1991

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Anonym

Gast
1991

als ich meine fassungslosigkeit entdeckte
brannten häuser
flogen steine
auf schutzsuchende menschen

als ich meinen zorn entdeckte
klatschten johlende massen
beifall
während sich feuer
in den augen
todesverängstigter spiegelte

als ich meine blinde wut entdeckte
dachte ich an maschinengewehre
den grölenden mob
einfach reinschießen
man würde
richtig treffen

als ich meinen hass entdeckte
erschrak ich mich
über mich selbst
und verlor
ein stück
von mir
 

Fleur de Sol

Mitglied
Hallo zur späten Stunde, mir gefällts.

Kleiner Vorschlag zum Grübeln:

als ich meinen hass entdeckte
erschrak ich mich
über mich selbst
[strike][red]und verlor
ein stück
von mir[/red][/strike]
... den Rest könnte sich die Leserschaft selbst bebildern.

Gute Nacht, Fleur
 

Anonym

Gast
Liebe Fleur,

über das Ende des Gedichtes grübele ich bereits seitdem ich es geschrieben habe. Auch Dein Vorschlag ist eine Option in meinen Überlegungen. Ich hebe mich für diese Version entschieden, da ich es als reizvoll empfinde, dem "Entdecken" von konkreten Gefühlen das "Verlieren" von einem nicht so leicht zu beschreibenden Gefühl gegenüberzustellen (durchaus auch - aber nicht nur - im Sinne von "da ist was kaputt gegangen"). Aber ich werde weiter grübeln, versprochen ;).

Danke für die Rückmeldung! Schön, dass Dir das Gedicht gefällt.

LG

A
 

Anonym

Gast
Hallo revilo,

interessant, was für Assoziationen dieses Gedicht auslösen kann. An die APO habe ich beim Schreiben nun überhaupt nicht gedacht. Schade, dass das Gedicht bei Dir nicht so gut ankommt.

Es grüßt

A.



Hallo Fleur,

ich grübel weiter ... :D.

Gruß

A.
 

mavys

Mitglied
Anonymous!

Ich finde es auch wiedersprüchlich, das das poetische ich etwas verloren haben soll.
Hass frisst nicht nur. Hass weckt auf, 'erschreckt', hält wachsam. All das kommt in diesem Gedicht als Bild durch. Etwas verlieren kann man nur wenn der Hass Taten hervorruft, die andere verletzen. Bringt er Gedichte hervor, so haben wir gewonnen.
Ich schließe mich Fleur an, bin für:
[strike]und verlor
ein stück
von mir[/strike]
Alles liebe mavys
 

rogathe

Mitglied
oder so:

als ich meinen hass entdeckte
erschrak ich [strike]mich[/strike]
über mein selbst
und versteckte es
 

Anonym

Gast
Vielen Dank mavys, vielen Dank rogathe,

für Eure Gedanken und Änderungsvorschläge.

Nun, dann sage ich doch etwas mehr zum Thema "verlieren", da es scheinbar nicht so rüber kommt, wie ich es wollte:

Das LyrI erlebt sich als Mensch, der auch hassen kann. Es entdeckt somit den Hass in sich, verliert aber dadurch gleichzeitig einen Teil des Bildes, dass es von sich selbst hatte: Das Bild von sich selbst als Mensch, dem Hass fremd ist. Es ist in gewisser Weiese auch soetwas wie der Verlust der eigenen Unschuld.

Soweit meine Gedanken, die hinter diesen Zeilen stecken. Möglicherweise wird nun deutlicher, warum ich mich von ihnen nicht trennen mag.

LG

A
 

ENachtigall

Mitglied
Das LyrI erlebt sich als Mensch, der auch hassen kann. Es entdeckt somit den Hass in sich, verliert aber dadurch gleichzeitig einen Teil des Bildes, dass es von sich selbst hatte: Das Bild von sich selbst als Mensch, dem Hass fremd ist. Es ist in gewisser Weiese auch soetwas wie der Verlust der eigenen Unschuld.
Hallo A.,

ja, das mit dem Verlust der "eigenen Unschuld", was das Hassgefühl angeht, hatte ich richtig so empfunden.

