Von Fremden und neuen Nachbarn
Michael und Nele freuten sich jeden Tag auf Davids Besuch. Doch einmal warteten sie vergeblich auf ihn. Der Morgen schien unendlich lang zu sein. Zuerst besuchten sie Frau Wegmann, streichelten die Tiere und liefen wieder auf die Straße. Doch David kam nicht. Dann schnitten sie mit der Mutter die verblühten Blumen ab.
Nele sagte: "Schade, dass David nicht kommt!"
„Vielleicht ist er krank“, meinte Michael. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, das glaube ich nicht. Heute kommt Davids Mutter mit dem Baby nach Hause, vielleicht will er dann lieber zu Hause sein!"
Der nächste Tag verhieß schön zu werden. Warm, für alle Bauern, die auf den Feldern und in den Rebbergen arbeiteten, schön auch für die Mutter, die den sonnigen Herbsttag zum Wäsche trocknen nutzte, nicht aber für Michael und Nele. David fehlte. Wenn er wegen diesem Baby zu Hause blieb, musste das ein besonderes Kind sein. Sie beschlossen, ihren Freund am Nach¬mittag zu besuchen. Die Mutter hatte nichts dagegen und so begann ihr erster Ausflug allein ins Dorf.
Am Ende ihrer Gasse kommt eine Querstraße. Hier endet das Neubauviertel. Auf der anderen Straßenseite beginnt das Ober¬dorf und da steht der Bauernhof von Familie Wagner. Das ist Davids Zuhause. Der Hof besteht aus einem großen Wohnhaus, Scheune und Ställe sind an das Haus angebaut und neben der Haustür steht ein alter Sandsteinbrunnen.
Als sie kamen, stand David im Hof, sein blonder Haarschopf leuchtete in der Sonne.
„Was wollt ihr hier?" fragte er verwundert.
Nele antwortete: "Wir möchten das Baby sehen!"
Aus Davids Gesicht verschwand das Lachen. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und blickte sie grimmig an. Dann zischte er: „Verschwindet, haut ab, Simon schläft!"
"Spielst du mit uns?" fragte Michael und damit war er einverstanden.
Zuerst jedoch führte er die Kinder durch den Schweinestall. Sein liebstes Schweinchen nannte er "Batzi". Er zeigte ihnen die Scheune, den Geräteschuppen und den Hühnerhof. Dann spielten sie "Fangen". Schreiend rannten sie umher, liefen in den Stall zurück und erschreckten mit ihrem Gebrüll die Tiere. Sie sausten wieder in den Hof und plötzlich standen sie ohne David im Hof. In der Haustür aber stand seine Großmutter, eine sehr große Frau. Ihre grauen Haare türmten sich auf den Kopf. Sie trug eine blaukarierte Schürze über ihrem Kleid und hatte die Arme in die Seite gestemmt:
„Zum Donnerwetter, David, was soll der Lärm?" Dann schaute sie Michael und Nele an und sagte: „Wir wünschen keine Fremden auf unserem Hof. Geht heim!"
Michael packte Nele am Arm und ganz langsam, Schritt für Schritt, gingen sie rückwärts bis zur Querstraße. Bei ihrem Rückzug sahen sie David wieder. Er schaute sehr vorsichtig aus dem Schweinestall. Die Großmutter rief noch einmal nach ihm, Michael und Nele aber liefen nach Hause. Sie setzten sich auf die Treppe vor ihrem Haus und überlegten, warum Davids Großmutter sie „Fremde“ nannte. Sie hatten nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Ein Möbelwagen fuhr vorbei und hielt, nur zwei Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite an. Michael und Nele setzten sich auf die Treppe vom Forsthaus, von hier konnten sie besser zusehen, wie der Wagen ausgeladen wurde. Nun kam David wieder und wollte gleich wissen, wer da einzog. Doch Michael zuckte mit den Schultern, sie hatten keine Ahnung. Zwei Männer schleppten Kisten, Koffer und Möbel ins Haus. Gerade wurden die Seitenteile von einem Kinderbett hinein getragen. Michael murmelte enttäuscht: „Ein Gitterbett!“
David befahl: „Kommt wir schauen nach, vielleicht ist noch ein Bett für ein großes Kind im Wagen!" Aber der Möbelwagen war fast leer und Davids Interesse an den neuen Nachbarn erlosch. Er sagte: "Jetzt spielen wir am Bach und schaukeln möchte ich auch wieder einmal."
Nele und Michael aber wollten den Möbelpackern zusehen, bis sie alles ausgeladen hatten und blieben auf der Treppe sitzen.
