Ach, Du dicke Lilly - 2 - Ach, wie fad ist's heut mal wieder

Tessy

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Ach, Du dicke Lilly - 2 - Ach, wie fad ist's heut mal wieder

© Tessy

Meine Tage würden noch immer so dahin plätschern, in unserem beschaulichen Achenweiler, einem kleinen Ort ganz weit im Süden Bayerns. Umschlossen von Bergen und mit einem großen See, dem Achensee durch den das Flüsschen 'Ache' fließt.

Meine Nachbarn wären immer noch die Reni, die falsche, alte Hexe und ihr Mann Hansi. Wir kennen uns seit der Schulzeit und alte Feindschaft rostet eben genau so wenig wie alte Liebe. Wehe, wenn Hansi es einmal wagt mir zuzulächeln, dann hängt der Haussegen schief. Wahrscheinlich befürchtet sie wieder, dass ich ihren Hansi 'vernaschen' würde. Ich habe es damals aus Rache an Reni gemacht, weil sie in ihn verknallt war und sie mich verpetzt hatte, als ich in der Schule auf dem Klo mit einem Jungen geknutscht hatte. Dreimal habe ich den Rohrstock auf meine ausgestreckten Hände bekommen, während Reni mir dabei lautlos das Wort 'Schlampe' zuflüsterte. Das habe ich bis heute nicht vergessen.

Ich würde wohl auch nicht mehr alleine ins Dorf hinunter gehen. Aber wisst Ihr was? So erpicht bin ich auch gar nicht darauf. Ich war immer nur eine 'Persona non grata'. Meine Mutter war Flüchtling aus Breslau und traf bis zu ihrem Tode immer noch auf Ablehnung. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass man sie jemals gegrüßt hat, wenn wir auf der Straße jemanden begegneten.

In Achenweiler hält sich bis heute das Gerücht, dass ich eigentlich das Ergebnis eines Seitensprungs meiner Mutter sei. Ich habe sie einmal dazu gefragt aber sie hat nur den Kopf geschüttelt und nichts gesagt. Wie auch immer - so bin ich eben die dicke Bastard-Schlampe und meine Töchter sind die Bastard-Brut. Dieses Mobbing der Leute in Achenweiler ist einfach nur schäbig und man hat uns immer spüren lassen, dass man uns verachtet. Selbst in der Kirche durften wir nur dann in der letzten Reihe Platz nehmen, wenn diese völlig frei und die Plätze nicht schon für andere reserviert waren. Oft fanden meine Mutter und ich keinen Platz und sind wieder nach Hause gegangen.

Nie haben wir uns dagegen gewehrt, nie haben wir uns beschwert und immer haben wir die Schmach ertragen, weil wir nicht noch mehr Zorn und Schmäh auf und ziehen wollten. Und das habe ich natürlich auch meinen beiden Töchtern weitergegeben, die ihrerseits nun immer unauffällig, angepasst und bescheiden waren und darauf achteten, keinen Anlass zu geben, dass man schlecht über uns redet oder ein weiteres Mobbing provoziert wird. Aber es hat nichts genützt - Schlampen-Brut und Bastard-Schlampe blieben wir trotzdem.

In Achenweiler würde sicherlich auch noch immer Sitte und Anstand herrschen. Traditionen und Konventionen werden hier noch immer sehr hochgehalten, fast wie zu Zeiten des Königs Ludwig. Und jeder hier im Ort weiß genau, was richtig, gerecht, gut und ehrenvoll ist und Falschheit, Ungerechtigkeit, Lüge, Schlechtes und Unmoralisches haben hier in Achenweiler eben keinen Platz. Die Männer gehen wie jeden Sonntag nach der Messe ins Wirtshaus und spülen den Segen Gottes mit einem kräftigen Schluck Bier hinunter, die Frauen bleiben artig im Hause und ärgern sich, wenn ihr Göttergatte beschwipst auf dem Sofa ein Schläfchen macht, anstatt um 12.30 Uhr am Mittagstisch zu sitzen. Das hat alles Tradition.

