Als die Sonne sich bereits dem Horizont näherte, und das Land am Grold in weiches, rötliches Licht tauchte, passierte die Gruppe um Harbon und Wedekind auf der Handelsstraße einige Ruinen, die offensichtlich einmal Befestigungsanlagen gewesen waren.
Gorman, der zusammen mit Martis an der Spitze der kleinen Gruppe ritt, lenkte sein Pferd an den Straßenrand und bedeutete seinen Gefährten anzuhalten. Harbon lenkte sein Pferd neben das des Fürsten.
„Warum halten wir?“, erkundigte sich der Zauberer.
Gorman deutete auf die Ruinen.
„Das sind die Ruinen der vorgeschobenen Festungsanlagen von Mor'skar“, erklärte er. „Es ist nicht mehr weit bis zur Stadt und damit auch zur Gardegarnison.“
Harbon nickte.
„Dann schlage ich vor, wir rasten hier, bis es völlig dunkel geworden ist.“
Gorman schwang sich wie zur Bestätigung von seinem Hengst. Martis tat es ihm gleich.
Nachdem alle abgestiegen waren, führten sie ihre Pferde in den Schutz der Ruinen, sodass man sie von der Straße aus nicht mehr sehen konnte. Nachdem die Pferde versorgt waren, machten es sich die Gefährten so gemütlich, wie es möglich war.
Wedekind, dessen Rücken stark schmerzte, streckte sich stöhnend auf dem Boden aus und versuchte, sich ein wenig zu entspannen. Harbon setzte sich neben ihn auf den Rest einer Mauer.
„Wie fühlst du dich, Wunderkind?“
„Großartig, danke der Nachfrage.“ Der Antiquar stöhnte leise, als er sich auf die Seite drehte, um den Zauberer anzuschauen. Harbon lächelte.
„Versuch, dich ein wenig auszuruhen. Wir haben etwas Zeit, bis es dunkel genug ist.“
Wedekind brummte.
„Wenn du etwas hübscher wärst und nicht diesen grässlichen Bart hättest, könnte ich eine Massage gebrauchen.“ Er verdrehte die Augen beim Gedanken an eine entspannende Behandlung – und vielleicht ein Moorbad.
„Hübscher?“ Harbon schüttelte den Kopf. „Du hast nur keine Ahnung von männlicher Schönheit, kleiner Mann! Und sage nichts mehr gegen meinen Bart, sonst könnte es passieren, dass ich dir zu allem Überfluss ein Geschwür an dein Sitzfleisch zaubere. Dann möchte ich sehen, wie du reitest, Wurstling.“ Er lachte grollend und Wedekind verdrehte die Augen.
Gorman, der nur wenige Schritte entfernt auf einem Stein saß, schaute kopfschüttelnd zu den beiden herüber.
„Man könnte meinen, ihr beide seid verheiratet.“ Er grinste.
Harbon lachte grollend.
„Zum Glück sind wir das nicht, Fürst.“
Wedekind winkte ab und drehte sich wieder auf den Rücken. Nach kurzer Zeit war er eingeschlafen.
Gorman setzte sich zu Harbon.
„Meinst du, er hält das durch?“, erkundigte er sich mit einem Nicken in Wedekinds Richtung.
Der Zauberer nickte.
„Er ist zäher, als er aussieht und als er selbst glaubt.“
Der Fürst zuckte die Achseln.
„Du kennst ihn länger, Zauberer.“
„Man wird sich noch über Wedekind wundern, glaub mir das, Fürst.“ Er lächelte wissend.
Gorman wechselte das Thema.
„Wir sollten kurz besprechen, welchen Weg wir in der Nacht nehmen.“ Er griff in den Schaft seines Stiefels und zog ein Pergament heraus, das er entfaltete. Harbon erkannte, dass es sich um eine Karte handelte.
„Du bist gut vorbereitet“, lobte er mit breitem Grinsen.
„Vorbereitung ist alles.“
Der Fürst breitete die Karte auf einem der größeren Mauerstücke aus. Das Licht des schwindenden Tages reichte gerade noch aus, die Karte zu lesen.
„Hier sind wir.“ Gorman deutete auf einen Punkt neben der Handelsstraße. „Dort ist Mor'skar und hier ...“ Sein Finger bewegte sich zu einem Punkt westlich der Stadt. „... befindet sich die Garnison.“ Harbon beugte sich über den Plan.
