Hezmana öffnete seine Schatulle und ihr entsprangen finstere Kreaturen des Bösen. Und so geschah es, dass die Vier Häuser von jenen Kreaturen verschlungen wurden. (Geschichte des großen Magierkrieges von Lerbon Varent)
Es war warm, warm und feucht – und es roch nach exotischen Blumen!
Wedekind schrak hoch und schaute sich um. Er war völlig desorientiert, erinnerte sich an den Duft nach Blumen aber sonst ...
Er lag im Gras auf einer Lichtung. Etwas stimmte nicht – nein, eine ganze Menge stimmte nicht, aber Wedekind wusste nicht recht, was es war. Sein Gehirn schien überfordert, so, als sei es zum Denken nicht geeignet. Wedekind schüttelte den Kopf, richtete sich auf und schüttelte nochmals den Kopf, als sei diese Vorgehensweise geeignet, die schwerfälligen Denkvorgänge zu beschleunigen.
„Nebel“, brummte er. „Wo ist der Nebel?“
Er schaute sich um. Es schien Frühling zu sein, denn überall blühten fremdartige Pflanzen. Wedekind kannte sich mit Pflanzen nicht aus, war aber überzeugt, dass er solche Blüten noch nie gesehen hatte.
„Frühling?“, noch einmal schüttelte er sich. Langsam, kriechend kam seine Erinnerung zurück. „Mein Auto!“ Er hatte in seinem Wagen gesessen. Bei der Erinnerung fröstelte er trotz der Hitze. Der Nebel, dieser lebendige Nebel! Das alles hier konnte nicht sein! Es war November und er hatte sich auf dem Heimweg im Nebel verfahren. Jetzt lag er in seinem Wagen, war übermüdet eingeschlafen und ... natürlich! Er träumte! Das musste es sein.
Wedekind lächelte beruhigt. Warum sollte er den Traum nicht genießen? Er machte Anstalten aufzustehen, aber ein Schmerz im Lendenwirbelbereich ließ ihn zurück sinken. Der harte Boden, auf dem er – wie lange wohl? – gelegen hatte, hatte seine Spuren hinterlassen! Rückenschmerzen in einem Traum? Das war neu!
Behutsam rappelte er sich auf. Sein Rücken schmerzte höllisch, aber die Bewegung schien ihm gut zu tun. Vorsichtig streckte er sich. Die Lichtung war – wie sollte es auch anders sein? – von Wald umgeben. Außer einigen Insekten bewegte sich nichts. Das war schon ein merkwürdiger Traum! Wedekind musste grinsen, überlegte sich seine nächsten Schritte.
„Ich sollte mir möglichst viel anschauen, bevor ich aufwache“, meinte er zu sich selbst und schaute sich um. „Welche Richtung nehme ich?“, fragte sich Wedekind und verscheuchte ein allzu neugieriges Insekt. „Ist ja eigentlich egal“, sagte er sich dann, schloss die Augen und drehte sich einige Male um die eigene Achse.
„Also dort entlang“, beschloss er, als der leichte Schwindel in seinem Kopf wieder schwand. Er ging zum Rand der Lichtung und suchte sich einen Weg zwischen den dicht an dicht stehenden Büschen und Bäumen.
Der Wald war nicht so dicht – dicht an dicht und doch nicht dicht? na ja, in einem Traum geht das wohl -, wie er befürchtet hatte und so kam er gut voran. Nach etwa fünfzehn Minuten wurde es vor ihm heller und kurze Zeit später stand er am Rand des Waldes und blickte über eine Wiese.
„Suchst du etwas Bestimmtes?“, krächzte es plötzlich von rechts.
Wedekind schrak zusammen und fuhr herum. Auf einem umgestürzten Baum saß eine uralte Frau in Kleidung von undefinierbarer Farbe. Ihr Gesicht schien nur aus Runzeln zu bestehen. Wedekind musterte sie mit offenem Mund.
„Mach die Klappe zu, Kleiner, bevor dir was rein fliegt“, krächzte die Alte und lachte meckernd. Wedekind errötete.
„Verzeihung, ich war nur erschrocken“, entschuldigte er sich. „Wer sind sie?“
„Ich bin Harbon, der Zauberer“, stellte sie sich vor.
„Der Zauberer?“ Wedekind schaute sie erstaunt an.
