30. Einsamkeit

molly

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Einsamkeit

Das neue Schuljahr begann für die Kinder mit einem Fest. Mit großen Zuckertüten unterm Arm und leichten Ranzen auf dem Rücken hatten Nele, Florian und Klaus ihren ersten Schultag.
Von nun an holte Florian jeden Morgen die Prinzessin und Klaus ab, anschließend klingelten sie Michael und Nele aus dem Haus und der gemeinsame Schulweg begann. Im letzten Jahr war David noch dabei gewesen. Jetzt wartete er meistens, bis sie an seinem Haus vorbei gingen und lief dann langsam hinter ihnen her, immer alleine. Rudi besuchte die fünfte Klasse und fuhr morgens mit dem Bus in die Stadt zur Schule. Von Heiner wollte David nichts mehr wissen und Rolf spielte nur noch mit Reinhard. Es gab keine David- Bande mehr.

Am ersten Schultag nach den Ferien erkundigte sich Frau Albi nach ihren Abenteuern. „Michael, berichte von dem Floß", rief Rolf. Die Kameraden schauten ihn erwartungsvoll an, nur David nicht. Starr und steif saß er auf seinem Platz und blickte nach vorne. Michael erzählte, dass sie mit dem Vater ein tolles Floß gebaut und damit im Bach gespielt hatten. Er schilderte auch die lustige Rotkäppchenfahne und berichtete von den vielen Abenden, an denen sie bis zur Nacht auf der Wiese spielen durften.

Doch Rolf gab sich nicht zufrieden. Sicher hatte Heiner ihm erzählt, was David erlebt hatte. „Erzähl weiter“, ermunterte er Michael.
„Nichts weiter", fuhr Michael ihn an, „ich könnte noch von der Hütte erzählen, oder willst du das tun? Du warst doch auch dabei".

Rolf winkte ab. Dass er David vor der Klasse gern ausgelacht hätte, ärgerte Michael, denn Rolf gehörte auch einmal zu der Bande. Michael biss die Zähne zusammen. Er hielt sich an die Abmachung mit den Freunden und dachte an Davids traurige Augen. Dennoch, es fiel ihm schwer nichts von der Floßgeschichte am Bach zu erzählen. Ab und zu hätte er ganz gern mit dem Sieg geprahlt.
Frau Albi schaltete sich wieder ein. Michael atmete erleichtert auf. Vielleicht hätte er doch noch etwas verraten. Die Lehrerein sagte, dass sie sich das Floß einmal anschauen würde und bat Peter, von seinen Ferien zu erzählen.

Ende September hatte Reinhard Geburtstag. Er verteilte wunderschöne Einladungskarten in der Schule, nur David ging wieder einmal ohne Karte nach Hause. Michael freute sich auf das Fest und erzählte der Mutter davon.
„Denk dir, Reinhard hat sogar Mädchen aus unserer Klasse eingeladen"!
Sie fragte: „Findest du das nicht gut"?
Michael sagte ihr, dass die Mädchen immerzu tuschelten, kicherten und schwatzen und dass er sie richtig doof fände.
„Wirklich alle?" wollte sie wissen. „Alle, außer Frau Albi", erklärte er.
Mutter lachte: „Du spielst doch jeden Tag mit Mädchen".
„Aber Mami, wie kommst du bloß darauf? Das stimmt gar nicht, ereiferte er sich.

„Ich denke an Nele, Sabinchen und die Prinzessin", sagte sie und band die Schleife um Reinhards Geschenk fest.
„Ach, die drei meinst du? Sie gehören doch zur Familie“, fand er. Die Mutter lächelte und gab ihm das Geschenk für Reinhard. Alle Rotkäppchenfreunde, außer Sabinchen, waren zum Feiern eingeladen worden. Florians Geschenk war das Rotkäppchen, das sich Reinhard gewünscht hatte.

Sie mussten an Davids Haus vorbei und sahen ihn am Fenster stehen. Kein Kind im Dorf durfte ihn zum Geburtstag einladen und niemand besuchte ihn. Meistens spielte er allein oder mit seinem Brüderchen. Oft saß er auch nur bei seinem Vater im Zimmer und starrte aus dem Fenster.

An manchen Tagen jedoch spazierte er durchs ganze Dorf. Seltsame Spaziergänge waren das. Beim Gehen wippte er, seine Fäuste steckten in den Hosentaschen. Er grüßte alle Leute sehr freundlich und nannte sie beim Namen. Manchmal rannte er auch, dabei stieß er einen Arm in die Luft und schrie: „ Hua,Hua.“ Dann verschwand er wieder und tagelang rührte er sich nicht aus dem Haus.

Eines Abends ging Michaels Vater alleine Milch holen und besuchte danach Davids Vater. Als er endlich zurückkam, lagen die Kinder schon im Bett. Er wünschte ihnen eine gute Nacht und versprach, am nächsten Tag eine lange Geschichte zu erzählen. Nele wollte lieber gleich eine kurze Geschichte hören. Der Vater vertröstete sie auf den nächsten Nachmittag. Er sagte, dass sie auch alle Rotkäppchen dazu einladen durften und löschte das Licht. Sie überlegten, was der Vater wohl erzählen würde und tuschelten noch eine Weile miteinander.
Bald gab Nele keine Antwort mehr und Michael drehte sich auf die Seite.

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In der nächsten Geschichte erzählt der Vater.
 



 
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