15 (Kriminalnovelle) - 3. Ausflug

xavia

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3. Ausflug

Es war so einfach: Sabrinas Mutter hat die Reitstunden genehmigt und die Nacht bei Sandra ebenfalls. Für Sabrinas Geschmack ist die Freude ihrer Mutter ziemlich übertrieben. Es war überhaupt nicht nötig, zu argumentieren: Sie sei ihr in letzter Zeit so abwesend erschienen und brauchte doch dringend ein Hobby neben der Schule, die Reitstunden seien genau das Richtige für sie! Ob sie Paula nicht auch mitnehmen wollten? – Nein, das wollten sie nicht, hat Sandra ihr versichert, das sei eine Sache unter Freundinnen.
[ 5]Nach dem Mittagessen holt Sandra sie ab und Sabrina macht sich mit einer gepackten Sporttasche unter den üblichen Ermahnungen ihrer Mutter auf den Weg. Die Freundin wünscht ihr an der nächsten Straßenecke viel Spaß und verschwindet. Sabrina ist allein. Sie kann es immer noch nicht glauben, dass sie das hier wirklich tut. Zwei Straßen weiter erreicht sie mit klopfendem Herzen den verabredeten Treffpunkt noch vor dem VW-Bus, der aber nicht lange auf sich warten lässt.
[ 5]Mit quietschenden Reifen und lauter Musik, die aus den heruntergekurbelten Fenstern dringt, hält er direkt neben ihr, die seitliche Schiebetür öffnet sich und Frank springt heraus. Er umarmt sie liebevoll unter den johlenden Anfeuerungen der Insassen. Ein Kuss wäre angemessen gewesen, aber sie haben sich noch nie geküsst und hier, vor aller Augen, wäre es Sabrina auch nicht angenehm. Er merkt das und hilft ihr, ihre Sporttasche zu verstauen.
[ 5]Hinten im Wagen gibt es keine Sitze, alle kauern auf Matratzen und nehmen Sabrina gut gelaunt in Empfang. Der fehlende Begrüßungskuss ist schnell vergessen. Der Beifahrer reckt mühsam seine Hand nach hinten, um die ihre kraftvoll zu schütteln: »Hallo, ich bin Daniel und dieser hier ist Butch.« Der erwähnte Fahrer grinst ihr zu, präsentiert eine Zahnlücke. Er ist älter als die anderen, hat als einziger einen Bart und einen Führerschein und genießt deswegen höchstes Ansehen. Mit seiner Jeans-Weste mit ausgefransten Armlöchern und einem goldenen Ring im Ohr sieht er ziemlich verwegen aus.
[ 5]Aus dem Kassettenradio erklingt ›Eye of the Tiger‹ von Survivor, Pepe singt mit und sieht Sabrina dabei in die Augen. Er ist ein kleiner drahtiger Typ mit lustig blitzenden braunen Augen und rabenschwarzem Haar. Sie findet es mutig von ihm, so laut zu singen. Sabrina kennt alle bisher nur vom Sehen und versucht nun, die Namen zu rekapitulieren, die sie gerade gehört hat. Timo ist ein hübscher blondgelockter Sport-Typ, Katrin eine stark geschminkte mollige Brünette mit schwarzen Stiefeletten und einer schwarzen Strumpfhose unter hellblauen Hot Pants. Sabrina fühlt sich, ungeschminkt und unauffällig gekleidet, sofort unterlegen. Sie versucht, diese Gedanken zu verscheuchen: Heute will sie nicht über ihren Wert und ihre Wirkung nachdenken sondern das Leben genießen. Immerhin hat Frank sie eingeladen, sie und keine andere. Von der Kassette ertönt ›Heart of Gold‹: So muss Leben sein! Die fünf machen es sich so gut es geht auf den Matratzen bequem, einige große Kissen und Wolldecken helfen dabei, sich gegen die kalten Außenwände und die Ladung zu polstern. Sabrina kuschelt sich an Frank und ist glücklich.
[ 5]Pepe trinkt seine Flasche leer, verstaut sie in einem der Kästen, zieht zwei neue heraus und bietet ihr eine an.
