3 Durch die Sümpfe

Asgar

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Durch die Sümpfe​


Nebel, überall Nebel.
Lyranna konnte die Hand vor Augen nicht sehen, die kleine Laterne, die Skrigg mithilfe von Warpstein gebaut hatte, welchen die Skaven in Miragliano bei sich getragen hatten, konnte dem keine Abhilfe schaffen. Sie verbreitete nur ein dunstiges grünliches Leuchten, welches kaum einen Bereich von einem Meter um die Lampe herum erleuchten konnte. Sie hatten zwar auch Fackeln bei sich, doch Skrigg hatte davon abgeraten, da sich in den Sümpfen gefährliche Gase bilden konnten. Lyranna bedauerte es, dass sie Bogars Vorschlag, bei Nacht zu reisen, angenommen hatte.
Die kleine Gondel schaukelte gemächlich über das widerliche, nach tot und Verwesung stinkende Wasser der Zombiesümpfe. Es war nicht ungefährlich, mit einer Gondel durch diese Gewässer zu fahren, da es viele kleine Inseln und seichte Stellen gab, sie hatten teilweise eine Stunde lang um eine Miniatur-Landzunge herumrudern müssen. Auf den Inseln wuchsen riesige Bäume, von deren durchgebogenen Ästen schleimige Lianen hingen.
Im Wasser, sofern die abartige Brühe diese Bezeichnung überhaupt verdiente, war hin und wieder eine verschwommene Bewegung zu erkennen und auch die im Wasser treibenden Objekte, die man im praktisch nicht vorhandenen Licht kaum ausmachen konnte, hatten verdächtige Ähnlichkeit mit Wasserleichen.
Niemand wusste wirklich, welche Monstrositäten in diesen Sümpfen leben mochten, es war nur sicher, dass es hier Untote gab, davon hatten die Sümpfe schließlich ihren Namen erhalten. Auch die Skaven würden sie wohl früher oder später hier antreffen, Skrigg hatte ihnen einmal erzählt, die Skaven würden in den Sümpfen Getreide ernten.
Wie dieses „Getreide“ aussehen mochte, wollte sich Lyranna lieber nicht vorstellen und sie hoffte inständig, dass ihre Vorräte ausreichend waren. Sollten sie sich in diesen Sümpfen verirren, würde Bogar wohl als erstes Skrigg über offener Flamme rösten. Bei lebendigem Leibe, versteht sich.
„Sind wir auf dem richtigen Kurs, Skrigg?“, fragte Bogar, der schnaufend das Boot mit einer großen Holzstange vorwärts schob. Lyranna hatte ihm bereits angeboten, für eine Weile zu übernehmen, doch er hatte einfach schweigend den Kopf geschüttelt. Nun, wenn er nicht wollte, würde sie in sicher nicht daran hindern.
Skrigg, der die ganze Zeit über den Bug nach vorne starrte, als könne er mit seinen Rattenaugen die wogende Dunkelheit durchdringen, sah auf einen kleinen Kompass und antwortete:
„Ja - ja, meisterlicher Herr! Wir müssen uns beeilen! Skaven uns sonst sehen - sehen!“
Bogar seufzte nur und legte noch einen Zahn zu, sodass das kleine Boot schaukelnd schneller wurde.
Balthasar saß die ganze zeit nur teilnahmslos ganz hinten im Boot, Lyranna fragte sich manchmal wirklich, über was der Junge die ganze Zeit nachdachte. Er blickte einfach nur ins leere Dunkel der Sümpfe und Pfiff eine leise Melodie vor sich hin.
Nach einiger Zeit gelangten sie schließlich an eine größere Landfläche, die das weiterfahren in Richtung Westen unmöglich machte. Sie steuerten das Schaukelnde Boot nahe ans Ufer und gingen nach einander an Land. Der Boden war matschig und feucht, man konnte leicht in einer schlecht zu sehenden Schlammgrube versinken, wenn man nicht genau darauf achtete, wohin man trat. Immerhin konnte man sich an den graugrünen Sumpfgrasbüscheln orientieren, die überall auf dem morastigen Boden wucherten.
„Du sagtest, es gibt in den Sümpfen einen Zugang zu einem nicht mehr benutzten Tunnel, nicht war?“, fragte Bogar an Skrigg gewandt.
„Ja-ja, Herr! Alter Tunnel, alte Mine von Bartdingen! Keine Skaven dort, schon lange Zeit nicht mehr. Er führt nach Skavenblight, ja - ja! Dort können wir entlang gehen.“, antwortete der Rattenmensch eifrig. Mit ‚Bartdingen’ meinte er wohl die Zwerge. Die Skaven hatten die Angewohnheit, alle anderen Lebewesen als ‚Dinge’ zu bezeichnen.
„Also, brauchen wir das Boot noch, oder können wir den Eingang so erreichen?“
„Wir sind nah an Bergen, Land hier mehr als im tiefen Sumpf, ja - ja! Wir können laufen - laufen. Aber Vorsicht, Sumpf gefährlich, sehr gefährlich, ja - ja!“
„Das weiß ich auch selbst.
