Adolf Friedrich VI (Selbst ?)-Mordfall des letzten Großherzogs von Neustrelitz xy-noch ungelöst Teil 2

Ruedipferd

Mitglied
Manuel Magiera


(Selbst?)- Mordfall Adolf-Friedrich VI, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz,

XY- noch ungelöst


2. Teil

Wer waren die Menschen, die sich später herausnahmen über Adolf Friedrich zu urteilen?

Staatsminister Heinrich Bossart
, der im November 1918 während der Revolution vom Interimsherrscher Friedrich Franz IV von Mecklenburg-Schwerin auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst entlassen wurde, war der Sohn eines Pastors gewesen. Er hatte u.a. in Rostock Jura studiert und bis 1918 neben Adolf Friedrich VI auch dessen Vater Adolf Friedrich V gedient. Er kannte den jungen Großherzog von Geburt an, seine Verwaltungslaufbahn startete 1881 in Neustrelitz

Dass bei einem derartigen Arbeitsverhältnis auf beiden Seiten engster Kontakt und Vertrauen vorhanden sind, ergibt sich von selbst. Über die Rolle Heinrich Bossarts beim Sterbefall Adolf Friedrich VI wird später detailliert immer wieder zu sprechen sein. (1)

Sein Pendant in Schwerin war Adolf von Langfeld. (2) Dieser hatte ebenfalls Kontakte zur Rostocker juristischen Fakultät und diente Friedrich Franz IV seit 1914. Er half in illustren Situationen. War Großherzog Friedrich Franz II von M-Schwerin (regierte 1842-1883)(3) noch ein treusorgender Landesvater gewesen, so traten seine vielen Söhne teilweise sogar komplett aus dessen Fußstapfen. Es gab Selbstmorde, Homosexualität, Ehebruch, Verschwendungssucht und ein ganzes Heer von Beamten, die versuchten, alle Charakterschwächen der Mitglieder des Großherzoglichen Hauses zu vertuschen.

Adolf von Langfeld war später einer der Fähigsten davon. Allerdings gab er als Todesursache des Strelitzer Großherzogs an, dieser habe sich nach Umherwandern auf einem Steg an den Kammerkanal gestellt und in die Brust geschossen. Von dort sei er ins Wasser gefallen und ertrunken. (4)

Es ist anzunehmen, dass sich Bossart und Langfeld über die Todesumstände ausgetauscht haben und der obduzierende Arzt Dr. Wilda diagnostizierte eine Schusswunde an der Schläfe. (5)

Kammerfrau der russischstämmigen Großherzogin Anastasia von Mecklenburg- Schwerin, die nach dem tödlichen Sprung ihres Gatten Großherzog Friedrich Franz III (6) aus dem Hotelfenster in Cannes 1897 (wegen homosexueller Verdächtigungen und kompromittierender Briefe in London!) nach Hause telegrafierte, der Großherzog sei friedlich im Bett während einer Herzlähmung gestorben, war Luise Freiin von Maltzan-Reibnitz.

Helfer in der Not der Großherzogin: Adolf von Langfeld. Wenn jemand nach einem Sprung aus dem Fenster tot auf der Hotelterrasse liegt, ist schwerlich Herzlähmung im Bett anzunehmen.

Freiin Luise(7)-1861-1945 wird 1928 ein Buch herausbringen, in dem sie von Gestalten am letzten Zarenhof erzählt. Ihr erster Ehemann war Friedrich von Maltzan, Großherzoglich- Strelitzer Oberkammerherr und Oberhofmarschall. Sie beschreibt Adolf Friedrich als sensitive Künstlernatur. Bis zu ihrer Scheidung wird sie bei ihm in Mecklenburg- Strelitz gelebt haben.

Nach ihrer Scheidung von Friedrich von Maltzan heiratete sie 1920 den SPD Politiker Kurt von Reibnitz. (8) Dieser war vom 13. Oktober 1919 bis zum 2. August 1923 sowie vom 13. März 1928 bis zum 12. April 1929 und vom 16. April 1929 bis zum 4. Dezember 1931 Erster Staatsminister von Mecklenburg-Strelitz. In dieser Eigenschaft begnadigte er einen überführten Kindermörder, der zurecht zum Tode verurteilt worden war, nachdem ein anderer durch einen perfiden Justizirrtum dafür hingerichtet wurde, zu lebenslanger Haft. (9)

Verantwortlich für den Justizirrtum war der vorige Erste Staatsminister, ehemaliger Syndikus der Stadt Neustrelitz und nach Bossarts Rücktritt im November 1918 ab 1919 Aufsichtsratsvorsitzender der Strelitzer Hypothekenbank, die ihre Konzession der Großherzoglichen Familie verdankte, Dr. Roderich Hustedt. Dieser erklärte zum Tode des Großherzogs:

„Er zeigte das typische Bild eines gänzlich zerrütteten und lebensüberdrüssigen Gemüts und war nicht mehr in der Lage, die schwere und moralische Last zu ertragen. Er sah als einzigen Ausweg den Freitod.“ (zu 3-6)(10)Zusätzlich bemerkte Dr. Hustedt, „der Großherzog zeigte Anzeichen von starker Degeneration. Aus gewissen Gründen, die er (Hustedt) nicht erläutern will, wollte und konnte der Großherzog nicht heiraten.“

Dr. Roderich Hustedt wird als Erster Staatsminister von Neustrelitz 1926 einen Unschuldigen hinrichten lassen, obwohl er von den Anwälten gebeten wurde, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen, da die Indizienlage viel zu dürftig war.

