… da war jemand … nur eine Ahnung … er spürte eine Präsenz … das Gefühl war neu … er versuchte, es zu ergreifen, zu ergründen, wer dieser Schatten war, den er nur am Rande seines Bewusstseins wahrnahm … er schien vertraut, obwohl kaum fassbar … nur ein Schemen ...dann eine Gestalt, die näher kam … ein Gesicht, auch das vertraut … woher ...
„Jules!“ Marc erwachte, als der Wagen durch ein Schlagloch rumpelte. Jor'ass, der neben ihm auf dem Kutschbock saß, schaute erschrocken zu ihm herüber.
„Was ist, hast du schlecht geträumt?“
Marc schüttelte langsam den Kopf.
„Ich weiß nicht genau.“ Er überlegte. „Ich glaube, ich habe von meinem Bruder geträumt … aber es war irgendwie … anders ...“
„Was meinst du mit anders?“, meldete sich jetzt Sundasch, der hinten im Wagen saß und den Kopf zwischen den beiden Männern hervorstreckte.
„Keine Ahnung. Nicht wie ein normaler Traum … eher ...“
„Eine Vision?“, half der Zauberer.
Marc überlegte einen Moment, dann hob er die Schultern.
„Ich weiß es nicht … vielleicht war es doch nur ein Traum.“ Er rieb sich die Augen.
„Es wäre kein Wunder, wenn du von ihm träumen würdest.“ Der Zauberer legte die Hand auf die Schulter des jungen Franzosen. „Ein solcher Verlust ist ein traumatisches Erlebnis. Er war dein Zwillingsbruder.“
Marc nickte.
„Ja, kann schon sein. Ich gehöre auf die Couch.“ Er grinste schief, als er die verständnislosen Gesichter seiner Freunde sah.
Sie wurden abgelenkt, als Werla, der auf dem Pferd voraus geritten war, herangaloppierte. Er passte die Geschwindigkeit des Pferdes derjenigen des Wagens an und lenkte sein Tier neben den Kutschbock.
„Etwa zwei Meilen voraus ist ein kleiner Ort.“ Er schaute zum Himmel, die Sonne senkte sich bereits merklich zum Horizont. „Ich denke, wir sollten dort übernachten. Eine kleine Vorstellung würde unserer Tarnung gut tun.“ Er grinste.
Jor'ass nickte lächelnd.
„Ja, und es wäre auch eine Abwechslung.“ Er drehte sich zu Sundasch um. „Was denkst du, Zauberer?“
Der alte Mann schaute kurz zum Himmel und nickte dann.
„Ihr habt recht. Sehr weit würden wir ohnehin nicht mehr kommen. Da können wir die Gelegenheit auch nützen. Vielleicht ist man ja so freundlich wie in Fertstin.“
Rocarla drängte sich an Sundasch vorbei und schaute in die Runde. Dann verzog sie das Gesicht und brummte etwas Unverständliches.
„Was ist?“, erkundigte sich Jor'ass. „Hast du etwas gegen diesen Plan?
„Nein, kein Problem“, meinte sie kurz angebunden. Allerdings sprach ihr Gesichtsausdruck eine andere Sprache.
Jor'ass verdrehte die Augen.
„Rück' schon damit 'raus, Rocarla.“
„Was willst du denn von mir?“, fauchte sie ihn an. „Wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist, dann ist das so.“
Damit zog sie den Kopf zurück und verschwand im Wageninneren.
Jor'ass schüttelte den Kopf, zuckte aber dann die Achseln.
Der Ort, den sie kurze Zeit später erreichten, bestand aus etwa zwei Dutzend schlichten Holzhäusern, die sich entlang der Straße aufreihten. Am Ortseingang gab es ein größeres Gebäude, das offensichtlich ein Gasthaus für Reisende war, denn es gab neben dem Gebäude einige Pferdekoppeln, die derzeit allerdings leer waren.
Jor'ass lenkte den Wagen zu dem Gasthaus, wo Werla bereits neben seinem Pferd stand und auf sie wartete.