„Da müssen wir einen ziemlich großen Bogen um die Stadt schlagen“, meinte er und verzog das Gesicht.
Gorman nickte.
„Entweder westlich an der Garnison vorbei oder wir bleiben auf der Handelsstraße, bis wir die Stadt passiert haben und reiten dann querfeldein, um hier ...“ er deutete auf einen Punkt südwestlich der Garnison, „ … wieder auf die Straße nach Westen zu stoßen.“
Harbon überlegte.
„Der zweite Weg ist sicher einfacher, aber so nahe der Stadt und auf der Handelsstraße sind wahrscheinlich mehr Patrouillen unterwegs.“
Der Fürst strich sich über den Bart.
„Das ist wahr. Allerdings würden wir dort nicht so sehr auffallen, weil dort mehr Leute unterwegs sind. Solange uns niemand sieht, sind wir auf dem ersten Weg besser dran.“
Der Zauberer dachte einen Moment nach. Dann traf er eine Entscheidung.
„Wir nehmen den ersten Weg. Wer weiß, was uns in der Stadt erwartet? Immerhin ist es eine Garnisonsstadt.“
Gorman nickte.
„Ja, das würde ich auch vorschlagen. Sonst hätten wir auch am Tage reiten können.“
Damit war es beschlossen. Harbon unterrichtete die Gefährten von seiner Entscheidung und erklärte anhand der kleinen Karte ihren Weg. Anschließend versuchten alle ein wenig Ruhe zu finden.
Als das letzte Glühen des Sonnenuntergangs am Horizont hinter den fernen Bergen verschwunden war, rief Harbon die Gefährten zum Aufbruch.
Wedekind rappelte sich mühsam auf und streckte die schmerzenden Glieder. Er sehnte sich nach der Bequemlichkeit unter Farnons Dach.
Die Gruppe versammelte sich um Gorman.
„Martis und ich reiten einige hundert Meter links von euch, um eure Flanke zu decken und Patrouillen, die von der Garnison her kommen, frühzeitig zu erkennen. Ihr anderen reitet mit Harbon etwas abseits der Hauptstraße und wir treffen uns am vereinbarten Punkt südwestlich der Garnison. Von dort reiten wir auf der Straße weiter, bis wir in sicherer Entfernung von Mor'skar sind. Dort gibt es einen Lagerplatz, wo wir den Rest der Nacht verbringen können.“
Harbon klatschte in die Hände.
„Na dann“, meinte er zuversichtlich. „Unverzagt voran!“ Er lachte.
„Das Pfeifen im Walde“, brummte Wedekind und hielt sich den Rücken, was ihm einen verweisenden Blick des Zauberers und einen kleinen Klaps von Jolene eintrug. Der Antiquar streckte der hochgewachsenen Frau die Zunge heraus, grinste aber dann und kletterte mit ein wenig Mühe in den Sattel seiner Stute. Er trieb das Tier neben Jolenes Pferd.
„Komm erstmal in mein Alter, du Küken!“
Jolene lachte hell auf.
„Lass dich nicht so hängen, Alterchen“, frotzelte sie.
„Von wegen, Alterchen! Freche Göre!“
Alle lachten und folgten Harbon, während Wedekind in der Mitte der Gruppe ritt.
„Damit du nicht verloren gehst“, meinte der Zauberer mit einem Augenzwinkern.
Gorman und Martis trennten sich nach kurzer Zeit von der Gruppe und wandten sich nach links, während Harbons leicht nach rechts ritt. Schon nach wenigen Sekunden waren die beiden Reiter in der tintigen Schwärze der Nach verschwunden.
Es dauerte eine Weile, bis sich Wedekinds Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sein Pferd allerdings trabte sicheren Schrittes durch die Nacht und folgte Jolene, die direkt vor dem Antiquar ritt wie ein Schatten. Wedekind schätzte, dass etwa zehn Minuten vergangen waren, als er die Umrisse von Jolenes Pferd im schwachen Sternenlicht etwas besser erkennen konnte. Von da an fühlte er sich nicht mehr ganz so unwohl in seiner Haut. Sie ritten schweigend dahin, darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen, die sie hätten verraten können. Weit entfernt glaubte Wedekind nach einer Weile einige Lichter auf der linken Seite zu sehen, aber er war sich nicht sicher, ob ihm nicht seine angespannten Sinne einen Streich spielten.
