Armand Corbeau beugte sich über die schwere Eisenpfanne und genoss das Aroma seines raffiniert gewürzten Saucenfonds aus Zwiebeln und Knoblauch und Kräutern. Als wollte er den würzigen Duft in seine Bestandteile zerlegen, kostete er einen Löffel seines strohblonden Meisterwerkes, schnalzte mit der Zunge, ließ sie mehrmals über den Gaumen gleiten, schmatzte dezent einige Male in kurzen Abständen und griff abermals in das Regal mit den Gewürzen. Seiner Mischung aus Zwiebeln, Knoblauch, orientalischer Würze und einem winzigen Schuss Tawny Port, um dem Knoblauch die Schärfe zu nehmen, fehlte der letzte Peak, befand er ganz dezent kopfschüttelnd. „Noch eine Prise frisch geriebenen Korianders en plus, dann passt alles“, zwitscherte er und schmeckte erneut ab. „Voilaah“, kam es ihm erleichtert über die Lippen. „Das ist exactement die richtige Ergänzung zur Marinade des Fleisches!“ Aber noch fehlte eine Messerspitze Pfeffer. Er entschied sich nicht für irgendeinen, sondern für den Grünen Malabar mit dem zarten Zitronengeschmack. Stolz rührte er ihn ein, fügte noch eine Prise frischen Ingwers hinzu, stellte die Pfanne zur Seite und widmete sich dem eingelegten Fleisch. Bevor er es in die heiße Pfanne legte, vergewisserte er sich noch einmal, dass der Marinade, die er später der Sauce hinzufügen wollte, nichts fehlte. Dann strich er sie vom Fleisch. Kurz anbraten, um die Poren zu schließen und dann foliert ab in den Herd und in aller Ruhe garen lassen …
Armand war Perfektionist mit den höchsten Ansprüchen, die ein Spitzenkoch haben kann. Am Herd zu stehen, war seine Welt, er liebte es, innovativ zu sein und Bestehendes zur Perfektion zu verfeinern. Die Ergebnisse seiner Expertise brachten ihm internationale Anerkennung und schließlich Sterne ein. Kein Wunder, dass es ihn herausforderte, es mit den besten Köchen der Welt aufzunehmen. Ihm war bewusst, welches Ansehen ihm vor allem in der heimischen Bevölkerung zuteil wurde, und er genoss es. Wann immer man zu ihm aufsah, er lebte sichtbar jede Sekunde der Bewunderung aus. Armand war Narziss mit dem Kochlöffel in der Hand. Punkt.
Beruhigt schaute er auf die Uhr. In einer halben Stunde würde er Gäste bekommen: Henry Velten, seinen Verleger, Jens Kulmann, den Lektor seiner Kochbücher, jeweils mit Ehegattin, und Leister Carlson, ein Amerikaner, der für die englischsprachige Ausgabe zuständig war.
*
Der Abend begann wie erwartet. Sonja servierte den Aperitif und die Vorspeise, und schon begann die übliche Unterhaltung.
„Woher haben Sie denn diese junge hübsche Bedienung, Armand?“, fragte Velten nicht ohne Hintergedanken. „Arbeitet sie bei Ihnen?“
„Non, Monsieur Velten, sie bedient im Café Ludwig, wo ich meinen Morgenkaffee zu mir nehme. Haben Sie Interesse an Ihren Diensten? Ich könnte das für Sie arrangieren.“
„Nein, nein. Und wenn ja, dann komme ich auf Sie zurück. Kommen wir zur Sache: Wir haben uns für den zweiten Titelvorschlag für Ihr neues Buch entschieden: Die besten Gerichte der Welt – verfeinert von Armand Corbeau.“
„Das beruhigt mich sehr.“
„Und das Titelbild ist die Aufnahme, wo Sie diesen sehr hohen weißen Hut tragen. Was hat dieses Unding überhaupt zu bedeuten, außer dass es dafür sorgt, dass kein Haar in die Suppe fällt?“ Die beiden Frauen verbargen ein Grinsen hinter ihren Händen.