Als Jor'ass und Marc vom Kutschbock sprangen, öffnete sich die Tür und ein kräftiger, großgewachsener Mann trat heraus. Er trug eine lederne Hose, die durch Hosenträger gehalten wurde, dazu ein Hemd aus Leinen. Beides war von dunkelbrauner Farbe. Sein Vollbart wirkte wie auch seine übrige Erscheinung recht gepflegt. Er musterte die Ankömmlinge forschend.
„Willkommen.“ Seine Stimme war dunkel und wohltönend. „Willkommen in Rolstan.“ Er machte eine umfassende Geste mit den Armen. „Mein Name ist Herdal. Ich bin der Besitzer dieser Gaststätte und gleichzeitig der Thijs dieses Ortes.“ Er grinste gewinnend.
Jor'ass trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Mein Name ist Jor'ass. Das sind Werla und Marc. Wir sind Schauspieler und Gaukler und bereisen das Land, um die Menschen mit unseren Darbietungen zu unterhalten.“
„Oh, Schauspieler!“ Das Grinsen wurde breiter. „Das ist eine willkommene Abwechslung. Werdet ihr uns denn heute Abend die Gunst erweisen, für uns zu spielen.“
Jor'ass grinste zurück und breitete die Arme aus.
„Deswegen sind wir hier, Herdal.“
Der Thijs drehte sich um.
„Habt ihr gehört? Es ist eine Schauspieltruppe im Dorf.“
Zwei junge Männer in den Zwanzigern traten neben Herdal. Beide waren jüngere Abbilder ihres Vaters. Sie lächelten freundlich und begrüßten die Männer mit Handschlag.
In diesem Moment sprang Arkosch aus dem Wagen und auch Sundasch kletterte heraus. Nach einer Weile erschien auch Rocarlas Rotschopf.
Herdal begrüßte den jungen Mann und den Zauberer. Dann fiel sein Blick auf Rocarla. Er schaute die junge Frau forschend an, schüttelte dann den Kopf und reichte ihr seine Hand. Er deutete sogar einen Handkuss an. Rocarla schien nicht beeindruckt, grüßte kurz und zog sich dann in den Hintergrund zurück. Jor'ass runzelte die Stirn. Dieses Verhalten passte überhaupt nicht zu der ansonsten so extrovertierten jungen Frau. Er nahm sich vor, sie bei nächster Gelegenheit zur Rede zu stellen. Etwas stimmte hier nicht, das konnte er deutlich fühlen.
„Ihr könnt euren Wagen in der Koppel abstellen und die Pferde ausspannen. Dort hinten“, er deutete auf einen kleinen Unterstand. „gibt es Heu und auch ein wenig Hafer für eure Tiere.“ Er lächelte verbindlich. „Selbstverständlich bezahlt ihr mit eurer Theatervorstellung für alles.“
Jor'ass nickte ihm zu.
„Vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Wir hoffen, dass wir euch das auch angemessen vergelten können.“
„Davon bin ich überzeugt.“
Der Thijs wollte sich gerade abwenden, als ein Schrei ertönte.
„Ricaste!“, brüllte jemand.
Alle wandten sich um.
Über die Straße stürmte ein kleiner, dünner Mann. Sein Gesicht war wutverzerrt und er ruderte wild mit den Armen.
„Ricaste!“, brüllte er noch einmal. „Du bist es doch! Ich weiß, dass du es bist!“
Jor'ass und Werla schauten sich verständnislos an. Der kleine Mann stürmte auf Rocarla zu und blieb vor ihr stehen. Mit vor Zorn funkelnden Augen schaute er zu ihr hoch.
„Ich wusste es!“ Er schien sich nur mit Mühe zu beherrschen.
Rocarla schaute ihn an, dann ging ihr Blick in die Runde. Jor'ass sah Unsicherheit in ihrem Blick, Angst!
„Ich ...“ Sie räusperte sich. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst. Du … musst mich verwechseln.“
„Pah!“ Der Kleine spuckte in den Staub der Straße. „Von wegen verwechseln. Deine Haare sind länger, natürlich bist du älter. Aber du bist es, mach mir nichts vor!“
Inzwischen umstanden alle Anwesenden das Paar.
Herdal trat neben Rocarla und schaute sie unverwandt an. Dann ging sein Blick zu dem kleinen Mann.
