„Ab!“-Gesang

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Walther

Mitglied
„Ab!“-Gesang


Das "Ab!" ist kein Singen, nur spotzendes Kreischen.
Die Spucke, sie fliegt von den Lippen, ihr Rotzen
Ist wie solche Schreibe bloß elend, zum Kotzen.
Die Worte sind Saat nicht, sie mahlen, vermaischen:

Den windigen, billigen Beifall Erheischen,
Das ist das Bestreben, ein stammelndes Klotzen,
Mit Texten, die läufig vor Arroganz strotzen,
Sie sollen verführen, sich laut zu zerfleischen.

Wir halten zusammen, wir Kämpferpoeten!
Uns kann man bepinkeln, bespucken und treten:
Wir schmieden die Strophen, wir schreiben die Reime.

Man kann laut das "Ab!" in den Äther trompeten,
Die Verse, sie steigen wie Weltraumraketen,
Verbreiten die Lyrik: Sie sä'n ihre Keime.
 
O

orlando

Gast
Am Anfang schuf Gott die Freiheit.
Und als er die Freiheit geschaffen hatte, schuf er den Frühling.
Und als er den Frühling geschaffen hatte, schuf er den Dichter.
schreibt Georg Herwegh.
Und das haben wir nun davon!
Müssen das Respektbrot erbetteln vor den Türen; oft wird es verweigert. -
Doch gräm dich nicht, mein Lieber:
Es ist "nur" der unsägliche Dilettantismus, der all dies Unglück über uns gebracht hat. Der tritt dem Echten und der Tiefe voller Hass entgegen - selbst dem kuriosen Spiel. Der hebt den ersten Stein, wenn ein paar geistreiche Worte fallen, wenn Neues versucht wird, jenseits aller zuckrigen, matten Gefühle.
Und lächelt verschlagen von früh bis spät.

So stellt sich die Szene derzeit dar. Deshalb kann ich dein hoffnungsfrohes Fazit leider nicht teilen, bewundere aber seine ungewohnte Leidenschaft. :)

LG
orlando
 

Walther

Mitglied
lb. orlando,

was soll die lyrik: sich in die ohren stehlen, die sehnerven reizen, die nackenhaare stellen, die kreislauf anregen. und sie soll doppelte freude machen: dem, der sie liest, dem, der sie schreibt.

ob die dichter söhne des frühling sind? sind sie nicht eher die des herbstes und des winters?

jedenfalls ist die dichtung nicht nur opfer des klempners, wenn er die verschraubung zu stark anzieht und sie dabei abschert. nein, sie ist auch das opfer der allgemeinen fehleinschätzung, jeder sei ein künstler. die kunst ist das opfer dieser überheblichkeit, die meint, man komme ohne können ans ziel, am besten über deutschland sucht den superstar oder germany's next top model.

den direkten weg gibt es nicht.

aber darum geht es eigentlich gar nicht. es geht eher darum, daß die lyrik aus unserem leben verschwunden ist, zumindest, wenn sie gute lyrik ist. aber, und daran glaube ich, diese zeit braucht gute lyrik.

und unsere zeit, die der ernsthaften lyriker, die sich redlich mühen und mit sich kämpfen, damit sie immer besser werden, wird kommen.

man wird von uns hören.

man wird uns lesen.

lg w.
 
O

orlando

Gast
Der Vormärzdichter Herwegh (und ich ;) ) meinten das anders, Walther.
Sein Frühling steht für die Macht des lyrischen) Impulses auf Politik, Kultur und Wissenschaft der Nationen, die sie zweifellos einmal hatte.
Mich zumindest hat es erstaunt, wie unglaublich stark die bis Mitte des 20. Jahrhunderts tatsächlich war, mit allmählich abflachender Kurve.
Zeitgenössische Lyriker versuchen nun eine Brücke zwischen Prosa und Lyrik zu schlagen (bspw. Jürgen Becker), doch ich fürchte, dass die goldenen Zeiten endgültig vorüber sind.

Deinen Optimusmus möchte ich dir trotzdem nicht nehmen.
Man waaß ja nie ...