„Dass Sie das nicht wissen, M. Velten! Die Höhe des Hutes zeigt die Stellung des Kochs an. Sie haben bestimmt schon ein Foto von Paul Bocuse gesehen. Sie gilt nicht nur für die Hierarchie in der Küche, sondern wie in meinem Fall auch die internationale Einordnung.“
„Und wie hoch kann …“
„Ich habe die höchste Stufe erreicht. Bien sure!“
„Das war eine phantastische Vorspeise, M. Corbeau. Ich bin gespannt, womit Sie uns heute überraschen. Ist es ein Gericht aus Ihrem neuen Buch?“, fragte Kulmann, nur um am Gespräch teilzunehmen.
„Oui, es ist maurische Küche, ein uraltes Rezept, das im Languedoc sehr bekannt ist. Ich habe es optimiert.“
„Aha, ich bin gespannt.“
Die Zutaten sahen auf dem Teller tatsächlich wie ein Arrangement aus Künstlerhand aus, und alle am Tisch zeigten sich begeistert. Es hagelte von allen Seiten Komplimente, nur der Mann aus Texas hielt sich zurück. Nachdem er den zweiten Bissen des Entrecote heruntergeschluckt hatte, gab er Sonja ein Zeichen, an den Tisch zu kommen.
„Wäre es möglich, etwas Pfeffer und Salz zu bekommen?“, gab er sich betont höflich.
Da riss es Armand von seinem Stuhl. „Non! Non Monsieur! Faites pas ca!“, erboste er sich bereits im Aufstehen, und sein Kopf wurde innerhalb von Sekunden knallrot. „Das ist nicht möglich! Dieses Fleisch ist perfekt abgeschmeckt."
Carlson erstarrte. So etwas war ihm in seiner Heimat noch nie widerfahren, aber er behielt die Fassung.
Nach wenigen Sekunden betroffenen Schweigens wandte sich Armand erneut dem Amerikaner zu. „Entschuldigen Sie, M. Carlson, dass ich so ungehalten reagiert habe. Natürlich bekommen Sie Pfeffer und Salz zum Nachwürzen. Sie sind mein Gast.“
Während Carlson auf das Salz wartete, fuhren die anderen fort zu essen. Corbeaus Kopf verlor seine Röte, und er widmete sich ganz den löblichen Bemerkungen der anderen Gäste. Da klingelte es an der Tür.
„Sonja, gehen Sie öffnen, s´il vous plait.“
Während sie weiteraßen und mit einem Chateau Neuf anstießen, kam Sonja zurück.
„Es ist eine Dame, die Sie unbedingt sprechen möchte. Ich wollte sie auf morgen vertrösten, aber sie bestand darauf, eingelassen zu werden. Sie ist sehr … hmm resolut.“
Armand war ungehalten und schritt zur Tür. „Ja, Madame? Wer sind Sie und was wollen Sie?“
„Sag nur, du erkennst mich nicht?“, entgegnete die Frau.
„Nein, das tue ich nicht. Also: Wer sind Sie?“
“Du erkennst mich wirklich nicht wieder? Ich bin’s, Christa, deine Frau!“
„Mon dieu! Was soll das?“ Er schaute in ihr ungepflegtes Gesicht und konstatierte blitzschnell rote und zum Teil wunde Flecken, die viel zu stark überpudert waren, und ihre schlechten Zähne. Für ihn war klar, dass das Spuren von Alkohol und Drogen waren. Und der Lippenstift! Sein heller Ton vertrug sich überhaupt nicht mit dem Rot ihres abgetragenem Kostüms. Der anschließende Blick auf ihre Schuhe ließ ihn, den gestandenen Ästheten, endgültig erstarren. „In welchem Aufzug du mich aufsuchst!“ Seine Feststellung klang verächtlich.
„Ich erklär dir alles. Willst du mich nicht hereinbitten?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern drängte sich an ihm vorbei in den Flur. Plötzlich stand sie genau an der Stelle, wo man sie vom Esszimmer aus sehen konnte. Und plötzlich waren alle Augen auf den späten Gast gerichtet. Armand erkannte die Situation sofort und schob sie schnell weiter, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden.
Entschlossen schob er sie durch den Flur zum Bad. „Warte einen Moment hier“, knirschte er aufgeregt. „Ich bin in einer Minute wieder da.“ Dann bemühte er sich, die Fassung wieder zu erlangen, straffte sein Jackett und wandte sich seinen Gästen zu.
