Adolf Friedrich Vi (Selbst?)-Mordfall des letzten Großherzogs von Neustrelitz xy noch ungelöst Teil 3

Ruedipferd

Mitglied
Manuel Magiera

(Selbst?)- Mordfall Adolf-Friedrich VI, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, XY- noch ungelöst

3. Teil


Samstag, 23.02.1918

Wetter: Stark bewölkt, etwas Regen um die 6,4 Grad. (1)(2)

Von einem Schneesturm ist nichts bekannt. Die Tagesmeldungen für Mecklenburg Strelitz sind unbedeutend.

Adolf Friedrich verlässt das Parkhaus gegen 16 Uhr mit dem Hund. (3)

Wenn er vorhat, sich zu erschießen, muss er eine Pistole eingesteckt haben. Vielleicht eine ca. 10 cm kleine, in Belgien hergestellte Browning, die man auch Babypistole nannte, Kaliber 6,35 mm. Diese konnte man in eine enge Uniformjacke stecken. (4)(5) Eine größere Waffe musste in einem Holster am Gürtel getragen werden. Dieses hätte sich leer an der Leiche befinden müssen. Die großen Pistolen hatten 7,65 mm. (6) Inzwischen sind wir in der Lage anhand des Projektils und der Hülse genau zu ermitteln, aus welcher Waffe geschossen wurde. Jede Waffe hat einen eigenen Fingerabdruck und die abgeschossenen Projektile/ Hülsen tragen individuelle Merkmale. Es gibt heute Datenbanken darüber, so dass mit dem Verbleib der Waffe sehr schnell auch ein Täter ermittelt werden kann. (7)

Über die nachfolgenden Ereignisse des Tages und die letzten Stunden im Leben des Großherzogs bestehen keine sicheren Erkenntnisse.

Als er nicht nach Hause zurückkehrt, beginnen Bedienstete sich Sorgen um ihn zu machen. Im Großherzoglichen Haus gibt es wie überall innerhalb des Personals eine klare Rangordnung. Der höchste Kammerherr oder Oberhofmarschall muss den Befehl geben, nach dem Abwesenden zu suchen. Das kann Oberhofmarschall von Yorry (8) gewesen sein.

Es wird im Februar spätestens um 18 Uhr dunkel. Beleuchtung gab es in der an sich bis zur Kuhbrücke übersichtlichen Schlosskoppel sicher nicht, aber man verfügte über tragbare Laternen. Die Wege waren so breit, dass Pferdefuhrwerke darüber fahren konnten. Und es gab auch eine Eisenbahnstrecke, die bis Rostock /Warnemünde führte (8).

Man begann die Suche nach dem nicht vom Spaziergang zurückgekehrten Großherzog am späten Abend des 23.02.1918 und brach diese wegen Dunkelheit ab.

Das Zeitfenster für die Suche lag zwischen 18 Uhr und 22.00 Uhr.

Um 21:25 Uhr war die Armbanduhr stehen geblieben, von der Medizinalrat Dr. Wilda, der die Leiche obduzierte und den Totenschein ausstellte (9) am nächsten Tag annahm, sie sei nicht wasserdicht und deshalb den Todeszeitpunkt darauf festlegte. Er diagnostizierte eine Schusswunde an der Schläfe. Der Tod sei aber durch Ertrinken eingetreten.

Das ist verständlich, denn das Atmen ist ein Reflex, der auch bei Bewusstlosigkeit stattfindet. Jemand, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser liegt, ertrinkt (besser erstickt)(10) wegen Sauerstoffmangels innerhalb weniger Minuten. Der Schuss muss also, wenn man zugrunde legt, dass an der Uhr nicht manipuliert wurde, spätestens um 21:20 Uhr stattgefunden haben.

Die Schlosskoppel besteht aus Wald und Wiesen. Vom Parkhaus bis zur Kuhbrücke am Kammerkanal, wo man am nächsten Vormittag die Leiche fand, sind es knapp dreißig Gehminuten.

Es war Winter, dunkel und die Luft klar. Es gab nichts, dass Geräusche wie einen Pistolenschuss absorbieren konnte. Ein Schuss wäre weithin hörbar gewesen. Hat man noch kurze Zeit vor 21:15 Uhr gesucht, hätte man ihn hören müssen. Dann wären auch der Hund, die Mütze und der rechte Handschuh gefunden worden, denn dies lag alles auf dem Weg, ungefähr 100 bis 200 m vom Kanal bzw. der Kuhbrücke entfernt. Auf jeden Fall hätte sich Dogge „Bulli“ bemerkbar gemacht, nachdem sein feines Hundegehör Personen im Wald wahrnahm. Eine spätere Suche hätte wegen der Dunkelheit keinen Sinn gemacht und widerspräche den Angaben, die Suche wäre wegen Dunkelheit abgebrochen worden.

