15. David in Not

molly

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David in Not

In den nächsten Tagen sahen und hörten die Kinder nichts von David.
Aber er kam wieder, mit seinem Fahrrad. Wie wild fuhr er damit die Gasse rauf und runter. Sie saßen auf der Treppe und schauten ihm eine Weile zu, jedoch nicht lang. Klaus hatte einen neuen Ball bekommen und nun spielten sie damit auf der Straße. David legte sein Fahrrad neben die Treppe und kickte eifrig mit bis die Prinzessin aus der Schule kam. Dann verzog er sich schleunigst.
Mit der Prinzessin spielte David nicht gern, er nannte sie auch nie so Wenn er sie einmal ansprach sagte er: „He, du“. Er musste sich jedes Mal bei ihr entschuldigen, wenn er frech zu ihr war. Tat er es nicht, durfte er nicht im Forsthausgarten bleiben.

David hatte immer etwas an ihr auszusetzen und murrte: „Sie will nur befehlen und bei allen Spielen gewinnen!" Einmal warf der Förster zehn Pfennig in die Luft. Wer den Groschen fand, durfte ihn behalten. Die Kinder schnüffelten wie Hunde am Boden herum und die Prinzessin fand ihn. David schaute sie verdrossen an. Dann spuckte er auf den Boden und sagte:
„Du bist ja so geldgierig!" Bevor jemand antworten konnte, sauste er aus dem Forsthof. Er schwang sich auf sein Rad, das, wie immer, neben der Treppe lag, und fuhr los.

David wusste wohl, wann er sich daneben benommen hatte. Er blieb dann meistens einen Tag zu Hause. Einmal sprach Michael mit seiner Mutter darüber.
„Seit Anne Katrin und Klaus mit uns spielen, streiten wir so oft. David wird zornig, wenn er ein Spiel nicht gewinnt. Alles ist anders geworden und gar nicht mehr schön!“ Die Mutter sah ihren Sohn betrübt an. Michael wusste, dass ihr die Zankereien im Hof und auf der Straße nicht gefielen. Sie räusperte sich und sagte:
„Hast du dir schon einmal überlegt, dass sich für David alles verändert hat? Der kranke Vater, sein bester Freund, sitzt hilflos in der Wohnung. Er kann vorläufig nichts mit David unternehmen. Die Mutter hat kaum noch Zeit für ihn. Sie muss viel mehr als früher auf dem Feld mithelfen. Sie muss sich auch um Simon kümmern, der noch nichts allein tun kann. Dann findet ihr neue Freude, Klaus und Anne Katrin. David glaubt nun, dass er alle seine Lieben, den Vater, die Mutter, Florian, Nele und dich verloren hat. Und nun sollte er auch alle Spiele verlieren können?"
„Was soll ich tun?" fragte Michael.
„Vielleicht könnt ihr David mal gewinnen lassen!" meinte sie.
„Mama, wenn er das merkt, wird er noch zorniger und die Prinzessin macht da sicher nicht mit!“
"Du könntest wieder einmal mit David allein spielen“, schlug sie vor. Der Vater setzte sich zu ihnen und sagte:
„Wenn am Samstag schönes Wetter ist, fahren wir mit dem Rad los, nur David, du und ich. Ganz wie in alten Zeiten. Was meinst du dazu?"
Diesen Vorschlag fand Michael wunderbar. Er lief zu David, um ihm davon zu erzählen. Seine Großmutter empfing ihn.
„Weißt du, wo David steckt? Wenn ich den erwische!" Mit einem Stöckchen in der Hand lief sie aufgeregt im Hof umher.
„Warum denn“, fragte Michael.
„Dieser Bengel hat Zitronensaft in meine Milch geschüttet“, jammerte sie. Das sah David ähnlich, beinahe hätte Michael gelacht.
„Warte, Bürschchen, bis ich dich habe!" rief sie und stieß drohend das Stöckchen in die Luft!

