pol shebbel
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Oder: Chu Uîw (im ursprünglichen Sinn des Wortes).
Paril träumte, dass ihn jemand an der Schulter rüttelte. Dann machte es plötzlich paff! in seinem Kopf, und der Traum verschwand. Aber das Schulterrütteln blieb; und Paril merkte, dass er wach war.
Schlaftrunken hob er die Augendeckel. Es war Nacht, natürlich; doch es gab gespenstische Lichter, die von der runden Öffnung seiner Baumhöhle aus über ihn huschten. Er hörte die leise. gepresste Stimme seiner Mutter. "Paril! He, Paril! Du musst sofort aufstehen!" Paril drehte sich schwerfällig, bis er halb aufgerichtet war. "Was ist denn los..." murmelte er. "Sie sind da! Die aus Zin-Âching! Los, mach schon!"
Paril begriff nicht sofort - einen Augenblick starrte er fix ihr Gesicht an, wobei ihm eine Menge neuer Falten auffielen - doch der drängende Flüsterton sowie das unverminderte Rütteln an seiner Schulter machten ihm Beine. Hastig warf er sich ein paar Kleidungsstücke über und kroch nach draussen.
Der Himmel jenseits der Baumkronen war schwarz. Paril vermochte nicht zu sagen, ob es später Abend oder früher Morgen war. Trotzdem war es hell; ein rötlicher Schein kam von der Dorfmauer her. Parils Augen weiteten sich, als er verstand.
Feuer!
Im nächsten Moment wurde er beinahe umgerannt. Überall liefen die Dorfbewohner durcheinander. Geschrei ertönte, Flüche. " Nicht rumstehen!" schnauzte ein Wächter Paril an. "Wer kämpfen kann: auf die Kletteraffen los! Wer nicht kämpfen kann: aus dem Weg!" Zu welcher der beiden Kategorien er Paril zählte, sagte er nicht; dem Ton nach schien er aber die zweite zu meinen. Aber natürlich kam einfach aus dem Weg gehen für Paril nicht in Frage. Der heilige Wald brannte! Das musste jeden auf Trab bringen. Paril turnte hastig zum Geräteschuppen hinüber und ergriff eine Feuermatte. Sie war aus einer besonders zähen Schlingpflanze gemacht und eignete sich zum Ersticken von Flammen. Paril ergriff noch seine Armbrust und begann, in Richtung Dorfmauer zu eilen. Einen Sekundenbruchteil sah er das Gesicht seiner Mutter, das entsetzt schien; er kümmerte sich nicht, und im nächsten Augenblick war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Paril wurde ein Teil allgemeinen herumrennenden Aufregung. Das Licht war unheimlich. Die rote Farbe und die zuckenden Schatten verliehen der sonst so vertrauten Umgebung ein gespenstisches Eigenleben. Es war heiss; die Energie des Feuers war bis hier spürbar. "Mächtiger Ssu", flüsterte Paril tonlos Verse des Grünen Buches,
"Fürchterlich ist deines Feuers Gewalt,
Dir ist sie nichts als ein winziger Funken.
Sähe ein Mensch deine wahre Gestalt,
wäre er sofort zu Asche versunken..."
Die Hitze wurde unerträglich. Hohe Flammen schlugen aus den Trümmern der hölzernen Dorfmauer und leckten an den Bäumen, deren Blätter sich schon bei blosser Annäherung kräuselten und abfielen. Überall, auf dem Boden, in den Ästen der brennenden Bäume, auf noch intakten Teilen der Dorfmauer, hüpften, rannten, krochen, wälzten sich Gestalten herum, gingen mit allen möglichen Gegenständen aufeinander los. Paril drückte sich hustend gegen einen Baum, den linken Arm schützend vors Gesicht haltend. Die Feuermatte hätte er sich sparen können. Anscheinend dachte ausser ihm niemand an das Löschen des Feuers, und er allein konnte sowieso nichts ausrichten. Ein solches Feuer würde allerdings auch mit vereinten Kräften schwierig zu löschen sein. es war der Fall eingetreten, den man Chu Uîw nannte; der alleräusserste Katastrophenfall, in dem sich alle Werte umkehren - der einzige Fall, in dem es nicht nur erlaubt, sondern Pflicht war, Pyramidalbäume umzuschlagen, um ein weiteres Ausbreiten des Feuers zu verhindern.
