Hungerzeiten
Michael und Neles Vater sagte: „Das ist sehr lange her, aber ich kann mich noch an so vieles erinnern.“ Dann erzählte er weiter:
„Zuerst kamen wir in die Entlausungsbaracke. Ein Mann stäubte uns mit weißem Puder von Kopf bis Fuß ein. Toni brüllte dabei entsetzlich, bis Mutti ihm eine leichte Maulschelle gab. Wenn sich eine Laus bei uns versteckt hatte, so war sie nach dieser Behandlung mit dem Pulver sicher tot.
Eine Frau brachte uns zur Schlafbaracke. Viele dreistöckige Betten standen nebeneinander. Ruth und ich schliefen ganz oben. Das mittlere Bett belegten Iris und Mutti und unten schlummerte Oma mit Toni. Das war der beste Platz für die beiden. Oma wollte nicht hinauf klettern und Toni pinkelte manchmal noch ins Bett, ihn wollten wir nicht über uns haben. Im Lager erfuhren wir auch, dass Vati noch lebte. Er wohnte bei einem Bäcker in der Lüneburger Heide. Das war ein Freudentag für uns! Wir blieben nicht mehr lange im Lager, wir zogen in eine Wohnung bei Leipzig ein.
Viel lieber wäre ich gleich in die Lüneburger Heide zu Vati gefahren, doch Mutti erklärte, dass wir nicht herumziehen konnten, wie wir wollten. Das ginge jetzt allen Menschen so, sie glaubte aber, dass Vati uns bald zu sich holen würde.
Unsere neue Wohnung war schön, wir hatten zwei Zimmer und durften mit der Eigentümerin die Küche benutzen, nur Holz und Essen mussten wir uns selber besorgen. Wir fanden wenig Holz, um den Herd anzufeuern, aber wir hatten auch kaum etwas, was wir auf dem Herd hätten kochen können.
Vormittags gingen Ruth und ich zur Schule, nachmittags sammelten wir mit Oma Holz im nahen Wald. Mutti streifte mit dem Rucksack durch die Gegend, sie bettelte um Essen für ihre Kinder. An einem Nachmittag begleitete ich sie und habe erlebt, wie sie ausgelacht, beschimpft und verspottet wurde. Ein Mann sagte, wir wären fremdes, unerwünschtes Pack und sollten so schnell wie möglich verschwinden. Ich hätte mich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen, doch Mutti klopfte unbeirrt weiter an jede Haustür. Sie meinte, dass nicht alle Menschen hartherzig wären, es gäbe auch noch Leute, die etwas für die Armen übrig hätten. Doch um diese zu finden, müsste man an die Türen klopfen.
Eine große Hilfe waren die Pakete von Vati, er schickte uns Brot, Zucker und manchmal Speck. Das Brot war, wenn es bei uns ankam, steinhart und schimmlig, aber Oma klopfte den Schimmel weg und kochte eine feine Brotsuppe. Wir hatten gerade so viel zu essen, dass wir nicht verhungerten, aber immer zu wenig, um einmal richtig satt zu werden. Wir träumten von herrlichen Honigschnitten, kratzten den Kalk von den Wänden und nagten an unseren Fingernägeln.
Als wir eines Tages aus der Schule kamen, saß ein fremder Mann im Zimmer. Wir starrten den Besucher an, doch Oma rief, wir sollten endlich unseren Vati begrüßen. Wir sahen einen fremden, alten, und glatzköpfigen Mann vor uns und er sollte unser Vati sein? Wo hatte er seine Haare gelassen? Ich fragte ihn danach. Er sagte, die wären in Russland ausgefallen, doch einige Haare am Hinterkopf hätte er für uns gerettet. Er zeigte uns seine letzten Haare, doch ich glaubte nicht, dass er unser Vati war. Da trat Mutti ins Zimmer, lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er war also doch unser Vati und in drei Tagen musste er zurück in die Heide fahren. Ruth und ich sollten ihn begleiten. Wir konnten zusammen in Bäcker Jansens Stübchen wohnen und im Dorf zur Schule gehen. Bald würden wir dort eine Wohnung finden und dann kämen auch Mutti, Toni, Iris und Oma zu uns. Viel lieber wäre ich bei Mutti geblieben, denn Vati sah so verändert aus und er hinkte.
