19. Mai 2009

joeyyy

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Nachdem ich gestern abend in Frankfurt nochmal am Main langspazierte und heute morgen dann vom Rhein-Main-Flughafen abflog, bin ich schon mal gut in Anchorage gelandet. Fahrrad, Gepäck, Zelt, etc. – alles heile. Mein Mobiltelefon funktioniert nicht – trotz Triband. Egal – es dauert ja sowieso mindestens einen halben Tag, bis jemand bei mir wäre. Und außerdem habe ich noch einen weiteren unnützen Gegenstand, mit dem ich im Notfall nach den Bären werfen könnte.

Das was ich an Weite in der Landschaft aus dem Flieger raus gesehen habe, ist einfach gewaltig. Wir hatten Super-Wetter, konnten Gletscher sehen, im Meer und zwischen den Bergen. Das ist dann schon ein anderes Kaliber als in den Alpen. Schneebedeckte Tundra und Berge – soweit das Auge reicht.

Da wir über Whithorse in Kanada flogen, habe ich auch schon mal den Alaska-Highway von oben inspizieren können. Irgendwie ist da rechts und links noch ziemlich viel Schnee und ich weiß nicht, ob das in den nächsten Tagen wegtaut… Jedenfalls ist das hier nix mit 20 Grad und so. Aber trotz der Kälte kann ich es gut aushalten. Der Weg vom Flughafen zum Hostel, in dem ich heute noch übernachten werde, war angenehm – nur der Wind ist noch etwas kühl.

Der Hinflug war auch deshalb etwas ganz besonderes, da wir den Denali sehen konnten. Der zeigt sich nämlich normalerweise nur ganz selten. Das ist schon ein gewaltiger Brocken – und er steht fast allein in einer eher flachen Landschaft. Im Flieger saßen einige Leute, die ihn besteigen wollen. Das hebe ich mir aber noch etwas auf…

Die Leute hier in Anchorage sagen, dass ich am Wonderlake im Denali-Nationalpark auch jetzt schon ein richtig gutes Moskitonetz bräuchte – meins sei fast schon zu weitmaschig. Jedenfalls sei das „die Hölle“. Hmm – nun überlege ich mir natürlich, ob ich meine geplante Route nicht noch ändere. Zumal der Park erst am 6. Juni öffnet und da oben noch mehr Schnee liegt.

Na ja – mal sehen, ich entscheide mich morgen, wenn ich da oben bin. Auf jeden Fall fahre ich den Denali-Hwy – der soll zum Schönsten gehören, was Alaska zu bieten hat.

Irgendwie halten die mich für einen „Crazy German“, bei der Ankunft auf dem Flughafen haben sogar die sonst so grimmig schauenden Zollbeamten gelächelt. Einer von denen hat meine Reifen mit einer Desinfektionslösung gereinigt, da der Dreck aus Europa runter sollte – wegen irgendwelcher Infektionsgefahren. Bei uns in Europa sind die Straßen und Wege offensichtlich mit SARS-, Vogel- und Schweinegrippe-Erregern nur so geteert. Ich wundere mich immer wieder, wie ein Land, das das freieste der Erde sein will, einen solchen Verfolgungswahn entwickeln konnte und ihn offensichtlich hegt und pflegt. Trotzdem sind die Menschen hier sehr nett und aufgeschlossen.

Nun denn – morgen geht’s mit dem Rad los und dann melde ich mich erst in der nächsten Stadt wieder – keine Ahnung, welche das sein wird und wann ich da ankomme. Zumal „Stadt“ hier in Alaska auch jede Fünfhundert-Seelen-Gemeinde sein kann.

Also: Jetzt soll’s das erstmal sein. Ich gehe jetzt zum Wal-Mart und kaufe mir Trockenfutter, frisches Obst, Müsli und Schokolade für drei bis vier Tage. Die Leute hier im Hostel sagten, dass ich bis Whitehorse nicht mehr so eine große Auswahl haben werde – und das sind noch über 1.000 Kilometer.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo joeyyy,

ein paar Details möchte anmerken zu Deiner Reisebeschreibung dieser Gegend, die die meisten nur aus den Büchern von Jack London oder dem Fernsehen kennen.

