8. Kapitel

Brandiff

Mitglied
Einige Wochen darauf

Die Tür vom Rathausflog auf und Sekunden später wieder zu. Dazwischen stürmte eine etwas entzürnte Zigeunerin hinaus und kurz danach ins Gebäude der Gardisten. Einen Augenblick später hörte man nur noch die Tür zum Büro von Leutnant Haseborn zuknallen. Was darin folgte war eine gehörige Standpauke, vermischt mit vielen italienischen Ausbrüchen von denen er, zum Glück, wohl kein einziges Wort verstand. Nur das sie nicht gerade freundlich waren, konnte er sich denken. Desdemona war erzürnt darüber, wie man dort mit Informationen umging. Wie konnte er sich anmaßen zu entscheiden ob eine Information wichtig war oder nicht, oder ob sie einem Hirngespinst entsprach? Für ihre Arbeit war es notwendig das sie jegliche Information erhielt. Sie entschied dann ob sie von Bedeutung war oder nicht.

Die Info, das man einen schwarzgekleideten, maskierten Mann auf den Dächern hat balancieren sehen, war für sie keineswegs eine Einbildung unter Alkoholeinfluss oder dergleichen. Bedachte man das die letzten Straftäter aus dem Miliue der Schausteller kamen, war es für sie durchaus im Bereich des Möglichen. Ein Hochseilartist wäre in der Lage derartiges zu vollbringen. Die Frage war zu welchem Zweck? Einbruch, Diebstahl oder ging es um weit schwerwiegendere Dinge? Auch ein Attentäter konnte sich so unbemerkt anschleichen und sein Opfer im Schlaf überraschen. So oder so wäre die Meldung wichtig für sie gewesen.
Nach ihrer Standpauke allerdings würde der junge Leutnant wohl sicher so schnell keine Information und sei sie noch so unbedeutend unter den Teppich fallen lassen.

Einige Zeit später verließ sie wieder das Gebäude. Nun lag es mal wieder an ihr mehr über den geheimnisvollen Dachwanderer herauszufinden. Doch bis sie mehr in Erfahrung brachte, würde noch einige Zeit vergehen...

Einige Tage nach dem Vorfall mit dem Dachläufer saßen Desdemona und Francis wieder beim gemeinsamen Umtrunk vor dem Ratskeller. Inzwischen waren auch ihre heißersehnten Pferde für die Zucht, die sie aufbauen wollte eingetroffen und hatten bei ihrer Ankunft für mächtig aufsehen gesorgt. Nicht nur durch ihre Stattlichkeit und Eleganz. Nein, eines der Tiere zog bereits beim Verlassen des Schiffes das Augenmerk sämtlicher Zuschauer im Hafen auf sich.

Der schwarze andalusische Hengst verließ als letzter den Frachtraum. Dabei wurde er gehalten von zwei Tauen von vier Männern über den Steg geführt. Das hieß sie versuchten es zumindest. Denn trotz ihrer geballten Kraft schafften sie es kaum, den Rappen im Zaun zu halten. Dann geschah es. Das Tier bäumte sich auf, wobei er bereits den ersten der Männer ins Wasser beförderte. Die Übrigen versuchten die Taue erneut zu ergreifen, doch vergebens. Wie wild trat der Hengst um sich, die Vorderläufe hoch in der Luft erhoben. Aus Angst von den Hufen erschlagen zu werden, sprang einer von ihnen zu seinem Kollegen ins Wasser während die anderen Zwei die Flucht ergriffen. “Der Teufel, das ist der Teufel!!”, schrien sie. Auch die umherstehenden Zuschauer machten sich auf das Weite zu suchen. Der Andalusier indes sprang aufgeregt in die Menge, einen Fluchtweg suchend. Nur eine blieb ruhig, Desdemona.

Die Rufe der anderen sie solle zusehen das sie wegkam nicht beachtend, ging sie langsam auf das Tier zu. Dabei sprach sie mit sanfter, beruhigender Stimme auf es ein. “Ruhig mein Guter. Alles in Ordnung. Ich werde dir nichts tun.” Der Hengst blieb ihr gegenüber stehen, scharrte mit den Hufen und schnaubte wütend. Man konnte meinen er wollte sie jeden Augenblick über den Haufen rennen, kam sie auch nur noch einen Schritt näher. Doch Desdemona ließ das ungerührt. Sie setzte ihren Weg fort auf das Tier zu.