„Passt dir was nicht?“, keifte sie.
„Nein, nein“, beteuerte Wedekind rasch. „Ich meine nur ... na ja, sie sind eine Frau ...“
„Ach“, sie winkte wütend ab. „Das hab ich vergessen!“
Wedekind machte sich ein Bild vom Geisteszustand der Alten.
„Ja, ich vergesse das immer wieder“, wiederholte sie, stand mühsam auf und hielt sich mit einer Hand den offenbar schmerzenden Rücken. Mit der anderen stützte sie sich auf einen knorrigen Stock.
„Das war Trogat, dieser Schwachkopf!“ Sie gestikulierte wild und ließ einige derbe Flüche folgen. „Trogat ist mein Schüler“, erklärte sie dann. „Leider ist er ein Idiot! Bei seinen letzten Übungen hat er wieder einmal die falschen Zauber gewirkt und mich in dieses ... Wrack verwandelt.“ Harbon fluchte wieder lästerlich. „Jetzt muss ich noch drei Tage so herum laufen bis die Wirkung des Zaubers verfliegt. Wenn ich den Hohlkopf erwische, verwandele ich ihn in einen Tork!“
Wedekind schloss, dass ein Tork kein erstrebenswerter Daseinszustand war. Er grinste. Langsam begann ihm dieser Traum Spaß zu machen.
Harbon humpelte auf ihn zu und betrachtete ihn eingehend.
„Woher kommst du?“, erkundigte er ... oder sie? ... sich.
„Deutschland“, gab Wedekind zurück.
„Was für ein Land?“, blaffte die Alte. „Nie gehört, wo soll das sein?“
„Wo bin ich hier?“, fragte Wedekind zurück.
„Trimandar, wo sonst?“
„Sicher, wo sonst, dumme Frage.“ Wedekind schmunzelte. „Und was tun sie hier im Wald, wenn ich fragen darf?
„Natürlich darfst du fragen, Duschland, natürlich darfst du!“ Meckerndes Lachen folgte.
„Deutschland“, brummte Wedekind. „Das ist aber nicht mein Name. Ich heiße Wedekind Braun.“
„Liebe Güte“, keifte Harbon. „Hoffentlich hast du für den Namen nicht zu viel bezahlt!“
„Der war kostenlos“, gab Wedekind zurück.
„Kein Wunder.“ Harbon kratzte sich am verlängerten Rücken. „Ich werde mir einen Namen für dich überlegen, wenn du zahlen kannst.“ Er schaute Wedekind herausfordernd an.
„Ich bin mit meinem Namen ganz zufrieden“, wehrte der ab. „Gibt es hier eigentlich noch andere Leute?“
„Reicht dir meine Gesellschaft nicht?“, keifte Harbon. „Typisch, diese Touristen! Mit nichts zufrieden!“ Die Alte schien beleidigt.
„So war das nicht gemeint“, versuchte Wedekind sie zu beschwichtigen, „aber ich wollte mich schon noch etwas hier umschauen.“
Harbon schien versöhnt.
„Hm, ich wollte sowieso nach Torfing. Wenn du willst, kannst du mitkommen.“
„Ist das eine Stadt? Torfing?“
„Torfing kennst du auch nicht? Was lernt ihr jungen Leute überhaupt noch?“ Harbon schüttelte den Kopf und begann mit dem rechten Zeigefinger den Innenraum seiner Nase zu erforschen. Nach einer Weile schien seine Suche von Erfolg gekrönt zu sein, denn er betrachtete interessiert das, was sein von Gicht verkrümmter Finger ans Tageslicht befördert hatte. Wedekind schaute taktvoll in eine andere Richtung.
Nachdem Harbon seine Körperpflege abgeschlossen hatte, humpelte er davon und Wedekind beeilte sich, der Alten zu folgen. Jetzt erkannte er, dass es am Waldrand eine Art Trampelpfad gab.
„Dieser verdammte Trogat“, schimpfte der Zauberer. „Jeder Schritt schmerzt! Der Rücken ist so schief, dass ich mich kaum aufrichten kann. Ich verwandle ihn in einen Grumf!“
Wedekind lernte, dass ein Grumf in der Pyramide der einheimischen Lebensformen offenbar noch unter einem Tork angesiedelt war. Er selbst genoss diesen Spaziergang in der warmen Frühlingsluft. Der Duft der Blüten war jetzt außerhalb des Waldes nicht mehr so intensiv und erschien ihm wesentlich angenehmer. Hier wehte ein leichtes Lüftchen, das die Hitze etwas milderte.