„Bitte lassen Sie sich nicht stören, mes amis. Ich bedaure diese interruption. Genießen Sie weiterhin das Entrecote mauresque, s‘ il vous plait. Die Dame war meine Putzfrau. Ich habe ihr gekündigt; sie hatte vorgestern ihren letzten Arbeitstag. Wenn ich von einer Perle spreche, ist das noch untertrieben. Leider überwindet sie ihre Trennung von ihrem Partner nicht. Ich fühle mich ihr verpflichtet. Bitte gestatten Sie mir, dass ich mich für ein paar Minuten zurückziehe, um ein Gespräch mit ihr zu führen.“
Erwartungsgemäß nickten alle zustimmend, und Armand eilte ins Bad. „Du bringst mich sehr in Verlegenheit, Christa, das sind Geschäftspartner, von denen ich abhängig bin. Was willst du eigentlich hier?
Vor zwanzig Jahren hast du mich von einem Tag auf den anderen verlassen und bist mit diesem Sonnyboy aus dem Fitnessstudio spurlos verschwunden. Ich habe mich nicht einmal scheiden lassen können.“
„Tut mir leid, damals! Ich suche dich seit zwei Jahren und habe dich nur gefunden, weil ich ein Bild in einem Magazin gesehen habe. Wie sollte ich dich auch schnell finden, wo du diesen schrecklichen Namen angenommen hast. Cor-be-au? Was hat das alles zu bedeuten? Warum hast du deinen richtigen Namen nicht beibehalten?“
„Das ist mein richtiger Name: Heinrich Rabe – Armand Corbeau! Christa, ich muss jetzt zurück zu meinen Gästen. Warum hast du mich eigentlich gesucht?“
„Ich will dich zurückhaben, Heiner – oder wenigstens etwas finanzielle Hilfe. Kannst du mir gleich etwas geben; ich bin ziemlich blank?“
„Non, nein. Ich habe nichts im Haus. Ich habe eine kleine Wohnung in der Innenstadt. Dort fährst du jetzt hin, und von mir aus kannst du die Hausbar leertrinken. Ich bezahle das Taxi, und morgen früh um neun komme ich zu dir. Dann können wir alles besprechen.“
Sie schaute ihn mit großen Augen an. „Du bist so abweisend! So kenne ich dich gar nicht!“
„Christa, es geht nicht anders. Und nun geh! Sonja wird dir ein Taxi bestellen und bezahlen.“
“Du kannst mich nicht einfach hinauswerfen.“
„Doch, kann ich. Oder soll ich die Polizei rufen?“
„Polizei!? Um Gottes Willen nein!“
Sie begab sich in den Flur und blieb einen Augenblick stehen, um den Gästen zuzunicken. An der Haustür wartete sie darauf, von Armand verabschiedet zu werden, aber der kam nicht mehr. Stattdessen stand plötzlich Sonja neben ihr und rief ein Taxi.
„… ja, für sofort … geht es nicht ein bisschen schneller? … nein, keine Fernfahrt … Innenstadt, Reuther Allee Nr. 12 … ja, wir warten vor der Tür.“
Sonja wandte sich an Christa. „Kommen Sie, wir sollen draußen warten.“ Sie schob sie durch die Haustür. Nach wenigen Minuten kam das Taxi.
Armand war derweil an den Tisch zurückgekehrt und nahm ein paar Bissen seines kalt gewordenen Essens. So sehr er sich auch bemühte, er konnte seine Erregung nicht verbergen. Seine Gäste waren neugierig zu erfahren, was wirklich hinter diesem sonderbaren Besuch steckte, aber natürlich waren sie höflich genug, nicht danach zu fragen. Da ihnen die Stimmung am Tisch irreparabel erschien, beeilten sie sich, die noch offenen geschäftlichen Fragen zügig abzuarbeiten.
*
Armand erkannte das Problem sofort: Entweder blieb sie in seiner Nähe und belastete ihn mit ihren täglichen Ansprüchen, oder sie kamen nicht zusammen, was bedeutete, dass er sie in irgendeiner Form finanziell unterstützen oder auszahlen müsste. Er war anfangs der Meinung, durch die 20jährige Trennung wären ihre Ansprüche erloschen, aber bald wurde ihm bewusst, dass sie eine Notlage geltend machen könnte. Damit wäre er, der Noch-Ehemann, unterstützungspflichtig. Jedes Gericht würde gegen ihn entscheiden. Die Vorstellung marterte ihn. Und so kam er auf schlimme Gedanken. Er entschloss sich, sie nicht erst am Morgen des kommenden Tages aufzusuchen, sondern sofort. Mir ist nur geholfen, wenn sie aus meinem Leben verschwindet, folgerte er, alles andere ist wie das Schwert des Damokles, und wenn es fällt, ist mein ganzes Leben nichts mehr wert.
