Abgerutscht und weggekippt

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Marcus Soike

Mitglied
Die Messiebude liegt verlassen im kalten Rauch…
Druffi 1 holt was zu rauchen. Druffi 2 besorgt Asche von der Bank. Druffeline verglüht in der Gosse. Gunther ist beim HNO-Arzt.
Aber so verlassen ist die Bude gar nicht…
Zwischen Stinksocken, Tütenweintüten, Bierflaschen, Tabakdosen, einem kaputten Smartphone findet sich ein übervoller Aschenbecher. Kippe 1 ist ausgeraucht, Kippe 2 ist nur noch Asche, Kippeline verglüht – wie all die Namenlosen zuvor.
Der Aschenbecher ist trocken wie eine Wüste. Doch zum Glück gibt es Gunther´s Altherrenrotz, der die Wüste nach und nach zum Sumpf macht.
„Zum Schmelztiegel“, verbessert Gunther´s Altherrenrotz indigniert. „Mein Krätzgehuste ist das beste Bindemittel.“
Durchaus, denn der Lungenlumpen seines Aushusters – Gunther – ist geräuchert von Havannas, Pfeifen, türkischen Zigaretten, verirrten Schnupftabakbröseln, Sekundenkleber Uhix Plus, abgefackeltem Hornissennest, Crack…
„Was, Lungenlumpen!“, ärgert sich der Rotz. „Edel-Räucherlunge!“
Der Rotz sucht nach Ansprechpartnern. Doch die meisten Kippen hier im Gefäß sind ausgetretene Luschen, aufgeschwemmte Fluppen vom Fußabtreter, aufgespießte Glühwürmer…
Der Jointstummel allerdings hebt sich ab: „Von wegen ausgetreten, aufgeschwemmt und vorm Spießer-Wurm verglühen! Ich bin die Gegenkultur! Na gut, ich will das nicht immer wiederkäuen wie ausgelutschten Kautabak. Aber mir was von Multikultur erzählen! Ich war schon am Harzen und am Quarzen, als all die anderen hier noch Kaugummi-Zigaretten als Aschekasten-Freunde hatten.“
Ein Nuttenstengel stellt sich vor. Er ist nicht nur obszön steif, sondern hat knapp überm Filter einen Riss, aus dem obszön Gekräusel quillt. Drumherum Lippenstiftreste. Gunther´s Rotz lässt sich anerkennend über diese vollendete Androgynität aus. Seine Einschleimereien sind Schmier-Filmreif.
Eine Selbstgedrehte labert etwas vom Knick im Lebenslauf, Selfmademan, den Dreh raus haben, Manufakturqualität und Durchdrehen und unter die Walze kommen.
Eine Menthol-Kippe versucht sich an einem homöopathischen Vortrag.
Der Rotz rutscht kontinuierlich tiefer in den Bodensatz, wird immer zynischer, geifert über Ausgelutschte, in der Pfeife gerauchte, Weggekippte, Ausgetretene, Ausgesaugte, in den Staub getretene. Die, die sich angesprochen fühlen, reagieren pöbelig: Man trete ihm gleich in den schleimigen Arsch, dem Lutscher, („du alte Wasserpfeife du !!!“), er solle sich in den Müll kippen oder in den Austritt, der Cocksucker, er solle sich aus dem Staub machen.
Weil Gunther´s Altherrenrotz von seinem Ausrotz-Gunther einen Brocken Lungenkrebs absorbiert hat, ist er befähigt, besonders dreckig, krächzend, krätzig, rasselnd zu lachen. Er spottet über das „spirituelle Sauerkraut“.
Die Jointkippe, aus dünnem Papier gedreht, fühlt sich angesprochen. Der Nuttenstengel nicht minder: polnisches Sauerkraut sei das beste der Welt, und der polnische „Sprit“ sowieso. Die Selbstgedrehte reagiert selbstbewusst und nicht sauer.
So begleitet das Gezeter der Kippen den Rotz auf seiner Rutschbahnreise. Sie alle blasen ihren Rauch in den Schleim, veredeln ihn so zum Abschaum. Die einzelnen Bläschen sind von besonderer Würze: Stallgeruch, geistige Blähungen, brodelndes Blut, Luftschlosssubstanz und immer wieder heiße Luft und immer wieder blauer Dunst kommen zusammen.
Im Hexenkessel steigt die Hitze. Die Hitzkopf-Kippen sondern Nikotinsiff, Spucke der Selbstgedrehten, Lippenstiftreste, harz und ansonsten ungezählte, nicht zu beschreibende Chemikalien ab. Dazu: Asche, verkohltes Papier, aufgeblähte Filter.
Der Rotz beschleimt seine Niveau-Rutsche. Er jubelt über das entstehende Kontinuum: Sozialer Scheibenkleister verklebt den sozialen Dreckhaufen.