„Besser als der Nebel und der Schnee zuhause“, sagte Wedekind.
„Was meinst du, Wedeldings?“
„Wedekind!“, korrigierte Wedekind. „Ich meinte nur, dass bei uns zuhause gerade Winter ist“, erklärte er dann.
„Winter?“, krächzte Harbon. „Was ist das? Du scheinst aus einem merkwürdigen Land zu kommen!“
„Du kennst keinen Winter? Wenn es kalt ist und Schnee fällt?“ Wedekind war verblüfft.
„Es ist nie kälter als jetzt“, konstatierte der Zauberer. „Warum sollte es das sein? Schnee, nie gehört und wohin fällt das?“
„Der Schnee, das ist gefrorenes Wasser.“
„Und wozu soll das gut sein?“ Die Alte schüttelte verständnislos den Kopf. Darüber hatte Wedekind noch nie nachgedacht. Er schwieg verblüfft. Na ja, schließlich war es ein Traum. Da ist eben alles erlaubt.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Harbon fluchte ein ums andere Mal und Wedekind genoss den Frühling. Nach etwa zwei Kilometern gelangten sie auf einen etwas breiteren Weg, der offenbar von Fuhrwerken oder Karren ausgefahren worden war. Er führte im rechten Winkel vom Wald weg und Harbon schwenkte wortlos und ohne weitere Erklärung auf ihn ein. Die Landschaft war von leichten, mit Gras bewachsenen Hügeln durchzogen und der Weg führte in sanften Kurven zwischen Ihnen hindurch, manchmal auch über einen kleineren Hügel hinweg.
Als die beiden Wanderer gerade wieder einen dieser Hügel umrundet hatten, sahen sie einige hundert Meter voraus einen kleinen Karren. Er wurde von einem Tier gezogen und nebenher ging ein Mann, der das Tier am Zügel führte. Der Karren war offenbar schwer beladen, denn er kam nur langsam voran. Daher holten Harbon und Wedekind trotz ihres langsamen Tempos den Karren bald ein.
Der Mann am Zügel war mittleren Alters und recht groß, ging aber gebückt, als würde er eine schwere Last tragen oder in einem Haus mit niedrigen Zimmern leben. Seine Haut war Wetter gegerbt, so als verbrächte er viel Zeit im Freien. Er trug einfache Kleidung aus grobem Leinenstoff und einen breitkrempigen Strohhut, der seine Augen vor der Sonne schützte. Der Karren war mit fremdartigen Früchten beladen, die notdürftig mit einer Plane aus schmutzigem Leinen abgedeckt waren. Das kleine Tier, das den Karren zog, glich einem Esel, schien aber katzenartige Vorfahren zu haben.
„Guten Tag, Vorschel“, krähte Harbon und winkte mit dem Stock, auf den er sich sonst während des Marsches gestützt hatte. Der so Angesprochene schaute die Alte misstrauisch an.
„Kennen wir uns, alte Vettel?“, gab er brummig zurück.
„Verblödeter Trogat“, grummelte Harbon so leise, dass es nur der unmittelbar neben ihm stehende Wedekind hören konnte. Dann lauter: „Ich bin’s, Harbon!“
Vorschel, der bisher so brummig gewirkt hatte, lies die Zügel des Karrens fahren und wollte sich schier ausschütten vor Lachen.
„Hat Trogat wieder experimentiert?“, erkundigte er sich atemlos, als er sich einigermaßen beruhigt hatte. Erst jetzt schien er Wedekind zu bemerken. „Und wer bist du?“, erkundigte er sich.
Wedekind öffnete den Mund um zu antworten, aber Harbon kam ihm zuvor.
„Das ist Wendewind aus dem Täuschland“, stellte er seinen neuen Bekannten vor. „Bei ihm zuhause ist jetzt ... Winter!“, fügte er noch wichtig tuerisch hinzu. Wedekind verdrehte die Augen, verzichtete aber darauf, den Zauberer zu korrigieren.
„Woher hat er denn den Namen?“ Vorschel schüttelte den Kopf. „Wenn du zahlen kannst, verkaufe ich dir einen neuen.“ Wedekind lehnte dankend ab.