Der Fall des Josef Jakubowski wurde einer der größten Justizirrtümer im frühen zwanzigsten Jahrhundert. Es stellte sich heraus, dass der Onkel des getöteten dreijährigen Jungen die Tat begangen und zusammen mit seinem Bruder und der eigenen Großmutter des Kindes geplant hatte. Sie belasteten den Verlobten ihrer verstorbenen Tochter und Schwester, um auch diesen, einen in Russland geborenen Polen, loszuwerden. Weil der Angeklagte schlecht deutsch sprach und Ausländer war, drehte selbst der Staatsanwalt den Zeugen das Wort im Mund um. Josef Jakubowski wurde, wie Ministerialmitarbeiter vermuteten, aus Ausländerfeindlichkeit schuldig gesprochen und zum Tode durch Enthaupten verurteilt. Alle Bitten und dem ersten Staatsminister Dr. Hustedt vorgetragenen Fakten, die eindeutig belegen, dass J. nicht der Täter gewesen sein konnte, wurden von diesem ignoriert. Zwei Jahre später gestanden die Beteiligten ihre Mithilfe bzw. den Mord, nachdem engagierte Polizisten nicht locker ließen. Der wahre Mörder des kleinen Ewald Nogens wurde endlich auch zum Tode verurteilt, entging jedoch seiner gerechten Strafe, weil er von Hustedts Nachfolger Kurt von Reibnitz (SPD) zu lebenslanger Haft begnadigt wurde. (7)(8)(9) (10)

Der Freispruch für Josef Jakubowski ist bis heute nicht erfolgt!

Von den Zeitungen und den meisten Bürgern wurde die Selbstmordtheorie wegen irgendwelcher seelischen Belastungen, die mit Adolf Friedrichs Frauenbekanntschaften und einer heimlich ausgelebten Homosexualität zusammenhängen würden, ohne zu hinterfragen oder andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, der Öffentlichkeit kundgetan.

Auch Heinrich Bossart (10a) erklärt auf Druck der Bevölkerung, die mehr wissen will, einige Tage nach Auffinden der Leiche sinngemäß:

„Der Großherzog wollte sich in allernächster Zeit mit einer hochgestellten Dame verloben. Es mussten jedoch zunächst Hindernisse beseitigt werden, die in einer früher beabsichtigten Verbindung, deren Verwirklichung wegen der Ebenbürtigkeitsfrage nicht möglich war, ihren Ursprung hatten. Die zur Lösung jener Verbindlichkeiten gepflogenen Verhandlungen drückten stark auf das Gemüt des überaus gewissenhaften und feinfühligen hohen Herrn. Und als schließlich in jenen Verhandlungen eine Wende eintrat, die den Großherzog die erhoffte günstige Lösung für stark gefährdend aussehen ließ, bemächtigte sich seiner eine derartige Verzweiflung über die Gestaltung seiner Zukunft, dass seine klare Urteilskraft getrübt und sein Geist verwirrt wurde. Aus diesem Zustand geistiger Verwirrung ist allein der unglückselige Schritt zu erklären.“


Der brave Jurist und Staatsdiener Heinrich Bossart (1857-1930) wird in diesen Tagen zu einer mysteriösen Figur. In seinem persönlichen Nachlass und seinen Erinnerungen finden sich hervorragend geschriebene Geschichten aus den Jahren 1915 und 1916, in denen er seinen jungen Großherzog an die Front begleitete und selbst vom Bombenhagel nicht verschont blieb. Der Tod seines Landesherrn, den er als Kind hat aufwachsen sehen (Bossart kam 1881 ans Landgericht Neustrelitz), veranlasste ihn zu keinem einzigen Rückblick, nicht einer einzigen Notiz zu dessen Tod. Er erwähnte und würdigte den jungen Mann, von dem er in seinen früheren Berichten mit Respekt und Achtung sprach, mit keinem Wort. Das wirft Fragen auf und bestätigt später noch zu erläuternde Vermutungen. Am Ende bleibt Heinrich Bossart rätselhaft. (10 b)

Auch er war 1908 von feindlich gesinnten Gegnern der Untreue zu seiner Frau bezichtigt worden, um ihn aus dem gerade übernommenen Amt zu entfernen. Die Vorwürfe wurden nicht verfolgt. Bossart blieb Erster Staatsminister. (zu 10b)


(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Bossart

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Langfeld

(3) (4) (5) (6) https://rosdok.uni- rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Maltzan_(General,_1838)

