6. Drei Irrtümer
Es dauerte nicht lange, bis ich begann, mir einmal ganz grundlegende Gedanken über Kunst zu machen. All die sogenannten Kunstwerke, die ständig unbeachtet am Rande meines Bewußtseins präsent gewesen waren, seien es die Werke der Weltliteratur, von denen bei meinen Eltern ein paar im Regal standen, seien es die Kompositionen großer Geister der Musikgeschichte, von denen man in der Schule zwangsläufig etwas hören mußte, oder seien es andere, begannen nun allmählich ihr Schattendasein für mich aufzugeben und mein Interesse zu wecken. Was steckte hinter diesen Kunstwerken? Was war Kunst? (Ja, was war eigentlich ein „Werk“?) Natürlich waren mir so manche vielzitierten und im Alltag allzu leichtfertig ausgesprochenen Namen berühmter Künstler und Philosophen geläufig – aber welche Welten sich hinter ihnen verbargen, hatte ich nie auch nur annähernd geahnt. Nie war ich ein bewußter Verleugner und Gegner der Kunst gewesen – ich war einfach fern von ihr, weder für noch gegen sie, hatte keine Meinung, kannte sie nicht, wollte sie auch nicht kennen und stand ihr damit unbewußt in schlimmerer Feindschaft gegenüber als einer, der sie in kühler Überlegung und mit selbstbewußter Überzeugung negiert. (Ähnlich verhielt es sich nebenbei mit meinem Verhältnis zu Gott: Da ich mir nicht die geringsten Gedanken über ihn machte, nichts von ihm wußte und auch nichts von ihm wissen wollte, war ich weiter von ihm entfernt als ein überzeugter Atheist. Mein Leben war kein negatives Ergebnis einer Suche, sondern die Negation der Suche an sich und somit ein noch elementarerer Irrtum. Ich lebte einen billigen und populären Meta-Agnostizimus, der nicht die Gottesfrage für unentscheidbar erklärt, sondern die Frage, ob es überhaupt eine Gottesfrage gebe, und auch das nur mit einem gelangweilten Schulterzucken.)
Nun aber hatte ich dieses Museum besucht, und da es gerade die Malerei war, die mir in diesem ersten überwältigenden Kunsterlebnis begegnete, begann ich zuallererst zu ihr eine persönliche Beziehung zu entwickeln. Just in dieser Phase änderte sich etwas an meinen äußeren Lebensumständen, da meine Eltern und ich in eine andere Stadt zogen. Der Umzug erfolgte aus beruflichen Gründen meines Vaters; ich verstand das damals nicht genau, und es interessierte mich auch nicht besonders. Ich zog nicht ernsthaft in Erwägung, den Umzug meiner Eltern als Anlaß zu nehmen, mich abzunabeln und fortan allein zu wohnen; nein, ohne lange zu überlegen ging ich mit ihnen. Ich hatte keine Motivation, mich voll und ganz auf eigene Beine zu stellen, scheute die finanzielle Selbstverantwortung und nahm es deswegen in Kauf, daß mir durch den Ortswechsel nun auch noch die ohnehin wenigen bekannten Gleichaltrigen und die vertraute, wenn auch immer schon eher trostlose Umgebung entzogen wurden. Ich war fortan in noch höherem Maße als bisher kontaktarm, introvertiert und in gewisser Weise fremd im Leben. Umso intensiver entwickelte sich nun aber mein neues Interesse, das in mir so unerwartet und spontan entstanden war, denn je mehr ich in meiner eigenen Welt lebte, umso weniger Störfaktoren belasteten mich von außen. Ich durchstöberte Bücherregale, um mehr Informationen über das zu finden, was mich da im Museum so fasziniert hatte. Ich durchforstete meine Umgebung nach Hinweisen auf künstlerisches Wirken, wurde sensibel für Stimmen, die von Geist und Phantasie erzählten und transponierte sie in eine für mich hörbare Frequenz. Ich wandte immer mehr Zeit auf, sammelte Wissen an und entdeckte langsam den Tellerrand, innerhalb dessen ich lebte – und die Möglichkeit, über diesen vielleicht einmal hinauszuschauen. Ich begriff allmählich, daß auch jene Menschen, deren Gemälde und Zeichnungen heute für würdig befunden werden, in einem Museum ausgestellt zu werden, nichts anderes taten, als über den Tellerrand des Alltags, über den Zaun eines fragezeichenlosen Lebens hinauszuschauen. Der Prozeß dieser Erkenntnis zog sich bei mir natürlich über Tage und Wochen, vielleicht sogar Monate hin, und es war eine sehr schöne Zeit, da ich Schritt für Schritt mehr von alledem verstand und den Eindruck hatte, daß mein Leben allmählich reicher wurde. Meine Begeisterung wuchs. Ich ließ dem ersten, jungfräulichen Museumsbesuch weitere folgen, machte mich immer mehr mit der Materie vertraut, entwickelte Routine, ließ eine Liebe aufblühen und reifen.