[ 5]»Nein, danke, im Moment nicht«, weicht Sabrina seinem Angebot aus: Die trinken schon am Nachmittag? Jetzt fällt ihr auf, dass jeder eine Flasche Bier hat. – Sollte Sandra doch Recht behalten? Sabrina fühlt sich ein wenig beklommen und trinkt einen Schluck aus Franks Flasche, um nicht als Spaßbremse dazustehen. Sie unterdrückt den Impuls, sich zu schütteln: Bier ist definitiv ein grausiges Gebräu! Wie können die das nur mögen? Aber dann zieht die Musik sie wieder in ihren Bann, die aus allen vier Ecken des Busses dringt. Daniel, der Beifahrer, erklärt ihr, dass sie sich unter den Decken verstecken müssen, falls sie kontrolliert werden, weil der Wagen hinten nicht für Fahrgäste zugelassen ist und dass sie die Vorhänge zugezogen lassen sollen.
[ 5]»Geht klar, wir werden mucksch-mäusch-schen-still sein«, lallt Katrin spaßeshalber.
[ 5]›Weia‹, denkt Sabrina, ›wo bin ich hier nur hineingeraten?‹ Sie wäre lieber mit Frank allein gewesen als mit dieser wilden Meute unterwegs zu sein. Aber besser so als gar nicht.
[ 5]Es gibt keine Verkehrskontrolle und so erreichen sie ausgelassen und unkontrolliert ihr Ziel. Butch hält auf einem Parkplatz, aber als Sabrina aussteigen will, hindern die anderen sie daran. Statt dessen kommen Daniel und Butch nach hinten.
[ 5]»Jetzt gehört der Strand den Spießern mit ihren Kindern und Hunden und die Strandkörbe gehören ihren Mietern. Unsere Zeit kommt, sobald die in ihre Quartiere abwandern. So lange bleiben wir hier«, belehrt Butch sie und greift nach einer Flasche. (Plopp!) »Es geht doch nichts über ein schönes Flasch Flens«, verkündet er, »ich hab' einiges aufzuholen, die erste Kiste ist ja schon fast leer.«
[ 5]Alle loben die Akustik in dem alten Bus und die Auswahl der Musik. Aus den Lautsprechern erklingt »I am sailing stormy waters to be near you, to be free.« Butch erzählt ihnen, wo der Bus schon überall gewesen ist. Nicht nur sein Opa, sondern auch seine Eltern sind damit bereits durch die Lande gereist: England, Frankreich, Italien, Norwegen, … Die Liste nimmt kein Ende. »Und die alte Karre hat niemals schlapp gemacht«, versichert er.
[ 5]So sitzen sie beisammen, hören Musik, plaudern, trinken und warten darauf, dass es dunkel wird. Als Butch endlich meint, dass die Zeit gekommen ist, zu den Strandkörben aufzubrechen, sind schon alle ziemlich betrunken. Katrin kann sich kaum auf den Beinen halten und wird von Pepe und Daniel gestützt. Butch greift sich eine volle Kiste Bier und gibt Timo eine Flasche Wodka. Sabrina ist entsetzt: Nun soll die Sauferei erst richtig losgehen?
[ 5]»Frank, ich will hier weg«, flüstert sie ihm zu.
[ 5]Erst tut er so, als höre er sie nicht, dann versucht er, sie zu beschwichtigen: »Ach komm, die sind okay, das wird schön in den Strandkörben!« Er hat nicht so viel getrunken wie die anderen, ihr Ansinnen scheint ihm aber ganz und gar nicht zu gefallen. – Wer weiß, vielleicht musste er die Freunde überreden, eine Fünfzehnjährige mitzunehmen?
[ 5]Pepe und Daniel haben Katrin in den Sand fallen lassen und schleifen nun ein paar Strandkörbe zusammen, kümmern sich nicht um die Sandmauern, die deren Besitzer angehäuft haben, sondern stellen die Körbe um die Bierkiste herum auf, so dass man gerade noch in den Kreis hineinschlüpfen kann.
[ 5]»Wie wollt ihr denn da den Sonnenuntergang sehen, wenn ihr euch so einigelt?«, fragt Sabrina und erntet schallendes Gelächter von allen; Frank lacht nur halb mit und blickt verlegen umher. Daniel schleppt Katrin zur Strandkorb-Burg und lässt sie in einen der Körbe fallen. Sofort greift sie nach der Wodka-Flasche, die Pepe ihr hinhält.