(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_von_Reibnitz

(9) Josef Jakubowski – Wikipedia

(10) https://de.wikipedia.org/wiki/Roderich_Hustaedt

(10a) https://rosdok.uni- rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_0000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(10b) 72. Jg. – Nr. 141 Winter 2008 - carocktikum.de



Die Tage Donnerstag, 21. Februar bis Samstag, 23. Februar 1918


Dr. Langfeld berichtet später, dass ein Strelitzer Ministerialbeamter namens Dr. Harry Ludewig eine Aufgabe in Berlin für den Großherzog habe erledigen sollen. Dabei handelte es sich um den Besuch bei einer Adolf Friedrich nahegestandenen Dame. Die Abreise nach Berlin muss um den 21.02. 1918, also am Donnerstag, erfolgt sein. Dr. Ludewig kam mit positiven Botschaften leider erst am 24.02. zurück. Langfeld: „Somit wäre das Opfer unnötig gewesen.“(1)

In der Presse erscheint am 21. 02.1918 ein Artikel, dass in Berlin und Kattowitz Schiebereien mit Edelmetall aufgedeckt wurden, die möglicherweise mit Sabotage zusammenhingen. (Heinrich Bossart saß im Aufsichtsrat der Strelitzer Hypothekenbank, die europaweit operierte. Sein Nachfolger wurde Dr. Hustedt. Es gibt sicher keine Verbindungen, soll aber wegen des zeitlichen Zusammenhangs nicht unerwähnt bleiben.)

Das Wetter war wolkig, mit Schnee, die Temperaturen bis zu -5,4 Grad. (2)

Am 22.02.1918 trifft sich Kaiser Wilhelm II mit Karl I von Österreich im Hauptquartier der deutschen Obersten Heeresleitung um die Kriegslage und das gemeinsame Vorgehen zu besprechen. (3) Dieses Hauptquartier war vom 02.01.1917 bis zum 08.03.1918 das Parkhotel Kurhaus Bad Kreuznach. Der Kaiser residierte während der Zeit im Schloss von Bad Homburg. (4)(5)

Die Entfernung von Berlin beträgt 419,36 km. Die Fahrtstrecke 537 km. Heute: 5 Stunden und 25 Minuten. Mit dem Flugzeug sind es nur 59 Minuten. (6)

Für den Kaiser wird das, gleich ob er am selben Tag oder schon früher anreiste, eine längere Fahrt als heute bedeutet haben. Es ist anzunehmen, dass er bereits einen Tag vorher zu einem solch bedeutenden Treffen fährt. Der Kaiser war also am 22.02.1918 mit Sicherheit und einen oder zwei Tage zuvor, mit angrenzender Wahrscheinlichkeit, nicht mehr in Berlin.

Der Regent hatte Sorgen, er war oberster Kriegsherr und trug zusammen mit dem Kaiser von Österreich die Verantwortung für alles kriegswichtige militärische Handeln. Das erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Nur wenige und sehr hochgestellte Personen hatten Zugang zum Kaiser, uneingeschränkt sicher nur eine Handvoll und alle anderen mussten sich einen Audienztermin holen. Auch da wurde nicht jeder vorgelassen.

Woher wusste er also von der Erpressung der Höllrigl und den Problemen des Großherzogs von Mecklenburg- Strelitz, welcher nicht zu seinem engsten Kommandostab gehörte, dass er noch vor seiner Abreise nach Bad Homburg einen Brief dazu schrieb, ihn versiegelte und seiner Schwiegertochter, der erst zwanzigjährigen Marie Auguste von Anhalt, verheiratet mit seinem jüngsten Sohn Joachim und Mutter eines zweijährigen Sohnes übergab, um sie damit in einer zweistündigen Bahnfahrt mitten im Winter nach Neustrelitz zu ihrem Cousin, zu dem sie wenig Kontakt hatte, zu schicken? Ein Offizier hätte diese Aufgabe schneller und günstiger erledigen können.

Höllrigl soll gedroht haben, die Briefe samt ihrem homoerotischen Inhalt mithilfe des Rechtsanwalts Karl Liebknecht (linker Flügel SPD) publik zu machen. Dieser wurde 1916 wegen innerparteilicher Probleme aus der Partei ausgeschlossen und kurz darauf wegen Kriegsverrats zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde erst drei Wochen vor Ende des 1. Weltkriegs im Oktober 1918 freigelassen. (7)(8) Also kann sie Karl Liebknecht nicht zur Hilfe gehabt haben. Ob er Zugang zum Kaiser hätte bekommen können, ist angesichts seines Lebenslaufs ohnehin fraglich.

Von ihm wusste der Kaiser nichts, es sei denn, seine Kanzlei wäre vor seiner Verhaftung 1916 durchsucht worden und man hätte belastendes Material gefunden. In diesem Fall hatte man auch die Höllrigl in der Hand und konnte sie für eigene Zwecke instrumentalisieren. Karl Liebknecht war mit seinen politischen Auftritten sicher voll beschäftigt. Es stellt sich die Frage, warum der Kaiser nicht schon früher ein Wort über die Angelegenheit mit dem Patensohn seines Vaters im privaten Rahmen gewechselt hat. Mit Hilfe des Kaisers hätte die Eskalation der Angelegenheit mit „Kaltstellung“ der Höllrigl bereits zwei Jahre zuvor verhindert werden können. War der Kaiser von den brisanten Neuigkeiten 1916 gar nicht informiert worden?