„Was hat das zu bedeuten, Rembar?“
„Erkennst du sie etwa nicht, Thijs?“ Sein Finger zeigte wütend auf die junge Frau. „Vor sechs Jahren … dieses Pärchen, das in den Ort kam. Angeblich Bruder und Schwester. Sie unterhielten uns mit allerlei Kunststücken … wir bedankten uns mit Gastfreundschaft und beherbergten sie fast eine Woche … und dann verschwanden sie mit der Gemeindekasse!“
Herdal überlegte einen Moment. Dann schaute er Rocarla forschend an.
„Ich dachte eben schon, dass du mir bekannt vorkommst, Mädchen.“ Drohend baute er sich vor ihr auf. „Du warst fast noch ein Kind damals. Ein süßer Wildfang mit geschickten Händen und einem strahlenden Lächeln.“ Er nickte. „Du hast recht, Rembar, das ist sie wirklich.“
Werla schaute Jor'ass an und der verdrehte die Augen. Jetzt war klar, was hinter dem merkwürdigen Verhalten der jungen Frau gesteckt hatte.
„Es war nicht sehr klug, hierher zurückzukehren!“ Herdals Stimme war ein dunkles Grollen und seine Söhne hatten sich links und rechts von Rocarla aufgebaut.
„Temstal!“ Herdal wandte sich an den jüngeren der beiden. „Geh, hol den Büttel. Ich denke, wir werden heute eine andere Abendunterhaltung haben, als wir bisher dachten.“
Jor'ass schaute Rocarla an.
„Hast du gar nichts dazu zu sagen?“
Ihr Kopf fuhr zu ihm herum und sie funkelte ihn an.
„Was erwartest du?“, fauchte sie. „Sie sagen die Wahrheit, was soll ich da noch erklären?“
Werla murmelte einen Fluch.
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, das aus der Welt zu schaffen.“ Sundasch war neben den Thijs getreten. Jor'ass spürte, dass er seine „Stimme“ einsetzte, sah den Zauberer an und schüttelte den Kopf. Dieser zuckte resigniert die Schultern.
„Nun ...“ Herdal schien zu zweifeln. Dann aber straffte sich seine kräftige Gestalt. „Der Büttel wird die junge Dame festnehmen und der Gemeinderat wird entscheiden, wie mit ihr zu verfahren ist.“ Er schaute Rocarla an. „Mein Sohn bringt dich jetzt in ein Zimmer, wo du solange eingeschlossen wirst.“ Er gab dem jungen Mann mit dem Kopf einen Wink, der daraufhin Rocarla am Arm packte und in das Gebäude brachte.
„Wir werden zugegen sein“, verkündete Sundasch und deutete eine Verbeugung an.
„Das steht euch selbstverständlich frei.“ Der Thijs wandte sich an den kleinen Rembar. „Geh nachhause. Wir treffen uns dann im Gemeindesaal.“
Rembar warf noch einen zornigen Blick auf die Tür, durch die Rocarla gerade zusammen mit dem Sohn des Thijs verschwunden war. Dann nickte er, drehte sich wortlos um und ging über die Straße davon. Herdal verabschiedete sich ebenfalls.
Die Gefährten schauten sich betreten an. Sundasch trat neben Jor'ass.
„Warum wolltest du nicht, dass ich ihn beeinflusse?“
Jor'ass kniff die Lippen zusammen.
„Es wäre nicht recht. Diese Leute wurden bestohlen und verdienen dafür eine Wiedergutmachung.“
Sundasch nickte nachdenklich, aber Werla explodierte.
„Du weißt doch genau, dass wir keine Zeit haben, auf solche Gefühlsduseleien Rücksicht zu nehmen, verdammt nochmal!“ Er stampfte mit dem Fuß auf. „Wir müssen so schnell wie möglich nach Renkar!“
„Beruhige dich und lass uns erst einmal abwarten, was der Gemeinderat beschließt. Man wird sie schon nicht gleich aufknüpfen wollen, immerhin ist das lange her und sie war damals fast noch ein Kind.“
Werla schaute ihn zornig an.
„Und? Was denkst du, was sie sonst tun werden? Gibt es hier ein Arbeitslager?“ Er machte eine umfassende Geste und schaute in die Runde. „Oder einen Richter? Ein Gefängnis? Sie werden sie nach Mor'skar zum Bezirksrichter bringen, darauf läuft es doch hinaus. Und dann ist die Garde im Spiel, das weißt du genau!“
Jor'ass nickte betreten.