[ 5]Sabrina ist schockiert von der groben Fröhlichkeit in der Gruppe. So etwas ist ihr fremd, so etwas hat sie noch nie erlebt. Je länger sie bleiben würde, desto schlimmer könnte es werden. Sie hat Angst. Leise und um Fassung bemüht sagt sie »Ich hau' jetzt ab. Tschüß!«
[ 5]»Tschüß und gute Reise!«, grölen einige ihr hinterher und lachen, als sie den Strand hinunter zum Wasser läuft. Sie erwartet, dass Frank hinterherkommt, aber das tut er nicht. So ein Drückeberger! Sie sitzt eine Weile leise weinend am Strand im Sand und hört hinter sich das ausgelassene Grölen der Gruppe. Sie haben jetzt wieder ›Eye of the Tiger‹ laufen und singen fröhlich mit. Sabrina fühlt sich noch einsamer als sonst.
[ 5]Als ihr klar ist, dass niemand sie aus ihrem Schmollwinkel holen wird, überlegt sie, was Sandra tun würde: Sie könnte mit dem Zug nach Hause fahren, aber ob es hier einen Bahnhof gibt? Ihre Tasche ist noch im VW-Bus, aber ihr Geld hat sie in der Jackentasche, glücklicherweise. Langsam, zögerlich und in einem großen Bogen um die Strandkorb-Burg geht sie hinauf zur Straße.
[ 5]Vor dem Campingplatz ist eine Frau damit beschäftigt, einen großen Bollerwagen, in dem neben allerlei Strand-Utensilien auch ein kleines quengelndes Kind verstaut ist, zur Einfahrt zu zerren. Zwei weitere Kinder außerhalb des Gefährts nörgeln ebenfalls herum und ein Hund knurrt Sabrina misstrauisch an. Sie will schon ausweichen, da kommt ihr der Gedanke, dass die Frau ihr vielleicht weiterhelfen kann und sie nimmt allen Mut zusammen: »Entschuldigung, ich hätte da mal eine Frage …«, beginnt sie vorsichtig.
[ 5]Die Frau hält inne, zerrt den Hund zurück und sieht sie ungläubig an: »Was??«
[ 5]Tapfer fragt Sabrina nach dem Bahnhof. Erfährt, dass der in Varel ist. Die Frau weiß sogar, wo der Bus abfährt, obwohl sie, wie sie betont, noch nie damit gefahren ist. Die Haltestelle ist gleich vorne am Stand, man kann sie sehen.
[ 5]Ein kurzer Moment der Erleichterung, der Gedanke, es könne doch alles gut gehen, aber an der Haltestelle erwartet sie schon die nächste Enttäuschung: Der letzte Bus ist um halb sechs gefahren, der nächste fährt morgen um halb zehn. Niedergeschlagen macht sie sich zu Fuß auf den Weg. Sie geht in die Richtung, in die der Bus gefahren wäre, die Hauptstraße entlang, weg vom Strand. Irgendwann würde sie sicherlich in Varel ankommen, garantiert vor morgen um halb zehn. – Zu dumm, dass sie keine Ahnung hat, wie weit es ist! Sie traut sich nicht, jemanden zu fragen, hat Angst, dass der sie dann festhält. Sie sieht sicherlich nicht älter aus als sie ist und sollte hier nicht allein unterwegs sein. So hofft sie, nicht aufzufallen, läuft und läuft und läuft. Es dämmert, wird dunkel und für einen kurzen Moment kommt ihr der Sonnenuntergang wieder in den Sinn. Aber sie läuft weiter: Hier ist ohnehin nichts davon zu sehen: Häuser, Bäume, endlose Landstraße. Gelegentlich gibt es ein Schild, das Varel ankündigt. Die Zahl der Kilometer bis dorthin wird unmerklich kleiner. Autos fahren an ihr vorbei. Ihre Mutter hat ihr schlimme Dinge erzählt über böse Männer, die Anhalterinnen mitnehmen, also versucht sie, so auszusehen, als hätte sie alles im Griff.
[ 5]Nach stundenlangem Marsch erreicht sie Bahnschienen, die sie überquert und dann ist es nicht mehr schwierig, den Bahnhof zu finden: Man kann zwar nicht an den Schienen entlanggehen, weil es dort keinen Weg gibt, aber sie nimmt die Straßen, die sie am wenigsten von den Schienen wegführen und findet schließlich sogar ein Hinweisschild zum Bahnhof.
 