Wurde die Suche zwischen 19 Uhr und 21 Uhr oder früher abgebrochen, hätte man auf lautes Rufen sicher auch eine Rückmeldung von Bulli bekommen. Der Hund wurde von den Bediensteten mit aufgezogen und versorgt. Er hätte auf vertraute Stimmen reagiert und sofort angeschlagen. Die Mütze und den rechten Handschuh hätte man zu dieser Zeit ggfs. noch nicht finden können, denn da lebte Adolf Friedrich noch.

Er kann sich mit dem Hund im Gebüsch versteckt haben, damit man ihn nicht findet. Um 21:20 Uhr, als alle weg und es ruhig in der Schlosskoppel war, erschoss er sich. Trotzdem konnte er von seinem Standpunkt an der Kuhbrücke nicht wissen, ob sich nicht doch noch jemand in der dunklen Schlosskoppel befand und den Schuss hört. Fremde Männer wären mit Sicherheit in die Richtung aus der der Schuss kam, gelaufen und hätten trotz der Dunkelheit reagiert und ihn aus dem Wasser ziehen können.

An Bossart schrieb er in seinem Brief vom 22.02: „Sollte ich, was Gott verhüte, nicht ganz tot sein, so flehe ich Sie an, dass man mich
durch Morphium dahin schlummern lasse. Bitte, bitte, noch diesen letzten Dienst.“
(11)

Es wäre wichtig zu wissen, von wann bis wann der Suchtrupp unterwegs war und was wann wo gefunden wurde. Sowie auch, wer am Abend des 23.02. zum Suchtrupp gehörte. Ob Bossart ihm den letzten Wunsch hätte erfüllen können, hing zum einen davon ab, wann dieser den an sich gerichteten Brief erhalten würde und zum anderen, ob eine Sterbehilfe in dieser Art überhaupt notwendig war oder möglich. Wenn man ihn lebend aus dem Wasser gezogen hätte, wäre es Herrn Bossart sicher schwer gefallen, den behandelnden Ärzten diesen letzten Wunsch zu vermitteln. Und er hätte sich vielleicht auch selbst strafrechtlich schuldig gemacht, wenn er darauf bestanden hätte.

Der Schreibtisch mit den Briefen wurde erst am 24.02., vormittags gegen 11 Uhr von einem Schlosser geöffnet. (12) Wenn man zu dem Zeitpunkt bereits wusste, dass Adolf Friedrich tot war und im Kanal liegen würde, so hätte man nur noch die Zeit abwarten müssen, bis das Wasser dort abgelassen war und den Schlüssel aus der Tasche des Toten nehmen können. Die Tatsache, dass er den Schreibtisch mit den brisanten Inhalten verschließt und den Schlüssel versteckt oder mitnimmt, lässt darauf schließen, dass er nicht wollte, dass die Briefe vor seinem Ableben gefunden wurden, einerseits, aber auch, dass er sich alle Türen offen halten wollte, andererseits.

Und ob sich ein regierender Großherzog, der mit so hohem Verantwortungs-und Pflichtgefühl ausgestattet war wie Adolf Friedrich, vor der eigenen nach ihm suchenden Dienerschaft versteckt, weil er sich danach in Ruhe umbringen will, ist theoretisch möglich, aber irgendwie schwer vorstellbar.

Er muss dann ja auch seinen geliebten Hund zurücklassen. Er kann nicht wissen, ob der nach Hause läuft und sich vor der Winterkälte in Sicherheit bringt, oder nicht bei Mütze und Handschuh sitzen bleibt und auf sein Herrchen wartet, das nie mehr zurückkehrt. Es muss am Abend kalt und ungemütlich gewesen sein.

Als alleiniges Indiz für einen Selbstmord, reichen Mütze und rechter Handschuh nebeneinander und die Leiche ein paar hundert Meter weiter im Kanal liegend, nicht aus. Auch die verräterische Stellung der Finger mit Faust und leicht angewinkeltem Zeigefinger, wie Dr. Wilda (zu 9) schreibt, beweist nicht, dass es Selbstmord war. Wenn man das Wasser im Kammerkanal abgelassen hat, um die Leiche zu bergen, kann die Waffe dabei fortgespült worden sein. Andererseits war die Tat zu frisch und man hätte auch einen kleinen Browning (10 cm lang und zwischen 0,27 Kg und 0,37 Kg schwer)(zu 4,5) daneben oder kurz davor an der Uferböschung liegend finden müssen. Dasselbe galt zumindest für die ausgeworfene Patronenhülse. Falls das Projektil wieder aus dem Körper austrat, müsste auch dieses an der Böschung vorhanden gewesen, kann aber auch bereits ins Wasser gefallen sein.

