35. Reise mit Hindernissen

Amadis

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Ariste erwachte früh am nächsten Morgen. Das Licht der ersten Dämmerung fiel weich durch die Lücken der alten Fensterläden ins Innere der Hütte und zeichnete die Umrisse der auf dem hölzernen Boden liegenden Körper schwach in die zurückweichende Dunkelheit.
Draußen begannen die ersten Vögel mit ihren Liedern den Tag zu begrüßen.
Die Seherin erhob sich leise, um die anderen nicht zu wecken, und verließ die Hütte. Morgendunst hing zwischen den Bäumen und Ariste sog die frische Morgenluft tief in ihre Lungen. Sie fühlte sich erholt, obwohl das Nachtlager alles andere als bequem gewesen war. Als sie leise Schritte hinter sich hörte, wandte sie sich um.
Markam hatte für die Nacht seine Kutte abgelegt und trug jetzt nur ein leichtes Wams und eine Hose aus dunkel gefärbtem Leinen. Er sah zerzaust aus, so als sei er noch nicht richtig wach. Ariste lächelte.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“
Der Zauberer schüttelte den Kopf.
„Ich werde immer um diese Zeit wach, wenn der Morgen dämmert und die Vögel ihr frühes Lied anstimmen.“ Er schaute mit zusammen gekniffenen Augen zum Himmel. „Wir sollten ohnehin nicht mehr zu lange hier verweilen. Die Zeit drängt und wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns.“
Ariste nickte.
„Du hast recht. Ich werde Mickel wecken.“
Sie betrat die Hütte. Loran hatte sich gerade erhoben und streckte seinen Körper. Er trug nur eine helle Leinenhose und die kräftigen Muskeln zeichneten sich auch im Halbdunkel des frühen Morgens deutlich ab. Ariste sah aber auch eine Reihe von Narben, die den Oberkörper des jungen Mannes bedeckten. Sie ging zu Mickel hinüber, der mit einem friedlichen und zufriedenen Ausdruck auf dem jungen Gesicht noch immer schlief. Sanft strich sie über sein Haar und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter. Der Junge brummte und drehte sich auf die andere Seite. Ariste lächelte.
„Du musst aufstehen, Mickel“, sagte sie leise.
Mickel öffnete die Augen einen Spalt weit.
„Aber es ist doch noch dunkel!“, beschwerte er sich.
„Es dämmert und wir müssen bald aufbrechen“, beharrte die Seherin.
Mickel setzte sich widerwillig auf und rieb sich die Augen. Sein blondes Haar stand wild vom Kopf ab, so als wolle es sich gegen den Aufbruch sträuben.
Ihr Frühstück bestand aus Weizentalern, die Ariste mitgebracht hatte, und einigen getrockneten Früchten, die Markam beisteuerte. Für Mickel gab es eine kleine Flasche Kräuterlimonade aus Aristes spärlichem Vorrat.
Die beiden Krills hatten sich an einigen Bäumen in der Umgebung gütlich getan. Loran legte den Tieren das Geschirr an, während Ariste und Markam ihre Habe zusammenpackten.
Nachdem sie einige Meilen geritten waren, mündete der Weg, auf dem sie sich bisher befunden hatten, in eine etwas breitere Straße, die augenscheinlich häufig von Wagen und Fuhrwerken befahren wurde. Am Stand der Sonne konnte Ariste erkennen, dass sie sich nach Osten wandten. Sie kamen gut voran und begegneten nur einigen Bauern, die ihren Verrichtungen nachgingen, und den seltsamen Reisenden keine Beachtung schenkten.
Ariste wandte sich an Markam.
„Hältst du es für klug, so offen auf der Straße zu reisen?“
Markam zuckte die Achseln.
„Verline weiß ohnehin, in welcher Gegend wir unterwegs sind. Aus der bisherigen Richtung unserer Reise kann sie auch unschwer folgern, wohin wir in etwa wollen. Dass wir nicht umkehren und zurück in die dünn besiedelten Gebiete des Westens reisen, dürfte ihr klar sein. Es kommt darauf an, dass wir schnell sind, bevor sie reagieren kann. Sie kann zwar zaubern, aber sie ist nicht in der Lage, ihre Truppen schneller zu machen.“ Er grinste. „Sie sind auf dieselben Wege angewiesen wie wir. Wäre es anders, hätte sie uns nicht diesen Anfänger und drei lächerliche Schattenspürer geschickt.“
Ariste nickte.
„Das ist sicher richtig. Die nächste Garnison der Garde ist in Skarding, das sind fast zwei Tagesritte. Trotzdem sollten wir darauf achten, möglichst wenig Aufsehen zu erregen.“
Markam lachte.