LG
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Daß jeder ein Künstler sei, ist das Motto eines Künstlers. Im Auge eines Künstlers ist alles Kunst: Das deckt er auf, legt er dar, zeigt er.
An die "abflachenden Kurven" glaube ich nicht. Ich würde mindestens noch Durs Grünbein nennen.
 
F

Fettauge

Gast
Ab-Gesang

Lieber Walther,

ich habe den Eindruck, dir ist es egal, mit welchem Thema sich dein Sonett befasst, Hauptsache, es ist ein Sonett. Dass die Form des Sonetts sich nicht für jedes Thema eignet, beweist du mit diesem Text wieder einmal, und das recht eindeutig. Form und Inhalt beißen sich hier derart, dass deine Beschwerde darüber, die Leute würden keine Lyrik mehr lesen wollen, mir letztlich irgendwo unerklärlich scheint. Der gekränkte Autor auf dem hohen Ross - niemand will noch lesen, was er sich unter Schweiß und Tränen abgerungen hat. Nein, Walther, das ist zu billig. Dabei vergisst du auch ganz, wenn du es überhaupt akzeptierst, dass die Kunst wie ein Seismograph auf gesellschaftliche Verhältnisse reagiert, ob du nun ein Blümchenidyll bedichtest oder dich an der großen Politik versuchst. Wem also machst du Vorwürfe? Sollen doch die Dichter die Themen aufgreifen, die die Menschen wirklich interessieren! Dann werden die Dichter auch wieder gelesen. Aber was machen sie - Bauchnabelpoesie, in missratene Sonette gezwängt. Und sich dann über die Nichtleser beschweren, das passt. Ein wenig Einsicht in die eigene dichterische Unzulänglichkeit hätte dir meiner Ansicht nach auch ganz gut zu Gesicht gestanden. Orlando glaubt, angesichts dieses Textes Herwegh vergleichsweise heranzuziehen zu können - was für ein Witz! Da sollte man als Autor rote Ohren kriegen.

Liebe Grüße, Fettauge
 

Walther

Mitglied
hi orlando,

in der tat bin und bleibe ich optimist!

lg w.


lb mondnein,

durs grünbein ist sicherlich, neben einigen wenigen anderen, ein lyriker, der bleibendes geschaffen hat und schafft. aber das ist, wenigstens mich betrachtend, eine andere liga.

in der tat darf der künstler glauben, er sei einer. ich bin keiner.

lg w.


lb fettauge,

wenn ich deine versuche mir anschaue, politische lyrik zu schreiben, bekomme ich meistens sprachlich, formal und inhaltlich einen krampf im auge. wir werden nicht übereinkommen. also laß deine eintragungen hier, die so unnötig sind wie ein kropf und so gestrig wie altpapier.

lg w.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Das ist schon ein starkes Stück!

(Das hat man hier noch nie gelesen, aber:) Ich stimme Fettauge im Wesentlichen zu, auch wenn ich den Dichter nicht als "Seismograph gesellschaftlicher Verhältnisse" sehe.

Ich habe noch einen weiteren (oder engeren) Blickwinkel: Was mich an diesem Lied von Anfang an fasziniert hat, ist
... nur spotzendes Kreischen.
Die Spucke, sie fliegt von den Lippen, ihr Rotzen
Ist wie solche Schreibe bloß elend, zum Kotzen.
Die Worte sind Saat nicht, sie mahlen, vermaischen
eben dieses Liedes selbst, denn in einem Lied ist jedes, jedes einzelne dieser Worte selbst das, was es sagt: Das Lyri kreischt, spuckt, rotzt, kotzt, mahlt und vermaischt, daß es eine Freude ist! Köstlich!
Ein Lied über Lieder zu singen ist grundsätzlich Selbstanwendung; und dieses Selbstsein und Sichmeinen der Worte ist ein mächtiger poetischer Zauber: Wenn er bewußt ist, dann trägt er, wenn er sich selbst vergißt, dann schlägt er um so heftiger auf das Lyri zurück:
Mit Texten, die läufig vor Arroganz strotzen,
Sie sollen verführen, sich laut zu zerfleischen.
Ja, was für ein Abgrund, was für ein scharfes Messer als Brücke, was für ein Tanz, auf seiner Schneide hinüberzumarschieren:
Wir halten zusammen, wir Kämpferpoeten!
Uns kann man bepinkeln, bespucken und treten:
Wir schmieden die Strophen, wir schreiben die Reime.
Was für ein Rap, was für eine Satire, was für ein Selbstopfer, was für eine Selbstzerreißung1 - das Ende des Rumpelstelzes ist ein Witz gegen diesen lustvoll rausgespuckten Fluch!
 