Hier gibt es auch noch klare Hierarchien - der Bauer, sein Großknecht, die Bäuerin und ihre Großmagd - das ist wie König und Kanzler oder Königin und Hofdame. Zu meiner Teenagerzeit war es auch noch üblich, dass Mägde und Knechte für ihre Verlobung die Zustimmung des Bauern und der Bäuerin einholen mussten. Auf dem größten Hof mit dem großen Achensee, dem Mühlenbreiter Hof werden die Traditionen auch heute noch gelebt. Und wenn der Mühlenbreiter Bauer etwas sagt, dann ist es Gesetz und fast so, als hätte es der König Ludwig selbst gesagt. Darum wird er auch 'der Kini' genannt und das ist er hier auch. Ich weiß das, weil Kati dort Landwirtin gelernt hat. Damals hat die Heide, die zickige Großmagd vom Mühlenbreiter Hof meine Kleine ausgehorcht, was sie denn nach der Schule machen will und hat ihr so von oben herab erzählt, dass sie sich ja auch noch auf eine Lehrstelle auf dem Hof bewerben könnte. Und dann hat sie doch tatsächlich die Stelle bekommen und noch lange auf dem Hof gearbeitet, bis sie sich in Ferdi verliebte, ihn heiratete und sie mit ihm nach Tellsee zog, dem nächst größerem Ort so rund 20 Kilometer entfernt.

Ich bin auf unserem Hof behütet aufgewachsen und hatte ein glückliche Kindheit zwischen Hühnern, Enten, Gänsen, Kaninchen, Ziegen, Schafen, ein paar Milchkühen, vier Schweinen, zwei Pferden mit Hund und Katzen. Ich habe gelernt, all die kleinen und großen Aufgaben eines kleinen Bauernhofs zu bewerkstelligen. Morgens vor der Schule brachte ich die beiden Milchkannen hinunter zu der kleinen Bank an der Straße und nach der Schule schleppte ich die leeren Kannen wieder hinauf zum Hof. Daher auch meine kräftigen Oberarme. Meine Watschen waren damals berüchtigt und haben mir so manchen übermütigen Burschen vom Leib gehalten.

Wir waren eher arme Leute und mein Vater ging im Sommer auch in Lohnarbeit auf andere Höfe und meine Mutter hat oftmals auf dem Mühlenbreiter Hof ausgeholfen, um eine wenig Geld dazu zu verdienen. Von dort bekamen wir auch oftmals kleine Zuwendungen, wie mein erstes Fahrrad mit den Ballonreifen. Das hatte früher einmal der Schwester vom Mühlenbreiter Bauern gehört und ich konnte darauf mit einem kleinen Körbchen auf dem Gepäckträger ins Dorf radeln und für meine Eltern Besorgungen machen.

Meine Mutter war älter als mein Vater und ich glaube nicht, dass es die große Liebe zwischen ihnen war. Ihr Verhältnis zueinander war eher zweckmäßig und genauso wuchs auch ich auch auf. Sicherlich hat meine Mutter mich geliebt, aber Zuneigung und Zärtlichkeit waren eher knapp verteilt und Dinge wie ein kleines Küsschen oder mal in den Arm genommen werden hatten eher Seltenheitswert. Ich denke, meine 'außereheliche Herkunft' stand immer wie ein Gespenst zwischen meiner Mutter, meinem Vater und mir. Vielleicht hat das auch dazu geführt, dass ich in meinem Leben so stark nach Liebe, Zuneigung und Wärme gesucht habe.

Mit meiner Schulfreundin Vroni bereitete ich mich darauf vor, erwachsen zu werden und auf die Suche nach der einen großen Liebe zu gehen, die uns pflückt, uns küsst, uns respektiert und zur ehrbaren Ehefrau macht, die ihm viele Kinder schenkt. So war es immer, so ist es und so sollte es auch in Zukunft für uns sein.

Wir Mädchen wollten damals unsere Buben in der Schule so richtig heiß machen, um 'es' von ihnen 'besorgt' zu bekommen, bis ich dann ernüchternd feststellte, dass ich es sein muss, die 'es' ihnen macht. Meine selbstgehäkelten und geschneiderten Miniröcke endeten direkt unter meinem Popo und selbst die Hotpants wurden im Bein noch eingekürzt, damit meine schon damals prallen Schenkel mit den Plateauschuhen voll zur Geltung kommen. Schließlich sollten die Buam ja auch etwas zu sehen bekommen, wenn sie sich nach uns umdrehten. Wir liebten es damals, sie zu reizen. Und wenn sie uns mit ihren Augen verschlangen, wussten wir genau, wohin ihre Blicke wanderten und genossen dieses Spielchen von Reiz und Macht ein wenig. Ich denke, ich war damals bereits etwas 'zeigefreudig'.

