Abstich!

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Asbest

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"Abstich!" rief der Wartemann aus dem Funk. Wir springen auf. Ich lasse alles liegen, fülle meine Flasche, nehme den Helm vom Haken und eile die Stiege runter. Die Halle ist schon voller rotem Rauch, die Funken spritzen.

Unbeeindruckt spaziere ich am Inferno vorbei, höre wie hinter mir die Stopfmaschine losfährt.
Drüben in meiner Halle hört man schon das Signal, dass der Bohrer fährt.

Ich wische die Stricherlen weg und schreibe sie neu, um zählen zu können, wie viele Pfannen wir dieses mal zusammenbringen. Viereinhalb kleine warens vorher und eine Große. Unterm Jörgi hätts des net geben, hat der Kärntner Oberschmelzer da geflucht. Alle acht und die Ausweich wären ihm lieber gewesen.

Während man den Bohrer mit dem Stichloch kämpfen hört ziehe ich mir meinen vom letzten Abstich noch klatschnass geschwitzten Mantel an und trinke einen Schluck Wasser.

Erfolglos fährt der Bohrer weg, der Eisenmann wird zunehmends nervöser. Er wechselt den Bohrer, ich trag ihm einen neuen her. Uff, die waren in der Mittagschicht leichter. Geschafft. Jetzt tut mir die Schulter weh.

Der Bohrer fährt wieder zum Loch, wieder passiert nichts. Der Oberschmelzer und ich werfen uns einen Blick zu, ich hol die Sauerstofflanzen und er den Schlauch. Zuerst halte ich das hintere Ende und der Schlauch wird angeschlossen, dann eile ich nach vorne und versuche, die Lanze ins Abstichloch hinein zu manövrieren. Geschafft, ich schiebe nach vorne, der Eisenmann steht hinter mir und dreht den Sauerstoff auf. Schnell das Visier runter, und die Funken spritzen mir entgegen. Es wird wärmer, die Lanze kürzer. Ohne Erfolg.

Wir wiederholen das selbe Spiel nochmal, bis es endlich hell und heiß wird und uns noch mehr entgegenspritzt. Nicht zu schnell nach hinten weichen, sonst stolpern wir gegen die Stopfmaschine.
Der Oberschmelzer schaut mich zufrieden an, ich werfe den Rest der Lanze in die Rinne und rolle den Schlauch ein.

Kurze Atempause, ich nehm einen Schluck Wasser und renne wieder zur Rinne. Ein paar Schaufeln Staub aufs Dammerl damit sich eine schöne Kruste bildet. Jetzt heißt es warten.

Warten, bis die Schlacke kommt. Warten auf die Pause? Warten auf die Ablöse? Warten, dass ich endlich die Richtige für mich finde? Das Leben besteht nur aus warten, und aus aufs Warten warten.
Der Hochofenleitstand heißt auch Warte, und von dort wollen sie am Funk was von mir. Irgendwas hat bei den Pfannen nicht so funktioniert wie es sollte, und eine neue Garnitur ist im Anmarsch. Bis dahin soll ich schauen, dass keine Schlacke kommt.

Kopfschüttelnd schmeiße ich ein paar Schaufeln Sand auf den Schlackendamm, in der Hoffnung, dass sich das zeitlich ausgeht.
Der Oberschmelzer steht jetzt bei meiner Kippe und sieht dem Zug beim ausfahren zu, redet am Funk irgendwas. Wahrscheinlich wann der neue kommt.

Die Schlacke wird langsam mehr, ich schmeiß noch etwas Sand drauf. Es beginnt zu rinnen, ich sperre mit noch mehr Sand ab. Eine Dauerlösung ist das nicht.
Irgendwann gibt mit der Oberschmelzer das Signal, die neuen Pfannen sind da. Ich nehme mein Werkzeug und beginne, auf den Schlackendamm einzustechen. Die Kruste ist schon hart, ich hol den Sechskant. Doppelt so schwer und halb so handlich, aber der kriegts hin. Wieder weiter mit dem Stampfer, die letzten großen Brocken runter reißen. In den Händen wirds warm, ich rieche schon das Plastik von meinem Helm.
Das muss reichen. Sofort Visier rauf, Handschuhe und Mantel aus und einen Schluck Wasser.

"Schlackenlouk Pousition eins, Schlacke läuft!", darauf die Ermahnung vom Oberschmelzer, ich soll nicht so steirisch reden, höchstens kärntnerisch.

