15 (Kriminalnovelle) - 15 (Kriminalnovelle) - 8. Adrian

xavia

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8. Adrian

Am Sonntag, beim Frühstück, wollen die Mütter alles über den Abend und über den Film wissen. Frauke hat vorgesorgt, ihr auf dem Heimweg ein paar wichtige Details verraten und ihr die VHS-Kassette mitgegeben.
[ 5]»Super Film, sag' ich euch. Ich will nicht zu viel verraten, ihr solltet ihn euch selbst ansehen. Allein schon der Anfang mit der Musik – phänomenal, ich übertreibe nicht! Und dann das Ende – aber mehr sag' ich jetzt lieber nicht.«
[ 5]Die beiden fallen darauf herein und wollen nun keine weiteren Informationen, bevor sie den Film selbst gesehen haben.
[ 5]»Ich wünsche euch viel Spaß dabei. Ich geh' heute Nachmittag wieder zu Frauke.«
[ 5]Es kommt leichter Protest auf, aber die Mütter können ja nicht ernsthaft verlangen, dass sich Petra den Film noch einmal mit ihnen ansieht und so sind sie zufrieden mit dem Versprechen, dass sie zum Abendessen zurück ist.
[ 5]Mit bangem Herzen und ungeschminkt radelt Petra zum Eisladen, wo Adrian schon auf sie wartet.
[ 5]»Hallo, meine Schöne, ich freue mich, dass du gekommen bist.«
[ 5]Petra hat keine Erfahrung im Umgang mit erwachsenen Männern, mal abgesehen von den Lehrern, aber die sind ja uralt. Sie versucht, ihre Unsicherheit hinter der erprobten Mauer aus Überheblichkeit zu verbergen, aber diese Mauer hat er schnell eingerissen mit seiner souveränen Art. Er weiß einfach, dass er gefällt und so ist es ja auch. Bald gibt Petra ihren Widerstand auf und genießt es, von ihm umworben zu werden. Sie essen Eis, trinken Kakao, sie erzählt ihm von ihrem Wunsch, Medizin zu studieren und er nimmt sie ernst damit. Sie hatte es sich selbst noch nicht eingestanden, dass ein Medizinstudium ihr Traum ist und jetzt redet sie mit ihm darüber als wäre es schon beschlossene Sache und spürt, wie ihr Traum zur Realität wird. Ihren Fragen nach seinem Beruf weicht er geschickt aus. Einen Job muss er wohl haben, denn vor dem Eisladen steht sein neuer roter Z3, den er ihr stolz zeigt. Sie hofft, dass er ihn ehrlich erworben hat, traut sich aber nicht, weiter nachzubohren. Er erzählt ihr, dass er ebenfalls studieren möchte, auf dem zweiten Bildungsweg.
[ 5]›Ja, er ist wirklich irgendwie der Vater, den ich nie hatte,‹ denkt sie lächelnd, als er sie ermahnt, nur nicht denselben Fehler zu machen wie er und die Schule vor dem Abitur zu verlassen. Sie verkneift sich aber ein ›Ja, Papi‹. So vertraut sind sie noch nicht miteinander.

[ 5]Sie treffen sich danach regelmäßig, immer am Wochenende. Sie fahren mit dem Auto raus. Die Mütter ahnen nichts. Sie glauben, dass die Freundschaft mit Frauke inniger wird. Petra schwebt auf Wolken. Adrian ist ihr erster Freund und gleich ein solcher Hauptgewinn! Er ist der vollendete Kavalier, trägt sie quasi auf Händen und behandelt sie wie eine Dame. Er hat ihr sogar ein Kleid gekauft, das er im Auto aufbewahrt, so dass sie sich umziehen kann, ohne dass die Mütter etwas davon mitbekommen. Eine blonde Langhaarperücke hat sie nun auch, einen Vorgeschmack auf die Zukunft, in der sie ihre Haare wachsen lassen kann. Damit haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Petra freut sich über ihre neue Weiblichkeit und beide fühlen sich sicherer, nicht erkannt zu werden. Denn darüber sind sie sich einig: Die Mütter dürfen keinesfalls etwas von ihrer Liebe wissen, sie sind zu misstrauisch und würden sofort alles kaputtmachen. Petra ist froh, dass Adrian in der Beziehung ebenso denkt wie sie, dass ihm die Heimlichtuerei nicht lästig ist sondern anscheinend sogar Spaß macht. Adrian hat immer neue Ideen, was sie zusammen unternehmen können. Petra staunt, welche Möglichkeiten die Umgebung ihres Wohnortes bietet: Waldspaziergänge, Schaufensterbummel, Segeln auf dem Zwischenahner Meer, Picknick am Fluss, Kaffee und Kuchen in einem Hotel, dessen große Fenster mit Blick auf einen See so tief liegen, dass man das Gefühl hat, auf dem Wasser zu sitzen.
[ 5]Als Adrian eines Tages auf einem Waldweg hält und mit seiner Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wandert, zieht allerdings ein Schatten über ihr kleines Stück vom Himmel. Sie hält seine Hand fest, er versucht es etwas entschiedener, sie wehrt sich etwas entschiedener: »Nicht, Adrian, ich bin noch nicht so weit.«
[ 5]»Wie du meinst«, entgegnet er kühl und zieht seine Hand zurück, startet den Wagen und lenkt ihn zurück auf die Straße.
[ 5]Petra merkt, dass sich etwas verändert hat. Er beteuert zwar auf ihr Nachfragen hin, ihr alle Zeit lassen zu wollen, die sie braucht, aber irgendwas ist anders und Petra fragt sich, ob das nur an ihr liegt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat oder ob er frustriert ist und sie nun nicht mehr so mag wie vorher.
[ 5]Er macht keine weiteren Versuche in dieser Richtung, es bleibt bei harmlosen Fummeleien und Küssen, aber die Leichtigkeit ist aus ihrer Zweisamkeit gewichen. Adrian wirkt oft abwesend.