Er zog das Stromkabel aus dem Toaster, rollte es zusammen und verstaute es in seinem Jackett. Dann fuhr er los, sein Werk zu vollbringen.
Er parkte in einer Nebenstraße und blieb noch ein paar Minuten sitzen, um seinen Plan noch einmal zu durchdenken. Dann brach er auf, betrat das Haus und blieb vor der Haustür stehen. Sein Gewissen begann, ihn zu beißen. Sollte wirklich aus ihm, dem Liebhaber guter Speisen, der sich nichts mehr wünschte, als den Menschen wenigstens für ein oder zwei Stunden eine Freude zu bereiten, sollte aus diesem Menschen wirklich ein Mörder werden? Und würde er es überhaupt fertigbringen, eine andere Person solange zu drosseln, bis sie sich nicht einmal mehr zuckte?
Er erkannte hundert Argumente, die dagegen sprachen, sie zu töten, aber nicht ein einziges, das ihm den Weg aus dieser Misere wies.
Er öffnete die Tür mit dem Zweitschlüssel, und als er sie hinter sich schließen wollte, stand Christa schon hinter ihm. „Lass uns jetzt reden“, herrschte er sie an.
„Wie du willst. Setzen wir uns in die Küche.“
„Warum nicht ins Wohnzimmer?
Sie antwortete nicht, sondern ging voran in die Küche und setzte sich an den Platz am Tisch, auf dem eine Flasche Wodka stand. Armand sah sie jetzt vor sich sitzen – die ideale Position, um das Kabel von hinten um ihren Hals zu legen. Er war selbst erschrocken, wie schnell sich die Gelegenheit ergeben hatte. Er griff in seine Jackentasche, umfasste das zusammengerollte Kabel und wollte es herausziehen, als er aus dem Wohnzimmer ein Geräusch wahrnahm, das sich anhörte, als würde jemand aufstehen und dabei den Sessel ein Stück zurückschieben. Sofort hielt er inne und beließ das Kabel in seiner Jacke. Christa schenkte sich in aller Ruhe einen doppelten Wodka ein.
In diesem Moment erschien Frau Velten in der Tür. „Armand?“, stammelte sie. „Ich wollte nicht stören; ich wusste nicht, dass Sie noch verabredet sind. Ich gehe gleich.“
„Non, non, madame, bleiben Sie ruhig! Was hat Sie denn hierher in meine Wohnung geführt?“
„Ach, ist mir das peinlich jetzt. Ich habe mich mit Christa unterhalten, ob sie nicht Lust hat, bei mir zu putzen, wo Sie ihr doch gekündigt haben. Wir suchen schon seit über einem Jahr! Es ist so schwierig, Personal zu bekommen, wissen Sie.“
„Bien sure, madam.“
Armand war Perfektionist mit den höchsten Ansprüchen, die ein Spitzenkoch haben kann. Am Herd zu stehen, war seine Welt, er liebte es, innovativ zu sein und Bestehendes zur Perfektion zu verfeinern. Die Ergebnisse seiner Expertise brachten ihm internationale Anerkennung und schließlich Sterne ein. Kein Wunder, dass es ihn herausforderte, es mit den besten Köchen der Welt aufzunehmen. Ihm war bewusst, welches Ansehen ihm vor allem in der heimischen Bevölkerung zuteil wurde, und er genoss es. Wann immer man zu ihm aufsah, er lebte sichtbar jede Sekunde der Bewunderung aus. Armand war Narziss mit dem Kochlöffel in der Hand. Punkt.
Beruhigt schaute er auf die Uhr. In einer halben Stunde würde er Gäste bekommen: Henry Velten, seinen Verleger, Jens Kulmann, den Lektor seiner Kochbücher, jeweils mit Ehegattin, und Leister Carlson, ein Amerikaner, der für die englischsprachige Ausgabe zuständig war.
*
Der Abend begann wie erwartet. Sonja servierte den Aperitif und die Vorspeise, und schon begann die übliche Unterhaltung.
