Absage an einen Erpresser

Hans Dotterich

Mitglied
Absage an einen Erpresser


An die
Erpresserbande
Geldübergabestelle, wie kurzfristig vereinbart

Betr.: Lösegeldforderung für meinen entführten Gatten
Sonntag, 16. 10. 2022

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich schreibe Ihnen aufgrund Ihres Anliegens der Zahlung eines Lösegelds für die Freilassung meines Gatten, den Sie heimtückisch in Ihre Gewalt gebracht haben und zurzeit gegen seinen Willen an einem mir unbekannten Ort festhalten. Anstelle des hohen Geldbetrages, den Sie in diesem Paket als Gegenleistung für seine Freilassung zweifellos erwartet haben, schicke ich Ihnen dieses Schreiben. Hierin möchte ich Sie über Ihre und meine Lage aufklären und über die von mir beschlossenen weiteren Schritte unterrichten.

Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Strafbarkeit Ihres Planes und seiner Durchführung bekannt ist, und dass das Strafgesetzbuch dafür hohe Freiheitsstrafen vorsieht. Ich unterlasse den Versuch, Sie davon abzubringen, da ich begriffen habe, dass dies aussichtslos wäre. Offenkundig schrecken Sie die Konsequenzen nicht, die das Gesetz für den Fall vorsieht, dass die Polizei Sie doch noch faßt. Sie lehnen mit Ihrer Drohung gegen das Leben meines Gatten auch Ihren eigenen Anspruch auf die elementaren Privilegien ab, welche das Gesetz selbst für verurteilte Straftäter gewährt. Ich betone, dass ich Ihrem Vorhaben unwiderruflich ablehnend gegenüberstehe. Ich weise Sie darauf hin, dass allein Sie sämtliche Folgen rechtlicher und exekutiver Art zu tragen haben. Eine Haftungspflicht für die Folge und jede Mitverantwortung meinerseits lehne ich ab.

Ich lehne, zweitens, Ihre Forderung nach Zahlung des Lösegelds ab. Ich fordere Sie auf, meinen Gatten unverzüglich und bedingungslos auf freien Fuss zu setzten. Ihre gegenüber mir geäußerte Androhung, ihn bei Nichterfüllung Ihrer Lösegeldforderung, zu ermorden, oder, wie Sie es formulierten, „Auf nimmer Wiedersehen verschwinden zu lassen“, betrachte ich als das Resultat Ihrer vollkommenen Fehleinschätzung der gegenwärtigen Lage. Sie versuchen, aus dem von Ihnen begangenen Kapitalverbrechens mittels ethisch-moralischer Gemeinplätze für mich eine Verpflichtung abzuleiten, die ich, wie auch Ihre Geldforderung, in der gebotenen Schärfe zurückweise. Ich sehe mich genötigt, Ihnen diesen Sachverhalt wie auch die daraus abzuleitenden Konsequenzen darzulegen.

Sie gehen mit Recht davon aus, dass sich die gegenseitigen Pflichten zwischen Eheleuten wie zum Beispiel meinem Gatten und mir nicht allein auf formale Rechtsgrundsätze reduzieren lassen. Vielmehr geht es hier um eine elementare Existenzbestimmung zweier Menschen, die über jede Güterabwägung, ja sogar über jegliche rechtsphilosophische Grundsatzdiskussion hinausgeht. Gegenstand einer Ehe ist das unbedingte gegenseitige Vertrauen, wie es nur und ausschließlich in einer Ehegemeinschaft denkbar und nicht auf den gesellschaftlichen Allgemeinfall zu übertragen ist. Im Besonderen betone ich die Pflicht, dass die Ehepartner füreinander einstehen und mit ihm gemeinsam die wirtschaftlichen und existenziellen Grundlagen einer Partnerschaft zu schaffen und zu hüten.

Hieraus leiten Sie für mich offenbar die durch kein Gesetz formulierte Verpflichtung ab, dass ich das gemeinsame Vermögen meines Gatten und meiner selbst zur Erfüllung von Forderung einsetzen müsse, die Sie selbst gestellt haben und uns aufzuzwingen versuchen. Ohne Zweifel ist die Unversehrtheit meines Gatten ein existentielles Gut ist, das höher wiegt als das wirtschaftliche. Dennoch unterliegen Sie in Ihrer Erwartung einem fundamentalen Irrtum. Tatsächlich bin ich in der Entscheidung darüber, wie ich dieses Vermögen für meinen Gatten einsetze, vollkommen frei, und ich bin nicht an Ihre Erwartungen gebunden. Auch breche ich hierdurch nicht das Gesetz. Die Art und Weise meiner Reaktion unterliegt allein meiner Gewalt. Eine Kritik an meiner Entscheidung steht weder Ihnen noch sonst jemandem zu. Seien Sie versichert, dass ich diese Tatsache als ethisch-moralischen Grundsatz meines Handels erkannt und nötigen Maßnahmen bereits beschlossen und, soweit möglich, in Gang gesetzt habe.

