3 Wochenenden in Linz

(1)
Ist ordentlich was los in der Stadt.
Erst neulich, Ende Mai, ist das Stream Festival in Linz über die Bühne gegangen.
Am Pfarrplatz in der Innenstadt konnte man bei freiem Eintritt diverse Bands live erleben. Zwei Tage lang, ein schönes Event. Fantastisches Wetter. Die sonnigen Konzertnachmittage gingen in lauschige Musiknächte über.
An beiden Tagen war ich vor Ort.
Neben Resi Reiner, Sofie Royer und Pressyes waren vor allem die Musiker von Buntspecht mein absolutes Highlight. Der Stil dieser Band ist besonders; die Arrangements mit Cello, Saxophon oder Flöte kommen verspielt daher; dazu die unverkennbare, scheinbar geschlechtslose, kauzige Gesangsstimme… gefällt mir. Von Buntspecht habe ich gleich mehrere Lieder in meiner Musiksammlung.

Zum Auftritt von Buntspecht füllte sich der Pfarrplatz zusehends.
So viele junge Menschen, die lachten, tanzten und so manche Liedzeile mitsangen:
„Doch wenn du jetzt gehst, fällt die Türe aus den Angeln
Wie schnell der Wind dreht, hab' ich nie wirklich verstanden…“

Auch ich hätte an dieser Stelle mitsingen können, überließ das aber den Hardcore-Fans zu meiner Rechten und begann stattdessen, über die musikalischen Inhalte nachzugrübeln.
Wenn man die prekäre Weltlage bedenkt, sind die meisten Liedtexte unserer Tage oft seltsam belanglos. Die Liedzeile mit dem sich drehenden Wind war an jenem Abend tatsächlich eine der wenigen mit kritischem Tiefgang, aber selbst hier bleiben die Macher von Buntspecht vage, sagen nicht wirklich etwas aus.
Die üblichen Text-Themen sind Herzschmerz oder Fernweh und generell scheint das Wichtigste an der heutigen Musik zu sein, dass man dazu Party machen und so richtig abgehen kann.
Ich glaube auch gar nicht, dass Buntspecht mit den besagten Zeilen zum Ausdruck bringen wollte, was ich meine. Ich meine: Wie schnell sich der Wind dreht, wie schnell Militarismus und Kriegslogik um sich greifen, wie schnell sich die Zeiten wenden und alle Welt nur noch nach Waffen giert und auf Gewaltlösungen setzt…
Würde man die Bandmitglieder nach der Bedeutung dieses Textes befragen, sie würden vermutlich anderes oder ausweichend antworten.
Ich meine: Wo sind die neuen Anti-Kriegs-Lieder, die mutigen Protestsongs, die sich trauen, dem Zeitgeist auch mal radikal zu widersprechen?