„Bist du auf dem Weg nach Torfing?“, erkundigte sich der Zauberer und setzte sich auf den Rand des Karrens.
„Wohin sollte ich sonst unterwegs sein?“, fragte der Bauer. „Heute ist Markt und ich verkaufe meine Sangra-Früchte.“ Er deutete auf den Karren.
„Vorschel hat einen Hof unten am Fluss“, erklärte Harbon seinem Wandergefährten und deutete fahrig in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Da sie ihren Weg jetzt gemeinsam fortsetzten, kamen sie noch langsamer voran.
„Was hat es mit dieser Namenskauferei auf sich?“, erkundigte sich Wedekind nach einer Weile des schweigsamen Marschierens bei Harbon. Der Zauberer drehte mühsam den Kopf und schaute seinen neuen Freund erstaunt an.
„Du kennst die Namensweihe nicht?“
Dann winkte er unwirsch ab.
„Was erwarte ich denn?“, brummte er. „Hör zu und lerne! Wenn ein Heranwachsender zwölf Jahre alt wird, veranstalten seine Eltern ein Fest:: Die Namensweihe. Sämtliche Verwandten und Bekannten der Familie werden eingeladen und es gibt eine Menge gutes Essen und Trinken.“ Er leckte seine spröden Lippen beim Gedanken an die Leckereien. „Die Gäste bringen Geschenke mit, meistens Geld. Jeder Gast darf sich einen Namen für das Weihkind ausdenken und ihn dem Kind anbieten. Das Weihkind entscheidet sich für den Namen, der ihm am besten gefällt und kauft ihn. Natürlich wird um den Preis noch gefeilscht, das gehört dazu.“
Wedekind überlegte eine Weile. An sich war das kein übler Brauch, denn das Kind konnte sich nicht über einen Namen beschweren, der ihm nicht gefiel. Dann fiel ihm etwas ein.
„Das heißt, bis ein Kind zwölf Jahre alt ist, hat es keinen Namen?“, fragte er den Zauberer.
„Natürlich nicht, wozu auch?“ Harbon schüttelte den Kopf über so viel Unwissenheit. Wedekind schwieg verblüfft und sie setzten ihren Weg schweigend fort.
Es war warm, warm und feucht – und es roch nach exotischen Blumen!
Wedekind schrak hoch und schaute sich um. Er war völlig desorientiert, erinnerte sich an den Duft nach Blumen aber sonst ...
Er lag im Gras auf einer Lichtung. Etwas stimmte nicht – nein, eine ganze Menge stimmte nicht, aber Wedekind wusste nicht recht, was es war. Sein Gehirn schien überfordert, so, als sei es zum Denken nicht geeignet. Wedekind schüttelte den Kopf, richtete sich auf und schüttelte nochmals den Kopf, als sei diese Vorgehensweise geeignet, die schwerfälligen Denkvorgänge zu beschleunigen.
„Nebel“, brummte er. „Wo ist der Nebel?“
Er schaute sich um. Es schien Frühling zu sein, denn überall blühten fremdartige Pflanzen. Wedekind kannte sich mit Pflanzen nicht aus, war aber überzeugt, dass er solche Blüten noch nie gesehen hatte.
„Frühling?“, noch einmal schüttelte er sich. Langsam, kriechend kam seine Erinnerung zurück. „Mein Auto!“ Er hatte in seinem Wagen gesessen. Bei der Erinnerung fröstelte er trotz der Hitze. Der Nebel, dieser lebendige Nebel! Das alles hier konnte nicht sein! Es war November und er hatte sich auf dem Heimweg im Nebel verfahren. Jetzt lag er in seinem Wagen, war übermüdet eingeschlafen und ... natürlich! Er träumte! Das musste es sein.
Wedekind lächelte beruhigt. Warum sollte er den Traum nicht genießen? Er machte Anstalten aufzustehen, aber ein Schmerz im Lendenwirbelbereich ließ ihn zurück sinken. Der harte Boden, auf dem er – wie lange wohl? – gelegen hatte, hatte seine Spuren hinterlassen! Rückenschmerzen in einem Traum? Das war neu!