Wer besaß so viel Einfluss auf den Kaiser, dass dieser noch vor seiner Abreise im Februar 1918 nach Bad Homburg über Höllrigl und Adolf Friedrich erfuhr und einen Brief mit katastrophalen Folgen für die beiden Landesteile Mecklenburgs und damit auch für den deutschen Kaiser als oberste Instanz, schrieb?

Die Temperatur am 22. 02.1918 betrug zwischen 1,7 und 5,7 Grad. Es war bedeckt mit Regen. (9) Von einem Sturm, der die Telegrafenmasten beschädigt hatte und angeblich die Nutzung der Telefonverbindung zwischen Neustrelitz und Berlin für Dr. Ludewig unmöglich machte, um dem Großherzog die frohe Botschaft vom Einlenken der Dame zu überbringen, wissen die Wetteraufzeichnungen für den 22. 02 und 23.02.1918 nichts.

Wäre das Wetter tatsächlich so schlecht gewesen, wäre am Abend wohl kaum eine hochgestellte Persönlichkeit mit dem Zug aus Berlin ins Großherzogliche Palais gekommen und nach Übergabe eines versiegelten Briefes vom Kaiser sofort wieder abgereist. Es handelte sich um Marie Auguste von Anhalt, die Cousine Adolf Friedrichs, welche mit Joachim, dem sechsten Sohn des Kaisers verheiratet war. (10) Marie Auguste kam, wie es sich für eine Prinzessin gehörte, zusammen mit einer Hofdame. Ihr zur Seite stand ihr Leibarzt.

Außerdem wurde sie vom pensionierten Generalmajor der preußischen Armee (11) Louis Amand Ernest von Ruville (1853-1928) begleitet.

Während Marie Auguste sofort wieder abreiste, quartierte sich Ruville ohne Angabe über die beabsichtigte Länge seines Aufenthalts im Hotel Mecklenburger Hof ein.

Marie überreichte ihrem Vetter am Abend des 22.02.1918 nach kurzer Begrüßung einen versiegelten Brief vom Kaiser. Sie muss dann gleich den nächsten abendlichen Zug nach Berlin zurück genommen haben.

War Großherzogin Elisabeth nicht zu Hause oder warum besuchte Marie ihre Tante nicht wenigstens auf eine Tasse Tee? Ein Anruf aus dem Palais hätte gereicht, um den Zug für die Schwiegertochter des Kaisers anzuhalten! Wenn die Großherzogin in Neustrelitz weilte, war Maries Verhalten mehr als unhöflich.

Oder wusste sie, was im Brief stand und wollte den Fragen der Tante ausweichen?

Woher wusste man in Neustrelitz, dass der Brief vom Kaiser persönlich kam?

Das kaiserliche Siegel allein ist kein Beweis dafür, dass er ihn selbst geschrieben hat. Den Inhalt kannte zunächst nur der Großherzog. Was hat er mit dem Brief gemacht? Wo ist dieser heute? Hat er ihn seinem Staatsminister Bossart gezeigt? Der wäre als einziger Vertrauter dafür in Frage gekommen. War Bossart noch am Abend nach dem Besuch Maries ins Palais geeilt? Über was haben die beiden gesprochen? War er auch am nächsten Morgen wieder dort? Wie lange blieb er und was hat er dem Großherzog gesagt, dass dieser plötzlich unruhig umherging, Briefe schrieb und Notizen machte, zu denen ihm immer wieder etwas einfiel? (s.1)

Ruville war mit Sicherheit anwesend gewesen, als Marie den Brief überbrachte. Welche Aufgabe hatte er? Bossart muss über Adolf Friedrich von Ruville gewusst haben. Neustrelitz war als Kleinstadt „ein Dorf.“ Neuankömmlinge sprachen sich schnell herum. Hat Bossart den Generalmajor am 23.02. früh morgens im Hotel aufgesucht? Als Erster Staatsminister sollte er über alles informiert sein und nach Kenntnisnahme des Briefes, wäre ein persönliches Gespräch über die Hintergründe, wer Ruville geschickt hätte usw. für ihn gleichsam höfliche Routine gewesen. Erhielt auch Bossart einen Brief mit Anweisungen oder wurde ihm mündlich etwas aufgegeben?