Sie kamen recht gut voran und Wedekind erwischte sich nach einer Weile, wie er ob des eintönigen Ritts und seiner Müdigkeit das eine oder andere Mal einnickte.
„Sekundenschlaf“, brummte er. Zum Glück war ein Pferd klüger als ein Auto. Er musste grinsen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als von links plötzlich Hufgetrappel zu hören war. Harbon und Jolene brachten ihre Pferde zum Stillstand und auch Wedekind hielt inne. Er hörte, wie Elden sein Schwer zog und griff unwillkürlich nach dem Kurzschwert. Niemand gab einen Laut von sich und Wedekind lauschte angestrengt in die Dunkelheit.Die Pferde kamen eindeutig näher aber Wedekind hatte nicht den Eindruck, dass es sich um sehr viele Reiter handelte. Elden trieb sein Pferd langsam neben das von Harbon und Wedekind ließ seine Stute ebenfalls näher zum Zauberer laufen.
„Es sind maximal drei Reiter“, flüsterte Elden kaum hörbar. Wedekind konnte mehr fühlen als sehen, dass der Zauberer nickte.
„Es sind Gorman und Martis“, meinte er etwas lauter. Wedekind schaute Harbon verblüfft an, enthielt sich aber eines Kommentars. Auch Elden schien nicht überzeugt, denn er hielt immer noch den Griff des Schwertes umklammert.
Endlos scheinende Sekunden vergingen. Die Geräusche der Pferdehufe wurden lauter, bis sich schließlich in vielleicht zehn Metern Entfernung die Umrisse zweier Reiter aus dem Dunkel schälten. Harbon hatte richtig gelegen: Es handelte sich wirklich um den Fürsten und seinen kleinen Freund.
Wedekind fragte sich, wie die beiden sie in dieser Dunkelheit hatten finden können, verschob die Frage aber auf einen späteren, passenderen Zeitpunkt.
„Eine Patrouille nähert sich“, erklärte Gorman leise. „Dort“, er zeigte nach rechts, „ist ein kleines Wäldchen. Nur fünfzig Meter entfernt.“
Wedekind schaute in die Richtung, die der Fürst meinte, konnte aber rein gar nichts erkennen. „Steigt von den Pferden und folgt mir. Kein weiteres Wort!“
Wedekind ließ sich aus dem Sattel gleiten, nahm die Zügel seiner Stute in die Hand und folgte Harbon, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Tatsächlich erreichten sie nach kurzer Zeit die ersten Bäume. Harbon, der noch immer vor ihm ging, trat auf einen trockenen Ast, der mit einem Geräusch zerbrach, das wie ein Schuss durch die Stille der Nacht hallte. Der Zauberer zischte einen Fluch und setzte seinen Weg noch vorsichtiger fort. Dann blieb er stehen und wartete, bis sich alle in den zweifelhaften Schutz der Bäume zurückgezogen hatten.
„Wenn sie nahe herankommen, haltet den Pferden die Nüstern zu, aber erst im letzten Moment, sonst werden die Tiere unruhig“, wies Gorman die Gefährten an.
Wedekind presste sich nah an sein Pferd und streichelte ihm beruhigend den Hals. Die Stute allerdings schien keineswegs beunruhigt. Sie stand wie eine Statue neben dem Antiquar und Wedekind fragte sich mit einem Grinsen, wer hier wen beruhigte.
Nach einer Weile verlor Wedekind jegliches Zeitgefühl und fühlte sich auf die lange Treppe zurück versetzt, nur dass diesmal sogar das Licht des Syrill fehlte. Er hatte keine Ahnung, ob er fünf Minuten oder eine Stunde so da gestanden hatte, als plötzlich das Geräusch nahender Pferde an seine Ohren drang. Sogar er konnte hören, dass es diesmal mehr als zwei oder drei Reiter waren, die sich da näherten. Deutlich mehr.
Neben ihm schnaubte Harbons Hengst und der Zauberer flüsterte beruhigend auf das Tier ein.
