29. David und das Floß

molly

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Nele versteckte sich mit der Prinzessin hinter dem Haselnussstrauch oben bei der Bachtreppe. Florian hatte seinen Platz im Forsthausgarten. Er saß auf einem Baum, die Hosentaschen voller Kieselsteine und beobachtete die Straße auf der anderen Seite des Baches. Wenn er David erspähte, sollte er einen Stein ins Wasser werfen. Kam David aber nicht alleine, musste er sie mit zwei Steinen hintereinander warnen.

Am weitesten und genausten warf die Prinzessin, aber sie lehnte empört ab, als Michael sie bat, auf den Baum zu klettern. Nele hätte das nichts ausgemacht, sie jedoch traf selten ein Ziel und er fürchtete, ihre Steine könnten sie am Kopf treffen und kampfunfähig machen. Michael hatte sich mit Klaus hinter den dichten Weidebusch am Bach gesetzt. Still warteten sie in ihren Verstecken auf Florians Stein, auf das Zeichen.

Das Floß lag ruhig bei der Treppe, die Rotkäppchenfahne wehte leicht im Wind. Da, endlich! Ein Stein klatschte ins Wasser und gleich darauf sahen sie David. Er stand auf der anderen Bachseite, betrachtete das Floß und blickte sich forschend um. Er sah die Kinder von der anderen Seite nicht, dennoch entfernte er sich schnell. Sie warteten, schwitzten, hatten Durst und warteten weiter. Jetzt plumpste wieder ein Stein ins Wasser, David kam zurück. Wie gut, dass sie ihr Versteck noch nicht verlassen hatten. Er trat näher an den Bach, betrachtete das Floß, sah sich noch einmal um und entfernte sich wieder.

David war neugierig. Würde er wiederkommen und das Floß genau ansehen? Sie mussten noch ein wenig geduldig sein.
Florian warf den dritten Stein ins Wasser und gleich darauf stand David mit Gummistiefel an den Füßen am Bach. Er stieg ins Wasser und stapfte auf das Floß zu.
Michael zog sein Taschentuch aus der Hosentasche und winkte damit der Prinzessin. Sie nahm ihr Taschentuch und gab Florian ein Zeichen. Er winkte zurück und der Kampf konnte beginnen.
David stand beim Floß. Klaus und Michael stürzten auf ihn los. Er war so sicher gewesen, keinen anzutreffen und schrie erschrocken auf. David floh die Treppe zu ihrem Garten hinauf, aber Nele und die Prinzessin traten ihm entgegen. Als letzter Fluchtweg blieb ihm nur noch der Forsthausgarten. Er sprang mit einem Schritt auf den Zaun zu und prallte beinahe mit Florian zusammen, der flink vom Baum geklettert war. Sie hatten David umstellt, er war in ihrer Falle.

Die Prinzessin sagte: "Du wirst uns nie mehr ungestraft plagen, wir sind auch stark. Los, Klaus, fang an!“ Klaus zwickte David in den Arm, Florian boxte ihm kräftig auf die Schulter, Nele zog ihn an den Haaren und die Prinzessin knallte ihm eine. Wie das klatschte, alle fünf Finger der Prinzessin sah man auf Davids Wange. Dann stieß sie Michael an. „Jetzt bist du dran, mach schon".
David stand still in ihrer Mitte und wehrte sich nicht. Er blickte Michael fassungslos an und achtete nicht darauf, was die Kinder taten. Immerzu starrte er ihn an, nur ihn und sein trauriger Blick schmerzte Michael. Er hatte sich vorgenommen, David anzuspucken, aber das konnte er nun nicht mehr. So spuckte er vor Davids Füße auf den Boden.
„Das reicht, Freunde“, sagte Michael.
„Verschwinde“, zischte die Prinzessin, und gab David einen kleinen Schubs. Sie stiegen die Treppe hinauf und beobachteten David, der durch den Bach auf die andere Seite lief.

Eigentlich hätte Michael jetzt glücklich sein müssen, denn sie hatten David besiegt. Doch er fühlte sich elend. David, sein erster Freund, war für ihn schon lange ein Fremder geworden. Aber als er vor ihm stand, die Hände in den Hosentaschen, mit traurigen Augen und halb offenem Mund, merkte Michael, wie vertraut er ihm noch immer war. Florian lenkte ihn von seinen Erinnerungen ab. Er fragte, ob sie Heiner auf der anderen Bachseite gesehen hätten. Sie schauten zurück.