Adolf Friedrichs Hinweise auf sein Testament in demjenigen Brief, von im verschlossenen Schreibtisch am 24.02.1918 gefundenen drei Briefen, welcher an seine Mutter gerichtet war, enthalten eine wohldurchdacht klingende Klausel. Christian von Mecklenburg-Schwerin erbt zusätzlich zum Herzogtum 30 Mio Mark, dies aber nur, wenn er tatsächlich Großherzog wird. Ansonsten bekommt er nur 3 Mio. Mark als Patenkind. Dass ein Kind als Großherzog einen gesetzlichen Vertreter und Regenten braucht, kann absolut nichts Neues gewesen sein. Friedrich Franz IV hätte die Regentschaft für seinen zweitgeborenen Sohn übernehmen können. Der Fehler bestand leider darin, diesen Gedanken nicht juristisch durch Bossart und Langfeld sowie ggfs auch die Landstände abgesichert zu haben. Adolf Friedrich hätte lange Zeit vorher, möglichst schon bei Erstellen des ersten Testaments im Mai 1917, mit Friedrich Franz darüber sprechen müssen, um dieses für den Notfall in „trockene Tücher“ zu bringen. Wenn er Junggeselle hätte bleiben wollen, wäre dies eine gute Idee gewesen.

Dass er es nach dem im Mai 1917 im Zug aufgesetzten Testament nicht getan hatte, lässt im Februar 1918 eher darauf schließen, dass er von der Verbindung mit Prinzessin Benigna Reuss überzeugt war.

Sein Großonkel Carl Michael aus Russland, der als rechtmäßiger Thronerbe in Frage gekommen wäre, hatte schon 1914 seinen Verzicht bekannt gegeben, Adolf Friedrich hatte diesem jedoch noch nicht gänzlich zugestimmt. Der Hinweis auf das Testament von 1917 zeigt deutlich, dass er voll bei Bewusstsein war und klaren Gedankengängen folgte.

Er setzt am 23.02.1918 u.a. Vermächtnisse an seine Bediensteten aus, die allesamt weder eine geistige Zerrüttung noch verwirrte Gedankengänge aufzeigen. 100 000 Mark für Bossart und 500 Mark für den Stalljungen können als der jeweiligen Stellung des Beschenkten angemessen angesehen werden. (zu1) Als der Großherzog die Briefe schrieb und seine Notizen machte, dachte er angestrengt nach und bemühte sich, niemanden zu vergessen. Geistig umnachtet war er nicht. Sonst hätte er die Notizen und Hinweise gar nicht geben und erstellen können.

Warum verschließt er am Nachmittag den Schreibtisch mit den Briefen? Ein Wort an die Bediensteten, das Zimmer nicht zu betreten, hätte genügt. Er hätte dem Personal auch für den Abend frei geben können, wenn er seine Ruhe für einen Selbstmord haben wollte.

Wo bewahrte er den Schlüssel für den Schreibtisch auf? Wenn er ihn bei sich trug, hätte man ihn am nächsten Vormittag in seinen Taschen finden müssen. Dafür braucht man am Morgen des 24.02. keinen Schlosser holen und den Schreibtisch aufbrechen lassen, mit Gefahr, diesen dabei zu beschädigen. (zu 1)

Allein aus diesen Fakten und Tatsachen lässt sich schließen, dass Adolf Friedrich sicherlich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein wollte, aber keinesfalls bereits um 16 Uhr des 23.02.1918 davon überzeugt war, den Abend nicht zu überleben.

Zeugen wollen ihn nach 16 Uhr auf einer Bank sitzend in der Schlosskoppel gesehen haben. Es gab Regen und war bis zu 6 Grad kalt. Also nicht gerade angenehmes Sitz- und Spazierwetter. (12) Wartete er dort auf jemanden?

Bossart soll als Staatsminister Schaden vom Land und vom Großherzog abwenden. Dazu steht ihm der gesamte Staatsapparat und als Jurist auch die Polizei und Gerichtsbarkeit zur Verfügung. Er kann und muss deshalb sogar gegen den Wunsch seines Herrn handeln, wenn es die Umstände erfordern. Das heißt, er hätte die Höllrigl lange Zeit vorher nach allen Regeln der juristischen Kunst ausschalten können, auch wenn es dadurch zu einem Zerwürfnis zwischen Staatsminister und Großherzog gekommen wäre. Dieser war unerfahren und labil, aber gerade und vielleicht auch deshalb für den klugen Manager Bossart lenkbar. Er wäre seinem Minister eines Tages dankbar gewesen.

Den Brief kann der Kaiser nur vor seiner Abreise nach Bad Homburg geschrieben haben. Also, mindestens einen Tag vorher. Er muss etwas Wichtiges enthalten haben, etwas, dass Adolf Friedrich beunruhigte.

Warum hat er die Rückkehr des Ludewig nicht abgewartet?

Warum hat der besonnene Bossart nicht darauf gedrängt? War die Botschaft Ludewigs durch den Brief bedeutungslos geworden? In was für ein Wechselbad der Gefühle muss Adolf Friedrich geraten sein, oder wurde er gebracht?