Wedekinds Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Näher und näher kamen die Hufgeräusche. Wedekind war klar, dass es völlig sinnlos war, aber er starrte angestrengt in die Dunkelheit, und versuchte, die sich nähernden Reiter zu erspähen. Die Konzentration auf die Sinnesorgane trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und er verfluchte innerlich seine Nervosität.
Harbon, der die Anspannung seines Freundes zu spüren schien, legte einen Hand auf seinen Arm und drückte leicht zu. Der Antiquar versuchte, sich ein wenig zu entspannen, schloss die Augen und konzentrierte sich ausschließlich auf sein Gehör.
Es raschelte hier und da, wenn sich eines der Pferde oder einer der Menschen im Wald bewegte, aber nach und nach übertönte das Getrappel der herannahenden Pferde die leisen Geräusche, die von der Gruppe ausgingen. Das beruhigte Wedekind einigermaßen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die Reiter so leise Geräusche wahrnehmen konnten, wenn ihre Pferde derart laut waren.
Wenn Wedekind seinen Ohren trauen wollte, so waren die Reiter nun nicht mehr weiter als vielleicht fünfzig Meter entfernt. Dann verebbte das Geräusch der Pferdehufe plötzlich. Sie hatten gestoppt!
Warum sie ausgerechnet an dieser Stelle ihren Patrouillenritt unterbrachen, konnte sich Wedekind nicht erklären. Er hoffte auf einen Zufall. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, konnte aber außer den eigenen Atemzügen und denen der ihm am nächsten stehenden Menschen und Pferde nichts mehr hören. Er unterdrückte einen Fluch. Erneut brach im der Schweiß aus.
'Ich bin ein schöner Held. Trimandar hat schlechte Karten, wenn es auf Leute wie mich angewiesen ist', dachte er grimmig. 'Bei der kleinsten Gefahr bricht mir der Angstschweiß aus.'
Er versuchte es wieder mit tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, aber diese erschienen ihm so laut, dass er es nach einigen Sekunden wieder aufgab und lieber schwitzte. Die Spannung, die im Kreis der Gefährten herrschte, war fast mit Händen zu greifen – oder bildete er sich das nur ein und außer ihm waren alle völlig entspannt? Ein Schweißtropfen hatte den Weg zu seiner Nasenspitze gefunden und wartete dort eine Menge juckender Sekunden, eher er sich endlich entschloss, auf den Waldboden zu fallen. Wedekind griff nach seiner Nase und kratzte das juckende Riechorgan. Die Bewegung verursachte ein leises Geräusch, als sein Arm gegen einen herabhängenden Ast stieß. Wedekind erstarrte und senkte den Arm so langsam und vorsichtig, wie er konnte.
Nach einer Zeitspanne, die Wedekind wie eine Ewigkeit vorkam, hörte er aus der Richtung, aus der zuletzt die Pferdehufe zu hören gewesen waren, einen leisen Ruf im Kommandoton. Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Einige Sekunden später, wusste er es: Die Pferde der Gardisten waren wieder zu hören und diesmal schienen sie sich zu entfernen. Nach einer Weile war diese Annahme und Hoffnung zur Gewissheit geworden. Wedekind entspannte sich und atmete tief durch. Mit dem Ärmel seiner Leinenjacke wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Na, das war … interessant, nicht wahr, Wedelmann?“ Wedekind ahnte das breite Grinsen des Zauberers.
„Interessant?“ Er schnaubte. „Na, wenn du das sagst, muss es wohl so sein, Zauberer.“
Harbon lachte.
„Wir waren nicht wirklich in Gefahr“, meinte er dann. „Ich hatte da schon noch das eine oder andere in der Hinterhand. Aber so ist es besser. Wir wollen Verline ja nicht unnötig auf uns aufmerksam machen.“
„Danke, dass du mir das vorher nicht gesagt hast“, brummte der Antiquar.
Harbon ließ seine Hand auf die Schulter des Freundes krachen.
„Du musst noch viel über unsere Welt lernen, Wenderich. Vor allem hast du dich immer noch nicht an die Zauberei gewöhnt, sonst hättest du gewusst, dass ich sehr wohl in der Lage bin, uns vor Normalsterblichen zu verbergen.“
„Wir sollten aufbrechen“, unterbrach Gorman das Gespräch.