FrankK

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Hallo, Xavia
Du wendest vier Szenen auf, um uns den Aufbruch zum Ausflug und die Trennung von Frank zu zeigen. Durch die Musik bekomme ich als Leser einen ersten Hinweis auf den Zeitrahmen, in dem sich die Ereignisse abspielen: Etwa 1982, Spätsommer oder früher Herbst.

Erzählperspektive:
Weiterhin konstant „personal, auktorial“ mit der Sabrina als Bezugsperson.
Abweichungen sind mir diesmal nicht aufgefallen.

Figuren:
Szenenbedingt (die Ausflugsgruppe) kommen hier einige Figuren hinzu, obgleich sie keine große Rolle spielen, hat ihr erscheinen doch eine gewisse Wichtung.
  • „Butch“ – der Fahrer des Busses, Enkel des Eigentümers.
  • Daniel – der Beifahrer
  • Pepe – ein Mitsänger (und Getränkeverteiler)
  • Timo – ein blondgelockter Sport-Typ
  • Katrin – eine stark geschminkte mollige Brünette
  • Eine Frau mit Bollerwagen

Sprache:
Angemessener, jugendlicher Slang, locker, ungeziert.

Spannungsbogen:
Leichte Steigerung der Spannung, Sabrina möchte mit Frank zusammen sein, möchte aber gleichzeitig die unangenehme „Gruppe“ meiden. Sie fühlt sich deplatziert, erster Höhepunkt des Konflikts: Sabrina macht sich alleine auf den Weg.

Szenendetails:
+ Szene 1: Hinters Licht geführt
Der Szeneneinstieg erfolgt mit einer unerwarteten Rückblende, was auch sprachlich nicht deutlich wird, nur aus dem nachfolgenden Kontext.
Es [blue]war[/blue] so einfach: Sabrinas Mutter [blue]hat[/blue] die Reitstunden genehmigt und die Nacht bei Sandra ebenfalls. Für Sabrinas Geschmack [blue]ist[/blue] die Freude ihrer Mutter ziemlich übertrieben. Es [blue]war[/blue] überhaupt nicht nötig, zu argumentieren: Sie sei ihr in letzter Zeit so abwesend erschienen und [blue]brauchte[/blue] doch dringend ein Hobby neben der Schule, die Reitstunden seien genau das Richtige für sie! Ob sie Paula nicht auch mitnehmen wollten? – Nein, das wollten sie nicht, [blue]hat[/blue] Sandra ihr versichert, das sei eine Sache unter Freundinnen.
Genauer auf die Zeiten achten.

+ Szene 2: Die Truppe
Sabrina hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, in einer solch umfangreichen (und unausgewogenen) Gruppe unterwegs zu sein: deutlicher Jungen-Überschuss!
Sie schreckt vor Alkohol (so früh am Nachmittag) zurück, bemüht sich aber doch, „dabei“ zu sein, probiert vom Bier Franks.

+ Szene 3: Ziel erreicht
Die Gruppe ist (außer Sabrina und Pepe, dem Fahrer) schon ziemlich angeschlagen, Sabrina übermittelt Frank den Wunsch, sich abzusondern, dieser beschwichtigt.

+ Szene 4:
Da Frank bei der Gruppe bleiben möchte, macht sich Sabrina alleine auf den Weg. Eine fremde Frau verrät ihr, dass der nächste Bahnhof im Nachbarort liegt, und sie wohl mit dem Bus fahren müsste. An der Haltestelle erkennt Sabrina, dass der nächste Bus erst am nächsten Morgen fährt. So macht sie sich zu Fuß auf, um in den Nachbarort zu gelangen.
Auch hieraus hätte ich zwei Szenen definieren können, da diese Situation aber thematisch sehr eng zusammengehört, habe ich es bei einer Szene belassen.

Allgemeines:
Anmerkung zu Szene 2:
Die Mädchen jener Zeit (insbesondere die schüchternen und zurückhaltenden), die „wirklich dabei sein wollten“, ließen sich nicht mit Bier locken, wohl aber mit Fruchtsaftgetränken (mit Schuss). Vielleicht lässt sich Sabrina auch davon locken, dies würde ihre verminderte Urteilsfähigkeit im nächsten Kapitel erklären ebenso wie ihren frustrierten Abschied von der Truppe, die (möglicherweise sogar) am Strand zu „kiffen“ anfangen. Sabrina ist ja „nichts“ gewohnt, sie benötigt also keine große Menge Alkohol.
Eine gewisse Menge an Alk würde ihre Hemmschwelle senken, welches erklärte, warum dieses unsichere Persönchen sich entgegen ihrer Charaktertypisierung alleine (und im Dunkeln) auf den Weg macht. Die (neuerlich) aufsteigenden Ängste, die sie unterwegs überfallen, wären ebenfalls damit zu erklären und ihre Unbedarftheit im nächsten Kapitel