Und wieder wird gewartet. Ich schaue zu, wie die glühende, flüssige Schlacke plätschernd in die Pfanne rinnt. Das macht nachdenklich, besonders mitten in der Nacht.
Wie viele Männer wohl genau jetzt an meiner Stelle stehen und sich das Gleiche denken, in anderen Hüttenwerken auf der ganzen Welt? Dieser glühende, friedlich dahin plätschernde, aber nach Schwefel stinkende Bach aus Schlacke verbindet uns. Ich meine, durch die Schlacke auf die andere Seite der Welt schauen zu können, wo ein australischer Hochöfner gerade das gleiche denkt. Der Betriebsrat würde sich darüber freuen und die Internationale anstimmen.
Die Schlacke ist auch ein Portal in eine andere Zeit. Auch als der Ofen vor 50 Jahren eröffnet wurde, im Krieg, oder gar an den ersten Hochöfen der Welt hat die Schlacke schon so ausgesehen. Wie die Arbeit damals wohl war? Kaum vorstellbar.
Jäh reißt es mich aus den Träumereien, als ich sehe, dass die erste Pfanne fast voll ist. Glück gehabt. Ich kippe in die Ausweich, lass den Zug weiterfahren, kippe zurück und male ein "Stricherle".
Zweite Pfanne, Zeit für die Probe. Mantel an, Handschuhe an, Visier runter, ich fahre beim Schlackenüberfall mit dem Probenlöffel rein, rühre etwas um und ziehe ihn heraus. Bei der dritten schick ichs weg.

Ich zieh den Mantel wieder aus und stell mich wieder zu meiner Kippe.
Beim Schauen auf die Schlacke kommen mir erneut die Gedanken. Sie schläft sicher schon. Was sie wohl gerade träumt? Ob sie an mich gedacht hat, bevor sie schlafen ging?

Im Radio spielen sie jetzt die alten Lieder, die sie tagsüber kaum spielen, weil sie nicht modern genug sind. Das kenn ich, ausnahmsweise eines, das mir gefällt.

"Lips close, then blossom like a rose". Schöne Zeile. Ich merke, wie eine kleine Träne hinunterrollt. Oder ist es eine Schweißperle? Wäre kein Wunder bei der Hitze.
"Lips wide holding you inside"... Ich ertappe mich, in meinem Mund mit meiner Zunge herumzuspielen und mir Sie dabei vorzustellen.
"Kisses hard, kisses deep. A kiss to wake us from our sleep". Wäre schön, sie jetzt wachzuküssen. Ein Kollege sagte mal, die Hauptrinne wäre wie ein Wunschbrunnen. Wenn ich nachher darin was entsorge weiß ich, was ich mir dabei wünschen werde.

Wieder bemerke ich gerade noch rechtzeitig, dass die Pfanne voll ist. Ich kippe, male den Strich, trink meine Flasche aus und bringe die Probe zur Rohrpost. Dann geh ich weiter in den Mannschaftsraum und fülle mein Wasser nach. Auf der 2er sind sie gerade fertig geworden, die Kollegen gehn mit mir die Stiegen rauf. Der eine fängt wieder an, mir stolz von seinem letzten Puffbesuch zu erzählen. Kopfschüttend geh ich wieder zu meinem Arbeitsplatz. Er würde es sowieso nicht verstehen, dass ich nicht mitgehen möchte und lieber vom Küssen und Umarmen träume.

Zwei weitere Pfannen noch, dann beginnt der Ofen wieder zu blasen. Wir versuchen, kurz zuzuhalten, aber der Ofen beruhigt sich nicht, dafür ist jetzt an der Stopfmaschine was hin. Auch das noch.
Im Funkenregen wechsele ich das Mundstück der Maschine. Oder versuche es zumindest, so angebrannt wie das ist. War wohl ein heißer Kuss, meint mein Eisenmann. Ich lache und inhaliere deshalb die Dämpfe der Stopfmasse, gleich drehts mich wieder. Wieder meine Lebenserwartung um ein paar Monate gedrückt.

Endlich, die Stopfmaschine ist repariert und notdürftig geputzt, aber wir lernen nicht aus dem Fehler. Gleich wieder zuhalten, drüben ist noch kein Schlackenzug da.

Natürlich wieder genau das Gleiche. Dieses mal ist nur das Ringerle vorn angebrannt, das ist schnell gewechselt. Die Funken werden schlimmer, mittlerweile gehen auch größere Spritzer mit. Ohne irgendeine Schutzkleidung schiebt mir lachend der Oberschmelzer einen Schild vor, damit ich arbeiten kann. Fertig, im Weglaufen ziehe ich ihn wieder weg und die Maschine fährt wieder ans Abstichloch. Ich sperre mit Sand ab, baue einen neuen Schlackendamm aus zwei Sackerlen Masse und melde ab.
"Schlackenlouk Pousitioun 1, da Oufn is zu, wir haum vier Klane und a Grouße... anahoib Grouße.".

Mantel aus, kurz einen Schluck trinken und dann ran an die Stopfmaschine. Sie glüht, ich kühle sie mit dem Wasserschlauch und putze sie.
Der Eisenmann holt den Bagger, also lad ich die Maschine allein. Das ist eintönig, wieder viel Zeit zum nachdenken.

