xavia
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5. Mütter
Petra mag ihren Namen nicht. Er bedeutet ›Fels‹ und sie wollte nie ein Fels sein. Sie will leicht sein und weiblich. Eine Frau sollte keinen Namen haben, der sie so stabil macht. Petra hat keine Gewichtsprobleme, das nicht. Aber sie würde lieber Jennifer heißen oder Jessika, oder wenigstens Celine.
[ 5]Sie lebt in einem behüteten Elternhaus, wie man so schön sagt, um Reglementierungen und Bevormundung zu beschönigen. Beide Elternteile sind extrem besorgt um ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit: Sie darf nie länger wegbleiben als bis 22 Uhr, wenn überhaupt. Wenn es einmal drei Minuten später wird, sind bereits beide unterwegs um sie zu suchen und sobald sie sie gefunden haben machen sie ihr schlimme Vorwürfe. – Ob die wohl nie jung gewesen sind, nie ihren Spaß gehabt haben?
[ 5]Aber das ist noch nicht das Schlimmste: Sie hat zwei Mütter! Ein eifersüchtiger Vater könnte nicht lästiger sein als diese beiden Mütter: Sie darf ihre Haare nicht wachsen lassen. Sie darf keine schicken Klamotten anziehen. Sie bekommt nur 3 € Taschengeld im Monat. Die beiden sagen, sie würden doch für alles sorgen, was sie brauchte und wenn sie mal mit einer Freundin ins Kino gehen wollte, … – Freundin, ha! Wer will sich denn mit so einem Sonderling abgeben, für den auf den Elternsprechtagen immer zwei Mütter erscheinen, die bereitwillig Funktionen übernehmen, damit auch wirklich jeder mitbekommt, dass sie eine lesbische Beziehung pflegen?
[ 5]Über ihren Vater hat Petra bisher nichts herausfinden können. In ihrer Geburtsurkunde steht ›unbekannt‹ und ihre leibliche Mutter weigert sich, mehr dazu zu sagen. Ob ihre andere Mutter etwas weiß, ist unklar. Auf jeden Fall schweigt die ebenso verbissen wie die andere, weicht ihren Fragen aus, sagt nicht einmal, ob sie etwas weiß. Die beiden sind sich anscheinend einig, dass Männer keinerlei Erwähnung wert sind außer, dass Petra sich vor ihnen in Acht nehmen muss, weil sie hinterlistig sind.
[ 5]Zum Zwecke des ausdrücklichen In-Acht-Nehmens musste sie Jiu Jitsu lernen. Sie betreibt es mit nur mäßiger Begeisterung, hätte lieber Ballettstunden haben wollen, aber immerhin kommt sie beim Training unter Menschen, die sie nicht seltsam finden. Die Anzüge dort sehen alle gleich aus, das Ansehen richtet sich nach dem Ky? und Petra hat bereits den braunen Gürtel erworben, der den höchsten Schülergrad kennzeichnet. Dennoch sehnt sie den Tag herbei, an dem sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und eine richtige Frau werden kann, mit langen Haaren, Make-up, lackierten Fingernägeln und Stöckelschuhen. Ihre Zeit wird kommen, das weiß sie.
[ 5]Die Einzige, mit der sie manchmal reden kann und so etwas wie Nähe empfindet, ist Frauke, ein sanftes und übergewichtiges Mädchen. Frauke hat immer ein offenes Ohr für Probleme, versteht oder weiß zumindest den Eindruck zu erwecken. Im Grunde ist es unmöglich, Petras Situation zu verstehen, denn dafür müsste man Vergleichbares erlebt haben. Fraukes Mutter ist früh gestorben, ihr Vater ist Busfahrer. Zu sehr umsorgt zu sein ist wahrhaftig nie Fraukes Problem gewesen. Sie war schon früh ein ›Schlüsselkind‹ und hat oft eine sturmfreie Bude, im dritten Stock eines großen Mehrfamilienhauses. Wenn ihr Vater Nachtdienst hat, muss sie tagsüber sehr leise sein. Wenn er nicht da ist, kann sie tun und lassen was sie will, Hauptsache, es gibt etwas im Kühlschrank, das er nach Dienstschluss in die Mikrowelle schieben kann. Da Frauke selbst gern isst, fällt es ihr leicht, dafür zu sorgen.
[ 5]Ebenso wie Petra ist auch Frauke manchmal das Opfer von Spott in der Schule. Aber anders als Petra kann sich die gutmütige Frauke nicht dagegen wehren und so hat Petra schon manchmal eingegriffen, wenn es wieder einmal gegen Frauke ging. Sie selbst hat so viel Wut in ihrem Inneren gesammelt, dass sie manchmal platzen könnte und schreckt nicht davor zurück, handgreiflich zu werden. Mit den meisten Jungs und mit allen Mädchen kann sie es aufnehmen und die Anderen wissen das, haben Angst vor ihr. Sie würden es nicht wagen, in ihrem Beisein über ihre zwei Mütter zu spotten. Aber sie laden sie auch nicht zu ihren Partys ein, auf denen die Jungs mit Frauke ›rummachen‹, wenn der Abend fortgeschritten ist. Dieselben Jungs, die dann am nächsten Morgen in der Schule über sie lästern.
