365 Tage ohne meinen Mann

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Ich gehöre zu der Sorte Frau, die noch an die Ehe glaubt und dafür bereit ist zu kämpfen. ,,Dich sollte man in die ,,rote Liste“ eintragen“- scherzt meine Tochter.

Ich vergleiche die Ehe oft mit einem Milchtopf auf dem Herd, eine gute Ehefrau achtet darauf, dass die Milch nicht überkocht. Und passiert es doch mal räumt sie, schweigend, die Sauerei weg. Auch in der Ehe kochen Gefühle mal über und es ist wichtig rechtzeitig die Hitze zu reduzieren, um den Ausbruch zu verhindern. Den größten Part in der funktionierenden Ehe trägt die Gattin; sie muss ihren Pflichten nachkommen, ihre Wünsche zurückstellen, ihren Mann lieben und in allem unterstützen. Nun aber hat meine Freundin sich scheiden lassen, darüber ich empört, ja, regelrecht gekränkt bin. Wie könnte es bloß soweit kommen? Was hat sie falsch gemacht? Klar, wusste ich, dass in ihrer Ehe nicht alles glatt lief, aber mein Gott, wo läuft es dann immer glatt. Wir sind seit unserer Kindheit befreundet, haben beinah zur selben Zeit geheiratet, unsere Kinder bekommen, diese auf die Beine gestellt. Mir liegt also viel am Wohlergehen meiner Freundin, aber musste dieser Schritt denn sein?

Eines Tages erzählte sie mir, in einem langen Gespräch, das was man auch als Freundin nicht sieht, oder nicht sehen will. Und jetzt kommt mein Ehegebäude, das wetter-und krisenfest gebaut ist ins Wanken. Ich, eine glühende Verfasserin der Ehe, muss zugeben, dass man eine Beziehung nicht um jeden Preis aufrechterhalten muss.

Tag 1​

Heute hat mich mein angetrauter Ehemann verlassen. Nach 45 Jahren Ehe. Ohne Grund. Oder gab es vielleicht doch einen? Wenn ich darüber nachdenke muss ich zugeben, dass sein Verhalten sich mir gegenüber in der letzten Zeit verändert hatte. Erst langsam, fast schleichend und dann, nach dem er aus der Kur zurück war mit einem Tempo, ohne jeglicher Geschwindigkeitsbegrenzung. Er musterte mich ungeniert, als wäre ich ein Gaul auf dem Basar und hielt auch mit seinen Bemerkungen nicht hinter dem Berg. Früher gab er seinen Frust portionsweise zum Besten, lies mir Zeit diese zu verkraften, jetzt aber goss er Galle, unentwegt, auf meine wunde Stelle- mein Gewicht

Nun ist er weg.

Tag 2​

Habe ein paar gut gemeinte Ratschläge bekommen. Ich solle ihn doch bitten zurückzukommen, denn ohne ihn wäre ich nicht lebensfähig.

Wir werden sehen.

Tag 5​

Heute gehe ich zum ersten Mal einkaufen. Sonst sind wir immer mit dem Auto gefahren. Das Auto ist jetzt auch weg. ,, Wer es bezahlt hat, dem gehört es auch“- so mein Mann. Habe mir einen Hackenporsche zugelegt; klein, wendig, fast neu.

An der Kasse bin ich verblüfft wie wenig mein Einkauf kostet. Keine Roggenvollkornbrötchen, keinen Käse von der Theke, keinen Aufschnitt, keine teuren Getränke.

Ich verbuche in meiner Eheausliste den ersten Pluspunkt.

Tag 10​

Gehe spazieren. Habe viel Zeit und wenig Geld. Umgekehrt wäre es mir lieber. Eine Bekannte die ich WAS GEHT nenne, jagt auf ihrem Drahtesel an mir vorbei und ruft mir, wie immer: ,, Was geht“ zu. Früher bemühte ich mich ihr eine knappe Antwort hinterher zu schreien, jetzt mache ich es nicht mehr. Wozu auch? Sie hört es doch nicht. Mein Mann meinte immer es sei unhöflich den Leuten nicht zu antworten.

Aber jetzt, wo er doch weg ist.

Sonntag​

Gehe zum Gottesdienst. Allein. Steuere meinen angestammten Platz an, werde jedoch vom Ältesten ausgebremst, er zeigt mit seinem knöchrigen Finger, auf die letzte Reihe. Beiße die Zähne zusammen und nehme in der letzten Reihe, auf dem letzten Stuhl Platz.

,,Die Letzten werden die Ersten sein“- sagt meine neue Nachbarin und zwinkert mir zu.

Sie sitzt schon wohl länger hier.

Mir taten diese Frauen, in der letzten Reihe immer schon leid. Sie sind praktisch unsichtbar; keiner lädt sie zum Kaffeetrinken, zum Bibelkreis oder zu den Spielnachmittagen ein. Ihr einziges Recht besteht darin, am Gottesdienst teil zu nehmen. Und ihr Vergehen- nicht genug für die Ehe getan zu haben.

