pol shebbel
Mitglied
(Drei Versuche der Annäherung an eine ungewöhnliche Stadt.)
Will man eine Geschichte im oder über den fraschischen Pyramidalwald erzählen, dann kann ein Name nicht ungenannt bleiben: Asîmchômsaia. Asîmchômsaia! Wie, bei allen vier Urgewalten, soll man Asîmchômsaia beschreiben, mit welcher der tausend Beschreibungsmöglichkeiten, von denen jede einzelne selbstredend unvollständig bleiben muss, soll man beginnen? Es gibt Leute, die Zahlen lieben und ein Verlangen haben, alles auf der Welt in Zahlen auszudrükken; auch in Asîmchômsaia gibt es eine Menge solcher Leute. Aber schon bei den Zahlen gerät man in Schwierigkeiten. Die genaue Einwohnerzahl zum Beispiel ist ebensowenig bekannt wie das genaue Alter, allen Anstrengungen der Zahlenliebhaber in den Ämtern zum Trotz. Das Resultat der letzten Volkszählung, welches etwa 43000 lautet, müsste für eine realistische Schätzung um den Faktor 1.5 bis 2.5 multipliziert werden, und die früheste schriftliche Erwähnung - 52 Jahre nach der Gründung des Metallbundes - stammt aus einer Zeit, in der Asîmchômsaia ohne Zweifel schon seit längerer Zeit existierte. Was man daraus immerhin ableiten kann, ist, dass Asîmchômsaia die erste Ortschaft ausserhalb der Berge war, die den Namen "Stadt" mit Recht trug.
Doch lassen wir die Zahlen, die - wie die Persönlichkeiten der Zahlensammler - bekanntlich so trocken wie der fraschische Sommer sind, vorerst beiseite. Es gibt andere Ansätze. So wird Asîmchômsaia beispielsweise als "Pyramidalwalds Antwort auf den Metallbund" beschrieben; poetischere Bezeichnungen sind "Nabel Ssais" oder gar "Labyrinth des Aberwitz". Nun - zugegeben, unglaublich poetisch ist das nun wieder nicht; es ist hier anzumerken, dass Asîmchômsaia nie ausgesprochen eine Stadt der grossen Poeten war - nicht vor Assing jedenfalls. Die meisten Leute dort halten sich schon für poetisch, wenn sie anstatt Asîmchômsaia "die Doppeleiche" sagen, was sie vom Heiligen Baum der Stadt herleiten, auf dem in fast symmetrischer Anordnung 2 Eichen wachsen; in Wirklichkeit ist dies jedoch nichts als eine Übersetzung des Namens Asîmchômsaia.
Wir lassen also auch die Poesie beiseite und versuchen zum drittenmal, uns der Stadt zu nähern, indem wir durch die Augen eines Wanderers blicken. Dieser sieht zuerst die hohe, hölzerne, von Baum zu Baum gezogene Stadtmauer, wie man sie bei jeder anderen Ortschaft auch findet. Übrigens - um noch einmal auf die Zahlen zurückzukommen: die flächenmässige Ausdehnung der durch die Mauer umgrenzten Stadt ist eine der wenigen Zahlen, die sich tatsächlich genau bestimmen lassen. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass eine Durchquerung der Stadt von Tor zu Tor rund 2 Stunden dauert; eine Zahl, die einen Besucher vom Land weit tiefer beeindruckt als einen solchen aus den Bergen - die Ausdehnung der Stadt ist im Vergleich zur Einwohnerzahl geradezu lächerlich klein. Was aber der Wanderer von aussen nicht sieht, ist, dass die ganze Stadt gleich hoch ist wie die Mauer: jeder einzelne Pyramidalbaum ist vollständig bebaut und ausgenutzt bis in luftige Höhen von 15 Mannslängen und mehr, wo die Zweige einen Menschen kaum noch tragen. Dabei versteht es sich von selbst, dass jeder Baum lebt, wächst und Blätter treibt; somit ist die ganze Stadt ein einziges riesiges lebendiges Wesen - ganz im Sinne des Grünen Buchs und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was die alte Kunst der Galbell zu leisten vermag.