„Nun, allein unsere Krills sind schon ein außergewöhnliches Fortbewegungsmittel in dieser Region. Aber man wird uns für Reisende aus dem Süden halten. Du hast ja gesehen, dass die Leute, denen wir begegnet sind, uns keine große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Dies ist eine Hauptreiseroute und man ist an Fremde gewöhnt.“ Er überlegte kurz. „Vielleicht sollten wir das Äußere unseres kleinen Schützlings ein wenig verändern. Mit seinem hellen Haar wirkt er nicht gerade wie der typische Südländer.“
Er stoppte sein Krill und Loran tat es ihm gleich. Ariste öffnete ihren Rucksack und stöberte eine Weile, förderte dann ein Tuch zutage und ging hinüber zu Mickel. Sie faltete das Tuch und schlang es so um den Kopf des Jungen, dass sein blondes Haar komplett darunter verschwand. Dann begutachtete sie ihr Werk und lachte.
„Cool, wie ein Pirat“, meinte Mickel grinsend.
„Wie sieht ein Pirat aus?“, erkundigte sich Loran.
Mickel erklärte es ihm und Loran grinste.
„Aha, dann müssen wir dir wohl die Augenklappe und den merkwürdigen Vogel noch besorgen.“
„Stimmt“, nickte der Junge. „Das wäre voll cool!“
Einige Zeit später – die Sonne stand bereits hoch am Himmel – gelangten sie zu einer kleinen Ortschaft, deren Häuser sich an der Straße aufreihten wie Perlen an einer Schnur. Etwa in der Ortsmitte gab es ein Gasthaus, vor dem sie ihre Krills an einen Baum anbanden. Nachdem sie die Tiere mit Wasser versorgt hatten, betraten sie die Gaststätte. Auch hier schenkte man ihnen nur wenig Beachtung. Offenbar war man hier an Reisende wirklich gewöhnt und sie stellten keine Besonderheit dar.
Das Innere der Gaststätte war einfach aber überraschend sauber. Der Wirt, ein kleiner dürrer Mann mit einem riesigen Schnauzbart, begrüßte sie persönlich und wies ihnen einen Tisch im hinteren Bereich des Schankraumes an. Für die Tageszeit waren nicht sehr viele Gäste anwesend. An der Theke saßen drei abgerissen wirkende Männer, jeder mit einem großen Humpen Bier vor sich, und an den Tischen wohl etwa ein Dutzend, hauptsächlich Männer, die hastig ihre Mahlzeit zu sich nahmen, um möglichst schnell die Weiterreise antreten zu können.
„Was meinst du, wie lange wir noch brauchen werden?“, erkundigte sich Ariste bei Markam, nachdem sie bestellt hatten.
„Wenn wir weiter so gut voran kommen, sollten wir morgen am späten Nachmittag oder frühen Abend in Mor'Klatt eintreffen.“ Er nahm einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Ärmel seiner Kutte über den Mund. Als ihm auffiel, dass das nicht gerade fein war, grinste er verlegen und fuhr fort. „Ich hoffe, Harbon hat auf der langen Treppe keine Probleme. So lange er sich dort aufhält, gibt es keinen Kontakt mit ihm. Das dortige Apaethon ist von draußen nicht erreichbar.“
Loran, der sich an den inzwischen aufgetischten Speisen gütlich tat, nickte.
„Nach allem, was man so hört, soll es kein Vergnügen sein auf dieser Treppe“, meinte er zwischen zwei Bissen.
Markam zuckte die Achseln.
„Das weiß niemand so genau. Es gibt eine Menge Ammenmärchen und Geschichten, mit denen man kleinen Kindern Angst einjagt, die ihre Suppe nicht essen wollen. Wie viel davon wahr und was erfunden ist, weiß keine lebende Seele – außer inzwischen Harbons Gruppe ... möglicherweise.“
„Ich hoffe, es passiert ihnen nichts.“ Ariste klang besorgt und schaute dann lächelnd den kleinen Mickel an, dem es offensichtlich schmeckte.
Nach dem sie gegessen und bezahlt hatten, wuschen sie sich hinter dem Haus mit kaltem Wasser und machten sich dann erfrischt und ausgeruht wieder auf den Weg.
Sie waren noch nicht sehr lange unterwegs, als sie ein kleines Wäldchen passierten, das aus einer Reihe alter Bäume bestand, die dicht an dicht standen und das helle Mittagslicht weitestgehend abschirmten.
Plötzlich standen, als seien sie dem Boden entwachsen, zwei kräftig gebaute Männer mitten auf der Straße. Sie zielten mit gespannten Bogen auf die Reiter. Ein dritter Mann sprang von einem Baum und beförderte Loran aus dem Sattel seines Krill. Der hochgewachsene Mann schlug hart auf dem Boden auf. Sein Angreifer riss Mickel an sich und hielt dem Jungen ein kurzes Schwert an die Kehle.
Loran war schnell wieder auf den Beinen und griff nach seinem Langschwert. Ein Pfeil bohrte sich zwischen seinen langen Beinen in den Boden.