[ 5]An einem schönen Sommertag sitzen sie wieder einmal vor einem Eiscafé, trinken Kakao und blicken über den belebten Platz davor, auf dem ein kleines Mädchen Tauben aufscheucht. Eine ältere Frau weist sie mit erhobenem Zeigefinger zurecht und die Mutter des Kindes eilt herbei und weist die Frau zurecht. Adrian und Petra lächeln einander zu. Sie sind sich oft ohne Worte einig. Plötzlich wird ihr übel, sie kann sich kaum auf dem Stuhl halten. Er steht auf und greift ihr unter die Arme, winkt der Kellnerin und legt ihr einen Schein hin. Dann richtet er Petra auf und hilft ihr, zum Auto zu gehen. Die Kellnerin, eine freundliche rothaarige Frau mittleren Alters, erkundigt sich, ob sie helfen kann, aber Adrian wehrt ab: »Das ist sicherlich der Kreislauf, das hat sie öfter. Ist bestimmt gleich vorbei.«
[ 5]»Das hab' ich noch nie gehabt, dass mir so schlecht war«, flüstert Petra ihm ins Ohr, als sie auf der Straße sind. Sie sieht, dass die Kellnerin sich seine Autonummer aufschreibt. – So eine neugierige Person!
[ 5]»Ich wollte sie nur loswerden«, sagt er. Wie geht es dir denn jetzt? Wir fahren am besten ein wenig raus in die Natur, die Luft steht hier auf dem Platz zwischen den hohen Häusern ringsum, kein Windhauch zur Erfrischung. Im Auto kannst du dir den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.
[ 5]Sie freut sich über seine Fürsorge und tatsächlich wird es schon auf dem Weg zum Auto besser. Ihre Stimmung hellt sich auf, sie fühlt sich beinahe euphorisch. ›Vielleicht wird ja doch alles wieder gut‹, denkt sie.
[ 5]Später setzt er sie bei ihrem Fahrrad ab und sie fühlt sich seltsam benommen, kann sich an die Fahrt kaum erinnern. Er sagt, ihr sei von dem Kakao schlecht geworden, er hätte sich auch mulmig gefühlt. Er verabschiedet sich mit einem leidenschaftlichen Kuss und verspricht, sie anzurufen.
[ 5]Am Abend glaubt sie, ihre Periode zu bekommen, eigentlich zwei Wochen zu früh. Die Mütter erklären ihr, dass das eine Zwischenblutung sein könne und sicherlich nichts zu bedeuten habe. Da die Blutung am nächsten Tag vorbei ist, denkt sie nicht weiter daran.
[ 5]Am Wochenende kommt kein Anruf von ihm. Petra ist traurig, hat Sehnsucht. Auch in der Woche danach hört sie nichts von ihm und ihr wird bewusst, dass sie nichts über ihn weiß: Keine Telefonnummer, keine Adresse, gar nichts. Nicht mal einen Nachnamen. Immer ist er es gewesen, der Kontakt aufgenommen hat.
[ 5]Frauke tröstet sie: »Der war sowieso zu alt.«
[ 5]Aber Petra sehnt sich weiter nach ihm, träumt von ihm und fragt sich, wie sie ihn wiederfinden kann.
[ 5]Frauke meint: »Was würde das nützen? Wenn er dich sehen wollte, könnte er dich erreichen. Meldet er sich nicht, will er wohl keinen Kontakt.« – Frauke hat Erfahrungen mit sowas.
[ 5]Petra will es einfach nicht wahrhaben. Sie fühlt sich krank. Oft ist ihr morgens übel und sie kann nichts frühstücken. Sie wird dünner und blasser. Sie hat überhaupt keine Freude mehr am Leben, führt diesen Zustand auf ihre Sehnsucht nach dem Geliebten zurück.
[ 5]Endlich gehen die Mütter mit ihr zu einer Ärztin. Diese untersucht sie eingehend, nimmt eine Blut- und eine Urinprobe, macht ein Belastungs-EKG, misst das Lungenvolumen und verabredet einen neuen Termin, eine Woche später.
[ 5]Beim nächsten Arzttermin geht es Petra nicht besser. Sie und ihre Mütter sitzen im Sprechzimmer von Frau Dr. Filsinger und werden eine nach der anderen eingehend von ihr gemustert. Dann sagt sie:
[ 5]»Ich kann ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen: Petra ist ganz gesund. Wahrscheinlich weniger erfreulich, angesichts ihres Alters, ist die andere Diagnose: Sie ist schwanger.«
 

FrankK

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Hallo, Xavia
Direktanflug auf den Höhepunkt dieses Kapitels, in sechs Szenen.

Erzählperspektive:
Wie bisher, weiterhin konstant „personal auktorial“ und aus Petras Sicht.

Figuren:
Keine neuen Figuren, abgesehen von der „Kellnerin“ und der „Ärztin“ am Schluss.

Sprache:
Petras jugendliche Sprache und die Sprache Adrians harmonieren gut miteinander. Die beiden Mütter sind ja faktisch gar nicht zu Wort gekommen.
Die Erzählersprache kommt hier endlich wieder aus dem trockenen Berichtsmodus heraus.

Spannungsbogen:
Tja, der hätte an dieser Stelle etwas intensiver ausfallen können. Durch die KO-Tropfen und damit Petras fehlender Wahrnehmung bleibt die eigentliche Situation einigermaßen diffus. Ihre Gedanken und Empfindungen danach – Übelkeit, Schwindel, partielle Amnesie, vielleicht sogar „Schmerzen im Intimbereich“ – sollten die vorletzte Szene deutlich stärker beherrschen.

Szenendetails:
+ Szene 1: Mütter und Film
Petra bestätigt gegenüber ihren „Müttern“ den Filmabend mit Frauke und kann sich dadurch sogar noch einmal loseisen.

+ Szene 2: Erstes Geheimtreffen
Adrian und Petra treffen sich, entgegen dem allgemeinen Willen von Petras Müttern.

+ Szene 3: Bindung
Petra und Adrian treffen sich regelmäßig, bekommen langsam Übung im „verheimlichen“ und genießen die gemeinsame Zeit. Insbesondere Petra, die nun ihre Freiheit geniest.

+ Szene 4: Absturz
Der Höhepunkt, eine unsägliche Situation, die sich zuvor schon ganz leicht angedeutet hat, eskaliert nun, Adrian verliert die Kontrolle über sich.

+ Szene 5: Verlassen
Petra ist verzweifelt, nicht nur, dass sie sich nach dem letzten Treffen mit Adrian alles andere als Wohl fühlt, er ist und bleibt plötzlich verschwunden.

+ Szene 5: Diagnose
Petras Zustand lässt den beiden Müttern keine Ruhe, nach einer unbestimmten Zeit (die sollte hier durch irgendwas irgendwie in die Länge gezogen werden) gehen sie mit Petra zu einer Ärztin. Diese befindet Petra für gesund – die andere Diagnose hat es in sich.