Aber jetzt - was sollte er tun? Paril betrachtete zögernd seine Armbrust. Er wusste sie gut zu gebrauchen - Paril war ein leidenschaftlicher Jäger - aber noch nie hatte er sie gegen einen Menschen gerichtet... Und gegen wen sollte er sie überhaupt richten? Es war kaum festzustellen, wer Freund und wer Feind war...
Es brauchte sich nicht mehr zu entscheiden.
Urplötzlich liess ihn ein heftiger Stoss von hinten vornüberstürzen; sein Gesicht landete im groben Stoff der Feuermatte. Und noch ehe er richtig kapiert hatte, dass er von einem Baum aus angesprungen worden war, spürte er einen kräftigen Schlag auf den Kopf; und dann spürte er für eine Weile gar nichts mehr.
Chu Uîw war doch nicht eingetreten. Die Regenzeit lag noch nicht lange zurück, der Wald verfügte noch über ziemlich viel Feuchtigkeit; so war das Feuer schliesslich von selbst ausgegangen, ohne dass man hätte Bäume fällen müssen.
Paril Sherritex hatte ein vages Gefühl. Da es sehr unangenehm war, versuchte er es wieder verschwinden zu lassen. Aber nach kurzer Zeit meldete es sich wieder. Ein pulsierender Schmerz am Kopf. Kälte.
Paril Sherritex stöhnte. Er wusste gar nichts, ausser dass ihm hundeelend war. Er öffnete die Augen einen Spalt, sah Grau; er öffnete sie ganz, und alles fiel ihm wieder ein. Mit verzerrtem Gesicht begann er langsam, sich auf die Seite zu wälzen. Da bekam er plötzlich einen Tritt in die Rippen, dass er beinahe geschrien hätte. "Da ist noch einer!" sagte eine heisere Stimme mit starkem Akzent. "Los, aufstehn!" Erneut verspürte er einen Tritt.
Paril konnte es überhaupt nicht leiden, auf diese Weise gedrängt zu werden. Langsam stemmte er sich hoch, während sich in ihm der Ärger zusammenballte. "Und mach keine Mätzchen!" ertönte die Stimme. "Das Ding hier ist aus Eisen!"
Paril hob langsam den Kopf. Direkt vor seiner Nase schwebte die Spitze einer glitzernden Schwertklinge. Pfui, wie brutal. Angewidert verzog er das Gesicht. Die gedrungene Gestalt, der die Schwertspitze gehörte, achtete nicht darauf. "Haste nicht gehört? Aufstehn!" wiederholte die heisere Stimme, und die Schwertspitze vollführte eine kleine ruckartige Kreisbewegung.
Paril blieb nichts anderes übrig. Mit brummendem Kopf liess er sich die Hände fesseln und sich dann zum Dorfplatz treiben. Dort drängten sich schon ängstlich die anderen Dorfbewohner aneinander, bedroht von fremden Männern mit Schwertern und anderen Waffen. Andere Kerle, ebenfalls Fremde, liefen kreuz und quer; ständig schleppten sie Töpfe mit eingelegten Kafâm-Scheiben, Säcke mit Feigen und Handwurz, getrocknetes Fleisch und Weinschläuche an. Sie plünderten! Sie klauten einfach die mühsam erworbenen Lebensmittelvorräte des Dorfes...
Einer von den Fremden, ein junger Bursche mit rundem Gesicht, kam ihnen entgegen. "Na, noch einer? Oh, das ist aber ein seltenes Exemplar!" Er sah Paril ins Gesicht und grinste unverschämt. "Lang wie 'ne Latte, aber Baby-Gesicht. Na, tun wir ihn zu den Kleinen, was, Shnoiw?"