Da ich aber schon als Teenager ein Elefantenküken mit viel 'Babyspeck' war, erntete ich leider reichlich Spott - von 'geschmacklos' über 'abstoßend' bis hin zu 'nuttig' und als Abschluss noch eine schallende Ohrfeige meiner Mutter.

Zur Vorbereitung auf das, was da auf uns zukommt haben wir Backfische die Ratschläge von Dr. Sommer verschlungen und sind mit dem Fahrrad den weiten Weg nach Tellsee geradelt, um sonntags nachmittags die Pseudo-Aufklärungsfilmchen der 60ger und 70ger Jahre zu verschlingen. Glücklicherweise war der Geschäftssinn des Kinobetreibers stärker ausgeprägt als sein Wunsch, die Jugendschutzgesetzte einzuhalten und so habe ich mit offenem Mund, großen Augen und beschlagenen Brillengläsern gesehen, was Männlein und Weiblein so alles miteinander treiben können, wenn sie sich lieb haben. Das Ergebnis waren schlaflose Nächte und eine völlig verklärte Erwartungshaltung auf das, was da auf uns zukommen mag.

Meine ersten Liebeserfahrungen mit 15 Jahren haben dann meine großen sehnsuchtsvollen Erwartungen auch katastrophal in den Boden gerammt. Die anschließende Suche nach 'dem einen richtigen' entwickelte sich zu einer Odyssee durch die Männerwelt dreier oberbayerischer Dörfer und wurde zur fleischgewordenen Unmoral als feuchter Traum aller Dorfjungen in ihren sehnsuchtsvollen Nächten - die verruchte, pummelige Schlampe. Dicke Brille, dicker Popo, dicke Beine, hohe Absätze, kürzester Rock Bayerns mit einer riesigen Portion Sehnsucht im Herzen und Leidenschaft im Unterleib.

Jedes Mal war ich verliebt über beide Ohren, habe immer alles gegeben aber als Belohnung nur einen Tritt in den Hintern bekommen und Spott und Schmach geerntet. In Achenweiler hieß es hinter verschlossenen Türen, die kleine Bastard Schlampe, die Teufelsbrut kommt ganz nach ihrer Mutter, die hat’s ja auch mit jedem getrieben. Je mehr ich suchte, umso schlimmer wurde es. Ein Teufelskreis! Allerdings - so ganz schuldlos bin ich an meinem Schlampenimage nicht. Aber das erzähle ich ein anderes Mal.

Dabei suchte ich nur Liebe, Geborgenheit und Zuneigung. Mehr wollte ich doch nicht. Hätte nur einer zu mir gestanden, mir die Hand gereicht, mich geliebt und respektiert, ich wäre bei ihm geblieben. Alle wollten gerne mit der dicken Schlampe kuscheln aber keiner wollte mit mir gehen und mich heiraten. Da schwindet dann langsam der Respekt und macht einer gewissen Boshaftigkeit Platz und bis zu meiner Hochzeit hatte ich wohl alle ortsansässigen geschlechtsreifen Buam zwischen 14 und 30 Jahren 'entjungfert' und zwei 'brave' Ehemänner waren auch noch dabei.

Da nützte es auch nichts sich hinter den moralischen Ansprüchen eines kirchlichen Ordens-Hospitals des St Agatha Stifts zu verstecken, wo ich mit 17 Jahren ins Schwesternheim zog und eine Lehre zur Köchin machte. Im Gegenteil. Wer nun glaubt, dass man in der Küche voller Frauen das züchtige Ordensleben zelebriert, wird wohl mit knallroten Ohren eines Besseren belehrt. Da hat man aus den Erzählungen noch was dazu gelernt - lauter wilde Weiber, die schamlos von ihren Erlebnissen schwärmten und ich sehnte mich danach, all das auch zu erleben.