Harbon nickte.
„Du hast recht.“
Sie führten ihre Pferde aus dem Wald, stiegen auf und setzten ihren Weg fort.
Gorman, der zusammen mit Martis an der Spitze der kleinen Gruppe ritt, lenkte sein Pferd an den Straßenrand und bedeutete seinen Gefährten anzuhalten. Harbon lenkte sein Pferd neben das des Fürsten.
„Warum halten wir?“, erkundigte sich der Zauberer.
Gorman deutete auf die Ruinen.
„Das sind die Ruinen der vorgeschobenen Festungsanlagen von Mor'skar“, erklärte er. „Es ist nicht mehr weit bis zur Stadt und damit auch zur Gardegarnison.“
Harbon nickte.
„Dann schlage ich vor, wir rasten hier, bis es völlig dunkel geworden ist.“
Gorman schwang sich wie zur Bestätigung von seinem Hengst. Martis tat es ihm gleich.
Nachdem alle abgestiegen waren, führten sie ihre Pferde in den Schutz der Ruinen, sodass man sie von der Straße aus nicht mehr sehen konnte. Nachdem die Pferde versorgt waren, machten es sich die Gefährten so gemütlich, wie es möglich war.
Wedekind, dessen Rücken stark schmerzte, streckte sich stöhnend auf dem Boden aus und versuchte, sich ein wenig zu entspannen. Harbon setzte sich neben ihn auf den Rest einer Mauer.
„Wie fühlst du dich, Wunderkind?“
„Großartig, danke der Nachfrage.“ Der Antiquar stöhnte leise, als er sich auf die Seite drehte, um den Zauberer anzuschauen. Harbon lächelte.
„Versuch, dich ein wenig auszuruhen. Wir haben etwas Zeit, bis es dunkel genug ist.“
Wedekind brummte.
„Wenn du etwas hübscher wärst und nicht diesen grässlichen Bart hättest, könnte ich eine Massage gebrauchen.“ Er verdrehte die Augen beim Gedanken an eine entspannende Behandlung – und vielleicht ein Moorbad.
„Hübscher?“ Harbon schüttelte den Kopf. „Du hast nur keine Ahnung von männlicher Schönheit, kleiner Mann! Und sage nichts mehr gegen meinen Bart, sonst könnte es passieren, dass ich dir zu allem Überfluss ein Geschwür an dein Sitzfleisch zaubere. Dann möchte ich sehen, wie du reitest, Wurstling.“ Er lachte grollend und Wedekind verdrehte die Augen.
Gorman, der nur wenige Schritte entfernt auf einem Stein saß, schaute kopfschüttelnd zu den beiden herüber.
„Man könnte meinen, ihr beide seid verheiratet.“ Er grinste.
Harbon lachte grollend.
„Zum Glück sind wir das nicht, Fürst.“
Wedekind winkte ab und drehte sich wieder auf den Rücken. Nach kurzer Zeit war er eingeschlafen.
Gorman setzte sich zu Harbon.
„Meinst du, er hält das durch?“, erkundigte er sich mit einem Nicken in Wedekinds Richtung.
Der Zauberer nickte.
„Er ist zäher, als er aussieht und als er selbst glaubt.“
Der Fürst zuckte die Achseln.
„Du kennst ihn länger, Zauberer.“
„Man wird sich noch über Wedekind wundern, glaub mir das, Fürst.“ Er lächelte wissend.
Gorman wechselte das Thema.
„Wir sollten kurz besprechen, welchen Weg wir in der Nacht nehmen.“ Er griff in den Schaft seines Stiefels und zog ein Pergament heraus, das er entfaltete. Harbon erkannte, dass es sich um eine Karte handelte.
„Du bist gut vorbereitet“, lobte er mit breitem Grinsen.
„Vorbereitung ist alles.“
Der Fürst breitete die Karte auf einem der größeren Mauerstücke aus. Das Licht des schwindenden Tages reichte gerade noch aus, die Karte zu lesen.
„Hier sind wir.“ Gorman deutete auf einen Punkt neben der Handelsstraße. „Dort ist Mor'skar und hier ...“ Sein Finger bewegte sich zu einem Punkt westlich der Stadt. „... befindet sich die Garnison.“ Harbon beugte sich über den Plan.