„Wir warten es ab und dann müssen wir eben entsprechend reagieren, sollte es notwendig sein.“
„Jules!“ Marc erwachte, als der Wagen durch ein Schlagloch rumpelte. Jor'ass, der neben ihm auf dem Kutschbock saß, schaute erschrocken zu ihm herüber.
„Was ist, hast du schlecht geträumt?“
Marc schüttelte langsam den Kopf.
„Ich weiß nicht genau.“ Er überlegte. „Ich glaube, ich habe von meinem Bruder geträumt … aber es war irgendwie … anders ...“
„Was meinst du mit anders?“, meldete sich jetzt Sundasch, der hinten im Wagen saß und den Kopf zwischen den beiden Männern hervorstreckte.
„Keine Ahnung. Nicht wie ein normaler Traum … eher ...“
„Eine Vision?“, half der Zauberer.
Marc überlegte einen Moment, dann hob er die Schultern.
„Ich weiß es nicht … vielleicht war es doch nur ein Traum.“ Er rieb sich die Augen.
„Es wäre kein Wunder, wenn du von ihm träumen würdest.“ Der Zauberer legte die Hand auf die Schulter des jungen Franzosen. „Ein solcher Verlust ist ein traumatisches Erlebnis. Er war dein Zwillingsbruder.“
Marc nickte.
„Ja, kann schon sein. Ich gehöre auf die Couch.“ Er grinste schief, als er die verständnislosen Gesichter seiner Freunde sah.
Sie wurden abgelenkt, als Werla, der auf dem Pferd voraus geritten war, herangaloppierte. Er passte die Geschwindigkeit des Pferdes derjenigen des Wagens an und lenkte sein Tier neben den Kutschbock.
„Etwa zwei Meilen voraus ist ein kleiner Ort.“ Er schaute zum Himmel, die Sonne senkte sich bereits merklich zum Horizont. „Ich denke, wir sollten dort übernachten. Eine kleine Vorstellung würde unserer Tarnung gut tun.“ Er grinste.
Jor'ass nickte lächelnd.
„Ja, und es wäre auch eine Abwechslung.“ Er drehte sich zu Sundasch um. „Was denkst du, Zauberer?“
Der alte Mann schaute kurz zum Himmel und nickte dann.
„Ihr habt recht. Sehr weit würden wir ohnehin nicht mehr kommen. Da können wir die Gelegenheit auch nützen. Vielleicht ist man ja so freundlich wie in Fertstin.“
Rocarla drängte sich an Sundasch vorbei und schaute in die Runde. Dann verzog sie das Gesicht und brummte etwas Unverständliches.
„Was ist?“, erkundigte sich Jor'ass. „Hast du etwas gegen diesen Plan?
„Nein, kein Problem“, meinte sie kurz angebunden. Allerdings sprach ihr Gesichtsausdruck eine andere Sprache.
Jor'ass verdrehte die Augen.
„Rück' schon damit 'raus, Rocarla.“
„Was willst du denn von mir?“, fauchte sie ihn an. „Wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist, dann ist das so.“
Damit zog sie den Kopf zurück und verschwand im Wageninneren.
Jor'ass schüttelte den Kopf, zuckte aber dann die Achseln.
Der Ort, den sie kurze Zeit später erreichten, bestand aus etwa zwei Dutzend schlichten Holzhäusern, die sich entlang der Straße aufreihten. Am Ortseingang gab es ein größeres Gebäude, das offensichtlich ein Gasthaus für Reisende war, denn es gab neben dem Gebäude einige Pferdekoppeln, die derzeit allerdings leer waren.
Jor'ass lenkte den Wagen zu dem Gasthaus, wo Werla bereits neben seinem Pferd stand und auf sie wartete.
Als Jor'ass und Marc vom Kutschbock sprangen, öffnete sich die Tür und ein kräftiger, großgewachsener Mann trat heraus. Er trug eine lederne Hose, die durch Hosenträger gehalten wurde, dazu ein Hemd aus Leinen. Beides war von dunkelbrauner Farbe. Sein Vollbart wirkte wie auch seine übrige Erscheinung recht gepflegt. Er musterte die Ankömmlinge forschend.
