des Sees, andere nicht. Weil es schwer ist, den Unterschied zwischen Wahrheit und ihre Nichtvorhandensein, zu erkennen.«



In der Stille, die der Geschichte folgte, heulte der Wind über dem Schornstein über dem Herd. Mal knurrte er wie ein wildes Tier, wütend, dass er nicht hineinklettern konnte, mal weinte er dann wie ein Kind, beschwerend, dass er nicht hineinkommen konnte, aber diese Geräusche machten alle gemütlich. Es ist immer gut, wenn Unglück nicht zu dir kommen kann.

»Kann man ein Betrüger sein, wenn es keine Betrogenen gibt?«, fragte jemand auf der rechten Seite.

Die Augen unseres sündigen Mönchs waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt und er begann, rechts einen langen Holztisch zu erkennen, auf dessen Bänken um ihn herum mehrere Leute saßen. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen.

»Nein«, der Mönch schüttelte den Kopf und dachte, dass der Mann ihn ansprach. »Aber das ist nicht ein Verdienst des Betrügers. Versteh mich nicht falsch.«

»Man kann immer betrügen«, zuckte der Rothaarige mit den Schultern. Der Esel an der Tür war wachsam, hörte auf mit dem Hafer zu knirschen, zog seine Schnauze aus dem Sack und hörte zu. »Was auch immer die Vorstellungen einer Person sind, deshalb können sie getäuscht werden. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, getäuscht zu werden, verstehen Sie mich nicht falsch.«

Der Esel beruhigte sich und nahm wieder Hafer auf. Es ging um Menschen, nicht um Esel. Die wichtigste ist es, Hafer zu haben, dann kann er leicht seine Vorstellungen opfern. Darin unterschied er sich von den Menschen, und auf diese Weise unterschieden sich die Menschen nicht von den Eseln. Es gab viele Menschen, deren Vorstellungen sie zu Eseln machten. Aber nennen Sie einen einzigen Esel, den die Vorstellungen menschlich gemacht haben.

»Okay«, der Mann am Tisch war in friedlicher Stimmung. »Aber trotzdem, wenn der Streben nach Täuschung schon getadelt ist, selbst wenn es Selbsttäuschung ist, dann sollte der Streben, alles in seinem wahren Licht zu sehen, etwas wert sein? Auch wenn es ohne Erfolg.«

»Und was bedeutet es, alles in seinem wahren Licht zu sehen?«, fragte Rotkopf.

»Im wahren Licht?«, wiederholte sein Gesprächspartner nachdenklich. »Das ist eine schwierige Frage. Natürlich kann man in zwei Worten antworten, aber um die Antwort in ihrem wahren Licht zu sehen, braucht es doch mehr Worte. Ja, zwei Worte sind hier ungenügend. Vielleicht ist das die Geschichte, die ich erzählen werde.«

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(Fortsetzung folgt)
 
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rainer Genuss

Mitglied
Hallo Nikko rosko
Liest sich m.M. etwas zusammengepresst, durch die Vielzahl an Substantiven, Adjektiven und Verben bzw. die Beschreibungen sind schwer nachvollziehbar
Absatz 1
von den scharf gezackten Gipfeln der Berge zerrissen.
scharf gezackten Berggipfeln zerrissen
3 Zeile
Was für ein brodelnder Strom, Nebel - Schnee - Eiskristalle....? Für mich ist der Satz überflüssig und lässt mich ratlos zurück, statt den Vorgang fasziniert erleben zu können.
Die Kronen der hohen Kiefern brummten und schwankten im Wind, ihre Stämme knarzten und ächzten klagend,

Die Krone meiner Schwarzkiefer (20m) hat noch nie gebrummt. Bei Wind und Sturm erklingt ein Zischen oder Pfeiffen
Beschränk dich mehr auf naturalistische Beobachtungen: ihr Stamm knarzte und ächzte

mit ihren orangefarbenen Wurzeln, unfähig, die zwischen ihnen durchbrechenden Schneewirbel zurückzuhalten.
durchbrechende Schneewirbel - da entsteht bei mir kein Bild
viel zu langer Satzbau

Schneewirbel fegten über die orangefarbenen Erdwurzel.

Nur die düsteren, alten Tannen hielten noch standhaft die Front und zwangen den Feind in ihren schweren und weichen Umarmungen stecken zu bleiben, vom Kreischen zum Flüstern überzugehen und hier im Wald seinen Schneeballast auszuschütten statt weiter zu tragen.

Nur die düsteren, alten Tannen hielten stand. Der Wind verlor sich in den schweren und weichen Kronen und Schneewehen fielen herab.
Der Rest vom Satz ist überflüssig m.M nach.

Nikko rosko!
Wenn ich mal wieder WE Dienst oder Nachtschicht habe und meine Anregungen ein offenes Ohr finden, dann kann ich gern zum Kern der Geschichte mitgehen. Lass dich nicht entmutigen. Versuch es mal zu ändern und beurteile dann, ob es für dich besser ist
Gruß
Ra
 
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nikko_rosko

Mitglied
Sehr hilfreiche Antwort, ich habe wirklich versucht, die Sätze länger zu machen, im Geiste mittelalterlicher Geschichten oder des Dekamerons.

So wie: "...Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen usw..."

Es ist auch interessant, etwas über den Kern zu wissen.
 



 
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