„Das solltest du lassen, Freundchen.“ Der Bogenschütze grinste und offenbarte eine Reihe braun verfärbter Zähne. Er legte einen neuen Pfeil auf und nahm Loran wieder ins Visier. „Es muss niemand verletzt werden. Gebt uns eure Wertsachen und zieht eures Weges.“
Markam erkannte die drei Männer, die in der Gaststätte an der Theke gesessen hatte. Offenbar spähten Sie dort Reisende aus, die sie für wohlhabend hielten, und überfielen sie anschließend.
Markam richtete sich im Sattel auf.
„Ihr solltet euch das noch einmal überlegen. Bei uns ist nicht viel zu holen und das ist den Ärger nicht wert.“
Der Mann lachte.
„Ärger? Welchen Ärger? Momentan sieht es eher so aus, als hättet ihr Ärger, Alterchen.“
Markam lächelte, aber seine Augen funkelten zornig. Er schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren.
„Diesen Ärger zum Beispiel!“ Er murmelte einige Worte und stieß dann die Hände in Richtung der Angreifer. Der Sprecher wurde von unsichtbaren Kräften genauso von den Beinen gerissen, wie der Mann, der Mickel in seiner Gewalt hatte. Der dritte Mann war so verblüfft, dass er einige Sekunden wie erstarrt stand. Diese kurze Zeit genügte Markam, auch ihn außer Gefecht zu setzen.
Rasch sprang er aus dem Sattel und eilte zu den am Boden liegenden Räubern. Ehe diese sich wieder erholt hatten, hatte der Zauberer sie mit ihren eigenen Gürteln verschnürt. Loran kümmerte sich um den dritten Mann. Dann sammelte er die Waffen der Angreifer ein. Diese waren inzwischen wieder bei Sinnen und musterten Markam mit einer Mischung aus Zorn, Hochachtung und Angst.
„Was … habt ihr jetzt mit uns vor?“, erkundigte sich der Sprecher der drei mit zitternder Stimme.
Markam tat, als würde er darüber nachdenken, strich sich über den Bart und kratzte sich am Kopf, Dann schaute er zu Mickel.
„Was meint Ihr, Lord Mickel?
Der Junge hatte sich inzwischen von dem Schreck erholt und baute sich vor den am Boden sitzenden Männern auf.
„Gibt es wilde Tiere in diesen Wäldern, Markam?“, fragte er mit harter Stimme.
„Sicher, Mylord.“ Der Zauberer nickte. „Ihr meint, wir lassen sie gefesselt hier, damit sie gefressen werden? Eine gute Idee!“
Die drei Räuber rissen die Augen auf und starrten ihre Bezwinger angsterfüllt an.
„Aber … junger Herr, wir … hätten Euch nie ein Leid zugefügt. Wir … sind einfach arme Leute und hungern ...“
„Mir kommen die Tränen“, brummte Loran und rieb sich die Kehrseite, die nach dem Sturz aus dem Sattel offenbar schmerzte. „Wenn alle armen Leute harmlose Reisende überfallen würden …“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Von mir aus lassen wir das Gesindel hier liegen, obwohl ich bezweifle, dass sich ein Tier findet, das … sowas „ er deutete in Richtung der Räuber „... fressen würde ...“
Ariste schüttelte ob des gebotenen Schauspiels lächelnd den Kopf.
„Nun lasst es gut sein, sonst machen sich diese … Herren … noch in ihr einziges Paar Hosen. Außerdem haben wir genug Zeit verloren. Kommt zum Ende.“
„Wie schade“, grinste Loran. „Kommt, junger Lord, wir müssen weiter.“ Er packte die Waffen der Räuber und schwang sich auf sein Krill. Dann zog er Mickel in den Sattel hinter sich.
„Aber … was wird nun aus uns?“ Der Anführer der Dreierbande klang immer noch verängstigt.
Markam sah auf ihn hinunter.
„Ich habe euch so gefesselt, dass ihr euch in einigen Stunden selbst werdet befreien können. Lasst es euch eine Lehre sein und verdient euren Lebensunterhalt künftig auf anständige Art und Weise.“
„Danke, Herr … das versprechen wir.“
„Wer's glaubt ...“, brummte Loran.
„Herr ...“, meldete sich der Mann noch einmal vorsichtig.“Unsere Waffen ...“
Loran lachte auf.
„Jetzt wird er unverschämt, Markam. Zaubere ihm ein Geschwür an seinen dürren Hintern!“
Der Mann verzog erschrocken das Gesicht. Markam schaute ihn missbilligend an.
„Die Waffen werden wir in den nächsten Fluss werfen, den wir auf unserer Reise sehen. Anständige Leute brauchen keine Waffen.“
„Natürlich, Herr Zauberer.“ Der Räuber wirkte ehrlich zerknirscht aber wohl eher ob des Verlustes der wertvollen Waffen, als aufgrund der Tatsache, dass er sich seines Lebenswandels schämte. Markam musste grinsen.
„So ist es brav.!“
Mit diesen Worten schwang er sich auf sein Krill und die vier Gefährten setzten die Reise fort.
 