Behutsam rappelte er sich auf. Sein Rücken schmerzte höllisch, aber die Bewegung schien ihm gut zu tun. Vorsichtig streckte er sich. Die Lichtung war – wie sollte es auch anders sein? – von Wald umgeben. Außer einigen Insekten bewegte sich nichts. Das war schon ein merkwürdiger Traum! Wedekind musste grinsen, überlegte sich seine nächsten Schritte.
„Ich sollte mir möglichst viel anschauen, bevor ich aufwache“, meinte er zu sich selbst und schaute sich um. „Welche Richtung nehme ich?“, fragte sich Wedekind und verscheuchte ein allzu neugieriges Insekt. „Ist ja eigentlich egal“, sagte er sich dann, schloss die Augen und drehte sich einige Male um die eigene Achse.
„Also dort entlang“, beschloss er, als der leichte Schwindel in seinem Kopf wieder schwand. Er ging zum Rand der Lichtung und suchte sich einen Weg zwischen den dicht an dicht stehenden Büschen und Bäumen.
Der Wald war nicht so dicht – dicht an dicht und doch nicht dicht? na ja, in einem Traum geht das wohl -, wie er befürchtet hatte und so kam er gut voran. Nach etwa fünfzehn Minuten wurde es vor ihm heller und kurze Zeit später stand er am Rand des Waldes und blickte über eine Wiese.
„Suchst du etwas Bestimmtes?“, krächzte es plötzlich von rechts.
Wedekind schrak zusammen und fuhr herum. Auf einem umgestürzten Baum saß eine uralte Frau in Kleidung von undefinierbarer Farbe. Ihr Gesicht schien nur aus Runzeln zu bestehen. Wedekind musterte sie mit offenem Mund.
„Mach die Klappe zu, Kleiner, bevor dir was rein fliegt“, krächzte die Alte und lachte meckernd. Wedekind errötete.
„Verzeihung, ich war nur erschrocken“, entschuldigte er sich. „Wer sind sie?“
„Ich bin Harbon, der Zauberer“, stellte sie sich vor.
„Der Zauberer?“ Wedekind schaute sie erstaunt an.
„Passt dir was nicht?“, keifte sie.
„Nein, nein“, beteuerte Wedekind rasch. „Ich meine nur ... na ja, sie sind eine Frau ...“
„Ach“, sie winkte wütend ab. „Das hab ich vergessen!“
Wedekind machte sich ein Bild vom Geisteszustand der Alten.
„Ja, ich vergesse das immer wieder“, wiederholte sie, stand mühsam auf und hielt sich mit einer Hand den offenbar schmerzenden Rücken. Mit der anderen stützte sie sich auf einen knorrigen Stock.
„Das war Trogat, dieser Schwachkopf!“ Sie gestikulierte wild und ließ einige derbe Flüche folgen. „Trogat ist mein Schüler“, erklärte sie dann. „Leider ist er ein Idiot! Bei seinen letzten Übungen hat er wieder einmal die falschen Zauber gewirkt und mich in dieses ... Wrack verwandelt.“ Harbon fluchte wieder lästerlich. „Jetzt muss ich noch drei Tage so herum laufen bis die Wirkung des Zaubers verfliegt. Wenn ich den Hohlkopf erwische, verwandele ich ihn in einen Tork!“
Wedekind schloss, dass ein Tork kein erstrebenswerter Daseinszustand war. Er grinste. Langsam begann ihm dieser Traum Spaß zu machen.
Harbon humpelte auf ihn zu und betrachtete ihn eingehend.
„Woher kommst du?“, erkundigte er ... oder sie? ... sich.
„Deutschland“, gab Wedekind zurück.
„Was für ein Land?“, blaffte die Alte. „Nie gehört, wo soll das sein?“
„Wo bin ich hier?“, fragte Wedekind zurück.
„Trimandar, wo sonst?“
„Sicher, wo sonst, dumme Frage.“ Wedekind schmunzelte. „Und was tun sie hier im Wald, wenn ich fragen darf?
„Natürlich darfst du fragen, Duschland, natürlich darfst du!“ Meckerndes Lachen folgte.
„Deutschland“, brummte Wedekind. „Das ist aber nicht mein Name. Ich heiße Wedekind Braun.“
„Liebe Güte“, keifte Harbon. „Hoffentlich hast du für den Namen nicht zu viel bezahlt!“
„Der war kostenlos“, gab Wedekind zurück.