Sie blickte auf das Zaumzeug, die Stricke und den Sattel welche man ihm kurz vor verlassen des Schiffes umgelegt hatte. “Du magst es nicht eingezwängt und gegängelt zu werden, hm? Nun ich auch nicht.” Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. “Nun, ich kann dich davon befreien. Doch dazu mußt du mir gestatten dich zu berühren.” Das Scharren der Hufe wurde weniger und der Rappe sah Desdemona an. Ganz so als überlegte er, ob er ihr trauen konnte. Sie stand nun direkt vor ihm, nur eine Armlänge entfernt. Würde nun lospreschen, wäre sie verloren. Langsam, keine all zu schnelle Bewegung machend streckte sie dem Tier ihre Hand entgegen, es daran schnuppern zu lassen. Argwöhnisch beäugte der Hengst ihm die dargebotende Hand, roch vorsichtig daran.

Das Scharren der Hufe hörte auf. Behutsam strich Des ihm über die Nüstern. “Siehst du, alles halb so schlimm. Dann wollen wir dich mal von deiner Pein erlösen.” Gesagt getan. Sie entfernte die Taue, die das Tier bislang hielten und nahm auch den Sattel ab. Währenddessen stand es ganz ruhig da, die Zuschauer, die sich langsam wieder nach vorne trauten beobachtend. “So das wäre geschafft, jetzt geht es dir besser. Nicht?” Der Rappe ließ ein beinahe wohlig klingendes Schnauben erklingen. Inzwischen stand Des wieder vor dem Tier, kramte einige Leckerchen aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. So wild und ungezügelt sich der Hengst ebend noch benommen hatte, so sanft nahm er die ihm angebotenden Fressalien aus ihrer Hand. “Hm du brauchst allerdings noch einen Namen”, überlegte sie während sie ihm erneut zärtlich über die Nüstern strich. “Wie wäre es mit Folletto, kleiner Teufel? Gefällt dir der Name?” Der Andalusier stieß einen wiehrenden Laut aus. “Ok, damit ist es also beschlossen. Nun wird es Zeit heim zu gehen. Erlaubst du mir auf deinem Rücken zu reiten?”

Des trat an die Seite des Pferdes. Nun würde sich zeigen, ob ihre bisherigen Bemühungen von Erfolg gekrönt waren. Behutsam zog sie sich am Zügel nach oben. Dann saß sie auf seinem Rücken. “Komm Folletto lass uns heimgehen.” Ruhig ließ sich der Hengst von ihr vor den Trupp setzen, der bereits mit den anderen Pferden wartete und gemeinsam ritten sie zum Anwesen, ihrer neuen Heimat. Ab diesem Augenblick war Folletto Desdemonas Pferd, denn er gestattete niemand anderen außer ihr auf ihm zu reiten.

Francis fand ihr Verhalten am Hafen allerdings sehr riskant. “Der Hengst hätte dich auch umbringen können. Du solltest mit derartigen Dingen vorsichtiger sein.” Des schüttelte den Kopf. “Man musste nur sein Vertrauen gewinnen. Genau wie Menschen haben auch Tiere ihre Eigenarten.” “Na wie du meinst.” Francis nahm einen Schluck Bier. “Du mußt wissen was du tust.” “Tja gut, wenn zumindest einer von uns das weiß”, murrmelte sie. “Was meinst du damit?” Er setzte den Bierkrug ab, sah sie fragend an. Sie mußte schlucken. Das war der geeignete Augenblick ihn auf das Ereignis am Fluss und das seltsame Leuchten anzusprechen, doch wie sollte sie es angehen? Sein Blick ruhte noch immer auf ihr.
“Also weißt du, es ist so...”, einwenig nervös drehte sie den Kelch in ihrer Hand. Ohne Francis anzusehen sprach sie weiter. “Erinnerst du dich noch an dem Tag am Fluss, als wir Jean, Mia und Crystal trafen?” Francis nickte, doch das konnte sie nicht sehen. “Damals brach plötzlich ein Unwetter los...” “Ja, ich hörte davon.” “Nun, dieses Unwetter das war kein gewöhnliches. Jemand hat es heraufbeschworen und dieser Jemand warst du.” “Ich weiß.” Des riss die Augen auf und starrte ihn an. “Du weißt es??” Francis nickte. “Ja, doch ich habe es nicht unter Kontrolle. Ich kann es nicht verhindern oder abstellen, weißt du?” “Hat es was mit diesem leuchtenden Ding auf deiner Schulter zu tun?” “Auch das hast du bemerkt?” “Ja, ich und Crystal. Sonst niemand. Was hat es damit auf sich?” Francis sah sich um, ob sie auch niemand beobachtete, dann drehte er ihr seine Schulter zu, zog das Hemd etwas nach unten. Auf seiner Schulter war ein schwarzer Fleck zu sehen.