Zuunterst, wo die pyramidenartigen Stämme aufragen, ist es andachtsvoll still und dunkel; denn die ausgehöhlten Stämme sind auch hier die Stätten für die tägliche Meditation. In ihnen auch zu schlafen, muss bei der in Asîmchômsaia herrschenden Bevölkerungsdichte den Privilegierten vorbehalten bleiben; der Stand der Nicht-Baumbesitzer - auf dem Land die Unterschicht der Galbladi - bildet hier die Bevölkerungsmehrheit. Kein Abfall bleibt hier liegen, kein schlechter Geruch stört die Stimmung; ein Zeichen für die Leistungsfähigkeit des Kanalisationssystems, das zum Teil direkt darüber liegt. Auch dieses Kanalisationssystem ist Teil der alten Kunst der Galbell, und vielen bleibt ein Geheimnis, wie es im während der Hälfte des Jahres wasserknappen Pyramidalwald funktionieren kann. Das Prinzip hat zu tun mit der Reinigung und Wiederverwertung verschmutzten Wassers, aber selbst unter den Galbell haben viele nur eine leise Ahnung davon.
Die heiligste und die schmutzigste Gegend liegen also direkt übereinander - Wasser ist den Fraschagal sowieso etwas unheimlich, da gemäss dem Grünen Buch die Seelen der Verstorbenen im Wasser wohnen - ein erster Hinweis darauf, was es mit der Bezeichnung "Labyrinth des Aberwitz" auf sich haben kann...
Über der Kanalisation, schon 2 bis 3 Mannslängen über dem Grund, liegt die Schicht, auf der sich der grösste Teil des öffentlichen Lebens abspielt. Hier findet man breite, aus Holz gezimmerte und mit Lehm gepflasterte Strassen, durch die Eselkarren rumpeln, man findet Tavernen, Gasthöfe, Läden, Schreibstuben; man findet aber auch schmale Gassen, in die das Tageslicht kaum hineindringt, wo Hühner herumlaufen und Affen in Abfallhaufen wühlen. Über Leitern, Rampen, Treppen und seilgezogene Fahrstühle gelangt man in die nächsthöheren Lagen. Hier wird gewohnt, aber auch gearbeitet; Schuster, Weber, Hutmacher, Barbiere arbeiten hier und insbesondere die Kunsthandwerker, die Gold-, Messing- und Bronzeschmiede. Sie sind es, die Asîmchômsaia mächtig und berühmt gemacht haben; der Erfolg ihrer wunderbaren Schmuckstücke und verzierten Teller war der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende der wirtschaftliche Würgegriff der zum Metallbund zusammengeschlossenen Gebirgsstädte gebrochen wurde. Es gibt eigentliche Handwerkerviertel; das grösste ist Onniponging Loemparl, wo vor rund 100 Jahren der Grossbrand gewütet hat. Onniponging ist der einzige Ort in Asîmchômsaia, der nicht mit Bäumen bestanden ist; vor allem feuergefährliche Berufe wie die Grobschmiede, die grosse Feueröfen benötigen, sind hier angesiedelt.
Die bebaute Zone von Asîmchômsaia reicht noch mehrere Stockwerke höher, wobei die in die Äste gebauten Baumhütten immer kleiner (und die in ihnen wohnenden Menschen immer ärmer) werden. Es gibt auch hier "Wege": man kann auf 10 Mannslängen Höhe die ganze Stadt durchqueren. Hier wohnen die Galbladi der Stadt; hier leben Bettler, die von dem leben, was ihnen in den unteren Stockwerken in Körbe gelegt wird, die sie an Schnüren hinunterlassen. Hier gibt es Huren, Arbeitslose, Tagelöhner, aber auch Tagediebe, Herumtreiber oder Vogelfreie, die wieselflink durch die höchsten Baumwipfel klettern können. Die Stadt hat ihren Auswurf hierher verbannt; aber der Auswurf rächt sich dafür, dass er wie Abfall behandelt wird, indem er seine eigenen Abfälle hinunterwirft und so dafür sorgt, dass er nicht vergessen wird - auch wenn er dadurch das Vorurteil "Alles, was von oben kommt, ist Dreck" erhärtet.
Asîmchômsaia ist kein Paradies. Asîmchômsaia ist ein ständiges Wechselbad, ein Labyrinth des Aberwitz. Asîmchômsaia lässt niemanden gleichgültig. Entweder man kann es nicht ausstehen, oder man ist ihm verfallen. Manchmal auch beides.