„Kein Wunder.“ Harbon kratzte sich am verlängerten Rücken. „Ich werde mir einen Namen für dich überlegen, wenn du zahlen kannst.“ Er schaute Wedekind herausfordernd an.
„Ich bin mit meinem Namen ganz zufrieden“, wehrte der ab. „Gibt es hier eigentlich noch andere Leute?“
„Reicht dir meine Gesellschaft nicht?“, keifte Harbon. „Typisch, diese Touristen! Mit nichts zufrieden!“ Die Alte schien beleidigt.
„So war das nicht gemeint“, versuchte Wedekind sie zu beschwichtigen, „aber ich wollte mich schon noch etwas hier umschauen.“
Harbon schien versöhnt.
„Hm, ich wollte sowieso nach Torfing. Wenn du willst, kannst du mitkommen.“
„Ist das eine Stadt? Torfing?“
„Torfing kennst du auch nicht? Was lernt ihr jungen Leute überhaupt noch?“ Harbon schüttelte den Kopf und begann mit dem rechten Zeigefinger den Innenraum seiner Nase zu erforschen. Nach einer Weile schien seine Suche von Erfolg gekrönt zu sein, denn er betrachtete interessiert das, was sein von Gicht verkrümmter Finger ans Tageslicht befördert hatte. Wedekind schaute taktvoll in eine andere Richtung.
Nachdem Harbon seine Körperpflege abgeschlossen hatte, humpelte er davon und Wedekind beeilte sich, der Alten zu folgen. Jetzt erkannte er, dass es am Waldrand eine Art Trampelpfad gab.
„Dieser verdammte Trogat“, schimpfte der Zauberer. „Jeder Schritt schmerzt! Der Rücken ist so schief, dass ich mich kaum aufrichten kann. Ich verwandle ihn in einen Grumf!“
Wedekind lernte, dass ein Grumf in der Pyramide der einheimischen Lebensformen offenbar noch unter einem Tork angesiedelt war. Er selbst genoss diesen Spaziergang in der warmen Frühlingsluft. Der Duft der Blüten war jetzt außerhalb des Waldes nicht mehr so intensiv und erschien ihm wesentlich angenehmer. Hier wehte ein leichtes Lüftchen, das die Hitze etwas milderte.
„Besser als der Nebel und der Schnee zuhause“, sagte Wedekind.
„Was meinst du, Wedeldings?“
„Wedekind!“, korrigierte Wedekind. „Ich meinte nur, dass bei uns zuhause gerade Winter ist“, erklärte er dann.
„Winter?“, krächzte Harbon. „Was ist das? Du scheinst aus einem merkwürdigen Land zu kommen!“
„Du kennst keinen Winter? Wenn es kalt ist und Schnee fällt?“ Wedekind war verblüfft.
„Es ist nie kälter als jetzt“, konstatierte der Zauberer. „Warum sollte es das sein? Schnee, nie gehört und wohin fällt das?“
„Der Schnee, das ist gefrorenes Wasser.“
„Und wozu soll das gut sein?“ Die Alte schüttelte verständnislos den Kopf. Darüber hatte Wedekind noch nie nachgedacht. Er schwieg verblüfft. Na ja, schließlich war es ein Traum. Da ist eben alles erlaubt.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Harbon fluchte ein ums andere Mal und Wedekind genoss den Frühling. Nach etwa zwei Kilometern gelangten sie auf einen etwas breiteren Weg, der offenbar von Fuhrwerken oder Karren ausgefahren worden war. Er führte im rechten Winkel vom Wald weg und Harbon schwenkte wortlos und ohne weitere Erklärung auf ihn ein. Die Landschaft war von leichten, mit Gras bewachsenen Hügeln durchzogen und der Weg führte in sanften Kurven zwischen Ihnen hindurch, manchmal auch über einen kleineren Hügel hinweg.
Als die beiden Wanderer gerade wieder einen dieser Hügel umrundet hatten, sahen sie einige hundert Meter voraus einen kleinen Karren. Er wurde von einem Tier gezogen und nebenher ging ein Mann, der das Tier am Zügel führte. Der Karren war offenbar schwer beladen, denn er kam nur langsam voran. Daher holten Harbon und Wedekind trotz ihres langsamen Tempos den Karren bald ein.