Erbsenzählerei:
... belehrt Butch sie und greift nach einer Flasche. [blue](Plopp!)[/blue] »Es geht doch nichts über ein schönes [blue]Flasch[/blue] Flens«, verkündet er, »ich hab' einiges aufzuholen, die erste Kiste ist ja schon fast leer.«
Das Plopp ist ja irgendwie witzig, erinnert in dieser Form aber doch zu sehr an einen Comic und nicht an eine Story.
... und greift nach einer Flasche, die er mit einem deutlich vernehmbaren „Plopp“ öffnet.
Ich mag mich irren, aber im gesprochenen Text hätte ich nicht erwartet, dass jemand von einer „Flasch Flens“ redet, sondern nur von einem „Flens“

Butch erzählt ihnen, wo der Bus schon überall gewesen [blue]ist[/blue].
Zeitfehler: „gewesen war.“ oder, noch besser „gewesen sei.“

»Ich hau' jetzt ab. [red]Tschüß[/red]!«
...
»[red]Tschüß[/red] und gute Reise!«,
Korrektur: „Tschüss“

Die Frau hält inne, zerrt den Hund zurück und sieht sie ungläubig an: »Was??«
Mehrfache Satzzeichen.

Tapfer fragt Sabrina nach dem Bahnhof. Erfährt, dass der in Varel ist.
Diese abgehackten Sätze verleihen dem Text eine unnötige Geschwindigkeit.

Die Haltestelle ist gleich vorne am [blue]Stand[/blue], man kann sie sehen.
Was für ein „Stand“? Oder meintest Du „Strand“?

Nach stundenlangem Marsch erreicht sie Bahnschienen ...
Du solltest verdeutlichen, dass es für Sabrina ein „gefühlt stundenlanger“ Marsch ist, da sie (offensichtlich) keine Armbanduhr besitzt. Darüber hinaus beträgt die Entfernung zwischen Dangast und Varel nur etwa zehn Kilometer, locker in unter zwei Stunden zu bewältigen.


Grüßend
Frank
 

xavia

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3. Ausflug

Es ist so einfach gewesen! – Sabrina stochert in ihrem Essen herum und in ihrem Kopf wiederholt sich die Szene mit Sandra und ihrer Mutter. Sie hatten sich alles genau zurechtgelegt, hatten ihre Argumente sortiert und die Rollen verteilt und dann sind sie buchstäblich durch offene Türen gestolpert. Ihre Mutter ist sofort begeistert gewesen, sowohl von den Reitstunden als auch von der Übernachtung bei Sandra: Sie sei ihr in letzter Zeit so abwesend erschienen und brauchte doch dringend ein Hobby neben der Schule, die Reitstunden seien genau das Richtige für sie! Ob sie Paula nicht auch mitnehmen wollten? – Das hätte ihr gerade noch gefehlt, die kleine Schwester dabeizuhaben! Glücklicherweise hat Sandra das elegant abgewehrt.
[ 5]Die Ratschläge und Ermahnungen der Mutter, die sie bislang unbewusst mit gelegentlichen Mhms und Okays kommentiert hat, erreichen einen besorgniserregenden Tonfall: »Bevor du nicht aufgegessen hast, lasse ich dich nicht weg.«
[ 5]Sofort schiebt Sabrina einen dicken Bissen in den Mund und kaut eifrig darauf herum.
[ 5]»Gut gekaut ist halb verdaut«, kommentiert Paula grinsend ihren Gehorsam.
[ 5]Manchmal möchte sie die Schwester erwürgen. Sie schiebt dem halb zerkauten Bissen einen zweiten hinterher und versucht, beides zu schlucken. Husten. Sie besinnt sich darauf, worum es geht, reißt sich zusammen und schafft es irgendwie, ihren Teller leer zu essen, ohne wirklich zu wissen, was die da gegessen hat. Keine Minute zu früh, denn jetzt klingelt es an der Tür. Sie springt auf, ist schon auf dem Flur, kehrt um und ruft einen Abschiedsgruß in die Küche, wird zu einer Umarmung genötigt, mit weiteren Ermahnungen und Ratschlägen versehen und ist dann endlich draußen, die Sporttasche unter dem Arm. Sandra boxt sie in die Seite und beide winken zum Küchenfenster hin, bis sie außer Sicht sind. Die Freundin wünscht ihr an der nächsten Straßenecke viel Spaß und verschwindet.