„Willkommen.“ Seine Stimme war dunkel und wohltönend. „Willkommen in Rolstan.“ Er machte eine umfassende Geste mit den Armen. „Mein Name ist Herdal. Ich bin der Besitzer dieser Gaststätte und gleichzeitig der Thijs dieses Ortes.“ Er grinste gewinnend.
Jor'ass trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Mein Name ist Jor'ass. Das sind Werla und Marc. Wir sind Schauspieler und Gaukler und bereisen das Land, um die Menschen mit unseren Darbietungen zu unterhalten.“
„Oh, Schauspieler!“ Das Grinsen wurde breiter. „Das ist eine willkommene Abwechslung. Werdet ihr uns denn heute Abend die Gunst erweisen, für uns zu spielen.“
Jor'ass grinste zurück und breitete die Arme aus.
„Deswegen sind wir hier, Herdal.“
Der Thijs drehte sich um.
„Habt ihr gehört? Es ist eine Schauspieltruppe im Dorf.“
Zwei junge Männer in den Zwanzigern traten neben Herdal. Beide waren jüngere Abbilder ihres Vaters. Sie lächelten freundlich und begrüßten die Männer mit Handschlag.
In diesem Moment sprang Arkosch aus dem Wagen und auch Sundasch kletterte heraus. Nach einer Weile erschien auch Rocarlas Rotschopf.
Herdal begrüßte den jungen Mann und den Zauberer. Dann fiel sein Blick auf Rocarla. Er schaute die junge Frau forschend an, schüttelte dann den Kopf und reichte ihr seine Hand. Er deutete sogar einen Handkuss an. Rocarla schien nicht beeindruckt, grüßte kurz und zog sich dann in den Hintergrund zurück. Jor'ass runzelte die Stirn. Dieses Verhalten passte überhaupt nicht zu der ansonsten so extrovertierten jungen Frau. Er nahm sich vor, sie bei nächster Gelegenheit zur Rede zu stellen. Etwas stimmte hier nicht, das konnte er deutlich fühlen.
„Ihr könnt euren Wagen in der Koppel abstellen und die Pferde ausspannen. Dort hinten“, er deutete auf einen kleinen Unterstand. „gibt es Heu und auch ein wenig Hafer für eure Tiere.“ Er lächelte verbindlich. „Selbstverständlich bezahlt ihr mit eurer Theatervorstellung für alles.“
Jor'ass nickte ihm zu.
„Vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Wir hoffen, dass wir euch das auch angemessen vergelten können.“
„Davon bin ich überzeugt.“
Der Thijs wollte sich gerade abwenden, als ein Schrei ertönte.
„Ricaste!“, brüllte jemand.
Alle wandten sich um.
Über die Straße stürmte ein kleiner, dünner Mann. Sein Gesicht war wutverzerrt und er ruderte wild mit den Armen.
„Ricaste!“, brüllte er noch einmal. „Du bist es doch! Ich weiß, dass du es bist!“
Jor'ass und Werla schauten sich verständnislos an. Der kleine Mann stürmte auf Rocarla zu und blieb vor ihr stehen. Mit vor Zorn funkelnden Augen schaute er zu ihr hoch.
„Ich wusste es!“ Er schien sich nur mit Mühe zu beherrschen.
Rocarla schaute ihn an, dann ging ihr Blick in die Runde. Jor'ass sah Unsicherheit in ihrem Blick, Angst!
„Ich ...“ Sie räusperte sich. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst. Du … musst mich verwechseln.“
„Pah!“ Der Kleine spuckte in den Staub der Straße. „Von wegen verwechseln. Deine Haare sind länger, natürlich bist du älter. Aber du bist es, mach mir nichts vor!“
Inzwischen umstanden alle Anwesenden das Paar.
Herdal trat neben Rocarla und schaute sie unverwandt an. Dann ging sein Blick zu dem kleinen Mann.
„Was hat das zu bedeuten, Rembar?“
„Erkennst du sie etwa nicht, Thijs?“ Sein Finger zeigte wütend auf die junge Frau. „Vor sechs Jahren … dieses Pärchen, das in den Ort kam. Angeblich Bruder und Schwester. Sie unterhielten uns mit allerlei Kunststücken … wir bedankten uns mit Gastfreundschaft und beherbergten sie fast eine Woche … und dann verschwanden sie mit der Gemeindekasse!“
Herdal überlegte einen Moment. Dann schaute er Rocarla forschend an.