Allgemeines:
Die unerhörte Situation wird geschickt ausgeklammert, das eindringliche Nachspiel hätte (wie bereits erwähnt) in der vorletzten Szene einen sehr guten Platz gehabt.
Die Situation mit dem Arztbesuch sollte sich um einige Wochen, wenn nicht sogar um einige Monate, verzögern – damit einer möglichen „Abbruchbedingung“ ein Riegel vorgeschoben wird.

Erbsenzählerei:
Wieder nicht viel.
... sie sind zu misstrauisch und würden sofort alles [blue]kaputtmachen[/blue]. Petra ist froh, dass Adrian ...
Duden behauptet hartnäckig: „... kaputt machen ...“

»[blue]Ich wollte sie nur loswerden[/blue]«, sagt er.
Hm, so aufdringlich empfand ich die besorgt erscheinende Bedienung nun auch nicht.

»Ich wollte sie nur loswerden«, sagt er. [blue]Wie geht es dir denn jetzt? Wir fahren am besten ein wenig raus in die Natur, die Luft steht hier auf dem Platz zwischen den hohen Häusern ringsum, kein Windhauch zur Erfrischung. Im Auto kannst du dir den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.[/blue]
Im zweiten Teil fehlen die Anführungszeichen.

Er sagt, ihr sei [blue]von dem[/blue] Kakao schlecht geworden ...
Besser „vom“ – klingt nicht so formell.

Sie und ihre [blue]Mütter[/blue] sitzen im Sprechzimmer ...
Ich glaube, eher nur die leibliche Mutter.


Grüßend
Frank
 

xavia

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8. Adrian

Am Sonntag, beim Frühstück, wollen die Mütter alles über den Abend und über den Film wissen. Frauke hat vorgesorgt, ihr auf dem Heimweg ein paar wichtige Details verraten und ihr die VHS-Kassette mitgegeben.
[ 5]»Super Film, sag' ich euch. Ich will nicht zu viel verraten, ihr solltet ihn euch selbst ansehen. Allein schon der Anfang mit der Musik – phänomenal, ich übertreibe nicht! Und dann das Ende – aber mehr sag' ich jetzt lieber nicht.«
[ 5]Die beiden fallen darauf herein und wollen nun keine weiteren Informationen, bevor sie den Film selbst gesehen haben.
[ 5]»Ich wünsche euch viel Spaß dabei. Ich geh' heute Nachmittag wieder zu Frauke.«
[ 5]Es kommt leichter Protest auf, aber die Mütter können ja nicht ernsthaft verlangen, dass sich Petra den Film noch einmal mit ihnen ansieht und so sind sie zufrieden mit dem Versprechen, dass sie zum Abendessen zurück ist.
[ 5]Mit bangem Herzen und ungeschminkt radelt Petra zum Eisladen, wo Adrian schon auf sie wartet.
[ 5]»Hallo, meine Schöne, ich freue mich, dass du gekommen bist.«
[ 5]Petra hat keine Erfahrung im Umgang mit erwachsenen Männern, mal abgesehen von den Lehrern, aber die sind ja uralt. Sie versucht, ihre Unsicherheit hinter der erprobten Mauer aus Überheblichkeit zu verbergen, aber diese Mauer hat er schnell eingerissen mit seiner souveränen Art. Er weiß einfach, dass er gefällt und so ist es ja auch. Bald gibt Petra ihren Widerstand auf und genießt es, von ihm umworben zu werden. Sie essen Eis, trinken Kakao, sie erzählt ihm von ihrem Wunsch, Medizin zu studieren und er nimmt sie ernst damit. Sie hatte es sich selbst noch nicht eingestanden, dass ein Medizinstudium ihr Traum ist und jetzt redet sie mit ihm darüber als wäre es schon beschlossene Sache und spürt, wie ihr Traum zur Realität wird. Ihren Fragen nach seinem Beruf weicht er geschickt aus. Einen Job muss er wohl haben, denn vor dem Eisladen steht sein blitzblanker roter Z3. Sie hofft, dass er ihn ehrlich erworben hat, traut sich aber nicht, weiter nachzubohren. Er erzählt ihr, dass er ebenfalls studieren möchte, auf dem zweiten Bildungsweg.
[ 5]›Ja, er ist wirklich irgendwie der Vater, den ich nie hatte,‹ denkt sie lächelnd, als er sie ermahnt, nur nicht denselben Fehler zu machen wie er und die Schule vor dem Abitur zu verlassen. Sie verkneift sich aber ein ›Ja, Papi‹. So vertraut sind sie noch nicht miteinander.

Sie treffen sich danach regelmäßig, immer am Wochenende. Sie fahren mit dem Auto raus. Die Mütter ahnen nichts. Sie glauben, dass die Freundschaft mit Frauke inniger wird. Nur einmal hätte sie sich fast verplappert. Als sie nach Hause kommt, stürzt ihre leibliche Mutter auf sie zu und es sieht so aus, als will sie ihr die Kette, die Adrian ihr geschenkt hat, vom Hals reißen: »Woher hast du die? Aus meinem Schmuckkasten?«
[ 5]Sie kann sich gerade noch beherrschen, ihren Stolz auf Adrians Geschenk für sich zu behalten. – »Die hat Frauke mir geliehen. Hübsch, nicht? Eine silberne Fledermaus mit Rubin-Augen.«
[ 5]Ihre Mutter rennt in ihr Schlafzimmer, kramt eine Weile herum und kommt dann mit rotem Kopf wieder ins Wohnzimmer: »Die gibst du sofort wieder zurück! Wir haben es nicht nötig, uns Schmuck von Anderen zu leihen!«
[ 5]»Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Wenn du auch so eine hast, kann ich die ja tragen, dann brauche ich die von Frauke nicht. Ich habe sie noch nie an dir gesehen.«
[ 5]Jetzt wirkt ihre Mutter sehr verlegen auf sie. »Nein, das will ich nicht. Ich mag diese Kette nicht, ich will sie nicht an dir sehen.«