Will man eine Geschichte im oder über den fraschischen Pyramidalwald erzählen, dann kann ein Name nicht ungenannt bleiben: Asîmchômsaia. Asîmchômsaia! Wie, bei allen vier Urgewalten, soll man Asîmchômsaia beschreiben, mit welcher der tausend Beschreibungsmöglichkeiten, von denen jede einzelne selbstredend unvollständig bleiben muss, soll man beginnen? Es gibt Leute, die Zahlen lieben und ein Verlangen haben, alles auf der Welt in Zahlen auszudrükken; auch in Asîmchômsaia gibt es eine Menge solcher Leute. Aber schon bei den Zahlen gerät man in Schwierigkeiten. Die genaue Einwohnerzahl zum Beispiel ist ebensowenig bekannt wie das genaue Alter, allen Anstrengungen der Zahlenliebhaber in den Ämtern zum Trotz. Das Resultat der letzten Volkszählung, welches etwa 43000 lautet, müsste für eine realistische Schätzung um den Faktor 1.5 bis 2.5 multipliziert werden, und die früheste schriftliche Erwähnung - 52 Jahre nach der Gründung des Metallbundes - stammt aus einer Zeit, in der Asîmchômsaia ohne Zweifel schon seit längerer Zeit existierte. Was man daraus immerhin ableiten kann, ist, dass Asîmchômsaia die erste Ortschaft ausserhalb der Berge war, die den Namen "Stadt" mit Recht trug.
Doch lassen wir die Zahlen, die - wie die Persönlichkeiten der Zahlensammler - bekanntlich so trocken wie der fraschische Sommer sind, vorerst beiseite. Es gibt andere Ansätze. So wird Asîmchômsaia beispielsweise als "Pyramidalwalds Antwort auf den Metallbund" beschrieben; poetischere Bezeichnungen sind "Nabel Ssais" oder gar "Labyrinth des Aberwitz". Nun - zugegeben, unglaublich poetisch ist das nun wieder nicht; es ist hier anzumerken, dass Asîmchômsaia nie ausgesprochen eine Stadt der grossen Poeten war - nicht vor Assing jedenfalls. Die meisten Leute dort halten sich schon für poetisch, wenn sie anstatt Asîmchômsaia "die Doppeleiche" sagen, was sie vom Heiligen Baum der Stadt herleiten, auf dem in fast symmetrischer Anordnung 2 Eichen wachsen; in Wirklichkeit ist dies jedoch nichts als eine Übersetzung des Namens Asîmchômsaia.
Wir lassen also auch die Poesie beiseite und versuchen zum drittenmal, uns der Stadt zu nähern, indem wir durch die Augen eines Wanderers blicken. Dieser sieht zuerst die hohe, hölzerne, von Baum zu Baum gezogene Stadtmauer, wie man sie bei jeder anderen Ortschaft auch findet. Übrigens - um noch einmal auf die Zahlen zurückzukommen: die flächenmässige Ausdehnung der durch die Mauer umgrenzten Stadt ist eine der wenigen Zahlen, die sich tatsächlich genau bestimmen lassen. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass eine Durchquerung der Stadt von Tor zu Tor rund 2 Stunden dauert; eine Zahl, die einen Besucher vom Land weit tiefer beeindruckt als einen solchen aus den Bergen - die Ausdehnung der Stadt ist im Vergleich zur Einwohnerzahl geradezu lächerlich klein. Was aber der Wanderer von aussen nicht sieht, ist, dass die ganze Stadt gleich hoch ist wie die Mauer: jeder einzelne Pyramidalbaum ist vollständig bebaut und ausgenutzt bis in luftige Höhen von 15 Mannslängen und mehr, wo die Zweige einen Menschen kaum noch tragen. Dabei versteht es sich von selbst, dass jeder Baum lebt, wächst und Blätter treibt; somit ist die ganze Stadt ein einziges riesiges lebendiges Wesen - ganz im Sinne des Grünen Buchs und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was die alte Kunst der Galbell zu leisten vermag.