Wie lange wird das wohl noch so weiter gehen? Ich kann nicht ewig dahinträumen. Aber sie wird sowieso nein sagen. Also doch lieber in den Tagträumereien und im Schlaf zusammen, als am Tag enttäuscht werden? Dreaming is free, wie es gerade im Radio klingt. Ui, mein Lieblingslied wird gespielt.
Nein, ich muss sie mal fragen. Wäre ja ein Witz, wenn ein Linzer Hochöfner vor sowas zurückschrecken würde, aber Öfen aufbrennt und in Schlacke herumrührt.
Aber das ist eine andere Art von Mut. Das eine erfordert es, seine Gefühle zu unterdrücken... das andere, die Gefühle jemandem zu offenbaren. Bevor es zu philosophisch wird fahr ich mit dem Zylinder nach vorne und schieße die Masse raus. Wieder zurück, weiter laden. Die heiße Masse stinkt furchtbar, bloß nichts einatmen.

Fertig geladen, ich geh zu meiner Kippe. Na die sieht ja grausig aus.
Mit der langen Stange schlage ich mit aller Kraft auf die mittlerweile steinharten Schlackenbären. Keinen Millimeter rühren sie sich. Nochmal, nichts tut sich. Der Presslufthammer muss ran. Jetzt tut sich was, aber die Stange steckt fest. Auch das noch. Der Eisenmann kommt und zieht sie unbeeindruckt mit einem Ruck heraus. 20 Jahre am Ofen, und ich werd das auch können, sagt er lachend.

Also kratze ich die letzten Schlackenreste runter, schmeiße zwei Schaufeln Staub rein und geh Richtung Mannschaftsraum. Das Gulasch hab ich mir jetzt verdient. Eigentlich ist es kein Gulasch, sondern ein Geschnetzeltes mit Reis aus der Kantine, aber bei uns ist alles, was mit dem Löffel gegessen wird ein Gulasch.

Triumphierend öffnet sich mein Eisenmann ein Bier und schiebt mir auch eine Dose zu, während ich mein Gulasch löffle. So eine Oaschpartie, wie er sagt.
Unterm Jörgi hätts des net geben, ergänzt der Oberschmelzer augenzwinkernd.
Und im Radio singen sie wieder von der Liebe und ich sitze dazwischen und weiß nicht, was ich sagen soll.
 

petrasmiles

Mitglied
Wahnsinn!
Ich liebe solche Texte, die einem wirklich etwas anschaulich machen, was man ansonsten nie erfahren würde!

Gerade als Frau habe ich einen Heidenrespekt vor diesen 'Harten Männerberufen' ... das dürfte jetzt mein Mann nicht hören, der der Überzeugung ist, jeder kann alles machen ... aber ich bin halt immer im 'Büro' gewesen und schmutzige Werkhallen sind mir ein Gräuel.
Um so neugieriger bin ich natürlich ...

ich finde Deinen Text darüber hinaus sehr gut geschrieben und die Kombination von innerem Erleben und der Außenwelt ist Dir grandios gelungen.

Liebe Grüße
Petra
 

Asbest

Mitglied
Es freut mich, dass dir mein Text gefällt. Ich hab schon länger versucht, meine Eindrücke vom Hochofen niederzuschreiben, aber es ist nie so wirklich gelungen. Gestern hab ich dann aus Langeweile wieder mal angefangen, und auf einmal ging es endlich.

Ja, der Hochofen ist einer der härtesten Arbeitsplätze, die es heutzutage bei uns gibt. Bei uns waren bis vor kurzem Frauen nicht einmal für diese Arbeit zugelassen, weil es eben so anstrengend und vor allem giftig ist. Mittlerweile ist es zwar offiziell erlaubt, aber trotzdem gibts nur Männer und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird.
 

petrasmiles

Mitglied
Mittlerweile ist es zwar offiziell erlaubt, aber trotzdem gibts nur Männer und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird.
Ich denke mal, dass dies auch mit der körperlichen Konstitution zu tun hat - wenn man da mit einer Stange in Schlacke herumstechen muss, dann sollte da auch Kraft dahinter sein, denn da ist ja auch alles sicherheitsrelevant.
Mein Mann ist Kraftwerker und stammt aus dem Osten Deutschlands; für ihn war es selbstverständlich, dass auch Frauen diesen Beruf ausübten - der zwar die 'schmutzigen' Werkshallen hat und auch mit Gefahrenstoffen zu tun hat, aber sicher kein Vergleich mit der Arbeit an Hochöfen. In seinen gesamtdeutschen Jahren ist er nie wieder auf eine Kollegin getroffen - aber das nur am Rande.
Dass nun Frauen nicht mehr explizit ausgeschlossen werden von dem Beruf, ist sicher eher dem politischen Willen geschuldet, als dass die Frauen Schlange gestanden hätten.

Ich hoffe, wir bekommen hier noch mehr von Dir zu lesen.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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