Das Moskitonetz ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer solchen Unternehmung - zumal im Mai/Juni, da der Permafrostboden gerade erst weich wird -, wer ungeschützt außerhalb eines geschlossenen Fahrzeugs unterwegs ist, zeltet, etc. braucht teilweise sogar einen vernetzten Kopfschutz; eine Art Tropenhelm mit Gaze davor und Handschuhe. Die Blutsauger lassen sonst womöglich keinen Tropfen mehr in Dir.

Der "schönste" Highway ist der "Top of the World" nach Dawson City. (Vermutlich kommst Du später darauf zu sprechen.)

Die Erde an den Fahrradreifen darf logischerweise nicht "eingeführt" werden. Das steht in den Einreisebestimmungen, die Du im Flugzeug ausgehändigt bekommst und unterschrieben bei der Passkontrolle abgeben musst, sonst lassen sie Dich gar nicht erst einreisen. Daher wirkt es, verzeih mir den Ausdruck, etwas "dümmlich" diesen Umstand mit Sarkasmus zu belegen.

Ein Reisebericht wirkt dann besonders spannend auf mich, wenn über die Aufzählung von Ortsnamen und Allgemeinplätzen das besondere von Menschen, Situationen, Landschaften, das, was daran unverwechselbar ist aufgezeichnet wird. Der Gebrauch von wörtlicher Rede, Zitate von ungewöhnlichen Plakaten, Speisekarten meinetwegen, Verhaltensmaßregeln etc., gute Charakteristika von erlebten Personen, das Aufzählen ungewöhnlicher Pflanzen- und Tiernamen, Hintergrundgeschichten über Ortsnamen bereichern den Reisebericht ungemein.

So gibt es auf dem "Top of the World" einen Miniort namens "Chicken", weil seine Bewohner den Ausdruck "Ptarmigan" (Schneehuhn) nicht aussprechen konnten, so heißt es. Warum der noch winzigere Nachbarort "Lost Chicken" heißt, bleibt unserer blühenden Fantasie überlassen.

Ob ich den Bericht, der mich gerade deswegen interessiert, da ich selbst die Gegend verhältnismäßig gut kennengelernt habe, zu Ende lesen werde? Bin gespannt, ob Du es schaffst, ihn demsentsprechend zu gestalten!

Vielen Dank für den Leseeinstieg und viel Glück und Spaß beim Fortschreiben und Ausfeilen.

Grüße von Elke

P.S. Bitte für/gegen die Grizzlies keine Handys werfen, keine Glöckchen tragen, sondern bearbanger benutzen. Das sind Erschrecker in Kugelschreibergröße, die einen Knopf haben, der kracht wie ein Gewehr, wenn darauf gedrückt wird. In der Regel läuft der Bär dann weg.
 

joeyyy

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Hallo Elke,

vielen Dank für die Kritik!

1.) "Off Topic" - Zur Technik/Logik des Forums:

Ich bin ja recht neu hier und bin verwirrt, dass das Gesamt-Tagebuch, das ich als "Werk" einstellen möchte, in einzelnen Teilen zu sehen und zu kommentieren ist. Ich muss mir nun überlegen, ob ich die Tage nicht doch als Einzel-Texte einstelle. Dann muss ich mir eine neue Überschriften-Logik überlegen. Wie würdet Ihr das machen?

2.) Zur Kritik:

Ein Moskitonetz hatte ich dabei - das war eines der wichtigsten Utensilien meiner Reise. Vor allem die Blackflies fliegen gerne direkt in die schleimbehauteten Körperöffnungen am Kopf. Somit fuhr ich dann auch schon mal mit Sonnenhut und darübergeworfenem Moskitonetz - vor allem, wenn ich langsamer als 9 km/h wurde oder schieben musste.

Welcher Highway der "schönste" ist - darüber lässt sich wohl streiten. Mich haben Glenn und Cassiar beeindruckt. Glenn landschaftlich und Cassiar wegen seiner unmittelbaren Vermittlung von Natur.