Zuunterst, wo die pyramidenartigen Stämme aufragen, ist es andachtsvoll still und dunkel; denn die ausgehöhlten Stämme sind auch hier die Stätten für die tägliche Meditation. In ihnen auch zu schlafen, muss bei der in Asîmchômsaia herrschenden Bevölkerungsdichte den Privilegierten vorbehalten bleiben; der Stand der Nicht-Baumbesitzer - auf dem Land die Unterschicht der Galbladi - bildet hier die Bevölkerungsmehrheit. Kein Abfall bleibt hier liegen, kein schlechter Geruch stört die Stimmung; ein Zeichen für die Leistungsfähigkeit des Kanalisationssystems, das zum Teil direkt darüber liegt. Auch dieses Kanalisationssystem ist Teil der alten Kunst der Galbell, und vielen bleibt ein Geheimnis, wie es im während der Hälfte des Jahres wasserknappen Pyramidalwald funktionieren kann. Das Prinzip hat zu tun mit der Reinigung und Wiederverwertung verschmutzten Wassers, aber selbst unter den Galbell haben viele nur eine leise Ahnung davon.
Die heiligste und die schmutzigste Gegend liegen also direkt übereinander - Wasser ist den Fraschagal sowieso etwas unheimlich, da gemäss dem Grünen Buch die Seelen der Verstorbenen im Wasser wohnen - ein erster Hinweis darauf, was es mit der Bezeichnung "Labyrinth des Aberwitz" auf sich haben kann...
Über der Kanalisation, schon 2 bis 3 Mannslängen über dem Grund, liegt die Schicht, auf der sich der grösste Teil des öffentlichen Lebens abspielt. Hier findet man breite, aus Holz gezimmerte und mit Lehm gepflasterte Strassen, durch die Eselkarren rumpeln, man findet Tavernen, Gasthöfe, Läden, Schreibstuben; man findet aber auch schmale Gassen, in die das Tageslicht kaum hineindringt, wo Hühner herumlaufen und Affen in Abfallhaufen wühlen. Über Leitern, Rampen, Treppen und seilgezogene Fahrstühle gelangt man in die nächsthöheren Lagen. Hier wird gewohnt, aber auch gearbeitet; Schuster, Weber, Hutmacher, Barbiere arbeiten hier und insbesondere die Kunsthandwerker, die Gold-, Messing- und Bronzeschmiede. Sie sind es, die Asîmchômsaia mächtig und berühmt gemacht haben; der Erfolg ihrer wunderbaren Schmuckstücke und verzierten Teller war der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende der wirtschaftliche Würgegriff der zum Metallbund zusammengeschlossenen Gebirgsstädte gebrochen wurde. Es gibt eigentliche Handwerkerviertel; das grösste ist Onniponging Loemparl, wo vor rund 100 Jahren der Grossbrand gewütet hat. Onniponging ist der einzige Ort in Asîmchômsaia, der nicht mit Bäumen bestanden ist; vor allem feuergefährliche Berufe wie die Grobschmiede, die grosse Feueröfen benötigen, sind hier angesiedelt.
Die bebaute Zone von Asîmchômsaia reicht noch mehrere Stockwerke höher, wobei die in die Äste gebauten Baumhütten immer kleiner (und die in ihnen wohnenden Menschen immer ärmer) werden. Es gibt auch hier "Wege": man kann auf 10 Mannslängen Höhe die ganze Stadt durchqueren. Hier wohnen die Galbladi der Stadt; hier leben Bettler, die von dem leben, was ihnen in den unteren Stockwerken in Körbe gelegt wird, die sie an Schnüren hinunterlassen. Hier gibt es Huren, Arbeitslose, Tagelöhner, aber auch Tagediebe, Herumtreiber oder Vogelfreie, die wieselflink durch die höchsten Baumwipfel klettern können. Die Stadt hat ihren Auswurf hierher verbannt; aber der Auswurf rächt sich dafür, dass er wie Abfall behandelt wird, indem er seine eigenen Abfälle hinunterwirft und so dafür sorgt, dass er nicht vergessen wird - auch wenn er dadurch das Vorurteil "Alles, was von oben kommt, ist Dreck" erhärtet.
Asîmchômsaia ist kein Paradies. Asîmchômsaia ist ein ständiges Wechselbad, ein Labyrinth des Aberwitz. Asîmchômsaia lässt niemanden gleichgültig. Entweder man kann es nicht ausstehen, oder man ist ihm verfallen. Manchmal auch beides.