Wie genial war es doch, persönliches Leid in einem Gemälde zu verarbeiten, anstatt zur Flasche zu greifen! (Wie unerhört war es, beides gleichzeitig zu tun!) Welch grausame und gewalttätige Gedanken konnte man in einem Bild ausdrücken, ohne selbst handgreiflich zu werden! Welch unaussprechlichen Lobpreis konnte man mit dem Pinsel formulieren, welch vernichtende Verdammnis konnte man auf Leinwand bannen! Endlich begriff ich, welche Möglichkeiten man als Mensch hatte, sich auszudrücken, geheime Gedanken wortlos zu artikulieren, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich als unauslöschbaren Punkt auf dem Strahl der Zeit fest einzubrennen, sich zu verewigen ... Ich sah mich sogar gezwungen, zum ersten Mal in meinem Leben bewußt über das nachzudenken, was die Menschen Gott nannten, da ich erkannte, daß die Kunst über sich selbst hinauswies. Aber wohin genau wies sie?
Notwendigerweise war bald das Stadium erreicht, da auch ich malen mußte. Auch ich mußte nun tätig werden. Ich konnte nicht mehr länger nur zusehen und dabei etwas empfinden, nein, jetzt wollte auch ich es sein, der Empfindungen hervorrief. Ich wollte die große, glitzernde Bühne der Kunst betreten. Ich wollte etwas Ewiges tun. Ich wollte etwas schaffen.
Mit vollem Eifer machte ich mich an die Arbeit, malte viel, übte, investierte Zeit und Kraft in meine Werke – und mußte zwangsläufig scheitern. Letztlich erreichte ich nie den Punkt, daß ich rundum zufrieden gewesen wäre. Was auch immer ich begann, ich führte es nicht zu Ende, da ich während des Malens zunehmend den Glauben daran verlor, daß ich etwas wirklich Großartiges zustande bringen könnte. Wenn ich auch die ein oder andere gute Idee hatte, es gelang mir nie, sie konsequent umzusetzen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich deprimiert, da ich zum ersten Mal nicht nur oberflächlich enttäuscht wurde, sondern dort, wo mein Herz war. Zum ersten Mal hatte ich etwas gewagt, war ein Risiko eingegangen – und hatte verloren (und wenn es nur das unspektakuläre Risiko war, mit dem Malen eines Bildes anzufangen; aber wer es je ernsthaft versucht hat, weiß, wie riskant das sein kann). Dieses Scheitern war nicht ein vorübergehendes Gefühl der Unzufriedenheit, das bald von Gleichgültigkeit abgelöst wird; es war kein punktueller Rückschlag, der gleich zum neuen Anlauf motiviert – dieses Scheitern war das Ergebnis einer längeren Phase von Versuch und Irrtum, und umso schlimmer und endgültiger war die schlußendliche Erkenntnis, daß ich mich geirrt hatte. Mein Irrtum war ein dreifacher: Ich hatte mich im Glauben an meine Begabung für die Malerei getäuscht, darüber hinaus in der Überzeugung, ohne wirkliche Inspiration und nur aus einem festen Wunsch heraus ein Kunstwerk „produzieren“ zu können, und schließlich in meinem Kunstverständnis an sich.
Der erste Irrtum löste sich bald auf, da in mir die schleichende Erkenntnis nagte und reifte, daß ich schlicht und einfach nicht begabt genug war. Dieses Gefühl wurde zur Gewißheit, und ich mußte es akzeptieren: Mir fehlte das Talent zum Malen. Auch der zweite Irrtum klärte sich schnell, da es mir irgendwann selbst auffiel, mit welcher Verbissenheit ich meine Bilder begann, und wie oft ich eher mit Zwang als mit Berufung am Werk war. Worin aber lag der dritte Irrtum, der meines Kunstverständnisses, begründet?