„Ich dachte eben schon, dass du mir bekannt vorkommst, Mädchen.“ Drohend baute er sich vor ihr auf. „Du warst fast noch ein Kind damals. Ein süßer Wildfang mit geschickten Händen und einem strahlenden Lächeln.“ Er nickte. „Du hast recht, Rembar, das ist sie wirklich.“
Werla schaute Jor'ass an und der verdrehte die Augen. Jetzt war klar, was hinter dem merkwürdigen Verhalten der jungen Frau gesteckt hatte.
„Es war nicht sehr klug, hierher zurückzukehren!“ Herdals Stimme war ein dunkles Grollen und seine Söhne hatten sich links und rechts von Rocarla aufgebaut.
„Temstal!“ Herdal wandte sich an den jüngeren der beiden. „Geh, hol den Büttel. Ich denke, wir werden heute eine andere Abendunterhaltung haben, als wir bisher dachten.“
Jor'ass schaute Rocarla an.
„Hast du gar nichts dazu zu sagen?“
Ihr Kopf fuhr zu ihm herum und sie funkelte ihn an.
„Was erwartest du?“, fauchte sie. „Sie sagen die Wahrheit, was soll ich da noch erklären?“
Werla murmelte einen Fluch.
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, das aus der Welt zu schaffen.“ Sundasch war neben den Thijs getreten. Jor'ass spürte, dass er seine „Stimme“ einsetzte, sah den Zauberer an und schüttelte den Kopf. Dieser zuckte resigniert die Schultern.
„Nun ...“ Herdal schien zu zweifeln. Dann aber straffte sich seine kräftige Gestalt. „Der Büttel wird die junge Dame festnehmen und der Gemeinderat wird entscheiden, wie mit ihr zu verfahren ist.“ Er schaute Rocarla an. „Mein Sohn bringt dich jetzt in ein Zimmer, wo du solange eingeschlossen wirst.“ Er gab dem jungen Mann mit dem Kopf einen Wink, der daraufhin Rocarla am Arm packte und in das Gebäude brachte.
„Wir werden zugegen sein“, verkündete Sundasch und deutete eine Verbeugung an.
„Das steht euch selbstverständlich frei.“ Der Thijs wandte sich an den kleinen Rembar. „Geh nachhause. Wir treffen uns dann im Gemeindesaal.“
Rembar warf noch einen zornigen Blick auf die Tür, durch die Rocarla gerade zusammen mit dem Sohn des Thijs verschwunden war. Dann nickte er, drehte sich wortlos um und ging über die Straße davon. Herdal verabschiedete sich ebenfalls.
Die Gefährten schauten sich betreten an. Sundasch trat neben Jor'ass.
„Warum wolltest du nicht, dass ich ihn beeinflusse?“
Jor'ass kniff die Lippen zusammen.
„Es wäre nicht recht. Diese Leute wurden bestohlen und verdienen dafür eine Wiedergutmachung.“
Sundasch nickte nachdenklich, aber Werla explodierte.
„Du weißt doch genau, dass wir keine Zeit haben, auf solche Gefühlsduseleien Rücksicht zu nehmen, verdammt nochmal!“ Er stampfte mit dem Fuß auf. „Wir müssen so schnell wie möglich nach Renkar!“
„Beruhige dich und lass uns erst einmal abwarten, was der Gemeinderat beschließt. Man wird sie schon nicht gleich aufknüpfen wollen, immerhin ist das lange her und sie war damals fast noch ein Kind.“
Werla schaute ihn zornig an.
„Und? Was denkst du, was sie sonst tun werden? Gibt es hier ein Arbeitslager?“ Er machte eine umfassende Geste und schaute in die Runde. „Oder einen Richter? Ein Gefängnis? Sie werden sie nach Mor'skar zum Bezirksrichter bringen, darauf läuft es doch hinaus. Und dann ist die Garde im Spiel, das weißt du genau!“
Jor'ass nickte betreten.
„Wir warten es ab und dann müssen wir eben entsprechend reagieren, sollte es notwendig sein.“