„Wenn ihr nicht kommt, gehe ich heim“, maulte er und entfernte sich einige Schritte. Als er merkte, dass sie ihn nicht zurück hielten, kehrte er wieder um. Er stellte sich vor sie und brüllte: „Nun gehe ich aber wirklich und komme nie, nie wieder zu euch!“
„Warte“, sagte Nele, "du kannst doch allein schaukeln!" David grinste und verschwand im Hof. Ein Auto kam angefahren und hielt hinter dem Möbelwagen an. Eine Frau stieg aus und winkte ihnen zu. Im Auto lagen Decken und Kleider. Auf dem Rücksitz aber saß ein Junge und er sah bestimmt nicht wie ein Baby aus. Sie liefen voll Freude zu ihm und klopften an sein Fenster. Er jedoch drehte ihnen den Rücken zu. Nun, so schnell gaben sie nicht auf und klopften lauter an die Scheibe. Der Junge wendete sich wieder ihnen zu, legte aber einen Finger auf den Mund.
„Warum sollen wir denn still sein?" flüsterte Nele. Aber das wusste Michael auch nicht. Sie stellten sich auf Zehenspitzen. Der Junge saß nicht allein im Auto, neben ihm lag ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen und schlief. Der Junge legte noch einmal den Finger auf den Mund und zeigte dann auf das Kind. Nele und Michael hatten verstanden, betrachteten lächelnd die beiden neuen Kinder und hörten nicht, als die Frau zum Auto zurückkam. „Hallo“, sagte sie und die beiden wichen erschrocken zurück.
„Wie heißt ihr denn?" Sie nannten ihre Namen und die Frau sagte: „Wir sind die neuen Nachbarn und heißen Weber!"
Nele fragte: „Darf der Junge mit uns spielen?"
Später", sagte sie, „der Junge heißt Florian, jetzt bleibt er noch eine Weile bei Sabinchen im Auto, denn wenn sie aufwacht und allein in einer fremden Umgebung ist, schreit sie fürchterlich."
Sie holte einen Stapel Kleider aus dem Auto und verschwand damit im Haus. Michael und Nele lief zur Mutter und erzählte ihr von den neuen Nachbarn. „Mit Florian können wir sicher schön spielen, aber Sabinchen ist noch viel zu klein", sagte Michael und Nele ergänzte: „sie schläft in einem Gitterbett!" Die Mutter sah von der Arbeit hoch. „Oh“ meinte sie, „es wird nicht lange dauern und sie läuft mit euch!" Das konnte Michael nicht glauben. Die Mutter wusste ja nicht, wie klein Sabinchen noch war. Ausgeschlossen, dachte er. Aber die Mutter hatte Recht. Bald schon gehörten Sabinchens Rufe nach "Folan", wie sie ihren Bruder nannte, zu den vertrauten Geräuschen in ihrer Straße.
Doch jetzt schlief sie im Auto und sie hatten beide Kinder noch gar nicht in voller Größe gesehen. Sie liefen wieder hinaus um nach zu schauen, ob Sabinchen inzwischen aufgewacht war.
Nun stand David am Auto und klopfte an die Scheibe.
"Hör auf, im Auto schläft Sabinchen!" rief Nele. Sie erzählten David, was sie über die neuen Nachbarn wussten.
An diesem Tag lernten sie Florian nicht mehr kennen. Als Sabinchen aufwachte, war er eingeschlafen und ihre Mutter trug die beiden in die Wohnung. Nun fiel Michael der missglückte Besuch bei David ein und er fragte ihn, warum seine Großmutter sie "Fremde" genannt hatte. David überlegte eine Weile. Dann antwortete er: „Ihr seid nicht aus unserem Dorf, ihr seid Preußen!" Michael war empört und hätte ihm am liebsten eine geknallt.
„Preußen? Wir sind keine Preußen. Wir wohnen schon eine Zeitlang hier", fauchte er. Doch David zuckte mit den Schultern und meinte, dass ihm das gleichgültig sei.
„Aber Preußen seid ihr schon, ihr redet nicht wie wir!" sagte er noch. Nun mischte sich Nele ein und sagte: "Stimmt nicht, meine Mutter spricht auch schwäbisch!"
Doch David entgegnete: „Aber sie ist nicht aus unserem Dorf!"
Michael wollte am Abend den Vater fragen, was er zu den Fremden und Preußen meinte. Sie vergnügten sich noch eine Weile im Hof bis der Vater nach Hause kam. Die Kinder liefen ihm entgegen und er wirbelte eins nach dem anderen in die Luft, auch David. Für den war es nun Zeit, nach Hause zu gehen, die Abendglocken läuteten schon.