Mein Vorschlag bezüglich des Gedichtes wäre folgender:

die "meins" vor den jeweiligen Gefühlen fallen lassen, zu Gunsten von

als ich Zorn in mir entdeckte ..., etc.

und in der letzten Strophe ein Bild zum springenden Punkt:

und als ich Hass
in mir entdeckte
erschrak ich
von meinem Selbst
sprang wie ein Knopf
von einer Jacke
ein Stückchen
ab und verschwand
Dadurch gewinnt das Gedicht an der Kraft des Staunens und verliert von der vermeintlichen Protestler-Poesie, die hier in einem vorangegangenen Kommentar anders benannt angesprochen wurde.

Der Kern dieses "lyrischen Frühchens" ist ein guter und das Gedicht somit unbedingt erhaltenswert!

Lieben Gruß,

Elke
 

Anonym

Gast
Hallo Elke,

vielen Dank für Deine Anregung und die Auseinandersetzung mit diesem Gedicht. Ich habe in den letzten Wochen immer mal wieder Deinen Kom gelesen, nachgedacht - und bin immer noch zu keinem Ergebnis gekommen.

Es wird wohl noch etwas dauern, bis ich mir klar darüber geworden bin, ob und was ich von Deinen Ideen übernehmen werde. Dies als kleiner Zwischenbericht.

LG
A
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Anonymus,

ich kann mich meinen Vorrednern nicht anschließen.

Ich finde Deinen Text - perfekt. Inhaltlich, Wortwahl und auch optisch. In der Kette der Ereignisse steuert man auf diesen Verlust zu, als würde alles Überflüssige wegschmelzen.
Ich höre eine Fortsetzung von Brechts 'An die Nachgeborenen' ... auch der Hass auf das Unrecht verzerrt die Züge .. .oder so ähnlich. Die Felder der Empörung und des Hasses haben die gleiche Qualität wie bei Brecht. Es ist die Menschenfreundlichkeit, die auf dem Spiel steht und uns zwingt, uns vor uns selbst zu rechtfertigen. Und dafür muss man dieses Gesocks eigentlich noch mehr hassen. Aber man tut gut daran, es nicht zu tun und zu lernen, in diese Falle nicht zu tappen.

Liebe Grüße
Petra
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, A., für den Lagebericht.
Schön, dass Du mit meinen Gedanken was anfangen kannst; ganz gleich, ob Du auf sie zurückkommen magst oder nicht. Es gibt immer auch gewisse Widerstände, was das Aufgreifen der Ideen Anderer angeht - es darf die eigentliche Substanz nicht zu stark verwässern. Ich verstehe das sehr gut.

Lieben Gruß,

Elke
 

Anonym

Gast
So, da bin ich wieder ... :D

@ Petra
Zunächst an Dich, wenn auch verspätet, meinen herzlichen Dank für Deine Rückmeldung. Deine Worte gehen in die Richtung meiner Gedanken, die mich beim Schreiben leiteten.

@ Elke
Nach vielem Hin und Her habe ich mich dazu entschieden, die derzeitige Fassung so zu lassen.
Zum einen ist es "mein" Zorn ... etc. Mit "den Zorn in mir" würde eine Distanz von dem Gefühl entstehen, als ob es nicht zu mir gehört. Doch genau das ist der Punkt - auch diese, mir zutiefst unangenehmen und zuwiderlaufenden Gefühle gehören zu mir.
Durch Deinen Vorschlag für das Ende des Liedes ... nein, Gedichts ;) würde es viel zu verspielt werden. Das möchte ich nicht.
Also: Es bleibt, wie es ist. - Trotzdem danke ich Dir noch einmal für Deine Gedanken, die mich dazu angeregt haben, noch einmal über meinen Text nachzudenken.

Liebe Grüße an Euch beide und einen guten Rutsch in ein - hoffentlich - gutes 2013.

A.
 



 
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