Aber keine Sorge, mit den Untoten sollten wir fertig werden.“, antwortete Bogar und klopfte auf einen kleinen Trankbeutel, den er am Gürtel befestigt trug.
Es war weit reichend bekannt, dass in den Zombiesümpfen Untote hausten, deshalb hatte Bogar, als sie an einem Kloster vorbeigekommen waren, einen guten Vorrat an Weihwasser gekauft. Dieses gesegnete Wasser würde die Untoten abhalten können.
So ließen sie die Gondel aus Miragliano zurück und gingen zu Fuß weiter. Solange sie sich daran hielten, nur auf die Grasbüschel zu treten, kamen sie recht schnell voran und wanderten zwei Stunden lang weiter, ohne einen Zwischenfall.
Lyranna war dieser Sumpf dennoch ganz und gar nicht geheuer. Sie fand es eher beunruhigend, dass sie in den Zombiesümpfen noch keinem einzigen Zombie über den Weg gelaufen waren. Sie lief verträumt im gleichen Rhythmus entlang, vor ihr Bogar, der sich mit seiner gewaltigen Gestalt einen Weg durch die dichter gewordene Vegetation bahnte und davor wiederum Skrigg, der Geschickt über den matschigen Boden huschte und dabei seine Warpsteinlaterne in der Klaue hielt.
Lyranna nahm plötzlich eine flüchtige Bewegung im Wasser neben sich wahr, auch Bogar drehte sich abrupt nach links und starrte misstrauisch auf die Dreckbrühe. Hier waren das Wasser und auch die Landgebiete von Warpstein regelrecht verseucht. Überall waren kleine Klumpen des grünlich leuchtenden Steines zu sehen. Lyranna hoffte, dass die mutagene Wirkung dieser verfluchten Substanz nur bei längerem Kontakt mit größeren Mengen eintrat.
„Wir bekommen Gesellschaft. Haltet euch bereit.“, sagte Balthasar plötzlich, der die ganze Zeit schweigend hinter Lyranna hergelaufen war. Er sprach niemals viel, doch wenn er etwas sagte, konnte man sich darauf verlassen, dass es wichtig war.
Lyranna konnte einen Schreckensschrei nicht unterdrücken, als plötzlich ein Krallenbewehrter Arm aus dem Wasser hervorbrach und sich eine abartige Gestalt aus den Tiefen hievte. Man konnte nur erahnen, dass diese Kreatur einst ein Mensch gewesen sein mochte. Der Leib war aufgedunsen und die dunkelgraue Haut faltig, die Arme waren unnatürlich lang und endeten in Scharfen Krallen. Das Wesen wankte vornüber gebeugt auf sie zu, in seinem Maul glitzerten spitze Zähne im fahlen Licht. Seine Augen wanderten stetig zwischen Lyranna, Bogar und Balthasar hin und her, während es vor Gier sabberte. In dem buckelgleichen Rücken war ein Faustgroßes Stück Warpstein eingewachsen, welches matt in einem unirdischen grünen Licht leuchtete und pulsierende Linien über den Körper der Kreatur jagte.
„In Sigmars Namen…. Was… WAS ist das??“, stammelte Lyranna schockiert, der Panik nahe und doch auf erschreckende Weise fasziniert, konnte sie den Blick nicht von dem Monstrum abwenden.
„Ein Ghul… Ein verfluchter Leichenfresser. Vermutlich neigen sie hier zu Mutationen, wegen der hohen Warpstein–Konzentration.“, antwortete Bogar, „Normalerweise plündern sie Friedhöfe oder ehemalige Schlachtfelder, um die Toten zu fressen. Solange kein Vampir sie kontrolliert, greifen sie eher selten an.“
In diesem Moment stieß der Ghul ein wütendes Knurren aus und sprang mit erstaunlicher Schnelligkeit auf Bogar zu. Er wirbelte herum und hob die Fäuste, doch plötzlich ertönte ein Ohrenbetäubender Knall und der Ghul wurde von einer grünen Explosion in der Luft zerrissen.
Die drei wurden durch die Druckwelle zu Boden geworfen. Bogar rappelte sofort auf und sah Skrigg, der mit einem seltsamen Metallgerät in der Klaue dastand und am ganzen Leib zitterte.
Balthasar und Lyranna hatten sich nun ebenfalls erhoben.
„Mhh, scheinbar hat er den Warpstein auf dem Rücken des Ghuls getroffen. Nicht übel, Kleiner.“, sagte Balthasar ohne eine Gefühlsregung erkennen zu lassen.
Bogar sah Skrigg nur mit einem fragenden Blick an.
„Eine Warpsteinpistole. Hab sie dem toten Warlock-Techniker aus der Stadt der schiefen Türme abgenommen. Ja - ja, und Warpstein, viel Warpstein. Warpstein gibt Macht, ja - ja“, erklärte er in seiner etwas dümmlich wirkenden Sprechweise. Sie alle hatten aber längst bemerkt, dass er wesentlich cleverer war, als er sie glauben machen wollte.