Der 23 ist ein Samstag gewesen und sicher gab es auch für den Ersten Staatsminister ein freies Wochenende. Jedenfalls sind außer dem Besuch Maries keine weiteren Vorkommnisse im Palais am Abend des 22.02.1918 bekannt. Über den Wohnräumen des Großherzogs befand sich eine Etage, in der dessen engste Bedienstete lebten. Es war Tag und Nacht jemand da. (13)

Warum überbrachte die Prinzessin den Brief? Es war kalt und regnerisch, da muss eine junge Prinzessin und Mutter eines Kleinkindes, die Gefolge und Schutz braucht, nicht mehrere Stunden im Zug durch das winterliche Neustrelitz fahren. Generalmajor Ruville bleibt in Neustrelitz. Marie fährt zusammen mit ihrer Zofe und ihrem Leibarzt zurück. Der Leibarzt wird sie kaum mit der Waffe beschützen können, wenn es nötig wird. Sie fährt ohne ausreichenden militärischen Schutz nach Hause. Hätte der Kaiser etwas Derartiges zugelassen?

Über Marie Auguste wird später bekannt werden, dass sie ihren Mann mit einem Hochstapler betrogen hatte und weil der Kaiser die Scheidung ablehnte, Joachim sich 1920 mit einer Waffe das Leben nahm. Sie wird Empfangsdame in der Chemiefirma von Bohlen- Halbach werden und gegen eine Rentenzahlung im Jahr 1980 Robert Lichtenberg adoptieren, der als Prinz Frederic von Anhalt Schlagzeilen machen wird. (14)(15) Wer war dieser „Hochstapler“ und warum wurde er so bezeichnet? War er in die hohe Familie eingeschleust worden um an Informationen über den Kaiser und dessen militärische Absichten zu kommen?

Wusste Adolf Friedrich als Großherzog von dem Kaisertreffen in Bad Homburg?

Er musste dann annehmen, dass der Kaiser bezüglich seiner Angelegenheit noch nicht auf dem Laufenden war. Ludewig hatte sich seit seiner vortägigen Abreise nicht gemeldet. Adolf Friedrich konnte also noch hoffen. Genauso tröstende Worte, wie diejenigen, die er seiner Freundin Daisy schrieb, hätte er selbst am 22.2. gebrauchen können.

Warum konnte er sie sich nicht in Erinnerung rufen?

Welches Datum trug der Brief? Fakt ist, Bossart muss von der Nachricht gewusst haben. Adolf Friedrich schreibt ihm:

„Aus allem, auch was sich nun heute wieder zugetragen hat, er sehe ich, dass ich völlig unwürdig bin weiter im Leben zu bleiben. Ich hab wie Sie den einen Wunsch gehabt los und möglichst bald von der besagten Dame, um ein neues Leben zu beginnen…“ (s. zu1)

Der erste Satz kann ohne weiteres als eine allgemeine Feststellung verstanden werden und muss nicht zwangsläufig einen real geplanten Selbstmord ankündigen. Es klingt eher wie ein Hilferuf. Wann hat Bossart diesen Brief erhalten? „Heute“, weist darauf hin, dass Adolf Friedrich ihn noch am Abend des 22.02. geschrieben haben kann. Aber hat der Brief seinen Adressaten bereits da schon erreicht? Oder lag er bis zum 24 im verschlossenen Schreibtisch?

„Wie Sie so richtig sagten…“ bezieht sich auf ein persönliches Gespräch, welches vielleicht noch nach dem Erhalt des Briefes am 22.02. zwischen den beiden geführt wurde. „Heute“, weist darauf hin. Etwas anderes macht keinen Sinn. Einen Brief am 22. mit etwas zu beginnen, das sich grad zugetragen hat, mit dem Hinweis auf ein Gespräch, welches erst am 23 stattfindet, ist unlogisch und würde auch einem „geistig umnachteten“ Menschen nicht einfallen, sofern ein solcher überhaupt zu so klaren Statements noch fähig ist. Über die weiteren Worte des Großherzoges im Brief wird noch zu sprechen sein.

Es gibt keine Aussagen von Angestellten, die von nächtlicher Unruhe des Großherzogs vom 22. auf den 23.02. berichten. Wenn ihn der Kaiserbrief dermaßen erregt hätte, wie am nächsten Tag seitens des Personals berichtet wird, hätte er wohl eine schlaflose Nacht verbracht. Davon ist nichts bekannt. Warum fühlte er sich unwürdig? Das kann man eher von Höllrigl behaupten! Sie war die Erpresserin.

Warum hatte Bossart ihn nicht beruhigt und deren bösem Treiben ein Ende gesetzt? Haben die Gespräche mit dem Ersten Staatsminister am nächsten Tag erst bei Adolf Friedrich Unruhe ausgelöst? War es Bossart, der seinen Großherzog aufregte? Kam dieser grad von Ruville? Hatte er von ihm Anweisungen erhalten, die von höchster Stelle kamen, und selbst von einem Staatsminister nicht ignoriert werden durften?

Hatte der Brief am Ende gar nichts mit der Affäre zu tun? Trug er vielleicht nur das kaiserliche Siegel, kam aber ganz woanders her? Wurde auch Marie Auguste nur benutzt? Wer hat ihr die Briefübergabe aufgetragen?