Ich werde ein Minuszeichen in der Eheausliste setzen müssen.

Tag 14​

Habe mir einen Tagesplan zurecht gelegt. So ist es einfacher mit der Freizeit umzugehen. Bin jetzt eine stolze Besitzerin einen 24 Stundentages. Damit muss ich lernen umzugehen. Sonst hatte mein Mann und der Arbeitgeber(als ich noch gearbeitet hatte) über meine Zeit verfügt. Diese neue Situation ist ungewöhnlich, aber auch schön zugleich.

Erneut ein Pluspunkt.

Tag 30​

Abends besucht mich oft die Miss Traurigkeit. Überlege was ich dagegen tun könnte. Vielleicht etwas, außer Tagebuch, schreiben? Mein Mann sagte immer, dass ich keinen richtigen Satz zur Papier bringen könnte.

Mal sehen.

Tag 90​

Mein Mann hat heute, in der Gemeinde, seine Verlobung bekannt gegeben. Er heiratet eine Braut Jesu, vereinfacht gesagt – eine alte Jungfer. Von Nachbarstuhl kommt prompt: ,, Hoffentlich schafft er sie, ohne fremde Hilfe , zu entjungfern“. Und nach einer Weile:,, Aber wer weiß. Einmal im Jahr schießt, bekanntlich, auch ein Holzgewehr“.

Wünsche der Braut im Geiste viel Glück.

Sonntag. Tag 120​

Meine Sonntage sind jetzt stressfrei. Sonst bin ich nach dem Gottesdienst nach Hause gehetzt, um das Mittagessen vorzubereiten. Rindergulasch. Jeden Sonntag. Punkt 13 Uhr. Egal ab ich schwanger war, ein krankes Kind hatte oder in die Spätschicht musste

Rindergulasch, jeden Sonntag, Punkt 13 Uhr.

Ich stand um 5 Uhr morgens auf um den Gulasch vorzukochen und nach der Kirche den Salat, den Nachtisch, zwei verschiedene Beilagen(mein Mann bestand darauf eine Auswahl zu haben)vorbereiten

Jetzt gehe ich gemütlich Heim und koche mir ein Süppchen.

Ein Pluspunkt

Tag 150​

Habe angefangen zu schreiben, plattdeutsch, klappt ganz gut. Stelle manches davon ins Internet, meine Kinder unterstürzen mich, falls ich nicht weiter komme. Schön, dass ich Kinder habe.

Habe abgenommen. Einfach so. Ohne Anstrengungen.

Tag 168​

Morgen ist die Hochzeit meines Mannes. Die ganze Kirchengemeinde ist eingeladen, bloß die letzte Reihe nicht. Bekomme von der Predigt heute nichts mit. Denke an unsere Hochzeit. Wie glücklich wir damals waren! Die Tränen verschwinden unter meiner Maske. Beim Rausgehen fragt die Nachbarin aus der letzten Reihe: ,,Weihnachtsmarkt? Ein Glühwein könnte nicht schaden!“ Ich nicke. Ich war nur einmal in meinem Leben auf dem Weihnachtsmarkt. Kurz nach unserer Hochzeit. Und danach nie wieder. Mein Mann meinte, ich könne mich nach einem Glühwein nicht benehmen. Werde heute so viel Glühwein trinken, wie ich will und laut lachen.


Nicht vergessen einen Pluspunkt in meiner Liste einzutragen.

Freitag. Tag 200​

So eben war mein Mann mit seiner neuen Frau da. Er wollte den alten Werkzeugkasten abholen (den sollte ich ursprünglich entsorgen) und seiner Gattin sollte sich Kochtipps von mir geben lassen. Nenne ihr 10 Lieblingsgerichte, die ihr Mann gern aß, als er noch mein Mann war. Ich gehe davon aus, dass sie noch nie von solchen Gerichten gehört hatte, geschweige denn gekocht.

Wünsche ihr viel Spaß beim Nachkochen.

Der 365 Tag

Habe mal gelesen, dass die Verliebtheit ein biochemischer Zustand ist und bis zu 3 Jahren anhält(der Körper schüttet Glückshormone aus). Wenn dem so ist, dann habe ich noch gut 730 Tage um glücklich zu sein. Denn ich bin verliebt, verliebt in mich selbst.​

Die Pluspunkte, in meiner Eheausliste, überwiegen. Eindeutig!
 

Blue Sky

Mitglied
Man sagt ja, Menschen sind Gewohnheitstiere. Darunter verliert man, vielleicht auch mit aus Bequemlichkeit, dass Gefühl dafür, das Zustände in einer Beziehung eigentlich unerträglich geworden sind.

muss zugeben, dass man eine Beziehung nicht um jeden Preis aufrechterhalten muss.
Vor allem wenn z. B. Jähzorn und Testosteron nicht mehr im Zaum zu halten ist.

So eine für und wider - Abwägung ähnlich wie deine bräuchte es eigentlich ständig als Prüfungstool.

darüber ich empört, ja, regelrecht gekränkt bin.
worüber ... ?

LG
BS
 



 
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