„Woher haben Sie denn diese junge hübsche Bedienung, Armand?“, fragte Velten nicht ohne Hintergedanken. „Arbeitet sie bei Ihnen?“
„Non, Monsieur Velten, sie bedient im Café Ludwig, wo ich meinen Morgenkaffee zu mir nehme. Haben Sie Interesse an Ihren Diensten? Ich könnte das für Sie arrangieren.“
„Nein, nein. Und wenn ja, dann komme ich auf Sie zurück. Kommen wir zur Sache: Wir haben uns für den zweiten Titelvorschlag für Ihr neues Buch entschieden: Die besten Gerichte der Welt – verfeinert von Armand Corbeau.“
„Das beruhigt mich sehr.“
„Und das Titelbild ist die Aufnahme, wo Sie diesen sehr hohen weißen Hut tragen. Was hat dieses Unding überhaupt zu bedeuten, außer dass es dafür sorgt, dass kein Haar in die Suppe fällt?“ Die beiden Frauen verbargen ein Grinsen hinter ihren Händen.
„Dass Sie das nicht wissen, M. Velten! Die Höhe des Hutes zeigt die Stellung des Kochs an. Sie haben bestimmt schon ein Foto von Paul Bocuse gesehen. Sie gilt nicht nur für die Hierarchie in der Küche, sondern wie in meinem Fall auch die internationale Einordnung.“
„Und wie hoch kann …“
„Ich habe die höchste Stufe erreicht. Bien sure!“
„Das war eine phantastische Vorspeise, M. Corbeau. Ich bin gespannt, womit Sie uns heute überraschen. Ist es ein Gericht aus Ihrem neuen Buch?“, fragte Kulmann, nur um am Gespräch teilzunehmen.
„Oui, es ist maurische Küche, ein uraltes Rezept, das im Languedoc sehr bekannt ist. Ich habe es optimiert.“
„Aha, ich bin gespannt.“
Die Zutaten sahen auf dem Teller tatsächlich wie ein Arrangement aus Künstlerhand aus, und alle am Tisch zeigten sich begeistert. Es hagelte von allen Seiten Komplimente, nur der Mann aus Texas hielt sich zurück. Nachdem er den zweiten Bissen des Entrecote heruntergeschluckt hatte, gab er Sonja ein Zeichen, an den Tisch zu kommen.
„Wäre es möglich, etwas Pfeffer und Salz zu bekommen?“, gab er sich betont höflich.
Da riss es Armand von seinem Stuhl. „Non! Non Monsieur! Faites pas ca!“, erboste er sich bereits im Aufstehen, und sein Kopf wurde innerhalb von Sekunden knallrot. „Das ist nicht möglich! Dieses Fleisch ist perfekt abgeschmeckt."
Carlson erstarrte. So etwas war ihm in seiner Heimat noch nie widerfahren, aber er behielt die Fassung.
Nach wenigen Sekunden betroffenen Schweigens wandte sich Armand erneut dem Amerikaner zu. „Entschuldigen Sie, M. Carlson, dass ich so ungehalten reagiert habe. Natürlich bekommen Sie Pfeffer und Salz zum Nachwürzen. Sie sind mein Gast.“
Während Carlson auf das Salz wartete, fuhren die anderen fort zu essen. Corbeaus Kopf verlor seine Röte, und er widmete sich ganz den löblichen Bemerkungen der anderen Gäste. Da klingelte es an der Tür.
„Sonja, gehen Sie öffnen, s´il vous plait.“
Während sie weiteraßen und mit einem Chateau Neuf anstießen, kam Sonja zurück.
„Es ist eine Dame, die Sie unbedingt sprechen möchte. Ich wollte sie auf morgen vertrösten, aber sie bestand darauf, eingelassen zu werden. Sie ist sehr … hmm resolut.“
Armand war ungehalten und schritt zur Tür. „Ja, Madame? Wer sind Sie und was wollen Sie?“
„Sag nur, du erkennst mich nicht?“, entgegnete die Frau.