Dieser seltsame Zwischenfall ist schnell vergessen und Petra schwebt auf rosa Wolken. Adrian ist ihr erster Freund und gleich ein solcher Hauptgewinn! Er ist der vollendete Kavalier, trägt sie quasi auf Händen und behandelt sie wie eine Dame. Er hat ihr sogar ein Kleid gekauft, das er im Auto aufbewahrt, so dass sie sich umziehen kann, ohne dass die Mütter etwas davon mitbekommen. Eine blonde Langhaarperücke hat sie nun auch, einen Vorgeschmack auf die Zukunft, in der sie ihre Haare wachsen lassen kann. Damit haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Petra freut sich über ihre neue Weiblichkeit und beide fühlen sich sicherer, nicht erkannt zu werden. Denn darüber sind sie sich einig: Die Mütter dürfen keinesfalls etwas von ihrer Liebe wissen, sie sind zu misstrauisch und würden sofort alles kaputt machen. Petra ist froh, dass Adrian in der Beziehung ebenso denkt wie sie, dass ihm die Heimlichtuerei nicht lästig ist sondern anscheinend sogar Spaß macht. Adrian hat immer neue Ideen, was sie zusammen unternehmen können. Petra staunt, welche Möglichkeiten die Umgebung ihres Wohnortes bietet: Waldspaziergänge, Schaufensterbummel, Segeln auf dem Zwischenahner Meer, Picknick am Fluss, Kaffee und Kuchen in einem Hotel, dessen große Fenster mit Blick auf einen See so tief liegen, dass man das Gefühl hat, auf dem Wasser zu sitzen.
[ 5]Als Adrian eines Tages auf einem Waldweg hält und mit seiner Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wandert, zieht allerdings ein Schatten über ihr kleines Stück vom Himmel. Sie hält seine Hand fest, er versucht es etwas entschiedener, sie wehrt sich etwas entschiedener: »Nicht, Adrian, ich bin noch nicht so weit.«
[ 5]»Wie du meinst«, entgegnet er kühl und zieht seine Hand zurück, startet den Wagen und lenkt ihn zurück auf die Straße.
[ 5]Petra merkt, dass sich etwas verändert hat. Er beteuert zwar auf ihr Nachfragen hin, ihr alle Zeit lassen zu wollen, die sie braucht, aber irgendwas ist anders und Petra fragt sich, ob das nur an ihr liegt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat oder ob er frustriert ist und sie nun nicht mehr so mag wie vorher.
[ 5]Er macht keine weiteren Versuche in dieser Richtung, es bleibt bei harmlosen Fummeleien und Küssen, aber die Leichtigkeit ist aus ihrer Zweisamkeit gewichen. Adrian wirkt oft abwesend.

[ 5]An einem schönen Sommertag sitzen sie wieder einmal vor einem Eiscafé, trinken Kakao und blicken über den belebten Platz davor, auf dem ein kleines Mädchen Tauben aufscheucht. Eine ältere Frau weist sie mit erhobenem Zeigefinger zurecht und die Mutter des Kindes eilt herbei und weist die Frau zurecht. Adrian und Petra lächeln einander zu. Sie sind sich oft ohne Worte einig. Plötzlich wird ihr übel, sie kann sich kaum auf dem Stuhl halten. Er steht auf und greift ihr unter die Arme, winkt der Kellnerin und legt ihr einen Schein hin. Dann richtet er Petra auf und hilft ihr, zum Auto zu gehen. Die Kellnerin, eine freundliche rothaarige Frau mittleren Alters, erkundigt sich, ob sie helfen kann, aber Adrian wehrt ab: »Das ist sicherlich der Kreislauf, das hat sie öfter. Ist bestimmt gleich vorbei.«
[ 5]»Das hab' ich noch nie gehabt, dass mir so schlecht war«, flüstert Petra ihm ins Ohr, als sie auf der Straße sind. Sie sieht, dass die Kellnerin sich seine Autonummer aufschreibt. – So eine neugierige Person!
[ 5]»Ich wollte sie nur loswerden«, sagt er. »Wie geht es dir denn jetzt? Wir fahren am besten ein wenig raus in die Natur, die Luft steht hier auf dem Platz zwischen den hohen Häusern ringsum, kein Windhauch zur Erfrischung. Im Auto kannst du dir den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.«
[ 5]Sie freut sich über seine Fürsorge und tatsächlich wird es schon auf dem Weg zum Auto besser. Ihre Stimmung hellt sich auf, sie fühlt sich beinahe euphorisch. ›Vielleicht wird ja doch alles wieder gut‹, denkt sie.
[ 5]Später setzt er sie bei ihrem Fahrrad ab und sie fühlt sich seltsam benommen, kann sich an die Fahrt kaum erinnern. Er sagt, ihr sei vom Kakao schlecht geworden, er hätte sich auch mulmig gefühlt. Er verabschiedet sich mit einem leidenschaftlichen Kuss und verspricht, sie anzurufen.
[ 5]Am Abend glaubt sie, ihre Periode zu bekommen, eigentlich zwei Wochen zu früh. Die Mütter erklären ihr, dass das eine Zwischenblutung sein könne und sicherlich nichts zu bedeuten habe. Die Benommenheit und ein wundes Gefühl zwischen den Beinen erklärt das allerdings nicht. Sie traut sich nicht, weiter nachzufragen und da die Blutung am nächsten Tag vorbei ist, denkt sie nicht weiter daran.
[ 5]Am Wochenende kommt kein Anruf von ihm. Petra ist traurig, hat Sehnsucht. Auch in der Woche danach hört sie nichts von ihm und ihr wird bewusst, dass sie nichts über ihn weiß: Keine Telefonnummer, keine Adresse, gar nichts. Nicht mal einen Nachnamen. Immer ist er es gewesen, der Kontakt aufgenommen hat. Das einzige, was ihr von ihm geblieben ist, ist das Silberkettchen, das sie nur heimlich tragen kann.

In der Schule tröstet Frauke sie: »Der war sowieso zu alt.«
[ 5]Aber Petra sehnt sich weiter nach ihm, träumt von ihm und fragt sich, wie sie ihn wiederfinden kann.
[ 5]Frauke meint: »Was würde das nützen? Wenn er dich sehen wollte, könnte er dich erreichen. Meldet er sich nicht, will er wohl keinen Kontakt.« – Frauke hat Erfahrungen mit sowas.