Wenn Adolf Friedrich bei seinem Suicid allein war, müssen diese metallischen Gegenstände noch am Tatort gelegen haben, als die Leiche aus dem inzwischen leeren Kammerkanal geborgen wurde. Zumindest einen Teil hätte man finden müssen. Alles drei in den Wasserfluten zu verlieren ist sehr unwahrscheinlich. Vor allem, wenn der Schuss noch außerhalb des Wassers erfolgte und somit die Patronenhülse auf die Böschung oder den Weg ausgeworfen wurde.

Mütze und Handschuh kann ein Mörder seinem Opfer nach dem Mord ausziehen und so hinlegen, dass sie auf dem Weg gefunden werden. Er kann dem Opfer die Waffe in die Hand geben, damit die typische Fingerhaltung entsteht. Ist es die eigene Waffe, so nimmt er sie danach wieder an sich.

(Das Fehlen der Waffe bis heute spricht dafür.)

Die Armbanduhr am linken Handgelenk war sichtbar. Der Mörder stellt sie auf 21:25 Uhr vor. Sodann stößt er den Körper ins Wasser und wartet einen Augenblick, um sicher zu gehen, dass der Tod eintreten konnte. Danach entfernt er sich vom Tatort. Er hätte Zeit gehabt um in ein Hotel oder nach Hause zurück zu kehren und konnte ein für die damaligen Ermittlungsmöglichkeiten perfektes Alibi vorlegen. Der Hund ist alt und versteht nicht, was passiert ist. Aber er würde vielleicht den Mörder seines Herrchens wieder erkennen und knurren. Der Mörder kann deshalb nicht an der Suche am anderen Tag teilnehmen. Er wartet auf die offizielle Todesmeldung und verlässt die Stadt umgehend. Eine solch umsichtige Handlungsweise weist auf das Ausbildungsprogramm von Armee- und /oder Nachrichtendienst hin.

Damit war auch für den Amtsarzt die Selbstmordtheorie schlüssig vorbereitet worden. Trug Adolf Friedrich eine Waffe offen am Körper, als er das Parkhaus verließ? Trug er noch eine in der Jackentasche als er gefunden wurde? War ein Holster umgebunden? Wurde aus einer gefundenen Waffe überhaupt geschossen? Wurde nach Patronenhülse und Projektil gesucht, sofern es den Körper verlassen hatte? Wie groß war die Schusswunde? Daran konnte ein Arzt bereits damals die Größe der diese Wunde verursachenden Waffe erkennen.

Trug Ruville eine Pistole offen am Körper, als er in Neustrelitz ankam? Er wird auf jeden Fall als Offizier eine dabei gehabt haben. Dies gebot schon der Schutz für die Prinzessin.

Übliche polizeiliche Ermittlungen fanden anscheinend keine statt. Es gab keine Verdächtigen, keinerlei gezielte Befragungen, Alibis wurden nicht überprüft. Die Mütze und der Handschuh wurden nicht auf fremde Fingerabdrücke untersucht. Sie waren nicht mit Wasser in Berührung gekommen und würden mit Sicherheit Aufschluss darüber geben, ob jemand außer ihrem Träger und dem Hund sie berührt hat.

D N A Abgleiche gab es natürlich noch nicht. Aber es war kalt und nass und wenn ein Hotelbursche schmutzige Stiefel mit Erde von der Schlosskoppel daran gereinigt hätte, wären dem Besitzer unangenehme Fragen nicht erspart geblieben. Dasselbe gilt für nasse Kleidung. Ein positiver Abgleich der Fingerabdrücke hätte für den Betreffenden sehr schlecht ausgesehen. Den Abgleich von Fingerabdrücken kannte man in der Kriminalistik bereits um 1903 in Dresden. (13)

Schmauchspurentests wurden erst 1971 erfunden, werden inzwischen wegen Ungenauigkeit vom FBI nicht mehr angewendet. (14)

Auf einem Foto des Großherzogs ist eine Armbanduhr deutlich an seinem linken Handgelenk zu erkennen. (15) Es ist auch unerheblich, um welche Art Uhr es sich handelte, denn wasserdichte Uhren gab es zu der Zeit noch nicht. (16)