“Es ist das Zeichen der Black Angle. Der Fluch dieses Schiffes. Jeder der einmal seinen Fuss auf es gesetzt hat, ist damit gebranntmarkt.” Des erschrak leicht. “Was hat es mit dem Fluch auf sich?” “Das kann ich dir nicht genau sagen, doch eines steht fest. Es wird eines Tages kommen und mich holen. So wie auch den Rest der Mannschaft.” Ihn holen? Ihn ihr einfach so mir nichts dir nichts wegnehmen? Nein das konnte nicht sein, das durfte einfach nicht sein. Tränen stiegen ihr in die Augen. “Wieso weinst du? Dich betrifft das doch nicht. Du kannst mit deinem Auserwählten ein langes und zufriedenes Leben führen.”
In Desdemona stieg eine ungeheure Wut auf. War er denn tatsächlich so blind, das er nicht bemerkte was sie für ihn empfand. Voller Zorn feuerte sie den Weinkelch in die nächste Ecke. “Verdammt nochmal doch das tut es!! Weil du derjenige bist!! “Ich weiß”, kam es leise aus seiner Kehle. Des starrte ihn an, sie mußte sich setzen. “Und mir geht es nicht anders. Vom ersten Tag an wo du hier in Port Patriam aufgetaucht bist.” Erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie senkte den Kopf. “Wieso hast du nichts gesagt? Wieso mich so lange im unklaren gelassen?” Sie spürrte eine Hand, die liebevoll über ihr Haar strich. “Weil wir Beide keine Zukunft haben. Der Fluch wird immer wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen schweben. Das will ich dir nicht zumuten.”

“Nicht zumuten?” Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Erneut spiegelten sich Wut und Verzweiflung in ihrem Blick. “Wieso läßt du mich diese Entscheidung nicht selbst treffen? Wer sagt dir, das ich nicht bereit bin mit dieser Bedrohung zu leben? Wer das es nicht einen Weg gibt, den Fluch zu umgehen oder ihn zu beenden? Wer das es überhaupt so kommen wird, wenn du seine Worte nicht einmal kennst?”
Sein liebevoller Blick ruhte auf ihr, während er um den Tisch herum ging und zärtlich seine Arme um sie schloss. “Wenn das deine Wille ist, dann lass uns gemeinsam die Zeit genießen die uns bleibt.” Damit zog er sie an sich heran und küßte sie leidenschaftlich. Des konnte nichts anderes tun als in seine Arme zu sinken. Den Rest des Abends verbrachten sie engumschlungen vor dem Ratskeller.

Der Tag war gerade erst angebrochen und Desdemona hatte sich zu einem Spaziergang im Wald entschlossen. Sie brauchte ein wenig Ruhe zum Nachdenken. Die letzten Wochen waren wundervoll gewesen. Francis und sie verbrachten beinahe jeden Abend, jede Nacht miteinander. Es war schöner, als sie es sich in ihren künsten Träumen ausmalen konnte. Francis trug sie auf Händen, auch wenn ihre gegenseitigen Stichelein und Reiberein deswegen kein Ende fanden. Es gehörte einfach zu ihnen dazu.

Insbesondere da Francis sich weigerte mit ihr über den Fluch zu reden. Meist lenkte er vom Thema ab, oder die Informationen flossen nur spärlich. Wußte er tatsächlich so wenig oder wollte er sie einfach nur aus allem raushalten? Doch dafür war es nun zu spät. Sie hatte sicher nicht vor sich von einem Fluch so mir nichts dir nichts den Mann den sie liebte nehmen zu lassen. Aber dafür mußte sie mehr über ihn heraus finden. Und wenn Francis ihr nicht half, dann auf eigene Faust. Allerdings, was würde er sagen wenn er wüßte das sie nach einem Lösungsweg suchte und alles daran daransetzen und tun würde um ihn zu befreien? Und auch seine Anspielung darauf das sie mit den Ereignissen in Verbindung stand? Zwar hatten seine Unfälle ab dem Zeitpunkt an aufgehört an dem sie ein Paar waren, doch konnte er wohlmöglich recht haben? War es einfach nur Unachtsamkeit auf Grund seiner Gefühle, oder stellte sie wirklich ein Unheil da, wie behauptet wurde? Hatte sie den bösen Blick wie ihre Sippe meinte? War das alles nur Aberglaube oder steckte etwas anderes dahinter?

Allein ihr Name gab schon Rätsel auf, Desdemona Miraposa de la Luna da Silva, unheilvoller Schmetterling des Silbermondes.
 



 
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