Paril blieb die Luft weg. So ein Schnösel, kaum älter als er selbst - und so eine Unverschämtheit! Aber er kam nicht zum antworten; der andere Bursche, der mit dem fremden Akzent, stiess ihn grob in die Seite und trieb ihn weiter. Paril sah jetzt, dass die Dorfleute in 2 Gruppen aufgeteilt waren; er selbst kam also zu den "Kleinen", das heisst den Kindern und Jugendlichen. - Grr! Dabei stand er kurz vor der Weihe, die ihn zum Workash Kal, zum Erwachsenen machen würde!
Die Dorfkinder warfen scheue Blicke umher und tuschelten miteinander; manche schienen mehr aufgeregt als ängstlich. Von Parils Freunden war nur Etuik da. "Was ist denn mit dir los?" fragte Paril bestürzt. Etuik sah übel zugerichtet aus; sein Haar war verklebt, in seinem Obergewand war ein Riss, und überall hatte er blutige Kratzer und Schrammen. Er zuckte die Schultern. "Was soll sein? Was tut der gläubige Fraschakal, wenn Ssai geschändet wird? Der eine kann es gut, der andere eben nicht..." Er starrte einen Moment düster vor sich hin. Dann sah er auf. "Wie findest du sie?" fragte er.
"Wen? Die Typen da?" Paril schnaubte verächtlich. "Protzen mit ihren Waffen aus diesem neuen Metall und halten sich für die Grössten..." "Es sind Tiere!!" ereiferte sich Etuik. "Weisst du, wie viele heilige Bäume sie umgebracht haben? Zwölf Stück! Zwölf! Und mehrere Dutzend leicht bis schwer verletzt. Früher gab das die Todesstrafe! Und die Galbladi von hier machen auch noch gemeinsame Sache mit ihnen! Vorhin habe ich den Bettler Firk gesehen, wie er eifrig mitplünderte. Ersäufen sollte man sie, allesamt!"
"Lieber nicht. Wäre schade ums Wasser", brummte Paril, während er die Plünderer beobachtete. Die meisten waren Männer verschiedenen Alters in zerlumpten Kleidern; sie sahen in der Tat aus wie Gal bladi Saia, was wörtlich "Menschen auf den Bäumen" bedeutet: Kreaturen, die mit den Affen zusammen in den Wipfeln hausten und im besseren Fall von wilden Pflanzen und Betteln, im schlechteren von Diebstahl und sonstigen krummen Touren ihr Leben fristeten. Einige aber passten nicht in dieses Bild: sie waren etwa in Parils Alter, mit Lederrüstungen bekleidet und trugen Waffen aus diesem neuen, hellglänzenden Metall. "Hier stimmt etwas nicht!" sagte Paril plötzlich halb zu sich selbst. "Die Rede war von ein paar Horden wildgewordener Galbladi. Aber diese Typen da mit den Eisenwaffen sind weder Galbladi noch wild - ganz planmässig und überlegt, findest du nicht? Sehen glatt aus wie Soldaten!"
Etuik zuckte abwesend mit den Schultern. Solche Fragen schienen ihn nicht sonderlich zu interessieren. Auch Paril fiel das Nachdenken schwer, zumal sein Kopf noch immer brummte. Er wagte nicht, seinen Schädel abzutasten, aber das musste eine hübsche Beule sein, die er da abgekriegt hatte...