David fragte leise: „So wie mein Papa?“
„Ja, so, aber er hatte keine Krücke, sondern einen selbstgeschnitzten Stock von einem Ast, auf den stützte er sich beim Gehen.Seine Arme waren gesund und er brauchte auch keine Medizin für Kopfschmerzen zu nehmen.“
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In der Heide
Michael und Neles Vater sagte: „Das ist sehr lange her, aber ich kann mich noch an so vieles erinnern.“ Dann erzählte er weiter:
„Zuerst kamen wir in die Entlausungsbaracke. Ein Mann stäubte uns mit weißem Puder von Kopf bis Fuß ein. Toni brüllte dabei entsetzlich, bis Mutti ihm eine leichte Maulschelle gab. Wenn sich eine Laus bei uns versteckt hatte, so war sie nach dieser Behandlung mit dem Pulver sicher tot.
Eine Frau brachte uns zur Schlafbaracke. Viele dreistöckige Betten standen nebeneinander. Ruth und ich schliefen ganz oben. Das mittlere Bett belegten Iris und Mutti und unten schlummerte Oma mit Toni. Das war der beste Platz für die beiden. Oma wollte nicht hinauf klettern und Toni pinkelte manchmal noch ins Bett, ihn wollten wir nicht über uns haben. Im Lager erfuhren wir auch, dass Vati noch lebte. Er wohnte bei einem Bäcker in der Lüneburger Heide. Das war ein Freudentag für uns! Wir blieben nicht mehr lange im Lager, wir zogen in eine Wohnung bei Leipzig ein.
Viel lieber wäre ich gleich in die Lüneburger Heide zu Vati gefahren, doch Mutti erklärte, dass wir nicht herumziehen konnten, wie wir wollten. Das ginge jetzt allen Menschen so, sie glaubte aber, dass Vati uns bald zu sich holen würde.
Unsere neue Wohnung war schön, wir hatten zwei Zimmer und durften mit der Eigentümerin die Küche benutzen, nur Holz und Essen mussten wir uns selber besorgen. Wir fanden wenig Holz, um den Herd anzufeuern, aber wir hatten auch kaum etwas, was wir auf dem Herd hätten kochen können.
Vormittags gingen Ruth und ich zur Schule, nachmittags sammelten wir mit Oma Holz im nahen Wald. Mutti streifte mit dem Rucksack durch die Gegend, sie bettelte um Essen für ihre Kinder. An einem Nachmittag begleitete ich sie und habe erlebt, wie sie ausgelacht, beschimpft und verspottet wurde. Ein Mann sagte, wir wären fremdes, unerwünschtes Pack und sollten so schnell wie möglich verschwinden. Ich hätte mich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen, doch Mutti klopfte unbeirrt weiter an jede Haustür. Sie meinte, dass nicht alle Menschen hartherzig wären, es gäbe auch noch Leute, die etwas für die Armen übrig hätten. Doch um diese zu finden, müsste man an die Türen klopfen.
Eine große Hilfe waren die Pakete von Vati, er schickte uns Brot, Zucker und manchmal Speck. Das Brot war, wenn es bei uns ankam, steinhart und schimmlig, aber Oma klopfte den Schimmel weg und kochte eine feine Brotsuppe. Wir hatten gerade so viel zu essen, dass wir nicht verhungerten, aber immer zu wenig, um einmal richtig satt zu werden. Wir träumten von herrlichen Honigschnitten, kratzten den Kalk von den Wänden und nagten an unseren Fingernägeln.
Als wir eines Tages aus der Schule kamen, saß ein fremder Mann im Zimmer. Wir starrten den Besucher an, doch Oma rief, wir sollten endlich unseren Vati begrüßen. Wir sahen einen fremden, alten, und glatzköpfigen Mann vor uns und er sollte unser Vati sein? Wo hatte er seine Haare gelassen? Ich fragte ihn danach. Er sagte, die wären in Russland ausgefallen, doch einige Haare am Hinterkopf hätte er für uns gerettet. Er zeigte uns seine letzten Haare, doch ich glaubte nicht, dass er unser Vati war. Da trat Mutti ins Zimmer, lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er war also doch unser Vati und in drei Tagen musste er zurück in die Heide fahren. Ruth und ich sollten ihn begleiten. Wir konnten zusammen in Bäcker Jansens Stübchen wohnen und im Dorf zur Schule gehen. Bald würden wir dort eine Wohnung finden und dann kämen auch Mutti, Toni, Iris und Oma zu uns. Viel lieber wäre ich bei Mutti geblieben, denn Vati sah so verändert aus und er hinkte.
David fragte leise: „So wie mein Papa?“
„Ja, so, aber er hatte keine Krücke, sondern einen selbstgeschnitzten Stock von einem Ast, auf den stützte er sich beim Gehen.Seine Arme waren gesund und er brauchte auch keine Medizin für Kopfschmerzen zu nehmen.“
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In der Heide