O

orlando

Gast
Was mich immer wieder überrascht:
Es gibt hier etliche Autorinnen und Autoren, die uns fast täglich mit neuen Texten (Gedichten?) entzücken, doch nur wenige, die sich die Mühe machen, anderer Leute Lyrik und Kommentare gründlich zu lesen, geschweige denn, sich um ein Verständnis zu bemühen.
Auch einem schlichten Gemüt sollte klar sein, das es Walther hier weniger um Selbstbeweihräucherung und mir nicht um einen Vergleich mit Herwegh ging. - Der Zusammenhang stellt sich lediglich über Walthers Thema, den "Abgesang", her.
Einfach noch mal rüberhuschen ... das wird schon. ;)
Liebe Grüße an alle
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
mit staunender Sympathie

Natürlich lese ich alle Kommentare zu einem Gedicht, bevor ich selbst einen schreibe. Und wenn ich von verschiedenen Blickwinkeln schreibe, meine ich "verschiedene Blickwinkel". Es dient dem Verständnis, verschiedene Blickwinkel einzunehmen.
Und beim heutigen Lesen der Kommentare hier zu diesem Gedicht sehe ich, daß ich meiner Zustimmung zu Fettauges Darlegung ihrer Sicht nicht die Differenzen zugefügt habe, die mich von ihrer Sicht trennen (denn es ging ja nicht um ihren Kommentar, sondern um Dein Sonett).
Hauptunterschied: Ich bin begeistert von dem Lied, von seiner heftigen Sprache, von seiner sprachlichen Gestaltung, von dem "anti-sonetten" Furor, von der inhaltlichen Schärfe.
Und natürlich bist Du ein Künstler, - von Dir selbst darfst Dus negieren, ich darfs aber ponieren, "setzen", behaupten. Und "Jeder Mensch ist ein Künstler" bezieht der Künstler, der diese These aufstellt, nicht auf sich (das war nie bestritten), sondern auf die Menschen (die offensichtlich als Satzsubjekt dem Prädikat zugrundegelegt werden).
Ob ich alles verstehe, trotz eifrigen Lesens der Kommentare und staunender Sympathie für Deine Gedichte, die meistens sehr gut sind, oh ja!, das muß natürlich offen bleiben.
Genauso wie die Diskussion über das, was Kunst ausmacht. Ich finde eher, daß es die ästhetischen Reize sind, die das Staunen wecken, als daß es irgendwelche Hämmer und Meißel seien; habe noch Nietzsches Frechheit (gegen Wagner) im Ohr, wo er über Bizets "Carmen" schreibt: "Diese Musik schwitzt nicht". Und gemäß Schiller merkt man einem (guten) Kunstwerk die Arbeit nicht an. Das nur zur Theorie des Dichtens. Was die Praxis angeht, so finde ich Deine "Arbeiten" gelungen und stark.
 