flammarion

Foren-Redakteur
hm,

nach wie vor spannend.
gemecker: Offenbar spähten Sie dort Reisende aus - du weißt schon, "Sie" muss klein geschrieben werden.

Markan tat, als würde er darüber nachdenken, Dann . . . nach m komma geht es klein weiter.
ganz lieb grüßt
 
Die beiden Krills hatten sich an einigen Bäumen in der Umgebung gütlich getan. Loran legte den Tieren das Geschirr an, während Ariste und Markam ihre Habe zusammenpackten.
Nachdem sie einige Meilen geritten waren, mündete der Weg, auf dem sie sich bisher befunden hatten, in eine etwas breitere Straße, die augenscheinlich häufig von Wagen und Fuhrwerken befahren wurde.
Ich würde hier einen Absatz setzen, da die vier ja einige Zeit unterwegs sind bevor sie auf die breite Straße gelangen.

Plötzlich standen, als seien sie dem Boden entwachsen, zwei kräftig gebaute Männer mitten auf der Straße.
Der Satz klingt ein wenig abgehackt. Was wäre mit Als seien sie dem Boden entwachsen, standen auf einmal zwei kräftig gebaute Männer mitten auf der Straße. Ist nur ein Vorschlag, musst Du ja nicht übernehmen ;)

Loran kümmerte sich um den dritten Mann(,) (d)ann sammelte er die Waffen der Angreifer ein.
Diese waren inzwischen wieder bei Sinnen und musterten Markam mit einer Mischung aus Zorn, Hochachtung und Angst.
Das liest sich so, als wären die Waffen der Angreifer wieder bei Sinnen. Kann ja gar nicht ;)
 



 
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