Auf dem Platz begann sich das Bild zu ändern. Das Herumgelaufe hörte nach und nach auf, die Fremden begannen sich auf dem Platz zu versammeln; die meisten Plündergüter waren nicht mehr zu sehen. Das alles schien tatsächlich nach einer Art Plan abzulaufen. Paril hatte inzwischen die Anführer ausgemacht, die ständig irgendwo auf dem Platz anwesend waren und Anweisungen gaben. Es waren die zwei, deren unliebsame Bekanntschaft er vorhin gemacht hatte. Der eine, der Shnoiw oder so ähnlich gerufen wurde, war stämmig, eher klein und hatte ein schmales Gesicht; sein Akzent war eindeutig der breite Dialekt der Metallberge. Der andere war grösser, schlank und hatte ein rundes Vollmondgesicht, das fast ständig zu einem Grinsen verzogen war. Kinn und Wangen bedeckte ein dünner Bart; ein deutliches Zeichen, dass er aus dem Süden stammte. Wie kamen Leute aus dem Gebirge und dem Süden hierher? Na ja, in Zin-Âching Loemparl waren sicher viele Fremdlinge, die in der Metallgewinnung arbeiteten.
Plötzlich lief ein Raunen durch die Menge; zwei von den jungen Soldaten mit den Lederrüstungen führten den Meister auf den Platz. Er ging noch ein wenig krummer als sonst, und sein Gesicht wirkte noch ein wenig zerknitterter wegen der grimmigen Miene, die er machte. Die beiden Anführer der Galbladi standen lässig da und betrachteten ihn respektlos.
Inzwischen war es auf dem Platz fast still geworden. Der grössere der Anführer erhob jetzt seine Stimme. "Na, Meister? Jetzt bist du schockiert, was? Das hast du jetzt davon, dass du und deinesgleichen uns ständig beschimpft und verleumdet habt!"
Der Meister zog den Kopf zwischen die Schultern und schoss Blitze aus seinen Augen. "Verleumdung!" rief er spöttisch aus. "Jeder kann sehen, wie recht wir haben. Waldfrevler seid ihr, Ketzer! Pack! Ihr wisst sehr wohl, was euch nach so einer Tat erwartet. Ins Meer der Verdammnis werdet ihr fallen, allesamt!"
Das Mondgesicht schien unbeeindruckt. "Den Spruch kenn ich längst, Zittergreis. Aber ich nehm dir nichts übel; schliesslich ist es dein Beruf, grosse Sprüche zu klopfen. Wir wollen euch auch nicht länger belästigen. Doch hör mir noch einmal gut zu! Das war keine besonders gute Idee, einen Boten nach Asîmchômsaia um Hilfe zu schicken. Sollten von da irgendwelche Scheissfliegenköpfe hier aufkreuzen, wirst du in deinem eigenen Interesse dafür sorgen, dass sie uns nicht folgen. Sonst seid ihr nämlich eure Kinder los. Verstanden?"
Der Meister hob seine knochige Faust. "Ergebt euch, ihr Unglückseligen, bevor es zu spät ist!" rief er dramatisch. "Man wird euch besiegen, ihr habt keine Chance! Âssings Heere werden euch zu Staub zermalmen, denn die Götter sind ihnen gnädig!"
"Der andere grinste überlegen. "Die Götter sind auch dir gnädig, und trotzdem haben wir dich geschnappt. Scheinen nicht ganz so mächtig zu sein, deine Götter! Aber was solls - mit euereins zu diskutieren ist sowieso Zeitverschwendung. Schau nur zu, was wir jetzt machen! Die Sprache wirst du wohl verstehen..." Und er blickte in Parils Richtung und machte eine Handbewegung.
Als darauf die jungen Typen in Parils Nähe anfingen, ihn und die anderen Kinder mit Handzeichen und Rückenstössen in Bewegung zu setzen, und fast gleichzeitig die Dorfbewohner wie wild zu kreischen begannen, da begriff Paril plötzlich, was sie vorhatten. Sie wollten ihn und die Kinder verschleppen - als Geiseln! Na, eine besonders neue Idee war das nicht, aber eine ziemlich gemeine! Alle Eltern des Dorfes drangen schreiend und wild gestikulierend auf die Fremden ein, aber die Eisenwaffen liessen sie wieder zurückweichen. Unbeirrt pflügte sich die Schar der "Ketzer" durch die Menschenmasse, Richtung Dorfausgang.
Paril träumte, dass ihn jemand an der Schulter rüttelte. Dann machte es plötzlich paff! in seinem Kopf, und der Traum verschwand. Aber das Schulterrütteln blieb; und Paril merkte, dass er wach war.