Wenn es der Kaiser nicht war, was angesichts der Wichtigkeiten mit denen dieser sich auseinandersetzen musste und seiner Abwesenheit von Berlin wahrscheinlich ist, dann muss es eine andere hohe Person des Kaiserhauses gewesen sein. Als Kaiserschwiegertochter war Marie eine hochgestellte Persönlichkeit, die niemand auf ihrem Weg überprüfte und als seine Cousine bekam sie immer Zutritt zum Großherzog.

War der ominöse Briefschreiber vielleicht nicht männlich, sondern Kaiserin Auguste Viktoria gewesen, die als einzige über genug Autorität verfügte, ihre Schwiegertochter um einen solchen Botendienst zu bitten, was als ein „Befehl“ Ihrer kaiserlichen Majestät von dieser aufgenommen werden musste? Marie widersetzte sich nicht und stellte den Auftrag nicht in Frage. Wusste sie, dass Ruville nicht zu ihrem Schutz mit zurückfahren würde? Nahm sie deshalb ihren Leibarzt mit?

Von Kaiserin Auguste Viktoria, die sich in die Politik ihres Mannes mehr einmischte, als gut für diesen war und vom Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt als der böse Geist Wilhelms II bezeichnet wurde, wird man später erfahren, dass sie dem letzten Reichskanzler Max von Baden am 01.11.1918 telefonisch drohte, dessen Homosexualität öffentlich zu machen, wenn er ihren Mann zur Abdankung zwingen würde. Max von Baden erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. (zu 14/15)

Der Kaiser wurde auf eigenen Wunsch nicht von allen Abteilungen über laufende Vorgänge informiert, das ist bekannt. (16) Hatte jemand seine Abwesenheit ausgenutzt und die Kaiserin für eigene Zwecke eingespannt?

Wenn jemand wusste, in welcher Beziehung Adolf Friedrich, die Höllrigl und Daisy von Pless standen, dann die Abteilung III B.

Generalstabsoffizier Walter Nicolai war seit 1906 Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, sprach Russisch, Englisch, Französisch und sogar Japanisch. Seine Abteilung residierte von 1913-1918 im Haus des Großen Generalstabs in Berlin. Nur wenige hatten dort Zutritt. V-Leute und Nachrichtenoffiziere dieser Abteilung operierten während des Krieges in ganz Deutschland und sammelten Informationen über Alles und Jeden. Briefe wurden geöffnet, die Post, auch die der Offiziere, gelesen und zensiert. Alle geheimdienstlichen Informationen liefen bei Nicolai zusammen, der vorher die linken Politiker verfolgt hatte. (17) (Wie Karl Liebknecht)

Wollte jemand, der den Ständen und dem Schweriner Großherzog nahe stand, die Causa Strelitz aus der Welt schaffen und spann geschickt seine Fäden?

Die Kaiserin wäre somit auch instrumentalisiert worden, denn sie konnte eigentlich nichts gegen eine Verbindung der Häuser Mecklenburg-Strelitz und Reuss-Köstritz einzuwenden haben und die Hochzeit wäre nicht nur standesgemäß, sondern im Krieg auch eine nette Abwechslung der hochadligen Gesellschaft gewesen und hätte überall im Land die Menschen von den Grausamkeiten des Krieges für ein paar Tage abgelenkt.

Berliner Stadtkommandant war Kuno von Moltke (stirbt 1923), dessen Vater als Oberstallmeister Graf Karl von Moltke im Großherzoglichen Haus in Neustrelitz diente. (18) Von Moltke gehörte in den Kreis um die Eulenburgaffäre, war ein Vertrauter des Kaisers und prozessierte bis 1909 gegen den Vorwurf, er wäre homosexuell. Er gewann letzten Endes in einem Vergleich. Natürlich kannten sich Adolf Friedrich und Moltke gut. Hatte sich Adolf Friedrich bei dem erfahrenen älteren Generalmajor und Flügeladjutanten des Kaisers „pikanten“ Rat geholt und dies wurde dem Geheimdienst „mitgeteilt“?

Recherchierte dieser selbst weiter in der Sache, vielleicht auch, nachdem belastendes Material von der Höllrigl 1916 bei der Verhaftung ihres Anwalts Karl Liebknecht gefunden worden war? Wurde Höllrigl gezwungen, während der Eheanbahnung mit erneuten Geldforderungen aufzutreten? Enthielt der Brief Hinweise von Nicolai?

Nicolai wird keine Kaisertochter als Botin einsetzen können, dies war nur Auguste Viktoria, der Kaiserin selbst, möglich. Wer war der Hochstapler, mit dem sich Marie Auguste eingelassen hatte oder noch wird? Kam er aus dem Umfeld des Nachrichtendienstes?

Auguste Viktoria tat genau das, was sie einige Monate später mit Max von Baden versuchte. Hoffte sie bei diesem dieselbe Reaktion wie bei Adolf Friedrich hervorzurufen? Auch vor der Kaiserin sind die wahren Umstände des Todes des Strelitzer Großherzogs mit Sicherheit verborgen worden. Der Kaiser wusste ebenfalls nichts, so konnte geschickt die Selbstmordtheorie verbreitet werden, bis sie sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatte.