Alles, was ich malte, kam mir irgendwie bekannt vor; nie hatte ich das Gefühl, wirklich etwas Neues hervorgebracht zu haben. Und bereits hierdurch erklärte sich mein Scheitern, da meine damalige Definition von Kunst besagte, daß sie gewissermaßen das gottähnliche Erschaffen von Werken ist. Wenn es mir also nicht gelang, etwas völlig Neues zu tun, etwas zu schaffen, bedeutete dies für mich, daß das, was ich tat, keine Kunst sein konnte. Und diese Erkenntnis war hart. Erst nach einiger Zeit der Verunsicherung und völligen Abstinenz von allem, was mit Kunst zu tun hatte, entdeckte ich den grundlegenden Fehler in meinem Denken: Ich begriff plötzlich, daß das kontextlose Erschaffen aus dem Nichts heraus eine Tat ist, die allen irdischen Wesen und damit auch dem Künstler ganz grundsätzlich versagt ist. War Kunst vielleicht etwas völlig anderes?
Hoffnungsvoll rollte ich das ganze Problem noch einmal neu auf und durchdachte alles gründlich. Endlich fand ich heraus, daß ein Mensch überhaupt nur entdecken, niemals selbst schaffen kann. Höchstens neu ordnen. Ein Künstler ist nie wirklich kreativ im eigentlichen Sinn des Wortes – er spielt nur eigensinnig wie ein Kind ein großes, nie endendes Puzzle- und Memoryspiel. (Dieses heißt „Welt“ oder „Leben“.) Er ist kein Schöpfer, der erschafft, sondern ein Schöpfer, der schöpft – eben aus den millionenfach bereits vorhandenen Möglichkeiten. Er schöpft aus dem Vollen. Er realisiert in seinem Kunstwerk eine denkbare Kombination von Farben, Wörtern, Tönen, Geräuschen, Rhythmen, Bewegungen, Formen, Stoffen, Ideen. Ja, er erlebt und lebt und belebt eine Idee ...
Ich erfuhr Kunst plötzlich also nicht mehr als eine göttliche, aber dafür als eine umso menschlichere Betätigung; als eine Berufung nicht von oben, sondern von innen. Ich interpretierte sie als schillerndes Spiel, das den Menschen erst zu dem macht, was er wirklich ist, und ihn durch den Irrgarten seines Denkens zur so wohltuenden Grundwahrheit der Schönheit hinausführt. Kunst war für mich nun die verborgene ideelle Ordnung, die sich im Chaos der Materialität nur dem kindlichen Entdecker offenbart. Sie war ein göttliches Bild, das gemalt werden wollte und daher den Künstler erschuf. Mehr nicht.
Es dauerte nicht lange, bis ich begann, mir einmal ganz grundlegende Gedanken über Kunst zu machen. All die sogenannten Kunstwerke, die ständig unbeachtet am Rande meines Bewußtseins präsent gewesen waren, seien es die Werke der Weltliteratur, von denen bei meinen Eltern ein paar im Regal standen, seien es die Kompositionen großer Geister der Musikgeschichte, von denen man in der Schule zwangsläufig etwas hören mußte, oder seien es andere, begannen nun allmählich ihr Schattendasein für mich aufzugeben und mein Interesse zu wecken. Was steckte hinter diesen Kunstwerken? Was war Kunst? (Ja, was war eigentlich ein „Werk“?) Natürlich waren mir so manche vielzitierten und im Alltag allzu leichtfertig ausgesprochenen Namen berühmter Künstler und Philosophen geläufig – aber welche Welten sich hinter ihnen verbargen, hatte ich nie auch nur annähernd geahnt. Nie war ich ein bewußter Verleugner und Gegner der Kunst gewesen – ich war einfach fern von ihr, weder für noch gegen sie, hatte keine Meinung, kannte sie nicht, wollte sie auch nicht kennen und stand ihr damit unbewußt in schlimmerer Feindschaft gegenüber als einer, der sie in kühler Überlegung und mit selbstbewußter Überzeugung negiert. (Ähnlich verhielt es sich nebenbei mit meinem Verhältnis zu Gott: Da ich mir nicht die geringsten Gedanken über ihn machte, nichts von ihm wußte und auch nichts von ihm wissen wollte, war ich weiter von ihm entfernt als ein überzeugter Atheist. Mein Leben war kein negatives Ergebnis einer Suche, sondern die Negation der Suche an sich und somit ein noch elementarerer Irrtum. Ich lebte einen billigen und populären Meta-Agnostizimus, der nicht die Gottesfrage für unentscheidbar erklärt, sondern die Frage, ob es überhaupt eine Gottesfrage gebe, und auch das nur mit einem gelangweilten Schulterzucken.)