Natürlich habe ich die Einreisebestimmungen gelesen und verstanden und die Ursache für die Reinigung meiner Reifen nachvollzogen. Dennoch wirkte dieses Procedere am Flughafen auf mich paranoid. Mein Verhältnis zu diesem Staat ist allerdings insgesamt eher gespalten.

Deine allgemeinen Anregungen für das Schreiben eines Reiseberichtes nehme ich gerne auf - in Ansätzen und in meinen Beschreibungen von Personen und Plätzen orientiere ich mich schon dahin. Aber das geht noch besser ;-)

Ich habe - wie noch zu lesen sein wird - den Bären Auge in Auge gegenübergestanden und würde nie auf die Idee gekommen sein, irgendwas nach denen zu werfen. Aber am Anfang meiner Reise waren meine Vorstellungen doch eher unbestimmt, vage.

Über die "richtige" Taktik im Verhalten gegenüber Bären habe ich mich mit vielen Menschen dort unterhalten. Andere Reisende, Jäger, Ranger, Fallensteller, etc. Meist war das das Thema Nummer eins dort. Und Aufklärungsbroschüren gibt es auch zuhauf. Ich habe mich entschieden, Schillers Glocke laut zu rezitieren, wenn ich auf Bären traf. Rückblickend mögen amerikanische Bären deutsche Literatur offensichtlich nicht. Zusätzlich klappte ich dann mein Messer auf. Kommt alles noch, wenn ich über meine Begegnungen mit Meister Petz berichte.

Gruß

Jörg.
 

ENachtigall

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Hallo Jörg,

Wochen später nun meine Antwort zu deiner Stellungnahme. Das ist mir ein bisschen peinlich, aber da muss ich jetzt durch.

Die Blackflies habe ich schon fast vergessen, aber jetzt, wo Du es schreibst... ja sie lassen sich durch nichts aufhalten, höchstens einen Taucheranzug, vielleicht. Eine fleischfressende Plage.
Die Bearbanger sollen auch nicht mehr uneingeschränkt tauglich sein, erfuhr ich unlängst; Meister Petz gewöhnt sich schnell an sämtliche neue "Scheuchen". Tatsächlich ist wohl der Verhaltenskodex des vorsichtigen Rückzugs bei konsequentem Blickkontakt und unter Zuhilfenahme einer beruhigend einwirkenden Stimme die ultimative Lösung, wenn nichts mehr geht; wenn gar nichts mehr geht: der Totstellreflex.

Eine alternative Darstellungsform im Tagebuch wäre ein fortlaufender Eintrag. Jeder neue Eintrag bekäme entweder einen Titel oder ein Datum, wobei ich persönlich den Titel bevorzuge, da er mehr verrät und entsprechend eher Neugier zu wecken versteht. Die Datierung hat so was eher Mathematisches und für den Leser ist es unerheblich, ob etwas ein oder zwei Tage früher oder später passiert ist. Man möchte sich eh "nur" vom Geschehen gefangen nehmen lassen.
Du postest zu diesem Zweck die einzelnen Einträge als "Antwort" unter dem "Konstruktive Vorschläge ..." - Modus. Kommentare können dann (egal ob sie Textkritik oder assoziative Leseeindrücke sind) unter "Antworten" / "Spontane Leseeindrücke ..." darunter-/dazwischengesetzt werden. So entsteht ein übersichtlicher und geordneter Tagebuchtext, der sehr lesefreundlich wirkt.
Ein derart fortlaufendes Tagebuch findest Du beispielsweise in den "Bruchstücken" von Otto Lenk; unserem Monumentalwerk im Tagebuch schlechthin. An den Aufrufzahlen kannst Du sehen, dass dieses Werk sehr gut angenommen wurde seitens der Leser, was allerdings auch an Ottos Fabulierkünsten und seiner Fantasie liegt. Zugegebenermaßen. Aber schreiben kannst Du ja auch nicht schlecht! Schau Dir das also in Ruhe an und entscheide nach Deinem Geschmack. Ich sehe, jon hat Deinen Text schon lektoriert; da bist Du in guten Händen.

Viel Glück und Spaß weiterhin für heute. Man liest sich, denke ich.

Grüße von Elke
 



 
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