Schlaftrunken hob er die Augendeckel. Es war Nacht, natürlich; doch es gab gespenstische Lichter, die von der runden Öffnung seiner Baumhöhle aus über ihn huschten. Er hörte die leise. gepresste Stimme seiner Mutter. "Paril! He, Paril! Du musst sofort aufstehen!" Paril drehte sich schwerfällig, bis er halb aufgerichtet war. "Was ist denn los..." murmelte er. "Sie sind da! Die aus Zin-Âching! Los, mach schon!"
Paril begriff nicht sofort - einen Augenblick starrte er fix ihr Gesicht an, wobei ihm eine Menge neuer Falten auffielen - doch der drängende Flüsterton sowie das unverminderte Rütteln an seiner Schulter machten ihm Beine. Hastig warf er sich ein paar Kleidungsstücke über und kroch nach draussen.
Der Himmel jenseits der Baumkronen war schwarz. Paril vermochte nicht zu sagen, ob es später Abend oder früher Morgen war. Trotzdem war es hell; ein rötlicher Schein kam von der Dorfmauer her. Parils Augen weiteten sich, als er verstand.
Feuer!
Im nächsten Moment wurde er beinahe umgerannt. Überall liefen die Dorfbewohner durcheinander. Geschrei ertönte, Flüche. " Nicht rumstehen!" schnauzte ein Wächter Paril an. "Wer kämpfen kann: auf die Kletteraffen los! Wer nicht kämpfen kann: aus dem Weg!" Zu welcher der beiden Kategorien er Paril zählte, sagte er nicht; dem Ton nach schien er aber die zweite zu meinen. Aber natürlich kam einfach aus dem Weg gehen für Paril nicht in Frage. Der heilige Wald brannte! Das musste jeden auf Trab bringen. Paril turnte hastig zum Geräteschuppen hinüber und ergriff eine Feuermatte. Sie war aus einer besonders zähen Schlingpflanze gemacht und eignete sich zum Ersticken von Flammen. Paril ergriff noch seine Armbrust und begann, in Richtung Dorfmauer zu eilen. Einen Sekundenbruchteil sah er das Gesicht seiner Mutter, das entsetzt schien; er kümmerte sich nicht, und im nächsten Augenblick war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Paril wurde ein Teil allgemeinen herumrennenden Aufregung. Das Licht war unheimlich. Die rote Farbe und die zuckenden Schatten verliehen der sonst so vertrauten Umgebung ein gespenstisches Eigenleben. Es war heiss; die Energie des Feuers war bis hier spürbar. "Mächtiger Ssu", flüsterte Paril tonlos Verse des Grünen Buches,
"Fürchterlich ist deines Feuers Gewalt,
Dir ist sie nichts als ein winziger Funken.
Sähe ein Mensch deine wahre Gestalt,
wäre er sofort zu Asche versunken..."
Die Hitze wurde unerträglich. Hohe Flammen schlugen aus den Trümmern der hölzernen Dorfmauer und leckten an den Bäumen, deren Blätter sich schon bei blosser Annäherung kräuselten und abfielen. Überall, auf dem Boden, in den Ästen der brennenden Bäume, auf noch intakten Teilen der Dorfmauer, hüpften, rannten, krochen, wälzten sich Gestalten herum, gingen mit allen möglichen Gegenständen aufeinander los. Paril drückte sich hustend gegen einen Baum, den linken Arm schützend vors Gesicht haltend. Die Feuermatte hätte er sich sparen können. Anscheinend dachte ausser ihm niemand an das Löschen des Feuers, und er allein konnte sowieso nichts ausrichten. Ein solches Feuer würde allerdings auch mit vereinten Kräften schwierig zu löschen sein. es war der Fall eingetreten, den man Chu Uîw nannte; der alleräusserste Katastrophenfall, in dem sich alle Werte umkehren - der einzige Fall, in dem es nicht nur erlaubt, sondern Pflicht war, Pyramidalbäume umzuschlagen, um ein weiteres Ausbreiten des Feuers zu verhindern.