„Nein, das tue ich nicht. Also: Wer sind Sie?“
“Du erkennst mich wirklich nicht wieder? Ich bin’s, Christa, deine Frau!“
„Mon dieu! Was soll das?“ Er schaute in ihr ungepflegtes Gesicht und konstatierte blitzschnell rote und zum Teil wunde Flecken, die viel zu stark überpudert waren, und ihre schlechten Zähne. Für ihn war klar, dass das Spuren von Alkohol und Drogen waren. Und der Lippenstift! Sein heller Ton vertrug sich überhaupt nicht mit dem Rot ihres abgetragenem Kostüms. Der anschließende Blick auf ihre Schuhe ließ ihn, den gestandenen Ästheten, endgültig erstarren. „In welchem Aufzug du mich aufsuchst!“ Seine Feststellung klang verächtlich.
„Ich erklär dir alles. Willst du mich nicht hereinbitten?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern drängte sich an ihm vorbei in den Flur. Plötzlich stand sie genau an der Stelle, wo man sie vom Esszimmer aus sehen konnte. Und plötzlich waren alle Augen auf den späten Gast gerichtet. Armand erkannte die Situation sofort und schob sie schnell weiter, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden.
Entschlossen schob er sie durch den Flur zum Bad. „Warte einen Moment hier“, knirschte er aufgeregt. „Ich bin in einer Minute wieder da.“ Dann bemühte er sich, die Fassung wieder zu erlangen, straffte sein Jackett und wandte sich seinen Gästen zu.
„Bitte lassen Sie sich nicht stören, mes amis. Ich bedaure diese interruption. Genießen Sie weiterhin das Entrecote mauresque, s‘ il vous plait. Die Dame war meine Putzfrau. Ich habe ihr gekündigt; sie hatte vorgestern ihren letzten Arbeitstag. Wenn ich von einer Perle spreche, ist das noch untertrieben. Leider überwindet sie ihre Trennung von ihrem Partner nicht. Ich fühle mich ihr verpflichtet. Bitte gestatten Sie mir, dass ich mich für ein paar Minuten zurückziehe, um ein Gespräch mit ihr zu führen.“
Erwartungsgemäß nickten alle zustimmend, und Armand eilte ins Bad. „Du bringst mich sehr in Verlegenheit, Christa, das sind Geschäftspartner, von denen ich abhängig bin. Was willst du eigentlich hier?
Vor zwanzig Jahren hast du mich von einem Tag auf den anderen verlassen und bist mit diesem Sonnyboy aus dem Fitnessstudio spurlos verschwunden. Ich habe mich nicht einmal scheiden lassen können.“
„Tut mir leid, damals! Ich suche dich seit zwei Jahren und habe dich nur gefunden, weil ich ein Bild in einem Magazin gesehen habe. Wie sollte ich dich auch schnell finden, wo du diesen schrecklichen Namen angenommen hast. Cor-be-au? Was hat das alles zu bedeuten? Warum hast du deinen richtigen Namen nicht beibehalten?“
„Das ist mein richtiger Name: Heinrich Rabe – Armand Corbeau! Christa, ich muss jetzt zurück zu meinen Gästen. Warum hast du mich eigentlich gesucht?“
„Ich will dich zurückhaben, Heiner – oder wenigstens etwas finanzielle Hilfe. Kannst du mir gleich etwas geben; ich bin ziemlich blank?“
„Non, nein. Ich habe nichts im Haus. Ich habe eine kleine Wohnung in der Innenstadt. Dort fährst du jetzt hin, und von mir aus kannst du die Hausbar leertrinken. Ich bezahle das Taxi, und morgen früh um neun komme ich zu dir. Dann können wir alles besprechen.“
Sie schaute ihn mit großen Augen an. „Du bist so abweisend! So kenne ich dich gar nicht!“
„Christa, es geht nicht anders. Und nun geh! Sonja wird dir ein Taxi bestellen und bezahlen.“
“Du kannst mich nicht einfach hinauswerfen.“
„Doch, kann ich. Oder soll ich die Polizei rufen?“
„Polizei!? Um Gottes Willen nein!“
Sie begab sich in den Flur und blieb einen Augenblick stehen, um den Gästen zuzunicken. An der Haustür wartete sie darauf, von Armand verabschiedet zu werden, aber der kam nicht mehr. Stattdessen stand plötzlich Sonja neben ihr und rief ein Taxi.
„… ja, für sofort … geht es nicht ein bisschen schneller? … nein, keine Fernfahrt … Innenstadt, Reuther Allee Nr. 12 … ja, wir warten vor der Tür.“
Sonja wandte sich an Christa. „Kommen Sie, wir sollen draußen warten.“ Sie schob sie durch die Haustür. Nach wenigen Minuten kam das Taxi.