Michael wartete, bis sie im Haus verschwunden war. Dann flitzte er zu Davids Versteck im Schuppen. Er saß hinter dem Wagen und zitterte.
„Alle sind wütend!" flüsterte er. „Ich habe Opas Taschenuhr aufgezogen, nun tickt sie nicht mehr. Mama und Oma ärgern sich über die saure Milch."
Michael fragte ihn, was er jetzt am liebsten tun würde.
„Ich möchte zum Papa“, antwortete er. „Aber da darf ich heute nicht hin. Die Oma sagt, er bekommt sonst Kopfweh!“
„Ach, Unsinn“, knirschte Michael, „doch wie kommst du ins Haus ohne dass dich jemand sieht?"
„Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier. Hätte ich Flügel, könnte ich über alle Köpfe hinweg zu Papas Fenster fliegen. Ich würde anklopfen und er ließe mich herein“, wisperte er. Dann umschlang er seine Knie und legte den Kopf darauf. Er unterdrückte ein Weinen, schluchzte ganz leise. Und gleich darauf musste Michael ihm versprechen, nie und nimmer und keinem Menschen zu verraten, dass er geweint hatte. Er wüsste ja, was mit seinem Herzen passierte, wenn er ihn verriet.
„Ich sage nichts“, beruhigte ihn Michael.
Eine Weile kauerten sie schweigend hinter dem alten Wagen und überlegten, wie David zu seinem Vater gelangen könnte. Dann fiel Michael etwas ein.
„Ich gehe zu deiner Oma in die Küche und halte sie dort fest“, sagte er. David kicherte.
„Wie stellst du dir das vor? Die Oma ist doch viel stärker als du!"
„Ich will sie nicht mit den Armen fest halten. Ich rede solange mit ihr, bis du bei deinem Vater bist."

Plötzlich flog die Schuppentür auf. Der Großvater rief drohend: „Komm raus, Bengel oder ich hole dich." Michael legte den Finger auf den Mund und verließ das Versteck. Langsam ging er auf den Großvater zu. Der schaute Michael verwundert an und fragte:
„Was suchst du denn hier?“
„David. Seine Großmutter hat gesagt, er sei verschwunden. Ich wollte schauen, ob er sich hier versteckt hat." Dann endlich kam Michael die rettende Idee. Er fragte den Großvater, ob er einmal Davids Vater besuchen durfte. Er hatte nichts dagegen. Michael lief ins Haus, sauste in Windes Eile die Treppe zur Wohnung von Davids Eltern hinauf. Davids Großvater rief ihm noch etwas nach, doch er achtete nicht darauf. Sein Ziel war Davids Vater. Er saß in einem Lehnstuhl und begrüßte Michael mit einem freundlichen Lächeln. Kurz schilderte er Davids Not.
Die Tür wurde aufgerissen, die Großmutter stand an der Schwelle. Sie hatte ihre Arme in die Hüfte gestemmt und schaute Michael mit zusammen gekniffen Lippen und Zornesfalten auf der Stirn an.

„Komm herein, Mutter“, sagte Davids Vater, „ich möchte mit dir sprechen." Dann wandte er sich an Michael und bedankte sich für den Besuch. „Es war nett, dich wieder einmal zu sehen. Bitte sag dem Großvater, er möge auch zu mir kommen.“
Michael verabschiedete sich rasch und richtete dem Großvater aus, was Herr Wagner ihm aufgetragen hatte. Der wusch sich die Hände, trocknete sie ab und ging mit schweren Schritten die Treppe hoch. Michael aber eilte zu David. „Komm schnell raus, sie sind jetzt bei deinem Papa“, sagte er.
„Du spinnst wohl? Meinst du,ich lasse mich da oben verhauen?" fauchte er.
„David, dein Papa lässt sicher nicht zu, dass du geschlagen wirst!" David kroch aus seinem Versteck. Spinnweben hingen in seinem Haar, das Gesicht war voller Staub, die Hände beinahe schwarz und seine Hose hatte ein großes Loch an den Knien. Michael schob ihn die Treppe hinauf, dann horchten sie an der Tür. Herr Wagner unterhielt sich leise mit den Großeltern.
„Geh schon“, ermunterte Michael den Freund. David öffnete die Tür und stürzte sich mit einem Schrei auf den Vater. Michael aber schlich die Treppe hinunter, begann zu rennen und hörte erst wieder auf, als er zu Hause war.
„Kommt David mit auf die Radtour?" fragte der Vater. Das hatte Michaels ganz vergessen.
„Ich habe noch nicht mit ihm darüber geredet“, antwortete er. Sie fragten ihn nicht weiter aus. Alles war noch einmal gut gegangen. „Morgen früh werde ich ihn fragen“, sagte Michael. Er ging zu Florian, Nele, Klaus und der Prinzessin in den Hof, wo sie bis zum Abendläuten miteinander spielten.

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Für Michael und David beginnt mit der nächsten Geschichte die Schulzeit
 



 
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