Petra will es einfach nicht wahrhaben. Sie fühlt sich krank. Oft ist ihr morgens übel und sie kann nichts frühstücken. Sie wird dünner und blasser. Sie hat überhaupt keine Freude mehr am Leben, führt diesen Zustand auf ihre Sehnsucht nach dem Geliebten zurück.
[ 5]Endlich gehen die Mütter mit ihr zu einer Ärztin. Diese untersucht sie eingehend, nimmt eine Blut- und eine Urinprobe, macht ein Belastungs-EKG, misst das Lungenvolumen und verabredet einen neuen Termin, eine Woche später.
[ 5]Beim nächsten Arzttermin geht es Petra nicht besser. Sie und ihre Mütter sitzen im Sprechzimmer von Frau Dr. Randau und werden eine nach der anderen eingehend von ihr gemustert. Dann sagt sie:
[ 5]»Ich kann ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen: Petra ist ganz gesund. Wahrscheinlich weniger erfreulich, angesichts ihres Alters, ist die andere Diagnose: Sie ist schwanger. Da die Patientin noch so jung ist, sollten Sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken.«
[ 5]Die Mütter sehen aus, als hätte man sie gerade mit einem Eimer kalten Wassers übergossen. Fast synchron atmen beide tief ein, halten den Atem an und sind schon mit dem nächsten Schock konfrontiert, als Petra ganz ruhig und ohne zu Zögern, als sei sie nach reiflicher Überlegung zu einem Entschluss gekommen, sagt: »Auf gar keinen Fall!«
 

xavia

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8. Adrian

Am Sonntag, beim Frühstück, wollen die Mütter alles über den Abend und über den Film wissen. Frauke hat vorgesorgt, ihr auf dem Heimweg ein paar wichtige Details verraten und ihr die VHS-Kassette mitgegeben.
[ 5]»Super Film, sag' ich euch. Ich will nicht zu viel verraten, ihr solltet ihn euch selbst ansehen. Allein schon der Anfang mit der Musik – phänomenal, ich übertreibe nicht! Und dann das Ende – aber mehr sag' ich jetzt lieber nicht.«
[ 5]Die beiden fallen darauf herein und wollen nun keine weiteren Informationen, bevor sie den Film selbst gesehen haben.
[ 5]»Ich wünsche euch viel Spaß dabei. Ich geh' heute Nachmittag wieder zu Frauke.«
[ 5]Es kommt leichter Protest auf, aber die Mütter können ja nicht ernsthaft verlangen, dass sich Petra den Film noch einmal mit ihnen ansieht und so sind sie zufrieden mit dem Versprechen, dass sie zum Abendessen zurück ist.
[ 5]Mit bangem Herzen und ungeschminkt radelt Petra zum Eisladen, wo Adrian schon auf sie wartet.
[ 5]»Hallo, meine Schöne, ich freue mich, dass du gekommen bist.«
[ 5]Petra hat keine Erfahrung im Umgang mit erwachsenen Männern, mal abgesehen von den Lehrern, aber die sind ja uralt. Sie versucht, ihre Unsicherheit hinter der erprobten Mauer aus Überheblichkeit zu verbergen, aber diese Mauer hat er schnell eingerissen mit seiner souveränen Art. Er weiß einfach, dass er gefällt und so ist es ja auch. Bald gibt Petra ihren Widerstand auf und genießt es, von ihm umworben zu werden. Sie essen Eis, trinken Kakao, sie erzählt ihm von ihrem Wunsch, Medizin zu studieren und er nimmt sie ernst damit. Sie hatte es sich selbst noch nicht eingestanden, dass ein Medizinstudium ihr Traum ist und jetzt redet sie mit ihm darüber als wäre es schon beschlossene Sache und spürt, wie ihr Traum zur Realität wird. Ihren Fragen nach seinem Beruf weicht er geschickt aus. Einen Job muss er wohl haben, denn vor dem Eisladen steht sein blitzblanker roter Z3. Sie hofft, dass er ihn ehrlich erworben hat, traut sich aber nicht, weiter nachzubohren. Er erzählt ihr, dass er ebenfalls studieren möchte, auf dem zweiten Bildungsweg.
[ 5]›Ja, er ist wirklich irgendwie der Vater, den ich nie hatte,‹ denkt sie lächelnd, als er sie ermahnt, nur nicht denselben Fehler zu machen wie er und die Schule vor dem Abitur zu verlassen. Sie verkneift sich aber ein ›Ja, Papi‹. So vertraut sind sie noch nicht miteinander.

Sie treffen sich danach regelmäßig, immer am Wochenende. Sie fahren mit dem Auto raus. Die Mütter ahnen nichts. Sie glauben, dass die Freundschaft mit Frauke inniger wird. Nur einmal hätte sie sich fast verplappert. Als sie nach Hause kommt, stürzt ihre leibliche Mutter auf sie zu und es sieht so aus, als will sie ihr die Kette, die Adrian ihr geschenkt hat, vom Hals reißen: »Woher hast du die? Aus meinem Schmuckkasten?«
[ 5]Sie kann sich gerade noch beherrschen, ihren Stolz auf Adrians Geschenk für sich zu behalten. – »Die hat Frauke mir geliehen. Hübsch, nicht? Eine silberne Fledermaus mit Rubin-Augen.«
[ 5]Ihre Mutter rennt in ihr Schlafzimmer, kramt eine Weile herum und kommt dann mit rotem Kopf wieder ins Wohnzimmer: »Die gibst du sofort wieder zurück! Wir haben es nicht nötig, uns Schmuck von Anderen zu leihen!«
[ 5]»Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Wenn du auch so eine hast, kann ich die ja tragen, dann brauche ich die von Frauke nicht. Ich habe sie noch nie an dir gesehen.«
[ 5]Jetzt wirkt ihre Mutter sehr verlegen auf sie. »Nein, das will ich nicht. Ich mag diese Kette nicht, ich will sie nicht an dir sehen.«

Dieser seltsame Zwischenfall ist schnell vergessen und Petra schwebt auf rosa Wolken. Adrian ist ihr erster Freund und gleich ein solcher Hauptgewinn! Er ist der vollendete Kavalier, trägt sie quasi auf Händen und behandelt sie wie eine Dame. Er hat ihr sogar ein Kleid gekauft, das er im Auto aufbewahrt, so dass sie sich umziehen kann, ohne dass die Mütter etwas davon mitbekommen. Eine blonde Langhaarperücke hat sie nun auch, einen Vorgeschmack auf die Zukunft, in der sie ihre Haare wachsen lassen kann. Damit haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Petra freut sich über ihre neue Weiblichkeit und beide fühlen sich sicherer, nicht erkannt zu werden. Denn darüber sind sie sich einig: Die Mütter dürfen keinesfalls etwas von ihrer Liebe wissen, sie sind zu misstrauisch und würden sofort alles kaputt machen. Petra ist froh, dass Adrian in der Beziehung ebenso denkt wie sie, dass ihm die Heimlichtuerei nicht lästig ist sondern anscheinend sogar Spaß macht. Adrian hat immer neue Ideen, was sie zusammen unternehmen können. Petra staunt, welche Möglichkeiten die Umgebung ihres Wohnortes bietet: Waldspaziergänge, Schaufensterbummel, Segeln auf dem Zwischenahner Meer, Picknick am Fluss, Kaffee und Kuchen in einem Hotel, dessen große Fenster mit Blick auf einen See so tief liegen, dass man das Gefühl hat, auf dem Wasser zu sitzen.
[ 5]Als Adrian eines Tages auf einem Waldweg hält und mit seiner Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wandert, zieht allerdings ein Schatten über ihr kleines Stück vom Himmel. Sie hält seine Hand fest, er versucht es etwas entschiedener, sie wehrt sich etwas entschiedener: »Nicht, Adrian, ich bin noch nicht so weit.«
[ 5]»Wie du meinst«, entgegnet er kühl und zieht seine Hand zurück, startet den Wagen und lenkt ihn zurück auf die Straße.
[ 5]Petra merkt, dass sich etwas verändert hat. Er beteuert zwar auf ihr Nachfragen hin, ihr alle Zeit lassen zu wollen, die sie braucht, aber irgendwas ist anders und Petra fragt sich, ob das nur an ihr liegt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat oder ob er frustriert ist und sie nun nicht mehr so mag wie vorher.
[ 5]Er macht keine weiteren Versuche in dieser Richtung, es bleibt bei harmlosen Fummeleien und Küssen, aber die Leichtigkeit ist aus ihrer Zweisamkeit gewichen. Adrian wirkt oft abwesend.