Nun aber hatte ich dieses Museum besucht, und da es gerade die Malerei war, die mir in diesem ersten überwältigenden Kunsterlebnis begegnete, begann ich zuallererst zu ihr eine persönliche Beziehung zu entwickeln. Just in dieser Phase änderte sich etwas an meinen äußeren Lebensumständen, da meine Eltern und ich in eine andere Stadt zogen. Der Umzug erfolgte aus beruflichen Gründen meines Vaters; ich verstand das damals nicht genau, und es interessierte mich auch nicht besonders. Ich zog nicht ernsthaft in Erwägung, den Umzug meiner Eltern als Anlaß zu nehmen, mich abzunabeln und fortan allein zu wohnen; nein, ohne lange zu überlegen ging ich mit ihnen. Ich hatte keine Motivation, mich voll und ganz auf eigene Beine zu stellen, scheute die finanzielle Selbstverantwortung und nahm es deswegen in Kauf, daß mir durch den Ortswechsel nun auch noch die ohnehin wenigen bekannten Gleichaltrigen und die vertraute, wenn auch immer schon eher trostlose Umgebung entzogen wurden. Ich war fortan in noch höherem Maße als bisher kontaktarm, introvertiert und in gewisser Weise fremd im Leben. Umso intensiver entwickelte sich nun aber mein neues Interesse, das in mir so unerwartet und spontan entstanden war, denn je mehr ich in meiner eigenen Welt lebte, umso weniger Störfaktoren belasteten mich von außen. Ich durchstöberte Bücherregale, um mehr Informationen über das zu finden, was mich da im Museum so fasziniert hatte. Ich durchforstete meine Umgebung nach Hinweisen auf künstlerisches Wirken, wurde sensibel für Stimmen, die von Geist und Phantasie erzählten und transponierte sie in eine für mich hörbare Frequenz. Ich wandte immer mehr Zeit auf, sammelte Wissen an und entdeckte langsam den Tellerrand, innerhalb dessen ich lebte – und die Möglichkeit, über diesen vielleicht einmal hinauszuschauen. Ich begriff allmählich, daß auch jene Menschen, deren Gemälde und Zeichnungen heute für würdig befunden werden, in einem Museum ausgestellt zu werden, nichts anderes taten, als über den Tellerrand des Alltags, über den Zaun eines fragezeichenlosen Lebens hinauszuschauen. Der Prozeß dieser Erkenntnis zog sich bei mir natürlich über Tage und Wochen, vielleicht sogar Monate hin, und es war eine sehr schöne Zeit, da ich Schritt für Schritt mehr von alledem verstand und den Eindruck hatte, daß mein Leben allmählich reicher wurde. Meine Begeisterung wuchs. Ich ließ dem ersten, jungfräulichen Museumsbesuch weitere folgen, machte mich immer mehr mit der Materie vertraut, entwickelte Routine, ließ eine Liebe aufblühen und reifen.
Wie genial war es doch, persönliches Leid in einem Gemälde zu verarbeiten, anstatt zur Flasche zu greifen! (Wie unerhört war es, beides gleichzeitig zu tun!) Welch grausame und gewalttätige Gedanken konnte man in einem Bild ausdrücken, ohne selbst handgreiflich zu werden! Welch unaussprechlichen Lobpreis konnte man mit dem Pinsel formulieren, welch vernichtende Verdammnis konnte man auf Leinwand bannen! Endlich begriff ich, welche Möglichkeiten man als Mensch hatte, sich auszudrücken, geheime Gedanken wortlos zu artikulieren, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich als unauslöschbaren Punkt auf dem Strahl der Zeit fest einzubrennen, sich zu verewigen ... Ich sah mich sogar gezwungen, zum ersten Mal in meinem Leben bewußt über das nachzudenken, was die Menschen Gott nannten, da ich erkannte, daß die Kunst über sich selbst hinauswies. Aber wohin genau wies sie?
Notwendigerweise war bald das Stadium erreicht, da auch ich malen mußte. Auch ich mußte nun tätig werden. Ich konnte nicht mehr länger nur zusehen und dabei etwas empfinden, nein, jetzt wollte auch ich es sein, der Empfindungen hervorrief. Ich wollte die große, glitzernde Bühne der Kunst betreten. Ich wollte etwas Ewiges tun. Ich wollte etwas schaffen.