Und die wollten vielleicht auch alle daran glauben.

Welche Rolle spielte Generalmajor von Ruville, (19) der Adolf Friedrich im militärischen Rang gleich stand? Er verließ Neustrelitz sofort und unbehelligt, nachdem am 24.02. die Nachricht vom Tod des Großherzogs verbreitet wurde.

Haben sie sich noch am Abend des 23.02.1918 in der Schlosskoppel getroffen? War eine solche Verabredung im Brief anvisiert? Das erklärt die eiligen Notizen und die Briefe, aber es erklärt auch den verschlossenen Schreibtisch. Hoffte Adolf Friedrich im persönlichen Gespräch mit Ruville einen Ausweg aus der misslichen Lage zu finden? Wie Kuno von Moltke? Der konnte sich 1909 erfolgreich gegen die Behauptung des Publizisten Maximilian Harden wehren, er wäre homosexuell. Er lebte später unbehelligt bis zum Tod in angesehener Position.

Nur von Ruville hätte Adolf Friedrich vertrauliche Informationen über die Meinung und mögliche Unterstützung durch das Kaiserhaus erfahren können.

Ruvilles Verhalten wirft viele Fragen auf. Ein Bewegungsprofil des Generalmajors und die Untersuchung seiner Kleidung auf Schmutzspuren von der nassen Schlosskoppel wären interessante Hinweise. Ein Verhör und Fragen nach dem Grund seines Kommens und Bleibens in Neustrelitz, seines Auftraggebers sowie ein Alibi für den Abend nach 17 Uhr ebenfalls.

Kam plötzlich alles zusammen? Das Wissen des Geheimdienstes, durch diesen an die Kaiserin herangetragen, die Inhalte der Höllriglbriefe, Adolfs Briefe an Daisy und umgekehrt? Wollte man Daisy verschonen, wenn Adolf Friedrich die volle Verantwortung für ihre Englandbriefe übernimmt?

Das klappte wenige Wochen später nicht so ganz, weil sich die Zeitungen in Schlesien einschalteten. Man lehnte Daisy dort wegen ihrer englischen Vorfahren und vor allem wegen ihres mondänen Lebensstils ab. Etwas Wahres war wohl an den Recherchen dran, denn der Redakteur weigerte sich zunächst vehement, etwas an dem Artikel zu ändern. Auf Druck des Kaisers, den Heinrich von Pless als dessen Ordonanzoffizier ins Vertrauen ziehen konnte, musste die Zeitung zähneknirschend den Artikel zurücknehmen. Falls sich die Kaiserin bei Adolf Friedrich eingeschaltet hatte und auch wegen deren Kaisernähe auf Daisy etwas eifersüchtig war, muss dies für sie ein kleiner Rückschlag gewesen sein. Der Verfasser des Zeitungsartikels kann vertrauenswürdige Informanten beim Nachrichtendienst gehabt haben. (s. zu 1)

Aus den ersten Sätzen des Briefes an Bossart geht also hervor, dass sich wieder etwas zugetragen hatte, und zwar heute, damit kann nur der 22.02.1918 gemeint sein. Der Hinweis auf „besagte Dame“ kann im Kontext bedeuten, dass nicht sie selbst, sondern das durch sie verbreitete Wissen (eben die Unterlagen aus der Liebknecht Kanzlei zwei Jahre zuvor) nachwirkten und stets aktuell blieben um seinem Ruf zu schaden. Er war unwürdig, weil er nicht rechtzeitig etwas getan hatte oder mit einem Weg einverstanden gewesen war, der die Angelegenheit für ihn ein für alle Mal in Ordnung gebracht hätte.

Pikantes Wissen zu sammeln und im richtigen Moment einzusetzen, war und ist bis heute, Aufgabe und Domäne jeder geheimdienstlichen Organisation.

Hatte man auch Daisy mit hineingezogen? Wurde er von zwei Seiten erpresst? Die Spionageabwehr hielt mit Daisy einen wirklichen Trumpf gegen ihn in der Hand. Der Höllrigl konnte am Tod ihres Exfreundes eigentlich nicht gelegen sein. Das Ableben ihres einstigen Schatzes wäre hinsichtlich weiterer Geldzuwendungen eher hinderlich gewesen. Von Bossart hätte sie gewiss nichts mehr bekommen. Und von der Großherzogin erst recht nicht, wie sich später bewahrheiten wird.

Die Selbstmordtheorie aufrecht zu erhalten und zu befördern, alle weiteren polizeilichen Ermittlungen zur Einstellung zu bringen und auch den Arzt der Rechtsmedizin in seinem Autopsiebericht zu beeinflussen, etwas z. b. anzugeben oder nicht anzugeben, wozu zweifelsohne u.a. der gesamte Bereich um die Schussverletzung und die nicht auffindbare Waffe gehört, war nur einer einzigen Person und ihrer Institution möglich: Walter Nicolai und seiner Abteilung IIIB. (20)

Fortsetzung folgt.



























 



 
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