Aber jetzt - was sollte er tun? Paril betrachtete zögernd seine Armbrust. Er wusste sie gut zu gebrauchen - Paril war ein leidenschaftlicher Jäger - aber noch nie hatte er sie gegen einen Menschen gerichtet... Und gegen wen sollte er sie überhaupt richten? Es war kaum festzustellen, wer Freund und wer Feind war...
Es brauchte sich nicht mehr zu entscheiden.
Urplötzlich liess ihn ein heftiger Stoss von hinten vornüberstürzen; sein Gesicht landete im groben Stoff der Feuermatte. Und noch ehe er richtig kapiert hatte, dass er von einem Baum aus angesprungen worden war, spürte er einen kräftigen Schlag auf den Kopf; und dann spürte er für eine Weile gar nichts mehr.
***
Der Morgen dämmerte herauf. Vom langsam hellerwerdenden Himmel drang fahles Licht mit ungewohnter Direktheit durch entlaubte Äste. Rauchschwaden zogen zwischen versengten Stämmen hindurch, über verkohlte Trümmer hinweg. Da und dort züngelten noch ein paar kleine Flämmchen, glühte Holzkohle.Chu Uîw war doch nicht eingetreten. Die Regenzeit lag noch nicht lange zurück, der Wald verfügte noch über ziemlich viel Feuchtigkeit; so war das Feuer schliesslich von selbst ausgegangen, ohne dass man hätte Bäume fällen müssen.
Paril Sherritex hatte ein vages Gefühl. Da es sehr unangenehm war, versuchte er es wieder verschwinden zu lassen. Aber nach kurzer Zeit meldete es sich wieder. Ein pulsierender Schmerz am Kopf. Kälte.
Paril Sherritex stöhnte. Er wusste gar nichts, ausser dass ihm hundeelend war. Er öffnete die Augen einen Spalt, sah Grau; er öffnete sie ganz, und alles fiel ihm wieder ein. Mit verzerrtem Gesicht begann er langsam, sich auf die Seite zu wälzen. Da bekam er plötzlich einen Tritt in die Rippen, dass er beinahe geschrien hätte. "Da ist noch einer!" sagte eine heisere Stimme mit starkem Akzent. "Los, aufstehn!" Erneut verspürte er einen Tritt.
Paril konnte es überhaupt nicht leiden, auf diese Weise gedrängt zu werden. Langsam stemmte er sich hoch, während sich in ihm der Ärger zusammenballte. "Und mach keine Mätzchen!" ertönte die Stimme. "Das Ding hier ist aus Eisen!"
Paril hob langsam den Kopf. Direkt vor seiner Nase schwebte die Spitze einer glitzernden Schwertklinge. Pfui, wie brutal. Angewidert verzog er das Gesicht. Die gedrungene Gestalt, der die Schwertspitze gehörte, achtete nicht darauf. "Haste nicht gehört? Aufstehn!" wiederholte die heisere Stimme, und die Schwertspitze vollführte eine kleine ruckartige Kreisbewegung.
Paril blieb nichts anderes übrig. Mit brummendem Kopf liess er sich die Hände fesseln und sich dann zum Dorfplatz treiben. Dort drängten sich schon ängstlich die anderen Dorfbewohner aneinander, bedroht von fremden Männern mit Schwertern und anderen Waffen. Andere Kerle, ebenfalls Fremde, liefen kreuz und quer; ständig schleppten sie Töpfe mit eingelegten Kafâm-Scheiben, Säcke mit Feigen und Handwurz, getrocknetes Fleisch und Weinschläuche an. Sie plünderten! Sie klauten einfach die mühsam erworbenen Lebensmittelvorräte des Dorfes...