[ 5]An einem schönen Sommertag sitzen sie wieder einmal vor einem Eiscafé, trinken Kakao und blicken über den belebten Platz davor, auf dem ein kleines Mädchen Tauben aufscheucht. Eine ältere Frau weist sie mit erhobenem Zeigefinger zurecht und die Mutter des Kindes eilt herbei und weist die Frau zurecht. Adrian und Petra lächeln einander zu. Sie sind sich oft ohne Worte einig. Plötzlich wird ihr übel, sie kann sich kaum auf dem Stuhl halten. Er steht auf und greift ihr unter die Arme, winkt der Kellnerin und legt ihr einen Schein hin. Dann richtet er Petra auf und hilft ihr, zum Auto zu gehen. Die Kellnerin, eine freundliche rothaarige Frau mittleren Alters, erkundigt sich, ob sie helfen kann, aber Adrian wehrt ab: »Das ist sicherlich der Kreislauf, das hat sie öfter. Ist bestimmt gleich vorbei.«
[ 5]»Das hab' ich noch nie gehabt, dass mir so schlecht war«, flüstert Petra ihm ins Ohr, als sie auf der Straße sind. Sie sieht, dass die Kellnerin sich seine Autonummer aufschreibt. – So eine neugierige Person!
[ 5]»Ich wollte sie nur loswerden«, sagt er. »Wie geht es dir denn jetzt? Wir fahren am besten ein wenig raus in die Natur, die Luft steht hier auf dem Platz zwischen den hohen Häusern ringsum, kein Windhauch zur Erfrischung. Im Auto kannst du dir den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.«
[ 5]Sie freut sich über seine Fürsorge und tatsächlich wird es schon auf dem Weg zum Auto besser. Ihre Stimmung hellt sich auf, sie fühlt sich beinahe euphorisch. ›Vielleicht wird ja doch alles wieder gut‹, denkt sie.
[ 5]Später setzt er sie bei ihrem Fahrrad ab und sie fühlt sich seltsam benommen, kann sich an die Fahrt kaum erinnern. Er sagt, ihr sei vom Kakao schlecht geworden, er hätte sich auch mulmig gefühlt. Er verabschiedet sich mit einem leidenschaftlichen Kuss und verspricht, sie anzurufen.
[ 5]Am Abend glaubt sie, ihre Periode zu bekommen, eigentlich zwei Wochen zu früh. Die Mütter erklären ihr, dass das eine Zwischenblutung sein könne und sicherlich nichts zu bedeuten habe. Die Benommenheit und ein wundes Gefühl zwischen den Beinen erklärt das allerdings nicht. Sie traut sich nicht, weiter nachzufragen und da die Blutung am nächsten Tag vorbei ist, denkt sie nicht weiter darüber nach.
[ 5]Am Wochenende kommt kein Anruf von ihm. Petra ist traurig, hat Sehnsucht. Auch in der Woche danach hört sie nichts von ihm und ihr wird bewusst, dass sie nichts über ihn weiß: Keine Telefonnummer, keine Adresse, gar nichts. Nicht mal einen Nachnamen. Immer ist er es gewesen, der Kontakt aufgenommen hat. Das einzige, was ihr von ihm geblieben ist, ist das Silberkettchen, das sie nur heimlich tragen kann.

In der Schule tröstet Frauke sie: »Der war sowieso zu alt.«
[ 5]Aber Petra sehnt sich weiter nach ihm, träumt von ihm und fragt sich, wie sie ihn wiederfinden kann.
[ 5]Frauke meint: »Was würde das nützen? Wenn er dich sehen wollte, könnte er dich erreichen. Meldet er sich nicht, will er wohl keinen Kontakt.« – Frauke hat Erfahrungen mit sowas.

Petra will es einfach nicht wahrhaben. Sie fühlt sich krank. Oft ist ihr morgens übel und sie kann nichts frühstücken. Sie wird dünner und blasser. Sie hat überhaupt keine Freude mehr am Leben, führt diesen Zustand auf ihre Sehnsucht nach dem Geliebten zurück.
[ 5]Endlich gehen die Mütter mit ihr zu einer Ärztin. Diese untersucht sie eingehend, nimmt eine Blut- und eine Urinprobe, macht ein Belastungs-EKG, misst das Lungenvolumen und verabredet einen neuen Termin, eine Woche später.
[ 5]Beim nächsten Arzttermin geht es Petra nicht besser. Sie und ihre Mütter sitzen im Sprechzimmer von Frau Dr. Randau und werden eine nach der anderen eingehend von ihr gemustert. Dann sagt sie:
[ 5]»Ich kann ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen: Petra ist ganz gesund. Wahrscheinlich weniger erfreulich, angesichts ihres Alters, ist die andere Diagnose: Sie ist schwanger. Da die Patientin noch so jung ist, sollten Sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken.«
[ 5]Die Mütter sehen aus, als hätte man sie gerade mit einem Eimer kalten Wassers übergossen. Fast synchron atmen beide tief ein, halten den Atem an und sind schon mit dem nächsten Schock konfrontiert, als Petra ganz ruhig und ohne zu Zögern, als sei sie nach reiflicher Überlegung zu einem Entschluss gekommen, sagt: »Auf gar keinen Fall!«
 

xavia

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Hallo Frank,

Adrian wollte die Bedienung loswerden, weil er ein schlechtes Gewissen hatte.