Eben stieg David am anderen Ufer aus dem Wasser und Heiner eilte zu ihm. Doch David bewegte seine Hand, als wollte er eine Fliege verjagen. Heiner hatte alles gesehen und ihm nicht geholfen. Erst gestern hatte Heiner noch gesagt, David wäre sein allerbester Freund.
Michael mochte nicht mehr draußen spielen, verabschiedete sich hastig von seinen Freunden und ging ins Haus. Was wohl David tat?
Er ging zur Mutter in die Küche.
„Nun“, fragte sie, „hast du Kummer"? Michael erzählte ihr, was am Bach geschehen war und fragte sie, ob David sie nun in Ruhe ließ.
„Das weiß ich nicht, aber diesen Nachmittag wird er sicher nicht vergessen“, antwortete sie.
„Ich bin froh, dass die Geschichte erledigt ist, aber seine traurigen Augen kann ich nicht vergessen“, meinte er.
Die Mutter sagte: „Das sollst du auch nicht, wenn du dich wieder einmal ärgerst über ihn, dann denke an seine Augen. Vielleicht wirst du dann nicht so schnell zornig“.
„Nun können wir nie mehr Freunde werden", entgegnete Michael leise.
„Nein, jetzt nicht gleich, vielleicht später. Ihr könntet aber David helfen", sagte sie.
„Wir, David helfen? Das ist unmöglich!"

„Michael, überlege doch einmal, wenn du David wärst, was wäre für dich heute Nachmittag am schlimmsten gewesen?"
„Ich hätte Angst gehabt, aber das schlimmste wäre, wenn die Kinder mich auslachen und das Erlebnis weitertratschen würden. Alle im Dorf würden sich über mich lustig machen. Ich würde mich verstecken und nie wieder hervorkommen", antwortete Michael.

„Ich glaube, das wäre für jedes Kind das schlimmste. Ihr habt ihm am Bach gezeigt, dass er mit euch nicht mehr machen kann, war er will. Damit sollte die Sache beendet sein, das Dorf braucht davon nichts zu erfahren. Du weißt doch, wie hässlich manche Menschen über David reden. Wenn ihr da nicht mitmacht, helft ihr ihm sehr“, meinte die Mutter.
Michael lief zu seinen Freunden, die nun mit Sabinchen im Garten spielten.
„Fühlst dich wieder wohl", empfing ihn Florian.
„Vorher hast du ausgesehen, als hättest du am Bach die Prügel bekommen", sagte die Prinzessin.
„Wir sollten die ganze Geschichte vergessen", riet Michael, „sie ist erledigt und wir brauchen darüber auch nicht mehr zu sprechen".
„Warum denn nicht? Wir haben doch gesiegt", brummte Klaus,
„Wir haben abgemacht, dass wir David einen Denkzettel verpassen und den hat er nun.“ Zu Michaels Überraschung stimmte ihm die Prinzessin sofort zu. Sie meinte, so großartig wäre ihre Tat auch nicht gewesen, schließlich kämpften sie zu fünft und David stand allein.
„Ihr vergesst, dass Heiner zugeschaut hat und der hält sicher nicht den Mund", antwortete Klaus. Michael fragte Nele, was sie dazu zu sagen hätte.
„Wir heißen zum Glück nicht Heiner. Ich bin dafür, nicht mit anderen darüber zu reden, wenn uns David in Ruhe lässt. Wir wollen noch so viele schöne Abenteuer in unseren Ferien erleben".
„Welches Abenteuer zuerst“? fragte Florian
Michael sah seine Freunde an: „Wie wäre es mit einer Floßfahrt?“
„Wer sitzt auf dem Floß?“
„Meine alte Barbie“, schlug Nele vor.
„Jeder holt etwas von zu Hause, das mit auf die erste Floßfahrt darf“, sagte die Prinzessin.
Nele setzte ihre Barbi an den Mast, die Prinzessin ihren Barbi- Mann Ken daneben, Klaus stellte seinen Stoffhasen auf die andere Floßseite, Florian legte einen kleinen Gummihund daneben. Von Sabinchen hatte er ein gelbes Gummientchen mitgebracht. Die Prinzessin und Nele befestigten alle Floßgäste mit Garn am Mast. Michael jedoch band seinen kleinen Bären direkt unter der Fahne fest.
„Der sitzt auf dem Ausguck.“ Er seufzte leise und dachte an David. Von ihm hatte er vor langer Zeit diesen Bären geschenkt bekommen.
Mit Gummistiefel stiegen sie ins Wasser, schoben ihr Floß ein Stückweit Bach aufwärts und ließen es gemächlich wieder zum Ankerplatz bei der Treppe treiben.
An diesem Abend spielten sie draußen bis es dunkel war und niemand störte sie dabei.

Einige Tage später erfuhren die Freunde, dass David bei der Großmama in der Stadt sei. Jetzt, während der Ernte, hatte Davids Mutter keine Zeit sich um ihn zu kümmern und von der Stadt aus konnte er mit seiner Großmama besser den Vater im Krankenhaus besuchen. In der letzten Ferienwoche kamen David und sein Vater wieder nach Hause. Aber ohne Krücken konnte Herr Wagner noch immer nicht gehen, vielleicht würde sein Bein immer krank bleiben.

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Noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Wird David neue Freunde finden?
 



 
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