So, ging’s damals.

Bis der Wildgruber kam. Auf der Kirmes in Tellsee war es. Wir haben zusammen getanzt und ich hatte Lust auf ihn. Er hat mir dann erzählt, dass er es noch nie mit einem Mädchen gemacht hat, obwohl er schon 25 Jahre alt war. Na, da musste ich als barmherzige Samariterin ihn wohl endlich mal an uns Madln heranführen. Er hatte noch nie ein Madl nackt gesehen und ich hab ihm alles erklärt - und auch wie es geht. Das wusste er auch noch nicht so genau. Nun hat er ja schon eine ganze Menge Bier intus gehabt aber irgendwie hat es doch geklappt. Und weil ich erkältet war, hatte die Pille nicht gewirkt und das war der Startschuss, für unsere liebe Tochter Katharina. Als dann die Regel ausblieb habe ich es ihm gesagt und wir haben nach ein paar Monaten in Tellsee geheiratet. Ich mit dickem Bauch im Hochzeitskleid. Zwei Jahre später haben wir dann noch die Stephanie bekommen. Die Kati hat die Figur von mir und die blonden Haare vom Wildgruber und bei der Steffi ist es umgekehrt. Der Wildgruber war sehr groß und das haben beide Mädchen gemeinsam von ihm mitbekommen.

Nachdem ich geheiratet habe, wollte ich 'wie alle anderen' eine respektierte Ehefrau sein und lebte mich in der moralisch unantastbaren Rolle der 'Mutter-Vernünftig' aus - in Ehe, Familie und Beruf. Keine kurzen Röckchen mehr, keine engen Pullover, dafür eher wollene Walla-Walla Kleidung in dezenten Farben und flache Schuhe. Nichts erinnerte mehr an die männerverschlingende 'wilde Resi'. Das ist bis heute so geblieben.

Der Wildgruber war Automechaniker und war ein fleißiger und lieber Mann. Aber er war mehr an Autos interessiert und war mit seinen Händen mehr daran zu schaffen als an mir. Jeder Versuch, den heimischen 'Licht-aus-und-unter-die-Decke-Sex' etwas zu erweitern wurde mit Killerargumenten erschlagen - von 'Wenn das die Mädchen wüssten' bis zu 'Igittigitt, wie ekelig'. Wir führten eine Ehe zu dritt: Ich, der Wildgruber und seine allergrößte Liebe, sein Opel Manta. Schließlich hat ihn seine große Liebe bei Glatteis aus der Kurve geworfen und sich mit ihm um einen Chausseebaum gewickelt, an dem beide eng umschlungen von dieser Welt gingen. Mich haben die beiden als Witwe mit unerfüllten Träumen und zwei kleinen Mädchen im Alter von 7 und 5 Jahren zurückgelassen.

Die Leute in Tellsee waren auch nicht besser als die in Achenweiler und haben mir und meinen Töchtern sogar indirekt Schuld an seinem Unglück gegeben, weil ich seine Zigaretten vergaß und er deshalb noch einmal losfahren musste. Und die 1,3 Promille im Blut hatte er auch nur, weil ich nicht lieb genug zu ihm war und er aus Kummer darüber in den Alkohol getrieben wurde.

So landeten wir wieder in Achenweiler bei meiner Mutter in dem Altenteil. Sie hatte die Felder und Wiesen schon an den Mühlenbreiter Bauern verkauft, der ihr als ehemaliger Mitarbeiterin einen fairen Preis dafür gemacht hat, aber irgendwann ist am Ende des Geldes eben noch so viel Leben übrig. Und wo es für drei Leute reicht, da reicht es auch für vier. Oft brachte der Mühlenbreiter auch das eine oder andere Paket für uns zum Sonderpreis, zum Beispiel wenn dort geschlachtet wurde und eines Tages schenkte der Mühlenbreiter meiner Mutter sogar eine Kuh. Die hatte einen Geburtsfehler und humpelte aber sie hatte bei uns auf der Hauswiese ein ruhiges Leben und hat mich noch bis vor ein paar Jahren jeden Tag mit frischer Milch versorgt. Der Hausacker, die Obstbäume ums Haus und der kleine Fischteich halfen, den Esstisch immer so zu füllen, dass es für alle ausreichte. Immerhin hatten die Mädchen und ich noch jeder ein kleines Zimmer für sich und wir haben dann auch noch einen ehemaligen Waschraum zur Kammer umgebaut. Wir waren nicht reich aber es hat immer gerade so gereicht und es war nicht groß aber es war unser kleines großartiges Paradies.