Nach dem Auftritt von Buntspecht sollte es eine halbstündige Pause eben, ehe der nächste Künstler, der Haupt-Act, auf die Bühne kommen würde.
Die Pause wollte ich nutzen, um eine Runde durch die Altstadt zu flanieren, vielleicht eine Tüte Pommes zu kaufen und die Füße im Brunnen am Tummelplatz abzukühlen. Obwohl es bereits dämmerte, war es immer noch ziemlich heiß.
Am Ende des wuseligen Pfarrplatzes sah ich ihn schließlich stehen: Den Gaza-Mann.
Gaza-Mann: So nenne ich insgeheim diesen meinen engagierten Mitmenschen schon länger. Diesen Mann, der auf seinem Fahrrad Protestpalakte gegen den Krieg in Gaza und Informationen zum Thema befestigt hat. Mit diesem fahrenden Infostand bewegt sich der Gaza-Mann unermüdlich durch die Stadt und bleibt damit an stark frequentierten Orten stehen, etwa auf der Landstraße vor dem Passage-Kaufhaus, um auf das Leiden und Sterben im Gaza-Streifen aufmerksam zu machen. Er diskutiert bereitwillig, wenn man ihn anspricht, redet die Passanten aber nie von sich aus an. Er belästigt niemanden.
Für sein Engagement wurde der Gaza-Mann trotzdem schon abgestraft. So hatte die hiesige Universität letzthin ein Betretungsverbot für den Mann ausgesprochen. Kritik am Vorgehen in Gaza soll hier, am städtischen Denkzentrum, offenbar nicht sein.
Ich weiß das alles, weil ich mich in der Sache schlau gemacht habe. Dem Gaza-Mann habe ich nun schon wiederholt meine Anerkennung signalisiert. Wie ich ihn an jenem Abend so dastehen sah am Rande des Konzertplatzes, war mir, als sähe ich einen Freund.
Vor mir, hinter mir strömten die Massen ebenfalls weg vom Platz, am Gaza-Mann vorbei, aber seltsam, kaum jemand nahm Notiz von ihm, von seinen Plakaten, seinem stillen Protest.
Als wäre er unsichtbar, so gingen sie an ihm vorbei.
Extra stellte ich mich abseits, um minutenlang zu beobachten. Da waren sie, die jungen, aufgeklärten, modernen Menschen, die sich fraglos an der Spitze des Fortschritts wähnen.
Es ist das Stream Festival ja doch ein kulturelles Event, das tendenziell eher höhergebildete Jugendliche anzieht. Anzunehmen, dass sich etliche Studenten im Publikum befanden. Also junge, angehende Intellektuelle, die sich neugierig und kritisch mit der gegebenen Welt auseinandersetzen sollen.
Sie alle gingen desinteressiert am Gaza-Mann vorbei. Wirklich kein einziger blieb stehen oder verschwendete auch nur einen Blick in seine Richtung, dabei war der Mann und sein augenfälliges Gefährt bloß zwei, drei Meter von ihnen entfernt. Fast schon angestrengt sahen sie weg, während sie in Richtung Rathausgasse, Hauptplatz drängten. Sie ahnten wohl, die Auseinandersetzung mit dem Thema könnte sich mit der gegebenen Welt reiben, jedenfalls würde es sogleich die unbeschwerte Stimmung verderben. Ist nicht schön, was in Nahost passiert, und es wird mit jedem Tag unschöner, brutaler.

Schlussendlich der Haupt-Act. Edwin Rosen.
„Halt dich an mir fest
Lass mich nie mehr los…“

So sang er in seinem größten Hit über, na was wohl, Beziehungskram. Die Musik kam leichtfüßig und ein wenig gleichförmig daher. Kein schlechter Sound, gut tanzbar, aber die Songs ähnelten sich sehr, flossen recht beliebig dahin.
Die jungen Mädchen in ihren schlichten Trägertops und weiten Hosen, die brillentragenden Burschen mit bedruckten Turnbeuteln am Rücken, sie waren ganz uneitel, wenig geschminkt und gestylt, ganz locker drauf eben, sie wollten fast schon bemüht niemandem weh tun, nirgendwo anecken, nicht brüskieren. Zur gespielten Musik gingen sie aber so richtig ab. Für sie war es der perfekte Soundtrack zur lauen Frühsommernacht.
Ich verstand sie ja: In Anbetracht permanenter Krisenmodi und düsterer Zukunftsaussichten will man sich doch erst recht etwas abtrotzen von dem bisschen Leben, das man hat. Ich wollte das ja auch, ich war ja nicht besser.
Der Star des Abends stand derweil ganz allein auf der Bühne in einem riesigen leuchten Ring, spielte Gitarre und sang Deutschpop, zwischenzeitlich drehte er am Mischpult, von wo aus er die Beats abspielte, die seinen Gesang unterlegten.
Zumindest hielt er mittendrin mal eine kurze Ansprache, in der er das Festival und den kostenlosen Zutritt explizit lobend erwähnte. In einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr über die Runden kommen, ist so etwas wichtig, findet er. Ich fand es gut, dass er das angesprochen hat.

(2)
Am Wochenende darauf, Anfang Juni, andere Location, sehr ähnliches Publikum. Bubble days.
Der städtische Hafen, eigentlich schnödes Industriegebiet, verwandelte sich für zwei Tage in ein buntes Festivalgelände. Eintritt ebenfalls frei.
Wieder haufenweise junge Menschen. So viele!
So viele, dass ich mich fragte, wie man es schafft, eine solche Menge (der Veranstalter spricht von 40 000 Besuchern) hier zu versammeln. Für eine Friedens-Demo oder ähnliches versammeln sie sich ja nachweislich nicht.