*
In der nächsten Geschichte begleitet Michael den Vater beim Abendspaziergang
Michael und Nele freuten sich jeden Tag auf Davids Besuch. Doch einmal warteten sie vergeblich auf ihn. Der Morgen schien unendlich lang zu sein. Zuerst besuchten sie Frau Wegmann, streichelten die Tiere und liefen wieder auf die Straße. Doch David kam nicht. Dann schnitten sie mit der Mutter die verblühten Blumen ab.
Nele sagte: "Schade, dass David nicht kommt!"
„Vielleicht ist er krank“, meinte Michael. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, das glaube ich nicht. Heute kommt Davids Mutter mit dem Baby nach Hause, vielleicht will er dann lieber zu Hause sein!"
Der nächste Tag verhieß schön zu werden. Warm, für alle Bauern, die auf den Feldern und in den Rebbergen arbeiteten, schön auch für die Mutter, die den sonnigen Herbsttag zum Wäsche trocknen nutzte, nicht aber für Michael und Nele. David fehlte. Wenn er wegen diesem Baby zu Hause blieb, musste das ein besonderes Kind sein. Sie beschlossen, ihren Freund am Nach¬mittag zu besuchen. Die Mutter hatte nichts dagegen und so begann ihr erster Ausflug allein ins Dorf.
Am Ende ihrer Gasse kommt eine Querstraße. Hier endet das Neubauviertel. Auf der anderen Straßenseite beginnt das Ober¬dorf und da steht der Bauernhof von Familie Wagner. Das ist Davids Zuhause. Der Hof besteht aus einem großen Wohnhaus, Scheune und Ställe sind an das Haus angebaut und neben der Haustür steht ein alter Sandsteinbrunnen.
Als sie kamen, stand David im Hof, sein blonder Haarschopf leuchtete in der Sonne.
„Was wollt ihr hier?" fragte er verwundert.
Nele antwortete: "Wir möchten das Baby sehen!"
Aus Davids Gesicht verschwand das Lachen. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und blickte sie grimmig an. Dann zischte er: „Verschwindet, haut ab, Simon schläft!"
"Spielst du mit uns?" fragte Michael und damit war er einverstanden.
Zuerst jedoch führte er die Kinder durch den Schweinestall. Sein liebstes Schweinchen nannte er "Batzi". Er zeigte ihnen die Scheune, den Geräteschuppen und den Hühnerhof. Dann spielten sie "Fangen". Schreiend rannten sie umher, liefen in den Stall zurück und erschreckten mit ihrem Gebrüll die Tiere. Sie sausten wieder in den Hof und plötzlich standen sie ohne David im Hof. In der Haustür aber stand seine Großmutter, eine sehr große Frau. Ihre grauen Haare türmten sich auf den Kopf. Sie trug eine blaukarierte Schürze über ihrem Kleid und hatte die Arme in die Seite gestemmt:
„Zum Donnerwetter, David, was soll der Lärm?" Dann schaute sie Michael und Nele an und sagte: „Wir wünschen keine Fremden auf unserem Hof. Geht heim!"
Michael packte Nele am Arm und ganz langsam, Schritt für Schritt, gingen sie rückwärts bis zur Querstraße. Bei ihrem Rückzug sahen sie David wieder. Er schaute sehr vorsichtig aus dem Schweinestall. Die Großmutter rief noch einmal nach ihm, Michael und Nele aber liefen nach Hause. Sie setzten sich auf die Treppe vor ihrem Haus und überlegten, warum Davids Großmutter sie „Fremde“ nannte. Sie hatten nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Ein Möbelwagen fuhr vorbei und hielt, nur zwei Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite an. Michael und Nele setzten sich auf die Treppe vom Forsthaus, von hier konnten sie besser zusehen, wie der Wagen ausgeladen wurde. Nun kam David wieder und wollte gleich wissen, wer da einzog. Doch Michael zuckte mit den Schultern, sie hatten keine Ahnung. Zwei Männer schleppten Kisten, Koffer und Möbel ins Haus. Gerade wurden die Seitenteile von einem Kinderbett hinein getragen. Michael murmelte enttäuscht: „Ein Gitterbett!“
David befahl: „Kommt wir schauen nach, vielleicht ist noch ein Bett für ein großes Kind im Wagen!" Aber der Möbelwagen war fast leer und Davids Interesse an den neuen Nachbarn erlosch. Er sagte: "Jetzt spielen wir am Bach und schaukeln möchte ich auch wieder einmal."
Nele und Michael aber wollten den Möbelpackern zusehen, bis sie alles ausgeladen hatten und blieben auf der Treppe sitzen.