Beide Mütter gehen zur Ärztin: Sie versäumen keine Gelegenheit, als Paar aufzutreten, nicht nur bei Elternversammlungen. Die Ärztin ist nun die Mutter von Meike Randau. Gute Idee, hier noch eine Verbindung einzubauen (ein Arzt kommt für die Frauen natürlich nicht in Frage).

kaputtmachen darf man tatsächlich auch zusammen schreiben, muss aber nicht sein. Alles andere umgesetzt und das Kettchen auftauchen lassen.

Grüßend und dankend
Xavia.
 

xavia

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8. Adrian

Am Sonntag, beim Frühstück, wollen die Mütter alles über den Abend und über den Film wissen. Frauke hat vorgesorgt, ihr auf dem Heimweg ein paar wichtige Details verraten und ihr die VHS-Kassette mitgegeben.
[ 5]»Super Film, sag' ich euch. Ich will nicht zu viel verraten, ihr solltet ihn euch selbst ansehen. Allein schon der Anfang mit der Musik – phänomenal, ich übertreibe nicht! Und dann das Ende – aber mehr sag' ich jetzt lieber nicht.«
[ 5]Die beiden fallen darauf herein und wollen nun keine weiteren Informationen, bevor sie den Film selbst gesehen haben.
[ 5]»Ich wünsche euch viel Spaß dabei. Ich geh' heute Nachmittag wieder zu Frauke.«
[ 5]Es kommt leichter Protest auf, aber die Mütter können ja nicht ernsthaft verlangen, dass sich Petra den Film noch einmal mit ihnen ansieht und so sind sie zufrieden mit dem Versprechen, dass sie zum Abendessen zurück ist.
[ 5]Mit bangem Herzen und ungeschminkt radelt Petra zum Eisladen, wo Adrian schon auf sie wartet.
[ 5]»Hallo, meine Schöne, ich freue mich, dass du gekommen bist.«
[ 5]Petra hat keine Erfahrung im Umgang mit erwachsenen Männern, mal abgesehen von den Lehrern, aber die sind ja uralt. Sie versucht, ihre Unsicherheit hinter der erprobten Mauer aus Überheblichkeit zu verbergen, aber diese Mauer hat er schnell eingerissen mit seiner souveränen Art. Er weiß einfach, dass er gefällt und so ist es ja auch. Bald gibt Petra ihren Widerstand auf und genießt es, von ihm umworben zu werden. Sie essen Eis, trinken Kakao, sie erzählt ihm von ihrem Wunsch, Medizin zu studieren und er nimmt sie ernst damit. Sie hatte es sich selbst noch nicht eingestanden, dass ein Medizinstudium ihr Traum ist und jetzt redet sie mit ihm darüber als wäre es schon beschlossene Sache und spürt, wie ihr Traum zur Realität wird. Ihren Fragen nach seinem Beruf weicht er geschickt aus. Einen Job muss er wohl haben, denn vor dem Eisladen steht sein blitzblanker roter Z3. Sie hofft, dass er ihn ehrlich erworben hat, traut sich aber nicht, weiter nachzubohren. Er erzählt ihr, dass er ebenfalls studieren möchte, auf dem zweiten Bildungsweg.
[ 5]›Ja, er ist wirklich irgendwie der Vater, den ich nie hatte,‹ denkt sie lächelnd, als er sie ermahnt, nur nicht denselben Fehler zu machen wie er und die Schule vor dem Abitur zu verlassen. Sie verkneift sich aber ein ›Ja, Papi‹. So vertraut sind sie noch nicht miteinander.

Sie treffen sich danach regelmäßig, immer am Wochenende. Sie fahren mit dem Auto raus. Die Mütter ahnen nichts. Sie glauben, dass die Freundschaft mit Frauke inniger wird. Nur einmal hätte sie sich fast verplappert. Als sie nach Hause kommt, stürzt ihre leibliche Mutter auf sie zu und es sieht so aus, als will sie ihr die Kette, die Adrian ihr geschenkt hat, vom Hals reißen: »Woher hast du die? Aus meinem Schmuckkasten?«
[ 5]Sie kann sich gerade noch beherrschen, ihren Stolz auf Adrians Geschenk für sich zu behalten. – »Die hat Frauke mir geliehen. Hübsch, nicht? Eine silberne Fledermaus mit Rubin-Augen.«
[ 5]Ihre Mutter rennt in ihr Schlafzimmer, kramt eine Weile herum und kommt dann mit rotem Kopf wieder ins Wohnzimmer: »Die gibst du sofort wieder zurück! Wir haben es nicht nötig, uns Schmuck von Anderen zu leihen!«
[ 5]»Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Wenn du auch so eine hast, kann ich die ja tragen, dann brauche ich die von Frauke nicht. Ich habe sie noch nie an dir gesehen.«
[ 5]Jetzt wirkt ihre Mutter sehr verlegen auf sie. »Nein, das will ich nicht. Ich mag diese Kette nicht, ich will sie nicht an dir sehen.«

Dieser seltsame Zwischenfall ist schnell vergessen und Petra schwebt auf rosa Wolken. Adrian ist ihr erster Freund und gleich ein solcher Hauptgewinn! Er ist der vollendete Kavalier, trägt sie quasi auf Händen und behandelt sie wie eine Dame. Er hat ihr sogar ein Kleid gekauft, das er im Auto aufbewahrt, so dass sie sich umziehen kann, ohne dass die Mütter etwas davon mitbekommen. Eine blonde Langhaarperücke hat sie nun auch, einen Vorgeschmack auf die Zukunft, in der sie ihre Haare wachsen lassen kann. Damit haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Petra freut sich über ihre neue Weiblichkeit und beide fühlen sich sicherer, nicht erkannt zu werden. Denn darüber sind sie sich einig: Die Mütter dürfen keinesfalls etwas von ihrer Liebe wissen, sie sind zu misstrauisch und würden sofort alles kaputt machen. Petra ist froh, dass Adrian in der Beziehung ebenso denkt wie sie, dass ihm die Heimlichtuerei nicht lästig ist sondern anscheinend sogar Spaß macht. Adrian hat immer neue Ideen, was sie zusammen unternehmen können. Petra staunt, welche Möglichkeiten die Umgebung ihres Wohnortes bietet: Waldspaziergänge, Schaufensterbummel, Segeln auf dem Zwischenahner Meer, Picknick am Fluss, Kaffee und Kuchen in einem Hotel, dessen große Fenster mit Blick auf einen See so tief liegen, dass man das Gefühl hat, auf dem Wasser zu sitzen.
[ 5]Als Adrian eines Tages auf einem Waldweg hält und mit seiner Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wandert, zieht allerdings ein Schatten über ihr kleines Stück vom Himmel. Sie hält seine Hand fest, er versucht es etwas entschiedener, sie wehrt sich etwas entschiedener: »Nicht, Adrian, ich bin noch nicht so weit.«
[ 5]»Wie du meinst«, entgegnet er kühl und zieht seine Hand zurück, startet den Wagen und lenkt ihn zurück auf die Straße.
[ 5]Petra merkt, dass sich etwas verändert hat. Er beteuert zwar auf ihr Nachfragen hin, ihr alle Zeit lassen zu wollen, die sie braucht, aber irgendwas ist anders und Petra fragt sich, ob das nur an ihr liegt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat oder ob er frustriert ist und sie nun nicht mehr so mag wie vorher.
[ 5]Er macht keine weiteren Versuche in dieser Richtung, es bleibt bei harmlosen Fummeleien und Küssen, aber die Leichtigkeit ist aus ihrer Zweisamkeit gewichen. Adrian wirkt oft abwesend.