Walther

Mitglied
lb orlando,

bitte nicht streiten. ;) es geht um die, die der dichtung ein "ab!" entgegensingen. und natürlich darf es politisch sein, bin ich selbst oft. aber bitte nicht leierkastenhaft. das ist langweilig! die welt kann erklärt werden, aber bitte nicht in der diktion dessen, der es besser weiß - weil das weiß keiner, außer dem herrgott, und der wird nicht von allen akzeptiert. also müssen wir mit dem unfertigen leben, das aber den charme hat, die veränderung einerseits zu fordern und andererseits zu ermöglichen.

die dichter des vormärz, auch Herwegh, sind aus unserem poesiegedächtnis nicht wegzudenken - auch Sarah Kirsch nicht und nicht Johannes R. Becher, den manche nicht ganz zu unrecht Johannes Verbrecher nennen. das alles gehört zu unsere poesie wie Paul Celan und Rose Mailänder, Jan Wagner und Robert Gernhardt, Hilde Domin und Ulla Hahn.

man sollte in der tat immer alles lesen, bis auf manches. damit man sich nicht ärgert. ;)

lg w.


lb. mondnein,

man sollte sich nichts anmaßen, was andere, die leser, die kritiker, kurz: die es besser wissen müssen als man selbst, der in dieser sache per definitionem partei ist, einem nicht anheften. das revers ist nicht umsonst besser von anderen mit orden und ehrenzeichen zu versehen, man selbst piekst sich dabei eigentlich immer nur in den finger. und das blöde zeugs, der ganze strass, überlebt meisten den abend des paradierens nicht.

also: ja, das ist ein lied, es ist laut, und heute würde man es wohl rappen, wenn man ein rapper wäre. eigentlich ist das dein größtes kompliment an diesen text. weil er damit zu dem erhoben wird, was er sein sollte: ein kampflied für die poesie.

und natürlich ist er ein sonett. er thematisiert in s1 das "runtermachen" und beschreibt dann den inhalt (außen-/innendialog). im terzett kommen die angegriffenen zu wort und in den letzten beiden versen von s4 haben wir auch die moral von der geschicht.

ich will hier durchaus nicht behaupten, meisterwerke zu verfertigen.

aber darum geht es bei diesem kampflied auch nicht. es geht natürlich, wie bei lied und rap immer, auch um den spaß am formulieren selbst. ton und flow, rhythmus und inhalt, laute und wörter, reime und inhalte verschmelzen zu einem klangerlebnis mit beat. und das hat der text, das lasse ich mir nicht abstreiten: groove und beat! :)

lg w
 
D

Die Dohle

Gast
The Burden of Being Wonderful

das ist ein bisschen böse, walther verzeih´, und ihr anderen, ich weiß. und ich schau in den spiegel, während ich dieses schreibe.
es ist halt so, rock ´n roll ist das ehrlichste, das verlogenste, das schönste, das dreckigste, es ist der himmel auf erden und die hölle zugleich. wer jemals, die klampfe mit und ohne jammerhaken unter´m arm, auf einer bühne stand, der weiß, es gibt da nichts zu kämpfen, es gibt nur etwas zu gewinnen. ... sofern der groove stimmt, und das ist gar nicht so einfach.
ich denk es ist dieses:
das bild im spiegel zu zeiten hin und wieder auszulachen
... aber nicht zu verhöhnen.


lg
die dohle
 

HerbertH

Mitglied
keime säen,

ja, das ist wichtig ... und die emotion kann ich gut nachvollziehen ...

es gibt viele gedichte, die einfach untergehen, leider

Liebe Grü0e

Herber
 
D

Die Dohle

Gast
... kommt darauf an, welches die gründe sind, weshalb man/frau schreibt. mir persönlich genügt es (noch), mit der erarbeitung eines textes die zugrundeliegende frage angemessen auszuleuchten. die stets vorläufige antwort dient als trittstein zu weiteren betrachtungen. die betrachtungen sind mir wichtiger als die texte.

Hallo Walther,
ich denk aus deiner sicht als ambitionierter und geübter lyriker ist dein text absolut stimmig und gut. augenzwinkernd hebst du die lyrifahne in den brausenden gegenwind. wenigstens les ich deinen text so. sehr gut.
aus der warte eines laien jedoch ist damit zu rechnen, dass der text gefahr läuft, so etwas wie elitären dünkel heraufzubeschwören. schade eigentlich. und ich kann dir nicht wirklich was raten in der sache derzeit ..., auch schade, aber issso.

lg
die Dohle
 



 
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