Sabrina ist allein. Sie kann es immer noch nicht glauben, dass sie das hier wirklich tut! Zwei Straßen weiter erreicht sie mit klopfendem Herzen den verabredeten Treffpunkt noch vor dem VW-Bus, der aber nicht lange auf sich warten lässt.
[ 5]Mit quietschenden Reifen und lauter Musik, die aus den heruntergekurbelten Fenstern dringt, hält er direkt neben ihr, die seitliche Schiebetür öffnet sich und Frank springt heraus. Er umarmt sie liebevoll unter den johlenden Anfeuerungen der Insassen. Ein Kuss wäre angemessen gewesen, aber sie haben sich noch nie geküsst und hier, vor aller Augen, wäre es Sabrina auch nicht angenehm. Er merkt das und hilft ihr, die Sporttasche zu verstauen.
[ 5]Hinten im Wagen gibt es keine Sitze, alle kauern auf Matratzen und nehmen Sabrina gut gelaunt in Empfang. Der fehlende Begrüßungskuss ist schnell vergessen. Der Beifahrer reckt mühsam seine Hand nach hinten, um die ihre kraftvoll zu schütteln: »Hallo, ich bin Daniel und dieser hier ist Butch.« Der erwähnte Fahrer grinst ihr zu, präsentiert eine Zahnlücke. Er ist älter als die anderen, hat als einziger einen Bart und einen Führerschein und genießt deswegen höchstes Ansehen. Mit seiner Jeans-Weste mit ausgefransten Armlöchern und einem goldenen Ring im Ohr sieht er ziemlich verwegen aus.
[ 5]Aus dem Kassettenradio erklingt ›Eye of the Tiger‹ von Survivor, Pepe singt mit und sieht Sabrina dabei in die Augen. Er ist ein kleiner drahtiger Typ mit lustig blitzenden braunen Augen und rabenschwarzem Haar. Sie findet es mutig von ihm, so laut zu singen und lächelt ihn etwas beklommen an. Sabrina kennt alle bisher nur vom Sehen und versucht nun, die Namen zu rekapitulieren, die sie gerade gehört hat. Timo ist ein hübscher blondgelockter Sport-Typ, Katrin eine stark geschminkte mollige Brünette mit schwarzen Stiefeletten und einer schwarzen Strumpfhose unter hellblauen Hot Pants. Sabrina fühlt sich, ungeschminkt und unauffällig gekleidet, sofort unterlegen. Sie versucht, diese Gedanken zu verscheuchen: Heute will sie nicht über ihren Wert und ihre Wirkung nachdenken sondern das Leben genießen. Immerhin hat Frank sie eingeladen, sie und keine andere. Von der Kassette ertönt ›Heart of Gold‹: So muss Leben sein! Die fünf machen es sich so gut es geht auf den Matratzen bequem, einige große Kissen und Wolldecken helfen dabei, sich gegen die kalten Außenwände und die Ladung zu polstern. Sabrina kuschelt sich an Frank und ist glücklich.
[ 5]Pepe trinkt seine Flasche leer, verstaut sie in einem der Kästen, zieht zwei neue heraus und bietet ihr eine an.
[ 5]»Nein, danke, im Moment nicht«, weicht Sabrina seinem Angebot aus: Die trinken schon am Nachmittag? Jetzt fällt ihr auf, dass jeder eine Flasche Bier hat. – Sollte Sandra doch Recht behalten? Sabrina fühlt sich ein wenig beklommen und trinkt einen Schluck aus Franks Flasche, um nicht als Spaßbremse dazustehen. Sie unterdrückt den Impuls, sich zu schütteln: Bier ist definitiv ein grausiges Gebräu! Wie können die das nur mögen? Aber dann zieht die Musik sie wieder in ihren Bann, die aus allen vier Ecken des Busses dringt. Daniel, der Beifahrer, erklärt ihr, dass sie sich unter den Decken verstecken müssen, falls sie kontrolliert werden, weil der Wagen hinten nicht für Fahrgäste zugelassen ist und dass sie die Vorhänge zugezogen lassen sollen.
[ 5]»Geht klar, wir werden mucksch-mäusch-schen-still sein«, lallt Katrin spaßeshalber.
[ 5]›Weia‹, denkt Sabrina, ›wo bin ich hier nur hineingeraten?‹ Sie wäre lieber mit Frank allein gewesen als mit dieser wilden Meute unterwegs zu sein. Aber besser so als gar nicht.
[ 5]Es gibt keine Verkehrskontrolle und so erreichen sie ausgelassen und unkontrolliert ihr Ziel. Butch hält auf einem Parkplatz, aber als Sabrina aussteigen will, hindern die anderen sie daran. Statt dessen kommen Daniel und Butch nach hinten.
[ 5]»Jetzt gehört der Strand den Spießern mit ihren Kindern und Hunden und die Strandkörbe gehören ihren Mietern. Unsere Zeit kommt, sobald die in ihre Quartiere abwandern. So lange bleiben wir hier«, belehrt Butch sie und greift nach einer Flasche, die er genüsslich mit einem »Plopp!« aufschnappen lässt. »Es geht doch nichts über ein schönes Flasch Flens«, verkündet er, »ich hab' einiges aufzuholen, die erste Kiste ist ja schon fast leer.«
[ 5]Alle loben die Akustik in dem alten Bus und die Auswahl der Musik. Aus den Lautsprechern erklingt »I am sailing stormy waters to be near you, to be free.« Butch erzählt ihnen, wo der Bus schon überall gewesen ist. Nicht nur sein Opa, sondern auch seine Eltern sind damit bereits durch die Lande gereist: England, Frankreich, Italien, Norwegen, … Die Liste nimmt kein Ende. »Und die alte Karre hat niemals schlapp gemacht«, versichert er.