Petra mag ihren Namen nicht. Er bedeutet ›Fels‹ und sie wollte nie ein Fels sein. Sie will leicht sein und weiblich. Eine Frau sollte keinen Namen haben, der sie so stabil macht. Petra hat keine Gewichtsprobleme, das nicht. Aber sie würde lieber Jennifer heißen oder Jessika, oder wenigstens Celine.
[ 5]Sie lebt in einem behüteten Elternhaus, wie man so schön sagt, um Reglementierungen und Bevormundung zu beschönigen. Beide Elternteile sind extrem besorgt um ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit: Sie darf nie länger wegbleiben als bis 22 Uhr, wenn überhaupt. Wenn es einmal drei Minuten später wird, sind bereits beide unterwegs um sie zu suchen und sobald sie sie gefunden haben machen sie ihr schlimme Vorwürfe. – Ob die wohl nie jung gewesen sind, nie ihren Spaß gehabt haben?
[ 5]Aber das ist noch nicht das Schlimmste: Sie hat zwei Mütter! Ein eifersüchtiger Vater könnte nicht lästiger sein als diese beiden Mütter: Sie darf ihre Haare nicht wachsen lassen. Sie darf keine schicken Klamotten anziehen. Sie bekommt nur 3 € Taschengeld im Monat. Die beiden sagen, sie würden doch für alles sorgen, was sie brauchte und wenn sie mal mit einer Freundin ins Kino gehen wollte, … – Freundin, ha! Wer will sich denn mit so einem Sonderling abgeben, für den auf den Elternsprechtagen immer zwei Mütter erscheinen, die bereitwillig Funktionen übernehmen, damit auch wirklich jeder mitbekommt, dass sie eine lesbische Beziehung pflegen?
[ 5]Über ihren Vater hat Petra bisher nichts herausfinden können. In ihrer Geburtsurkunde steht ›unbekannt‹ und ihre leibliche Mutter weigert sich, mehr dazu zu sagen. Ob ihre andere Mutter etwas weiß, ist unklar. Auf jeden Fall schweigt die ebenso verbissen wie die andere, weicht ihren Fragen aus, sagt nicht einmal, ob sie etwas weiß. Die beiden sind sich anscheinend einig, dass Männer keinerlei Erwähnung wert sind außer, dass Petra sich vor ihnen in Acht nehmen muss, weil sie hinterlistig sind.
[ 5]Zum Zwecke des ausdrücklichen In-Acht-Nehmens musste sie Jiu Jitsu lernen. Sie betreibt es mit nur mäßiger Begeisterung, hätte lieber Ballettstunden haben wollen, aber immerhin kommt sie beim Training unter Menschen, die sie nicht seltsam finden. Die Anzüge dort sehen alle gleich aus, das Ansehen richtet sich nach dem Ky? und Petra hat bereits den braunen Gürtel erworben, der den höchsten Schülergrad kennzeichnet. Dennoch sehnt sie den Tag herbei, an dem sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und eine richtige Frau werden kann, mit langen Haaren, Make-up, lackierten Fingernägeln und Stöckelschuhen. Ihre Zeit wird kommen, das weiß sie.
[ 5]Die Einzige, mit der sie manchmal reden kann und so etwas wie Nähe empfindet, ist Frauke, ein sanftes und übergewichtiges Mädchen. Frauke hat immer ein offenes Ohr für Probleme, versteht oder weiß zumindest den Eindruck zu erwecken. Im Grunde ist es unmöglich, Petras Situation zu verstehen, denn dafür müsste man Vergleichbares erlebt haben. Fraukes Mutter ist früh gestorben, ihr Vater ist Busfahrer. Zu sehr umsorgt zu sein ist wahrhaftig nie Fraukes Problem gewesen. Sie war schon früh ein ›Schlüsselkind‹ und hat oft eine sturmfreie Bude, im dritten Stock eines großen Mehrfamilienhauses. Wenn ihr Vater Nachtdienst hat, muss sie tagsüber sehr leise sein. Wenn er nicht da ist, kann sie tun und lassen was sie will, Hauptsache, es gibt etwas im Kühlschrank, das er nach Dienstschluss in die Mikrowelle schieben kann. Da Frauke selbst gern isst, fällt es ihr leicht, dafür zu sorgen.
[ 5]Ebenso wie Petra ist auch Frauke manchmal das Opfer von Spott in der Schule. Aber anders als Petra kann sich die gutmütige Frauke nicht dagegen wehren und so hat Petra schon manchmal eingegriffen, wenn es wieder einmal gegen Frauke ging. Sie selbst hat so viel Wut in ihrem Inneren gesammelt, dass sie manchmal platzen könnte und schreckt nicht davor zurück, handgreiflich zu werden. Mit den meisten Jungs und mit allen Mädchen kann sie es aufnehmen und die Anderen wissen das, haben Angst vor ihr. Sie würden es nicht wagen, in ihrem Beisein über ihre zwei Mütter zu spotten. Aber sie laden sie auch nicht zu ihren Partys ein, auf denen die Jungs mit Frauke ›rummachen‹, wenn der Abend fortgeschritten ist. Dieselben Jungs, die dann am nächsten Morgen in der Schule über sie lästern.