„Da müssen wir einen ziemlich großen Bogen um die Stadt schlagen“, meinte er und verzog das Gesicht.
Gorman nickte.
„Entweder westlich an der Garnison vorbei oder wir bleiben auf der Handelsstraße, bis wir die Stadt passiert haben und reiten dann querfeldein, um hier ...“ er deutete auf einen Punkt südwestlich der Garnison, „ … wieder auf die Straße nach Westen zu stoßen.“
Harbon überlegte.
„Der zweite Weg ist sicher einfacher, aber so nahe der Stadt und auf der Handelsstraße sind wahrscheinlich mehr Patrouillen unterwegs.“
Der Fürst strich sich über den Bart.
„Das ist wahr. Allerdings würden wir dort nicht so sehr auffallen, weil dort mehr Leute unterwegs sind. Solange uns niemand sieht, sind wir auf dem ersten Weg besser dran.“
Der Zauberer dachte einen Moment nach. Dann traf er eine Entscheidung.
„Wir nehmen den ersten Weg. Wer weiß, was uns in der Stadt erwartet? Immerhin ist es eine Garnisonsstadt.“
Gorman nickte.
„Ja, das würde ich auch vorschlagen. Sonst hätten wir auch am Tage reiten können.“
Damit war es beschlossen. Harbon unterrichtete die Gefährten von seiner Entscheidung und erklärte anhand der kleinen Karte ihren Weg. Anschließend versuchten alle ein wenig Ruhe zu finden.
Als das letzte Glühen des Sonnenuntergangs am Horizont hinter den fernen Bergen verschwunden war, rief Harbon die Gefährten zum Aufbruch.
Wedekind rappelte sich mühsam auf und streckte die schmerzenden Glieder. Er sehnte sich nach der Bequemlichkeit unter Farnons Dach.
Die Gruppe versammelte sich um Gorman.
„Martis und ich reiten einige hundert Meter links von euch, um eure Flanke zu decken und Patrouillen, die von der Garnison her kommen, frühzeitig zu erkennen. Ihr anderen reitet mit Harbon etwas abseits der Hauptstraße und wir treffen uns am vereinbarten Punkt südwestlich der Garnison. Von dort reiten wir auf der Straße weiter, bis wir in sicherer Entfernung von Mor'skar sind. Dort gibt es einen Lagerplatz, wo wir den Rest der Nacht verbringen können.“
Harbon klatschte in die Hände.
„Na dann“, meinte er zuversichtlich. „Unverzagt voran!“ Er lachte.
„Das Pfeifen im Walde“, brummte Wedekind und hielt sich den Rücken, was ihm einen verweisenden Blick des Zauberers und einen kleinen Klaps von Jolene eintrug. Der Antiquar streckte der hochgewachsenen Frau die Zunge heraus, grinste aber dann und kletterte mit ein wenig Mühe in den Sattel seiner Stute. Er trieb das Tier neben Jolenes Pferd.
„Komm erstmal in mein Alter, du Küken!“
Jolene lachte hell auf.
„Lass dich nicht so hängen, Alterchen“, frotzelte sie.
„Von wegen, Alterchen! Freche Göre!“
Alle lachten und folgten Harbon, während Wedekind in der Mitte der Gruppe ritt.
„Damit du nicht verloren gehst“, meinte der Zauberer mit einem Augenzwinkern.
Gorman und Martis trennten sich nach kurzer Zeit von der Gruppe und wandten sich nach links, während Harbons leicht nach rechts ritt. Schon nach wenigen Sekunden waren die beiden Reiter in der tintigen Schwärze der Nach verschwunden.
Es dauerte eine Weile, bis sich Wedekinds Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sein Pferd allerdings trabte sicheren Schrittes durch die Nacht und folgte Jolene, die direkt vor dem Antiquar ritt wie ein Schatten. Wedekind schätzte, dass etwa zehn Minuten vergangen waren, als er die Umrisse von Jolenes Pferd im schwachen Sternenlicht etwas besser erkennen konnte. Von da an fühlte er sich nicht mehr ganz so unwohl in seiner Haut. Sie ritten schweigend dahin, darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen, die sie hätten verraten können. Weit entfernt glaubte Wedekind nach einer Weile einige Lichter auf der linken Seite zu sehen, aber er war sich nicht sicher, ob ihm nicht seine angespannten Sinne einen Streich spielten.