Ein leises Stöhnen waren zu hören, und auf einmal kamen immer mehr Ghule, und auch halb verfaulte Zombies, aus dem Wasser gewankt. Sie gaben grunzende und schmatzende Laute von sich, wie in Vorfreude über das bevorstehende Mahl. Auf einmal waren sie vollkommen von den Untoten eingekreist.
Bogar holte einige Fläschchen Weihwasser aus seiner Tasche und gab jedem eine davon. Sein eigenes schüttete er sorgsam über seine eisernen, mit Stacheln beschlagenen Panzerhandschuhe.
„Wir müssen durchbrechen. Skrigg, es ist nicht mehr weit, oder?“, fragte Bogar hektisch, während die Untoten ihren Kreis enger um sie zogen.
„Nein - nein, Herr. Nicht weit. Nur ein paar Minuten von hier!“
„Gut… treibt sie mit dem Weihwasser zurück. UND DANN LAUFT!“
Mit diesen Worten warf sich Bogar ins Getümmel, holte weit aus und schlug einen Untoten nach dem anderen mit seinen eisernen Fäusten nieder. Wo das durch Weihwasser gesegnete Metall das verfluchte Fleisch der Untoten traf, verbrannte es zu schwarzen Dampf und die Kreaturen der Nacht schrieen vor Qual auf, bevor sie einer nach dem anderen umkippten.
Als ein besonders großer Ghul aus dem Hinterhalt auf Bogar zu sprang, holte Lyranna blitzschnell einen ihrer seltenen Silberpfeile aus dem Köcher und schoss der Kreatur in den Kopf. Ein gequältes Röcheln entrang sich noch seiner Kehle, bevor das Wesen zusammenbrach. Balthasar und Skrigg öffneten ihre Flaschen und schüttenden das Weihwasser großflächig über die Untoten, sie wichen vor Schmerzen schreiend zurück, während die einige von den Zombies einfach zerfielen.
Die vier rannten durch die entstandene Bresche durch die Reihen der Kreaturen und sprinteten weiter. Die ersten Ausläufer des Gebirges waren bereits durch den Nebel und die lichter werdenden Sumpfbäume zu sehen. Schließlich erblickten sie sogar den Eingang der Höhle, da die Sonne schon recht hoch gestiegen war und den Sumpf in diesiges Licht tauchte.
Das durchdringende Keuchen der durch den Wald hetzenden Ghule hinter ihnen verriet Lyranna jedoch, dass sie längst noch nicht in Sicherheit waren.
„Dort vorne… nur noch ein kurzes Stück…“, rief Bogar schnaufend.
„HALT! PASST AUF!“, schrie Balthasar plötzlich, und aus einem matschigen Hügel vor ihnen brach ein gewaltiges Monstrum hervor. Das Biest war über 2 Meter hoch und besaß sowohl echsen- als auch krötenartige Züge. Dazu acht Beine, ähnlich denen eines Krokodils.
Das Wesen gab ein fürchterliches Brüllen von sich und zeigte dabei mehrere Reihen nadelspitzer Krokodilszähne. Es öffnete die kleinen roten Augen, in ihnen blitzte es kurz auf.
Balthasar warf sich auf die anderen und riss sie mit sich zur Seite, als ein rötlicher Lichtstrahl aus den Augen der Bestie fuhr und sowohl den Sumpfboden, als auch die gerade hinter ihnen nachkommenden Ghule, zu Stein erstarren lies.
Balthasar blickte fasziniert auf die gewaltige Kreatur, er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während er sich wieder hoch rappelte.
„Ein Basilisk. Ich wusste nicht, dass solche Kreaturen in diesen Sümpfen leben…“
Schlagartig wurde er jedoch wieder ernst.
„Lauft. Ich werde die Monster ablenken.“, sagte er mit eisernem Gesicht, während er seine Flöte hervorholte.
„WAS? Bist du wahnsinnig? Wir lassen dich nicht zurück! Nicht nach all dem, was wir zusammen durchgemacht haben!“, protestierte Lyranna.
„Ich habe mein Ziel hier erreicht, keine Sorge. Wir werden uns wieder sehen, als mach dir keine Sorgen. Geht!“
Mit diesen Worten nahm er die Querflöte an den Mund und begann eine komplizierte, wie auch faszinierende Melodie zu spielen.
Die Untoten und der Basilisk verstummten augenblicklich, langsam drehten sie sich zu Balthasar um und trotteten auf ihn zu. Er nickte seinen Freunden noch einmal zu, Bogar nickte zurück, nahm Lyranna am Arm und zerrte sie hinter sich her.
„Es ist zu spät. Lass ihn, ich bin sicher, er wird es schaffen.“, sagte er und auch Lyranna begann nun in Richtung Höhleneingang zu rennen. Tränen liefen ihr an der Wange hinab. Skrigg war wie immer schon voraus gerannt und wartete am Eingang in das Tiefenreich.
Als sie schließlich in den dunklen Tunnel hinab stiegen, hörten sie immer noch leise, aber durchdringend Balthasars Flötenspiel.
 



 
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