Trotz des grundsätzlich freien Eintritts war diese Veranstaltung kommerzieller angelegt als das Stream Festival in der Vorwoche, das merkte man. Zahlreiche aufgestellte Fressbuden verkauften gar nicht billiges Streetfood, also Burger, Falafel oder Curry; Getränke und Cocktails gab es an eigenen Ständen. Das Musikalische war hier nicht die Hauptsache, nur Untermalung, um sich mit einem Becher Mango-Lassi oder Bier hinzufläzen.
Wenigstens hat man das vor einigen Jahren probeweise eingeführte Cashless-System wieder abgeschafft und die Besucher konnten wieder mit Bargeld bezahlen. Ist selten und ungewöhnlich, dass man so etwas wieder zurücknimmt.
Für € 3 habe ich mir alsbald ein Soft-Eis gegönnt; der mickrige Becher mit Melonenstücken für € 5 schien mir dann doch unverhältnismäßig teuer.
Auch hier waren alle bemerkenswert gut drauf und scheinbar unbeschwert.
Auf der Donau konnte man Stand-Up-Paddeln oder Flyboarding ausprobieren, eine Hafenrundfahrt mit dem Schiff machen oder im Fluss baden.
Alles das in dieser Kulisse des „Mural Harbor“, wo im Lauf der Jahre internationale Graffiti-Künstler riesige Wandgemälde geschaffen haben.
Von mehreren Bühnen tönten allenfalls sehr ähnliche, elektronische Klänge. DJs.
Musik, die oft ganz ohne Text, gänzlich ohne jede Aussage daherkommt.
Das angekündigte Hip-Hop-Duo EsRap wäre in dieser Hinsicht eine schöne Abwechslung gewesen, nur leider hatten die Musiker kurzfristig abgesagt.
Den feierwütigen Jugendlichen war das anscheinend egal. Hauptsache abshaken, so wippten und nickten sie im gleichbleibenden Takt.
Auf der Hauptbühne drehte eine junge Frau am Mischpult an den Knöpfen, dazu sang sie ein bisschen was ins Mikrofon. Nach ihrem Auftritt wurde final der ganz große Act angekündigt.
Der junge Mann, der nach der jungen Frau die Bühne betrat, drehte dann seinerseits an den Knöpfen, der Sound allerdings blieb der gleiche. Der einzige Unterschied zum vorhergehenden Auftritt war, dass der männliche DJ nicht ins Mikro sang. Maschinelle, hämmernde Töne. Die Menge ging ab, aber wie.


(3)
Am vergangenen Samstag schließlich, am 14. Juni 2025, fand in der Stadt Linz zum zweiten Mal (nach der Premiere 2024) der sogenannte „Sicherheitstag“ statt.
Von Feuerwehr über Rettung, Polizei bis Zollamt wurden die Einsatzkräfte des Landes präsentiert. Das Militär, das Bundesheer, wollte sich hier ebenso bestaunen lassen.

Diese Veranstaltung hatte ich zunächst gar nicht auf dem Schirm, als ich mich am vergangenen Samstag auf den Weg in die Stadt machte.
Sowie ich mit der Straßenbahn über die Nibelungenbrücke fuhr, fiel mir aber sogleich etwas höchst Irritierendes ins Auge. Auf der Donaulände, unterhalb vom städtischen Konzerthaus, hatte sich etwas Tarnfarbenes auffallend breitgemacht.
Ich weiß ja nicht, wie die Fachbegriffe lauten, weil ich mich konsequent weigere, die Speicherkapazitäten meines Gehirns mit militärischen Vokabeln zu verschwenden, aber da waren etliche Kampffahrzeuge auf der grünen Wiese, am Flussufer abgestellt. Mehrere Militärlaster, Truppentransporter und einiges mehr unter Tarnnetzen, ein großes Bundesheer-Zelt – unwillkürlich fragte ich mich, ob wir jetzt schon wirklich im Krieg sind, ehe mir der angekündigte „Sicherheitstag“ wieder einfiel.
Dass ein Militärhubschrauber über der Stadt kreiste und ebenda am Flussufer landete, war schon im Vorfeld als besonderes Spektakel angepriesen worden. Mit der Bezeichnung „Mehrzweckhubschrauber“ versuchte man die Tötungskompetenz des Fluggeräts hinlänglich zu verschleiern, aber ich weiß ja doch, was das heißt.
Alles das in der sogenannten „Friedensstadt“, die Linz ja immer noch sein will, irgendwie.
Es ist mindestens seltsam, das alles.