Sie kamen recht gut voran und Wedekind erwischte sich nach einer Weile, wie er ob des eintönigen Ritts und seiner Müdigkeit das eine oder andere Mal einnickte.
„Sekundenschlaf“, brummte er. Zum Glück war ein Pferd klüger als ein Auto. Er musste grinsen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als von links plötzlich Hufgetrappel zu hören war. Harbon und Jolene brachten ihre Pferde zum Stillstand und auch Wedekind hielt inne. Er hörte, wie Elden sein Schwer zog und griff unwillkürlich nach dem Kurzschwert. Niemand gab einen Laut von sich und Wedekind lauschte angestrengt in die Dunkelheit.Die Pferde kamen eindeutig näher aber Wedekind hatte nicht den Eindruck, dass es sich um sehr viele Reiter handelte. Elden trieb sein Pferd langsam neben das von Harbon und Wedekind ließ seine Stute ebenfalls näher zum Zauberer laufen.
„Es sind maximal drei Reiter“, flüsterte Elden kaum hörbar. Wedekind konnte mehr fühlen als sehen, dass der Zauberer nickte.
„Es sind Gorman und Martis“, meinte er etwas lauter. Wedekind schaute Harbon verblüfft an, enthielt sich aber eines Kommentars. Auch Elden schien nicht überzeugt, denn er hielt immer noch den Griff des Schwertes umklammert.
Endlos scheinende Sekunden vergingen. Die Geräusche der Pferdehufe wurden lauter, bis sich schließlich in vielleicht zehn Metern Entfernung die Umrisse zweier Reiter aus dem Dunkel schälten. Harbon hatte richtig gelegen: Es handelte sich wirklich um den Fürsten und seinen kleinen Freund.
Wedekind fragte sich, wie die beiden sie in dieser Dunkelheit hatten finden können, verschob die Frage aber auf einen späteren, passenderen Zeitpunkt.
„Eine Patrouille nähert sich“, erklärte Gorman leise. „Dort“, er zeigte nach rechts, „ist ein kleines Wäldchen. Nur fünfzig Meter entfernt.“
Wedekind schaute in die Richtung, die der Fürst meinte, konnte aber rein gar nichts erkennen. „Steigt von den Pferden und folgt mir. Kein weiteres Wort!“
Wedekind ließ sich aus dem Sattel gleiten, nahm die Zügel seiner Stute in die Hand und folgte Harbon, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Tatsächlich erreichten sie nach kurzer Zeit die ersten Bäume. Harbon, der noch immer vor ihm ging, trat auf einen trockenen Ast, der mit einem Geräusch zerbrach, das wie ein Schuss durch die Stille der Nacht hallte. Der Zauberer zischte einen Fluch und setzte seinen Weg noch vorsichtiger fort. Dann blieb er stehen und wartete, bis sich alle in den zweifelhaften Schutz der Bäume zurückgezogen hatten.
„Wenn sie nahe herankommen, haltet den Pferden die Nüstern zu, aber erst im letzten Moment, sonst werden die Tiere unruhig“, wies Gorman die Gefährten an.
Wedekind presste sich nah an sein Pferd und streichelte ihm beruhigend den Hals. Die Stute allerdings schien keineswegs beunruhigt. Sie stand wie eine Statue neben dem Antiquar und Wedekind fragte sich mit einem Grinsen, wer hier wen beruhigte.
Nach einer Weile verlor Wedekind jegliches Zeitgefühl und fühlte sich auf die lange Treppe zurück versetzt, nur dass diesmal sogar das Licht des Syrill fehlte. Er hatte keine Ahnung, ob er fünf Minuten oder eine Stunde so da gestanden hatte, als plötzlich das Geräusch nahender Pferde an seine Ohren drang. Sogar er konnte hören, dass es diesmal mehr als zwei oder drei Reiter waren, die sich da näherten. Deutlich mehr.
Neben ihm schnaubte Harbons Hengst und der Zauberer flüsterte beruhigend auf das Tier ein.
Wedekinds Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Näher und näher kamen die Hufgeräusche. Wedekind war klar, dass es völlig sinnlos war, aber er starrte angestrengt in die Dunkelheit, und versuchte, die sich nähernden Reiter zu erspähen. Die Konzentration auf die Sinnesorgane trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und er verfluchte innerlich seine Nervosität.