Einer von den Fremden, ein junger Bursche mit rundem Gesicht, kam ihnen entgegen. "Na, noch einer? Oh, das ist aber ein seltenes Exemplar!" Er sah Paril ins Gesicht und grinste unverschämt. "Lang wie 'ne Latte, aber Baby-Gesicht. Na, tun wir ihn zu den Kleinen, was, Shnoiw?"
Paril blieb die Luft weg. So ein Schnösel, kaum älter als er selbst - und so eine Unverschämtheit! Aber er kam nicht zum antworten; der andere Bursche, der mit dem fremden Akzent, stiess ihn grob in die Seite und trieb ihn weiter. Paril sah jetzt, dass die Dorfleute in 2 Gruppen aufgeteilt waren; er selbst kam also zu den "Kleinen", das heisst den Kindern und Jugendlichen. - Grr! Dabei stand er kurz vor der Weihe, die ihn zum Workash Kal, zum Erwachsenen machen würde!
Die Dorfkinder warfen scheue Blicke umher und tuschelten miteinander; manche schienen mehr aufgeregt als ängstlich. Von Parils Freunden war nur Etuik da. "Was ist denn mit dir los?" fragte Paril bestürzt. Etuik sah übel zugerichtet aus; sein Haar war verklebt, in seinem Obergewand war ein Riss, und überall hatte er blutige Kratzer und Schrammen. Er zuckte die Schultern. "Was soll sein? Was tut der gläubige Fraschakal, wenn Ssai geschändet wird? Der eine kann es gut, der andere eben nicht..." Er starrte einen Moment düster vor sich hin. Dann sah er auf. "Wie findest du sie?" fragte er.
"Wen? Die Typen da?" Paril schnaubte verächtlich. "Protzen mit ihren Waffen aus diesem neuen Metall und halten sich für die Grössten..." "Es sind Tiere!!" ereiferte sich Etuik. "Weisst du, wie viele heilige Bäume sie umgebracht haben? Zwölf Stück! Zwölf! Und mehrere Dutzend leicht bis schwer verletzt. Früher gab das die Todesstrafe! Und die Galbladi von hier machen auch noch gemeinsame Sache mit ihnen! Vorhin habe ich den Bettler Firk gesehen, wie er eifrig mitplünderte. Ersäufen sollte man sie, allesamt!"
"Lieber nicht. Wäre schade ums Wasser", brummte Paril, während er die Plünderer beobachtete. Die meisten waren Männer verschiedenen Alters in zerlumpten Kleidern; sie sahen in der Tat aus wie Gal bladi Saia, was wörtlich "Menschen auf den Bäumen" bedeutet: Kreaturen, die mit den Affen zusammen in den Wipfeln hausten und im besseren Fall von wilden Pflanzen und Betteln, im schlechteren von Diebstahl und sonstigen krummen Touren ihr Leben fristeten. Einige aber passten nicht in dieses Bild: sie waren etwa in Parils Alter, mit Lederrüstungen bekleidet und trugen Waffen aus diesem neuen, hellglänzenden Metall. "Hier stimmt etwas nicht!" sagte Paril plötzlich halb zu sich selbst. "Die Rede war von ein paar Horden wildgewordener Galbladi. Aber diese Typen da mit den Eisenwaffen sind weder Galbladi noch wild - ganz planmässig und überlegt, findest du nicht? Sehen glatt aus wie Soldaten!"
Etuik zuckte abwesend mit den Schultern. Solche Fragen schienen ihn nicht sonderlich zu interessieren. Auch Paril fiel das Nachdenken schwer, zumal sein Kopf noch immer brummte. Er wagte nicht, seinen Schädel abzutasten, aber das musste eine hübsche Beule sein, die er da abgekriegt hatte...