In der Bildergalerie der heutigen Nachrichten zum Thema sieht man jedenfalls kleine Kinder, die staunend schwere Waffen in ihren winzigen Händen drehen.
Kinder hinterm Maschinengewehr auf einem Gefechtsstand.
Kinder, die lustig im Militärhubschrauber umherklettern.
Kinder, die eine VR-Brille aufgesetzt bekommen (welche virtuelle Tötungsrealität man ihnen wohl solcherart als Spiel schmackhaft machen wollte?) und so weiter.
Schließlich auch das Bild eines stolz grinsenden Kindes. Der Bub steht vor einer militärisch uniformierten Kinder-Pappfigur und vor einem recht seltsamen Maßband. „Lizenz ab cm“ steht am oberen Bildrand zu lesen. Welche Tötungslizenz dem 1,40 m große Knirps hier wohl zugestanden wurde? Die Fotografie gibt diesbezüglich keine Antworten her, aber die uniformierte, pausbäckige Pappfigur ist ungefähr gleich groß wie das grinsende Kind.
Ein anderer Bub, dem man mit Glitzer einen Schmetterlingsflügel ins Gesicht gemalt hat, drückt wiederum mit nachdenklichem Blick auf den Knöpfen des „Mehrzweckhubschraubers“ herum. Grotesk.

Schon die kleinsten der Kleinen sollen also mit dem Militärischen vertraut gemacht und darauf angefixt werden.
Für mich sind das höchst bedenkliche, traurige Bilder.
Um zu diesen Eindrücken zu gelangen, musste ich übrigens tatsächlich auf die nachgereichten Medienberichte zurückgreifen.
Ich selbst hatte mich tatsächlich nicht überwinden können, am besagten Samstag zur Donaulände hinunterzugehen und mir das Ganze live zu geben.
Aber sicher habe ich die einladenden Schilder und Pfeile gesehen, auf denen „Hier geht's zum Bundesheer!“ zu lesen stand.
Das mit dem Bundesheer auf der Donaulände ist an sich ja auch schon wieder eine weitere Neuerung. Das hat es im Vorjahr, bei der Premiere des Linzer „Sicherheitstages“, noch nicht gegeben.
Auch das lese ich nachträglich in der Zeitung.
Tausende Besucher will man gezählt haben. Was bin ich froh, dass sie mich nicht mit dazuzählen konnten!
Als ich am Samstag nach meinem Stadtbesuch heimwärts fuhr, war der „Sicherheitstag“ fast schon wieder vorbei. Die Militärlaster gaben nach und nach die Wiese am Donauufer wieder frei und rollten davon.

Zu Hause hörte ich im Fernsehen dann noch was vom neu eingeführten „Veteranentag“ in Deutschland, gleich nebenan, bei unseren Nachbarn.
Der erste deutsche “Veteranentag“ fand dann auch gleich am nächsten Tag, am 15. Juni statt, also gestern.
„Ein Tag, an dem aktive und ehemalige Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst gewürdigt werden“, heißt es dazu vielsagend.
Auch so eine Neuerung, eine Premiere in der proklamierten gewendeten Zeit. Die Militarisierung, das Kriegerische schreitet voran, voran.
Naja, habe ich mir gedacht, alles fügt sich und erfüllt sich - aber nicht so, wie es im Morgenstern-Gedicht angelegt ist.
Was sich hier fügt und erfüllt, ist kein schönes, stilles Reifen und Werden oder Glück.
Es ist in jeder Hinsicht - das Gegenteil.



(1) Stream Festival:

Buntspecht, „Wenn du jetzt gehst“:

Betretungsverbot für Kritik an Gaza-Krieg:



(2) Bubble Days:



(3) Linzer Sicherheitstag:


„Friedensstadt“ Linz:


Erster nationaler Veteranentag in Deutschland:


 
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