Kati entwickelte ihre Liebe zur Landwirtschaft. Ziegen, Schafe, Kaninchen, Hühner, Enten, Katzen und Hunde bevölkerten unseren kleinen Hof und auf dem kleinen Hausacker und im alten zusammengeflickten Gewächshaus hat Kati mit Freude Gemüse gezogen.

Steffi konnte damit gar nichts anfangen. Sie lebte in ihrer eigenen Prinzessinnenwelt und der Geruch von Vieh und Mist war ihr zuwider. So verließ sie schon während ihrer Lehrzeit in der Bank in Tellsee die heimischen vier Wände. Fleißig wie sie ist, hat sie noch nebenher studiert und ist heute eine gutbezahlte Fachfrau.

Den Hausacker habe ich inzwischen auch an den Mühlenbreiter verkauft und so sind mir nur noch die Hauswiese, der Hausgarten und ein kleiner Wald geblieben, durch den ein kleiner Bachlauf bis zum Fischteich läuft. Den hab ich möglichst naturbelassen und es machte mir immer Freude, auf den kleinen verschlungenen Pfaden spazieren zu gehen. Aber ob ich das einmal wieder machen kann, weiß ich nicht.

Mein Körper verfällt zusehends und jeden Morgen bin ich froh, dass mir nicht wieder etwas Neues wehtut. Kati hat gesagt, dass sie einmal versuchen wird, einen alten Rollstuhl für mich zu finden, in den dann auch mein ausladendes Hinterteil passt. Dann kann sie mit mir einmal die Straße auf und ab schieben. Darauf freue ich mich schon, selbst wenn es mir peinlich ist, wenn ich dann bei meiner Lieblingsnachbarin Reni vorbei geschoben werde.

Und so bin ich dazu verdammt, in meinem goldenen Vogelkäfig zu sitzen und aus dem Fenster zu blicken. Wie das behütete Kätzchen, das nicht heraus darf, weil es zu gefährlich ist wenn man nachts umherstreicht und sich mit den Katern balgen kann. Die Tür vom Käfig ist verschlossen und Ausgang habe ich nur unter Katis Bewachung. Ich hüpfe auch nicht von Stange zu Stange, sondern schleppe mich qualvoll voran, selbst zum Futternapf und jedes Mal, wenn ich kurze aufflattern will, dann bringen mich meine Schmerzen wieder auf den Käfigboden zurück.

Ich habe im Leben immer nur funktioniert. Nie bin ich aufgestanden, nie habe ich mich gewehrt. Nur, wenn die Jungen zu grob wurden und mir an die Wäsche wollten. Es ist schon ein weiter Weg von dem neugierigen paarungsfreudigen Vögelchen über die gestutzte 'Mutter-Vernünftig' bis hin zur flügellahmen alten Frau, die nun der fürsorglichen Liebe von 'Tochter-Vernünftig' ausgeliefert ist.

Anfangs habe ich mich noch gern an all das Aufregende erinnert, was da draußen so passiert ist. Aber inzwischen träume ich nicht einmal mehr davon, sondern fange an, das da draußen zu fürchten und zu verachten. Und so entwickele ich mehr und mehr zynische und böse Gedanken für meine Mitmenschen, die mir im Leben begegnet sind. Wahrscheinlich ist es auch Neid, weil die etwas haben, was ich nicht habe: Einen Partner, Liebe und Anerkennung und darum lehne ich all sowas natürlich ab. Wozu einen Mann, Liebe ist nur Lüge und von Anerkennung kann man sich auch nichts kaufen.

Aber ganz langsam, unmerklich und ohne, dass ich oder Kati oder sonst jemand es bemerkt hätte, schleichen sich die ersten Vorzeichen dessen ein, was auf mich zurollt.
 



 
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