[ 5]So sitzen sie beisammen, hören Musik, plaudern, trinken und warten darauf, dass es dunkel wird. Als Butch endlich meint, dass die Zeit gekommen ist, zu den Strandkörben aufzubrechen, sind schon alle ziemlich betrunken. Katrin kann sich kaum auf den Beinen halten und wird von Pepe und Daniel gestützt. Butch greift sich eine volle Kiste Bier und gibt Timo eine Flasche Wodka. Sabrina ist entsetzt: Nun soll die Sauferei erst richtig losgehen?
[ 5]»Frank, ich will hier weg«, flüstert sie ihm zu.
[ 5]Erst tut er so, als höre er sie nicht, dann versucht er, sie zu beschwichtigen: »Ach komm, die sind okay, das wird schön in den Strandkörben!« Er hat nicht so viel getrunken wie die anderen, ihr Ansinnen scheint ihm aber ganz und gar nicht zu gefallen. – Wer weiß, vielleicht musste er die Freunde überreden, eine Fünfzehnjährige mitzunehmen?
[ 5]Pepe und Daniel haben Katrin in den Sand fallen lassen und schleifen nun ein paar Strandkörbe zusammen, kümmern sich nicht um die Sandmauern, die deren Besitzer angehäuft haben, sondern stellen die Körbe um die Bierkiste herum auf, so dass man gerade noch in den Kreis hineinschlüpfen kann.
[ 5]»Wie wollt ihr denn da den Sonnenuntergang sehen, wenn ihr euch so einigelt?«, fragt Sabrina und erntet schallendes Gelächter von allen; Frank lacht nur halb mit und blickt verlegen umher. Daniel schleppt Katrin zur Strandkorb-Burg und lässt sie in einen der Körbe fallen. Sofort greift sie nach der Wodka-Flasche, die Pepe ihr hinhält.
[ 5]Sabrina ist schockiert von der groben Fröhlichkeit in der Gruppe. So etwas ist ihr fremd, so etwas hat sie noch nie erlebt. Je länger sie bleiben würde, desto schlimmer könnte es werden. Sie hat Angst. Leise und um Fassung bemüht sagt sie »Ich hau' jetzt ab. Tschüs!«
[ 5]»Tschüs und gute Reise!«, grölen einige ihr hinterher und lachen, als sie den Strand hinunter zum Wasser läuft. Sie erwartet, dass Frank hinterherkommt, aber das tut er nicht. So ein Drückeberger! Sie sitzt eine Weile leise weinend am Strand im Sand und hört hinter sich das ausgelassene Grölen der Gruppe. Sie haben jetzt wieder ›Eye of the Tiger‹ laufen und singen fröhlich mit. Sabrina fühlt sich noch einsamer als sonst.
[ 5]Als ihr klar ist, dass niemand sie aus ihrem Schmollwinkel holen wird, überlegt sie, was Sandra tun würde: Sie könnte mit dem Zug nach Hause fahren, aber ob es hier einen Bahnhof gibt? Ihre Tasche ist noch im VW-Bus, aber ihr Geld hat sie in der Jackentasche, glücklicherweise. Langsam, zögerlich und in einem großen Bogen um die Strandkorb-Burg geht sie hinauf zur Straße.
[ 5]Vor dem Campingplatz ist eine Frau damit beschäftigt, einen großen Bollerwagen, in dem neben allerlei Strand-Utensilien auch ein kleines quengelndes Kind verstaut ist, zur Einfahrt zu zerren. Zwei weitere Kinder außerhalb des Gefährts nörgeln ebenfalls herum und ein Hund knurrt Sabrina misstrauisch an. Sie will schon ausweichen, da kommt ihr der Gedanke, dass die Frau ihr vielleicht weiterhelfen kann und sie nimmt allen Mut zusammen: »Entschuldigung, ich hätte da mal eine Frage …«, beginnt sie vorsichtig.
[ 5]Die Frau hält inne, zerrt den Hund zurück und sieht sie ungläubig an: »Was?«
[ 5]Am liebsten wäre sie davongelaufen, aber tapfer fragt Sabrina nach dem Bahnhof.
[ 5]Nachdem sie Hund und Kinder in den Griff bekommen hat ist die Frau nun gesprächiger: »Es gibt hier keinen Bahnhof, nur eine Bushaltestelle, da drüben beim Strand. Sie können sie von hier aus sehen. Der Bus fährt zum Bahnhof Varel, ich bin aber noch nie damit gefahren, weiß nicht, wann der kommt.«
[ 5]Erleichtert bedankt sich Sabrina. Aber an der Haltestelle erwartet sie schon die nächste Enttäuschung: Der letzte Bus ist um halb sechs gefahren, der nächste fährt morgen um halb zehn. Ob in Varel noch ein Zug fährt, ist ungewiss. Auch weiß sie nicht, wie weit es bis Varel ist. Sie traut sich nicht, jemanden zu fragen, hat Angst, dass der sie dann festhält. Sie sieht sicherlich nicht älter aus als sie ist und sollte hier nicht allein unterwegs sein. – Niedergeschlagen macht sie sich zu Fuß auf den Weg. Sie geht in die Richtung, in die der Bus gefahren wäre, die Hauptstraße entlang, weg vom Strand. Irgendwann würde sie sicherlich in Varel ankommen, garantiert vor morgen um halb zehn. Sie hofft, nicht aufzufallen, läuft und läuft und läuft. Es dämmert, wird dunkel und für einen kurzen Moment kommt ihr der Sonnenuntergang wieder in den Sinn. Aber sie läuft weiter: Hier ist ohnehin nichts davon zu sehen: Häuser, Bäume, endlose Landstraße. Gelegentlich gibt es ein Schild, das Varel ankündigt. Die Zahl der Kilometer bis dorthin wird unmerklich kleiner. Autos fahren an ihr vorbei. Ihre Mutter hat ihr schlimme Dinge erzählt über böse Männer, die Anhalterinnen mitnehmen, also versucht sie, so auszusehen, als hätte sie alles im Griff.
[ 5]Nach endlosem Marsch überquert sie Bahnschienen und dann ist es nicht mehr schwierig, den Bahnhof zu finden: Man kann zwar nicht an den Schienen entlanggehen, weil es dort keinen Weg gibt, aber sie nimmt die Straßen, die sie am wenigsten von den Schienen wegführen. Da ist sogar ein Hinweisschild, jetzt, wo sie es nicht mehr braucht.
 