„Wenn ihr nicht kommt, gehe ich heim“, maulte er und entfernte sich einige Schritte. Als er merkte, dass sie ihn nicht zurück hielten, kehrte er wieder um. Er stellte sich vor sie und brüllte: „Nun gehe ich aber wirklich und komme nie, nie wieder zu euch!“
„Warte“, sagte Nele, "du kannst doch allein schaukeln!" David grinste und verschwand im Hof. Ein Auto kam angefahren und hielt hinter dem Möbelwagen an. Eine Frau stieg aus und winkte ihnen zu. Im Auto lagen Decken und Kleider. Auf dem Rücksitz aber saß ein Junge und er sah bestimmt nicht wie ein Baby aus. Sie liefen voll Freude zu ihm und klopften an sein Fenster. Er jedoch drehte ihnen den Rücken zu. Nun, so schnell gaben sie nicht auf und klopften lauter an die Scheibe. Der Junge wendete sich wieder ihnen zu, legte aber einen Finger auf den Mund.
„Warum sollen wir denn still sein?" flüsterte Nele. Aber das wusste Michael auch nicht. Sie stellten sich auf Zehenspitzen. Der Junge saß nicht allein im Auto, neben ihm lag ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen und schlief. Der Junge legte noch einmal den Finger auf den Mund und zeigte dann auf das Kind. Nele und Michael hatten verstanden, betrachteten lächelnd die beiden neuen Kinder und hörten nicht, als die Frau zum Auto zurückkam. „Hallo“, sagte sie und die beiden wichen erschrocken zurück.
„Wie heißt ihr denn?" Sie nannten ihre Namen und die Frau sagte: „Wir sind die neuen Nachbarn und heißen Weber!"
Nele fragte: „Darf der Junge mit uns spielen?"
Später", sagte sie, „der Junge heißt Florian, jetzt bleibt er noch eine Weile bei Sabinchen im Auto, denn wenn sie aufwacht und allein in einer fremden Umgebung ist, schreit sie fürchterlich."
Sie holte einen Stapel Kleider aus dem Auto und verschwand damit im Haus. Michael und Nele lief zur Mutter und erzählte ihr von den neuen Nachbarn. „Mit Florian können wir sicher schön spielen, aber Sabinchen ist noch viel zu klein", sagte Michael und Nele ergänzte: „sie schläft in einem Gitterbett!" Die Mutter sah von der Arbeit hoch. „Oh“ meinte sie, „es wird nicht lange dauern und sie läuft mit euch!" Das konnte Michael nicht glauben. Die Mutter wusste ja nicht, wie klein Sabinchen noch war. Ausgeschlossen, dachte er. Aber die Mutter hatte Recht. Bald schon gehörten Sabinchens Rufe nach "Folan", wie sie ihren Bruder nannte, zu den vertrauten Geräuschen in ihrer Straße.
Doch jetzt schlief sie im Auto und sie hatten beide Kinder noch gar nicht in voller Größe gesehen. Sie liefen wieder hinaus um nach zu schauen, ob Sabinchen inzwischen aufgewacht war.
Nun stand David am Auto und klopfte an die Scheibe.
"Hör auf, im Auto schläft Sabinchen!" rief Nele. Sie erzählten David, was sie über die neuen Nachbarn wussten.
An diesem Tag lernten sie Florian nicht mehr kennen. Als Sabinchen aufwachte, war er eingeschlafen und ihre Mutter trug die beiden in die Wohnung. Nun fiel Michael der missglückte Besuch bei David ein und er fragte ihn, warum seine Großmutter sie "Fremde" genannt hatte. David überlegte eine Weile. Dann antwortete er: „Ihr seid nicht aus unserem Dorf, ihr seid Preußen!" Michael war empört und hätte ihm am liebsten eine geknallt.
„Preußen? Wir sind keine Preußen. Wir wohnen schon eine Zeitlang hier", fauchte er. Doch David zuckte mit den Schultern und meinte, dass ihm das gleichgültig sei.
„Aber Preußen seid ihr schon, ihr redet nicht wie wir!" sagte er noch. Nun mischte sich Nele ein und sagte: "Stimmt nicht, meine Mutter spricht auch schwäbisch!"
Doch David entgegnete: „Aber sie ist nicht aus unserem Dorf!"
Michael wollte am Abend den Vater fragen, was er zu den Fremden und Preußen meinte. Sie vergnügten sich noch eine Weile im Hof bis der Vater nach Hause kam. Die Kinder liefen ihm entgegen und er wirbelte eins nach dem anderen in die Luft, auch David. Für den war es nun Zeit, nach Hause zu gehen, die Abendglocken läuteten schon.
*
In der nächsten Geschichte begleitet Michael den Vater beim Abendspaziergang