Armand war derweil an den Tisch zurückgekehrt und nahm ein paar Bissen seines kalt gewordenen Essens. So sehr er sich auch bemühte, er konnte seine Erregung nicht verbergen. Seine Gäste waren neugierig zu erfahren, was wirklich hinter diesem sonderbaren Besuch steckte, aber natürlich waren sie höflich genug, nicht danach zu fragen. Da ihnen die Stimmung am Tisch irreparabel erschien, beeilten sie sich, die noch offenen geschäftlichen Fragen zügig abzuarbeiten.
*
Armand erkannte das Problem sofort: Entweder blieb sie in seiner Nähe und belastete ihn mit ihren täglichen Ansprüchen, oder sie kamen nicht zusammen, was bedeutete, dass er sie in irgendeiner Form finanziell unterstützen oder auszahlen müsste. Er war anfangs der Meinung, durch die 20jährige Trennung wären ihre Ansprüche erloschen, aber bald wurde ihm bewusst, dass sie eine Notlage geltend machen könnte. Damit wäre er, der Noch-Ehemann, unterstützungspflichtig. Jedes Gericht würde gegen ihn entscheiden. Die Vorstellung marterte ihn. Und so kam er auf schlimme Gedanken. Er entschloss sich, sie nicht erst am Morgen des kommenden Tages aufzusuchen, sondern sofort. Mir ist nur geholfen, wenn sie aus meinem Leben verschwindet, folgerte er, alles andere ist wie das Schwert des Damokles, und wenn es fällt, ist mein ganzes Leben nichts mehr wert.
Er zog das Stromkabel aus dem Toaster, rollte es zusammen und verstaute es in seinem Jackett. Dann fuhr er los, sein Werk zu vollbringen.
Er parkte in einer Nebenstraße und blieb noch ein paar Minuten sitzen, um seinen Plan noch einmal zu durchdenken. Dann brach er auf, betrat das Haus und blieb vor der Haustür stehen. Sein Gewissen begann, ihn zu beißen. Sollte wirklich aus ihm, dem Liebhaber guter Speisen, der sich nichts mehr wünschte, als den Menschen wenigstens für ein oder zwei Stunden eine Freude zu bereiten, sollte aus diesem Menschen wirklich ein Mörder werden? Und würde er es überhaupt fertigbringen, eine andere Person solange zu drosseln, bis sie sich nicht einmal mehr zuckte?
Er erkannte hundert Argumente, die dagegen sprachen, sie zu töten, aber nicht ein einziges, das ihm den Weg aus dieser Misere wies.
Er öffnete die Tür mit dem Zweitschlüssel, und als er sie hinter sich schließen wollte, stand Christa schon hinter ihm. „Lass uns jetzt reden“, herrschte er sie an.
„Wie du willst. Setzen wir uns in die Küche.“
„Warum nicht ins Wohnzimmer?
Sie antwortete nicht, sondern ging voran in die Küche und setzte sich an den Platz am Tisch, auf dem eine Flasche Wodka stand. Armand sah sie jetzt vor sich sitzen – die ideale Position, um das Kabel von hinten um ihren Hals zu legen. Er war selbst erschrocken, wie schnell sich die Gelegenheit ergeben hatte. Er griff in seine Jackentasche, umfasste das zusammengerollte Kabel und wollte es herausziehen, als er aus dem Wohnzimmer ein Geräusch wahrnahm, das sich anhörte, als würde jemand aufstehen und dabei den Sessel ein Stück zurückschieben. Sofort hielt er inne und beließ das Kabel in seiner Jacke. Christa schenkte sich in aller Ruhe einen doppelten Wodka ein.
In diesem Moment erschien Frau Velten in der Tür. „Armand?“, stammelte sie. „Ich wollte nicht stören; ich wusste nicht, dass Sie noch verabredet sind. Ich gehe gleich.“
„Non, non, madame, bleiben Sie ruhig! Was hat Sie denn hierher in meine Wohnung geführt?“
„Ach, ist mir das peinlich jetzt. Ich habe mich mit Christa unterhalten, ob sie nicht Lust hat, bei mir zu putzen, wo Sie ihr doch gekündigt haben. Wir suchen schon seit über einem Jahr! Es ist so schwierig, Personal zu bekommen, wissen Sie.“
„Bien sure, madam.“