Der Mann am Zügel war mittleren Alters und recht groß, ging aber gebückt, als würde er eine schwere Last tragen oder in einem Haus mit niedrigen Zimmern leben. Seine Haut war Wetter gegerbt, so als verbrächte er viel Zeit im Freien. Er trug einfache Kleidung aus grobem Leinenstoff und einen breitkrempigen Strohhut, der seine Augen vor der Sonne schützte. Der Karren war mit fremdartigen Früchten beladen, die notdürftig mit einer Plane aus schmutzigem Leinen abgedeckt waren. Das kleine Tier, das den Karren zog, glich einem Esel, schien aber katzenartige Vorfahren zu haben.
„Guten Tag, Vorschel“, krähte Harbon und winkte mit dem Stock, auf den er sich sonst während des Marsches gestützt hatte. Der so Angesprochene schaute die Alte misstrauisch an.
„Kennen wir uns, alte Vettel?“, gab er brummig zurück.
„Verblödeter Trogat“, grummelte Harbon so leise, dass es nur der unmittelbar neben ihm stehende Wedekind hören konnte. Dann lauter: „Ich bin’s, Harbon!“
Vorschel, der bisher so brummig gewirkt hatte, lies die Zügel des Karrens fahren und wollte sich schier ausschütten vor Lachen.
„Hat Trogat wieder experimentiert?“, erkundigte er sich atemlos, als er sich einigermaßen beruhigt hatte. Erst jetzt schien er Wedekind zu bemerken. „Und wer bist du?“, erkundigte er sich.
Wedekind öffnete den Mund um zu antworten, aber Harbon kam ihm zuvor.
„Das ist Wendewind aus dem Täuschland“, stellte er seinen neuen Bekannten vor. „Bei ihm zuhause ist jetzt ... Winter!“, fügte er noch wichtig tuerisch hinzu. Wedekind verdrehte die Augen, verzichtete aber darauf, den Zauberer zu korrigieren.
„Woher hat er denn den Namen?“ Vorschel schüttelte den Kopf. „Wenn du zahlen kannst, verkaufe ich dir einen neuen.“ Wedekind lehnte dankend ab.
„Bist du auf dem Weg nach Torfing?“, erkundigte sich der Zauberer und setzte sich auf den Rand des Karrens.
„Wohin sollte ich sonst unterwegs sein?“, fragte der Bauer. „Heute ist Markt und ich verkaufe meine Sangra-Früchte.“ Er deutete auf den Karren.
„Vorschel hat einen Hof unten am Fluss“, erklärte Harbon seinem Wandergefährten und deutete fahrig in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Da sie ihren Weg jetzt gemeinsam fortsetzten, kamen sie noch langsamer voran.
„Was hat es mit dieser Namenskauferei auf sich?“, erkundigte sich Wedekind nach einer Weile des schweigsamen Marschierens bei Harbon. Der Zauberer drehte mühsam den Kopf und schaute seinen neuen Freund erstaunt an.
„Du kennst die Namensweihe nicht?“
Dann winkte er unwirsch ab.
„Was erwarte ich denn?“, brummte er. „Hör zu und lerne! Wenn ein Heranwachsender zwölf Jahre alt wird, veranstalten seine Eltern ein Fest:: Die Namensweihe. Sämtliche Verwandten und Bekannten der Familie werden eingeladen und es gibt eine Menge gutes Essen und Trinken.“ Er leckte seine spröden Lippen beim Gedanken an die Leckereien. „Die Gäste bringen Geschenke mit, meistens Geld. Jeder Gast darf sich einen Namen für das Weihkind ausdenken und ihn dem Kind anbieten. Das Weihkind entscheidet sich für den Namen, der ihm am besten gefällt und kauft ihn. Natürlich wird um den Preis noch gefeilscht, das gehört dazu.“
Wedekind überlegte eine Weile. An sich war das kein übler Brauch, denn das Kind konnte sich nicht über einen Namen beschweren, der ihm nicht gefiel. Dann fiel ihm etwas ein.
„Das heißt, bis ein Kind zwölf Jahre alt ist, hat es keinen Namen?“, fragte er den Zauberer.
„Natürlich nicht, wozu auch?“ Harbon schüttelte den Kopf über so viel Unwissenheit. Wedekind schwieg verblüfft und sie setzten ihren Weg schweigend fort.