[ 5]An einem schönen Sommertag sitzen sie wieder einmal vor einem Eiscafé, trinken Kakao und blicken über den belebten Platz davor, auf dem ein kleines Mädchen Tauben aufscheucht. Eine ältere Frau weist sie mit erhobenem Zeigefinger zurecht und die Mutter des Kindes eilt herbei und weist die Frau zurecht. Adrian und Petra lächeln einander zu. Sie sind sich oft ohne Worte einig. Plötzlich wird ihr übel, sie kann sich kaum auf dem Stuhl halten. Er steht auf und greift ihr unter die Arme, winkt der Kellnerin und legt ihr einen Schein hin. Dann richtet er Petra auf und hilft ihr, zum Auto zu gehen. Die Kellnerin, eine freundliche rothaarige Frau mittleren Alters, erkundigt sich, ob sie helfen kann, aber Adrian wehrt ab: »Das ist sicherlich der Kreislauf, das hat sie öfter. Ist bestimmt gleich vorbei.«
[ 5]»Das hab' ich noch nie gehabt, dass mir so schlecht war«, flüstert Petra ihm ins Ohr, als sie auf der Straße sind. Sie sieht, dass die Kellnerin sich seine Autonummer aufschreibt. – So eine neugierige Person!
[ 5]»Ich wollte sie nur loswerden«, sagt er. »Wie geht es dir denn jetzt? Wir fahren am besten ein wenig raus in die Natur, die Luft steht hier auf dem Platz zwischen den hohen Häusern ringsum, kein Windhauch zur Erfrischung. Im Auto kannst du dir den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.«
[ 5]Sie freut sich über seine Fürsorge und tatsächlich wird es schon auf dem Weg zum Auto besser. Ihre Stimmung hellt sich auf, sie fühlt sich beinahe euphorisch. ›Vielleicht wird ja doch alles wieder gut‹, denkt sie.
[ 5]Später setzt er sie bei ihrem Fahrrad ab und sie fühlt sich seltsam benommen, kann sich an die Fahrt kaum erinnern. Er sagt, ihr sei vom Kakao schlecht geworden, er hätte sich auch mulmig gefühlt. Er verabschiedet sich mit einem leidenschaftlichen Kuss und verspricht, sie anzurufen.
[ 5]Am Abend glaubt sie, ihre Periode zu bekommen, eigentlich zwei Wochen zu früh. Die Mütter erklären ihr, dass das eine Zwischenblutung sein könne und sicherlich nichts zu bedeuten habe. Die Benommenheit und ein wundes Gefühl zwischen den Beinen erklärt das allerdings nicht. Sie traut sich nicht, weiter nachzufragen und da die Blutung am nächsten Tag vorbei ist, denkt sie nicht weiter daran.
[ 5]Am Wochenende kommt kein Anruf von ihm. Petra ist traurig, hat Sehnsucht. Auch in der Woche danach hört sie nichts von ihm und ihr wird bewusst, dass sie nichts über ihn weiß: Keine Telefonnummer, keine Adresse, gar nichts. Nicht mal einen Nachnamen. Immer ist er es gewesen, der Kontakt aufgenommen hat. Das einzige, was ihr von ihm geblieben ist, ist das Silberkettchen, das sie nur heimlich tragen kann.

In der Schule tröstet Frauke sie: »Der war sowieso zu alt.«
[ 5]Aber Petra sehnt sich weiter nach ihm, träumt von ihm und fragt sich, wie sie ihn wiederfinden kann.
[ 5]Frauke meint: »Was würde das nützen? Wenn er dich sehen wollte, könnte er dich erreichen. Meldet er sich nicht, will er wohl keinen Kontakt.« – Frauke hat Erfahrungen mit sowas.

Petra will es einfach nicht wahrhaben. Sie fühlt sich krank. Oft ist ihr morgens übel und sie kann nichts frühstücken. Sie wird dünner und blasser. Sie hat überhaupt keine Freude mehr am Leben, führt diesen Zustand auf ihre Sehnsucht nach dem Geliebten zurück.
[ 5]Endlich gehen die Mütter mit ihr zu ihrer Hausärztin. Diese hört sich die Beschwerden an und meint, in dem Alter sei Liebeskummer die häufigste Erkrankung. Dann untersucht sie Petra eingehend, nimmt eine Blut- und eine Urinprobe, macht ein Belastungs-EKG, misst das Lungenvolumen und verabredet einen neuen Termin, eine Woche später.
[ 5]Beim nächsten Arzttermin geht es Petra nicht besser. Sie und ihre Mütter sitzen im Sprechzimmer von Frau Dr. Randau und werden eine nach der anderen eingehend von ihr gemustert. Dann sagt sie:
[ 5]»Ich kann ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen: Petra ist ganz gesund. Wahrscheinlich weniger erfreulich, angesichts ihres Alters, ist die andere Diagnose: Sie ist schwanger. Da die Patientin noch so jung ist, sollten Sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken.«
[ 5]Die Mütter sehen aus, als hätte man sie gerade mit einem Eimer kalten Wassers übergossen. Fast synchron atmen beide tief ein, halten den Atem an und sind schon mit dem nächsten Schock konfrontiert, als Petra ganz ruhig und ohne zu Zögern, als sei sie nach reiflicher Überlegung zu einem Entschluss gekommen, sagt: »Auf gar keinen Fall!«
 



 
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