xavia

Mitglied
Hallo Frank,

auch hier bin ich weitgehend deinen Vorschlägen gefolgt. »Das Flasch Flens« kann sich in einer Clique allerdings so eingebürgert haben: Einer fängt damit an und dann sagen die das dann halt auch so. Das stärkt das Wir-Gefühl.

Bei »Tschüss« staune ich, dass es die Version mit dem »ß« nicht mehr gibt. Mit zwei »s« ist das ja ein kurzer Vokal. So sagt man das bei uns nicht, daher muss ich es mit einem »s« schreiben, damit es sich richtig anhört.

Ich kann gut verstehen, dass du Sabrinas Verhalten dem Alkohol zuschreiben möchtest. Das möchte sie nachträglich sicherlich auch gerne tun. Sie ist aber wirklich so naiv. Da sie bisher immer gehorcht hat und ein braves Mädchen war, wird sie sich in neuer Umgebung jemanden suchen, dem sie dann folgen kann, weil sie, wie du richtig erkannt hast, wenig Selbstbewusstsein hat. Leider versagt der Frank aus meiner Geschichte mit der Aufgabe, ihr den Rücken zu stärken. Er ist selbst ein wenig unsicher unter den neuen Freunden und will sich anpassen.

Unfassbar, dass das von Dangast bis Varel nicht weiter ist! Ich bin den Weg gelaufen, dachte, das hätte Stunden gedauert. Hätte ich eine Landkarte befragt, hätte ich es besser gewusst.

Dankend und grüßend
Xavia.
 



 
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