Ich teile Ihnen, drittens, die folgende Entscheidung mit. Es steht Ihnen frei, darüber auch meinen Gatten zu unterrichten sowie Ihren Rechtsbeistand, sofern Sie klug genug waren, einen solchen zu konsultieren. Ich gedenke auf Ihre Ergreifung und Ihre angemessene Bestrafung ein hohes Kopfgeld auszusetzen, das ich jedermann auszahlen werde, der mir einen Beweis der Erfüllung meiner Forderung vorlegen kann, des Vollzugs der Vergeltung. Sie werden mir angesichts der finanziellen Höhe Ihrer Forderung zustimmen, dass die von Ihnen genante Geldsumme genügenden Anreiz bieten wird, wenn ich sie Ihren kriminellen Mitbewerbern anbiete. Hierunter verstehe ich Organisationen, die wie Sie staatlichen Einflüssen und gesetzlichen Verpflichtungen fernstehen, und die sich auf Zwangsmaßnahmen gegen spezifische Subjekte spezialisiert haben. Sie selbst werden am Besten wissen, dass ich gegen dieses Geld sachkundige Unterstützung für mein Anliegen finden werde.

Ich dürfte in der durch Sie herbeigeführten Lage dort Angebote unterbreiten, die sogar über eine gewaltsame Befreiung meines Gatten hinausgingen. Beispielsweise halte ich die Identifikation und gezielte Tötung Ihrer Person wie auch Ihrer Helfershelfer für den selbstverständlichen Bestandteil meines Auftrags. Sogar die Anwendung grausamster Foltermethoden dürfte ich an Ihnen anordnen, und zwar in einem Maße, das mir und allen mir vorschwebenden Rachephantasien hinreichende Genugtuung verschafft, seien sie auch im Allgemeinfall illegal, unethisch, unästhetisch und von wildem Ungeist niederer Perversion genährt.

In einer gewissen, übergeordneten Hinsicht bin ich Ihnen für Ihr Handeln sogar zu Dank verpflichtet. Sie haben mir die Augen für eine Wesensart menschlicher Koexistenz geöffnet, die mir bisher tief unter den Verhaltenskonventionen einer brüchig gewordenen, gesellschaftlichen Sicherheits- und Versorgungsmentalität verborgen waren. Sie haben mich in die Position gebracht, einen unerreichten, an archaischen Prinzipien zu messenden Beweis meiner Pflichterfüllung und Treue gegenüber meinem Gatten zu erbringen. Guten Gewissens und im hellen Licht der Gerechtigkeit darf ich an Ihrem Fall Grenzüberschreitungen zu vollführen, die dem unmündigen Durchschnittsbürger als ungeheuerlich erscheinen und verwehrt werden müssen.

Für den Fall, dass Sie diesen Brief und die darin beschriebenen Maßnahmen bei Gericht gegen mich zu Ihrer Rechtfertigung oder Entlastung einsetzen wollen, kann ich Ihnen versichern, dass ein Gericht in meiner schriftlichen Darlegung des Sachverhalts als solcher keineswegs eine Straftat sehen würde, oder die Androhung einer solchen Tat, sondern einen angemessenen Versuch, eine Finte, Sie in Abwesenheit jeder Alternative von der weiteren Ausführung Ihnes bereits konkret eingeleiteten Kapitalverbrechens abzuschrecken. Gleichzeitig zeige ich Ihnen einen zumutbaren Ausweg, vor einer Drohung, die ganz gewiss keine bloße Finte ist. Ihre Schuld ist jenseits allen Zweifels erwiesen, mein Vorgehen zur Abwendung höchster Gefahr für meinen Gatten ist unter den vorliegenden Umständen und ohne jede Einschränkung gerechtfertigt.

Sollten Sie meine Entscheidungen missbilligen, so seien Sie dennoch versichert, dass ich keine Befürworterin langwieriger, grausamer Racherituale bin. Meine Bestimmungen sind von der Art, dass die Wucht meines Fallbeils zu einem früher oder später bevorstehenden Zeitpunkt Ihre vollständige Vernichtung plötzlich und wirkungsvoll herbeiführen wird. Ihre potentiellen Nachahmer mögen darin die Demonstration einer Konsequenz erkennen, die jeden Verbrecher wie auch Sie treffen kann, der die Schutzglocke eines Rechtsstaats, der die Würde und die Selbstbestimmung jedes Einzelnen zu schützen bestrebt ist, verlassen hat und mit Füßen zu treten versucht.

Ich weise Sie zum letzten Mal darauf hin, dass ich die Maßnahmen ohne Frist und Zögen einfordern und durchsetzen werde. Wenn Sie ein Entgegenkommen meinerseits in der hier beschriebenen Sache erwarten, fordere ich Sie in Ihrem eigenen Interesse auf, als den letzten Ihnen verbliebenen Ausweg, meine oben genannten Forderungen unverzüglich, in diesem Augenblick, zu erfüllen.

In vollkommener Verachtung
 
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