Mit vollem Eifer machte ich mich an die Arbeit, malte viel, übte, investierte Zeit und Kraft in meine Werke – und mußte zwangsläufig scheitern. Letztlich erreichte ich nie den Punkt, daß ich rundum zufrieden gewesen wäre. Was auch immer ich begann, ich führte es nicht zu Ende, da ich während des Malens zunehmend den Glauben daran verlor, daß ich etwas wirklich Großartiges zustande bringen könnte. Wenn ich auch die ein oder andere gute Idee hatte, es gelang mir nie, sie konsequent umzusetzen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich deprimiert, da ich zum ersten Mal nicht nur oberflächlich enttäuscht wurde, sondern dort, wo mein Herz war. Zum ersten Mal hatte ich etwas gewagt, war ein Risiko eingegangen – und hatte verloren (und wenn es nur das unspektakuläre Risiko war, mit dem Malen eines Bildes anzufangen; aber wer es je ernsthaft versucht hat, weiß, wie riskant das sein kann). Dieses Scheitern war nicht ein vorübergehendes Gefühl der Unzufriedenheit, das bald von Gleichgültigkeit abgelöst wird; es war kein punktueller Rückschlag, der gleich zum neuen Anlauf motiviert – dieses Scheitern war das Ergebnis einer längeren Phase von Versuch und Irrtum, und umso schlimmer und endgültiger war die schlußendliche Erkenntnis, daß ich mich geirrt hatte. Mein Irrtum war ein dreifacher: Ich hatte mich im Glauben an meine Begabung für die Malerei getäuscht, darüber hinaus in der Überzeugung, ohne wirkliche Inspiration und nur aus einem festen Wunsch heraus ein Kunstwerk „produzieren“ zu können, und schließlich in meinem Kunstverständnis an sich.
Der erste Irrtum löste sich bald auf, da in mir die schleichende Erkenntnis nagte und reifte, daß ich schlicht und einfach nicht begabt genug war. Dieses Gefühl wurde zur Gewißheit, und ich mußte es akzeptieren: Mir fehlte das Talent zum Malen. Auch der zweite Irrtum klärte sich schnell, da es mir irgendwann selbst auffiel, mit welcher Verbissenheit ich meine Bilder begann, und wie oft ich eher mit Zwang als mit Berufung am Werk war. Worin aber lag der dritte Irrtum, der meines Kunstverständnisses, begründet?
Alles, was ich malte, kam mir irgendwie bekannt vor; nie hatte ich das Gefühl, wirklich etwas Neues hervorgebracht zu haben. Und bereits hierdurch erklärte sich mein Scheitern, da meine damalige Definition von Kunst besagte, daß sie gewissermaßen das gottähnliche Erschaffen von Werken ist. Wenn es mir also nicht gelang, etwas völlig Neues zu tun, etwas zu schaffen, bedeutete dies für mich, daß das, was ich tat, keine Kunst sein konnte. Und diese Erkenntnis war hart. Erst nach einiger Zeit der Verunsicherung und völligen Abstinenz von allem, was mit Kunst zu tun hatte, entdeckte ich den grundlegenden Fehler in meinem Denken: Ich begriff plötzlich, daß das kontextlose Erschaffen aus dem Nichts heraus eine Tat ist, die allen irdischen Wesen und damit auch dem Künstler ganz grundsätzlich versagt ist. War Kunst vielleicht etwas völlig anderes?
Hoffnungsvoll rollte ich das ganze Problem noch einmal neu auf und durchdachte alles gründlich. Endlich fand ich heraus, daß ein Mensch überhaupt nur entdecken, niemals selbst schaffen kann. Höchstens neu ordnen. Ein Künstler ist nie wirklich kreativ im eigentlichen Sinn des Wortes – er spielt nur eigensinnig wie ein Kind ein großes, nie endendes Puzzle- und Memoryspiel. (Dieses heißt „Welt“ oder „Leben“.) Er ist kein Schöpfer, der erschafft, sondern ein Schöpfer, der schöpft – eben aus den millionenfach bereits vorhandenen Möglichkeiten. Er schöpft aus dem Vollen. Er realisiert in seinem Kunstwerk eine denkbare Kombination von Farben, Wörtern, Tönen, Geräuschen, Rhythmen, Bewegungen, Formen, Stoffen, Ideen. Ja, er erlebt und lebt und belebt eine Idee ...
Ich erfuhr Kunst plötzlich also nicht mehr als eine göttliche, aber dafür als eine umso menschlichere Betätigung; als eine Berufung nicht von oben, sondern von innen. Ich interpretierte sie als schillerndes Spiel, das den Menschen erst zu dem macht, was er wirklich ist, und ihn durch den Irrgarten seines Denkens zur so wohltuenden Grundwahrheit der Schönheit hinausführt. Kunst war für mich nun die verborgene ideelle Ordnung, die sich im Chaos der Materialität nur dem kindlichen Entdecker offenbart. Sie war ein göttliches Bild, das gemalt werden wollte und daher den Künstler erschuf. Mehr nicht.