Harbon, der die Anspannung seines Freundes zu spüren schien, legte einen Hand auf seinen Arm und drückte leicht zu. Der Antiquar versuchte, sich ein wenig zu entspannen, schloss die Augen und konzentrierte sich ausschließlich auf sein Gehör.
Es raschelte hier und da, wenn sich eines der Pferde oder einer der Menschen im Wald bewegte, aber nach und nach übertönte das Getrappel der herannahenden Pferde die leisen Geräusche, die von der Gruppe ausgingen. Das beruhigte Wedekind einigermaßen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die Reiter so leise Geräusche wahrnehmen konnten, wenn ihre Pferde derart laut waren.
Wenn Wedekind seinen Ohren trauen wollte, so waren die Reiter nun nicht mehr weiter als vielleicht fünfzig Meter entfernt. Dann verebbte das Geräusch der Pferdehufe plötzlich. Sie hatten gestoppt!
Warum sie ausgerechnet an dieser Stelle ihren Patrouillenritt unterbrachen, konnte sich Wedekind nicht erklären. Er hoffte auf einen Zufall. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, konnte aber außer den eigenen Atemzügen und denen der ihm am nächsten stehenden Menschen und Pferde nichts mehr hören. Er unterdrückte einen Fluch. Erneut brach im der Schweiß aus.
'Ich bin ein schöner Held. Trimandar hat schlechte Karten, wenn es auf Leute wie mich angewiesen ist', dachte er grimmig. 'Bei der kleinsten Gefahr bricht mir der Angstschweiß aus.'
Er versuchte es wieder mit tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, aber diese erschienen ihm so laut, dass er es nach einigen Sekunden wieder aufgab und lieber schwitzte. Die Spannung, die im Kreis der Gefährten herrschte, war fast mit Händen zu greifen – oder bildete er sich das nur ein und außer ihm waren alle völlig entspannt? Ein Schweißtropfen hatte den Weg zu seiner Nasenspitze gefunden und wartete dort eine Menge juckender Sekunden, eher er sich endlich entschloss, auf den Waldboden zu fallen. Wedekind griff nach seiner Nase und kratzte das juckende Riechorgan. Die Bewegung verursachte ein leises Geräusch, als sein Arm gegen einen herabhängenden Ast stieß. Wedekind erstarrte und senkte den Arm so langsam und vorsichtig, wie er konnte.
Nach einer Zeitspanne, die Wedekind wie eine Ewigkeit vorkam, hörte er aus der Richtung, aus der zuletzt die Pferdehufe zu hören gewesen waren, einen leisen Ruf im Kommandoton. Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Einige Sekunden später, wusste er es: Die Pferde der Gardisten waren wieder zu hören und diesmal schienen sie sich zu entfernen. Nach einer Weile war diese Annahme und Hoffnung zur Gewissheit geworden. Wedekind entspannte sich und atmete tief durch. Mit dem Ärmel seiner Leinenjacke wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht.
„Na, das war … interessant, nicht wahr, Wedelmann?“ Wedekind ahnte das breite Grinsen des Zauberers.
„Interessant?“ Er schnaubte. „Na, wenn du das sagst, muss es wohl so sein, Zauberer.“
Harbon lachte.
„Wir waren nicht wirklich in Gefahr“, meinte er dann. „Ich hatte da schon noch das eine oder andere in der Hinterhand. Aber so ist es besser. Wir wollen Verline ja nicht unnötig auf uns aufmerksam machen.“
„Danke, dass du mir das vorher nicht gesagt hast“, brummte der Antiquar.
Harbon ließ seine Hand auf die Schulter des Freundes krachen.
„Du musst noch viel über unsere Welt lernen, Wenderich. Vor allem hast du dich immer noch nicht an die Zauberei gewöhnt, sonst hättest du gewusst, dass ich sehr wohl in der Lage bin, uns vor Normalsterblichen zu verbergen.“
„Wir sollten aufbrechen“, unterbrach Gorman das Gespräch.
Harbon nickte.
„Du hast recht.“
Sie führten ihre Pferde aus dem Wald, stiegen auf und setzten ihren Weg fort.