Doch das Gemecker unter den Kippen reißt nicht ab: „Haufen zusammengeschmolzener Gummibärchen“ wird gefaucht, „staubiges Götterspeise-Nirvana“, lamentiert die Menthol-Kippe, … „Schweinskopfsülze“, heißt es, „eingefrorener Angelköder“, „Kautabak fürs Riesenmaul.“
Die Mentholkippe frönt dem Selbstmitleid: Sie hätte Schnupftabak werden sollen, von wegen Nebenhöhlen abschwellen und so. Man beruhigt sie: Sie ist doch hier ganz nah beim Rotz, ist doch ein guter Kompromiss.
Der Jointstummel beklagt das viele Streckmaterial.
Der Nuttenstengel kommt von wegen Filter und Verhütung und aufgeplatztem Filter und Zigarette danach.
Und weiter geht das kollektive Einschleimen, Begeifern, Berotzen, durch die kalte Schleimhaut ziehen. Der Rotz, mittlerweile gepanscht, verdünnt, befriedet, zu einem Schmutzgrau vermischt, philosophiert: „Die Asche ist wie der Sand einer gesprungenen Sanduhr, die Kippen sind wie die Scherben, und ich bin der Kitt.“
Die Menthol-Kippe, halbwegs auf seiner Wellenlänge und außerdem schon leicht verhascht: „Wir sind das Moorbad, und du bist die Ekelpackung.“
„Sehr schön“, muss der Altherrenrotz anerkennen.
Der Jointstummel hat inzwischen eine klebrige, fettige und geschmeidige Lockenpracht und erklärt, er werde die Dreadlocks neu definieren.
Der Nuttenstengel fühlt sich angerotzt.
Die Selbstgedrehte verliert allmählich den Zusammenhang, löst sich dezent von dieser ganzen Klebrigkeit, um im gemeinschaftlichen Glibber aufzugehen.
Gunthers Altherrenrotz erklärte, sein neues Aschegewand sei ein gutes Mittel gegen seine Aalglätte, Glitschigkeit, Einschleimerei – er werde noch zum Mönch, so von wegen Aschegewand, Asche zu Asche, unbeschleimter Empfängnis.
Das Asche-Rotz-Kontinuum verlangt nach einer sexuellen Verschmelzung: Den Spalt des Nuttenstengels berotzen? Der Selbstgedrehten neuen Klebstoff liefern? Einem ausgelutschten Filter noch den letzten Schleim wegblasen? Der unbefleckten Empfängnis einen Fleckentferner entgegenspucken?
Die Abgerutschten, Ausgeglittenen, in der Asche gestrandeten… betreten die Wohnung. Druffi 1 raucht. Druffi 2 ascht ab. Druffeline glüht im Schnapsrausch. Gunther produziert im Hals Konkurrenz für seinen etablierten Altherrenrotz.
Gunther, und nicht etwa sein Rotz, erklärt: „Ich kann euch alle in der Pfeife rauchen.“
Druffeline: „Ich brauch ´nen Schnaps um abzuglühen, oder wenigstens, um auszuglühen.“
„Abrutschen, ausrutschen“, brabbelt sich Druffi 2 in den Bart.
Schwelbrand… Unterschwellig brennen sie alle…
„Hochrotzen, abrutschen“, verkündet Druffi 2 feierlich.
„Runterschlucken, ausrutschen“, antwortet Druffi 1.
„Abfackeln, abfackeln“, sagt Gunther und fährt fort, überall im Zimmer Hochprozentigen auszuschütten.
Eine Debatte kommt auf: Müllkippe oder Müllrutsche, das sei hier die Frage. Asche bremse das Abrutschen – „Wer opfert sich?“ – es gehe schief auf der schiefen Ebene, fünf Jahre lang habe man hochgerotzt und sei ausgerutscht, sei beim Ausrotzen abgekackt und habe sich über den ganzen Rotz ausgekotzt, man sei ein guter Jahrgang, reif, weggekippt zu werden.
Weggekippt: Der Weg der Kippe.
Gunthers Altherrenrotz 1 sagt: „Je später der Abend…“
Gunther rotzt in den Aschenbecher.
Gunthers Altherrenrotz 2 sagt: „desto besser die Gäste.“
So verschmelzen sie im Schmelztiegel, im Hexenkessel, in der Grube ausgelutschter, weggekippter Schlangen, im Pferdekopf voll glitschiger Aale, im kippenden Auswurf, im Abtritt ausgetretener Kippen.
Druffeline sagt: „Mir ist so heiß, ich glühe.“
Der Nuttenstengel: „Komisch, ich auch.“
Gunther: „Hier brennt gleich alles.“
Gunthers Altherrenrotz 1 und 2 im Chor: „Komisch, hier auch.“
 



 
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