Auf dem Platz begann sich das Bild zu ändern. Das Herumgelaufe hörte nach und nach auf, die Fremden begannen sich auf dem Platz zu versammeln; die meisten Plündergüter waren nicht mehr zu sehen. Das alles schien tatsächlich nach einer Art Plan abzulaufen. Paril hatte inzwischen die Anführer ausgemacht, die ständig irgendwo auf dem Platz anwesend waren und Anweisungen gaben. Es waren die zwei, deren unliebsame Bekanntschaft er vorhin gemacht hatte. Der eine, der Shnoiw oder so ähnlich gerufen wurde, war stämmig, eher klein und hatte ein schmales Gesicht; sein Akzent war eindeutig der breite Dialekt der Metallberge. Der andere war grösser, schlank und hatte ein rundes Vollmondgesicht, das fast ständig zu einem Grinsen verzogen war. Kinn und Wangen bedeckte ein dünner Bart; ein deutliches Zeichen, dass er aus dem Süden stammte. Wie kamen Leute aus dem Gebirge und dem Süden hierher? Na ja, in Zin-Âching Loemparl waren sicher viele Fremdlinge, die in der Metallgewinnung arbeiteten.
Plötzlich lief ein Raunen durch die Menge; zwei von den jungen Soldaten mit den Lederrüstungen führten den Meister auf den Platz. Er ging noch ein wenig krummer als sonst, und sein Gesicht wirkte noch ein wenig zerknitterter wegen der grimmigen Miene, die er machte. Die beiden Anführer der Galbladi standen lässig da und betrachteten ihn respektlos.
Inzwischen war es auf dem Platz fast still geworden. Der grössere der Anführer erhob jetzt seine Stimme. "Na, Meister? Jetzt bist du schockiert, was? Das hast du jetzt davon, dass du und deinesgleichen uns ständig beschimpft und verleumdet habt!"
Der Meister zog den Kopf zwischen die Schultern und schoss Blitze aus seinen Augen. "Verleumdung!" rief er spöttisch aus. "Jeder kann sehen, wie recht wir haben. Waldfrevler seid ihr, Ketzer! Pack! Ihr wisst sehr wohl, was euch nach so einer Tat erwartet. Ins Meer der Verdammnis werdet ihr fallen, allesamt!"
Das Mondgesicht schien unbeeindruckt. "Den Spruch kenn ich längst, Zittergreis. Aber ich nehm dir nichts übel; schliesslich ist es dein Beruf, grosse Sprüche zu klopfen. Wir wollen euch auch nicht länger belästigen. Doch hör mir noch einmal gut zu! Das war keine besonders gute Idee, einen Boten nach Asîmchômsaia um Hilfe zu schicken. Sollten von da irgendwelche Scheissfliegenköpfe hier aufkreuzen, wirst du in deinem eigenen Interesse dafür sorgen, dass sie uns nicht folgen. Sonst seid ihr nämlich eure Kinder los. Verstanden?"
Der Meister hob seine knochige Faust. "Ergebt euch, ihr Unglückseligen, bevor es zu spät ist!" rief er dramatisch. "Man wird euch besiegen, ihr habt keine Chance! Âssings Heere werden euch zu Staub zermalmen, denn die Götter sind ihnen gnädig!"
"Der andere grinste überlegen. "Die Götter sind auch dir gnädig, und trotzdem haben wir dich geschnappt. Scheinen nicht ganz so mächtig zu sein, deine Götter! Aber was solls - mit euereins zu diskutieren ist sowieso Zeitverschwendung. Schau nur zu, was wir jetzt machen! Die Sprache wirst du wohl verstehen..." Und er blickte in Parils Richtung und machte eine Handbewegung.
Als darauf die jungen Typen in Parils Nähe anfingen, ihn und die anderen Kinder mit Handzeichen und Rückenstössen in Bewegung zu setzen, und fast gleichzeitig die Dorfbewohner wie wild zu kreischen begannen, da begriff Paril plötzlich, was sie vorhatten. Sie wollten ihn und die Kinder verschleppen - als Geiseln! Na, eine besonders neue Idee war das nicht, aber eine ziemlich gemeine! Alle Eltern des Dorfes drangen schreiend und wild gestikulierend auf die Fremden ein, aber die Eisenwaffen liessen sie wieder zurückweichen. Unbeirrt pflügte sich die Schar der "Ketzer" durch die Menschenmasse, Richtung Dorfausgang.