Natürlich kann sie sofort stehen geblieben sein, als sie mit dem Wasser im Kammerkanal in Berührung kam. Uhren wurden mechanisch aufgezogen, Batterien kannte man nicht. Handaufzugsuhren hielten ca. 36 bis 40 Stunden. Sie kann also auch erst am anderen Morgen stehen geblieben sein, durch hantieren beim Bergen der Leiche. Oder bereits am Morgen des Todes, was vom Träger unbemerkt blieb. Wenn er aus irgendwelchen Gründen vergessen hatte sie aufzuziehen oder sie nur halbherzig und zu kurz aufgezogen hatte, hätte sie zu jeder Tageszeit unbemerkt stehen bleiben können. Dann wäre sie um 9:25 Uhr am Vormittag stehen geblieben und nicht um 21:25 Uhr am Abend. Oder hatte das Ziffernblatt bereits eine 24 Stundenanzeige? War sie auf Deutsche Zeit eingestellt? Eine Garantie für den angenommenen Todeszeitpunkt bietet die Uhr nicht.

Den genauen Todeszeitpunkt kann der Rechtsmediziner anhand der typischen Veränderungen an der Leiche feststellen. Wobei man sicher auch zwischen dem heutigen Stand des Wissens und dem vor 100 Jahren unterscheiden muss. (17) Der Tod kann Stunden vor 21:25 Uhr eingetreten sein. Die Kälte und die Tatsache, dass die Leiche im Wasser gelegen hat, sind zu berücksichtigen. (18)

Der Schuss wäre ein wichtiges Indiz gewesen. Hatte jemand der Anwohner, Passanten oder jemand der letzten Suchenden etwas gehört? Was hat Adolf Friedrich von 16 Uhr bis 21.25 Uhr in der Kälte und bei leichtem Regen gemacht? Er war demnach fast sechseinhalb Stunden draußen. Ohne Mantel war er der Nässe und Kälte in der fraglichen Zeit ausgesetzt. Er muss eigentlich von durchfahrenden Pferdefuhrwerken oder von Passanten gesehen worden sein.

Eine nähere Untersuchung über den Auftrag Ruvilles und sein Bewegungsprofil am Spätnachmittag und Frühabend des 23.02.1918 würden zur Aufklärung beitragen.

Ist der Brief bis heute verschwunden? Das spräche dafür, dass nicht der Kaiser selbst Absender war. Hatte Adolf Friedrich ihn dabei, als er in die Schlosskoppel ging? Hat der Mörder ihn an sich genommen um alle Spuren zu beseitigen? Oder hat Bossart ihn behalten? Um die Kaiserin oder jemand anderes (Nicolai) aus der Angelegenheit herauszuhalten? Offiziere wurden beim Geheimdienst sehr gut ausgebildet. Allein die bekannte Handlungsweise Ruvilles in der fraglichen Zeit spricht für einen Profi.

Die Pistole fehlt bis heute. Was sagte Dr. Wilda zum Einschusswinkel? An welche Schläfenseite wurde geschossen? Von oben oder von unten? War das Projektil noch im Körper oder war es wieder ausgetreten? In welchem Winkel? Wie groß waren die beiden Schusswunden? Welches Millimeter hatte das Projektil? Hat man nach der Patronenhülse gesucht? Hat man nach dem Projektil gesucht?

Der Kammerkanal war Baustelle. Nach dem Ablassen des Wassers und der Bergung des Leichnams konnte man auch nach Waffe und Projektil nebst Hülse im Schlick suchen. Passen Wunden, Winkel und Projektil zur Waffe und gehörte die ihm, hätte man auch heute einen Selbstmord viel eher und sicherer annehmen können. Wenn die Pistole ihm nicht gehörte, musste der Täter diese wieder mitnehmen. War es überhaupt ein Pistolenschuss? Es kann auch ein Gewehrschuss gewesen sein, dann wäre die Selbstmordtheorie überhaupt nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen.

Im Landesarchiv von Mecklenburg- Schwerin wurden diverse bedruckte Seiten des Trauerreglements mit Unterschrift des Strelitzer Oberhofmarshalls von Yorry gefunden. Auf dieses hatte sich Friedrich Franz IV berufen, als er die Regentschaft übernahm. Sie tragen das Datum vom 23.02. An dem Tag lebte der Großherzog noch. Der Tod kann erst nach 17 Uhr eingetreten sein. In diesem Fall wurde das Trauerreglement einen Tag zu früh geschrieben. Das kann einer gedankenlosen Rückdatierung, die mit dem Bericht von Dr. Wilda zusammenhing entsprechen. Der Amtsarzt hatte den Leichnam aber erst im Laufe des Sonntags am 24.02.1918 zur Beschau vorliegen. Der offizielle Totenschein und Bericht wird frühestens am Montag, den 25.02. fertig gewesen und von der Sekretärin der Rechtsmedizin getippt worden sein. Und das sich diese zu Beginn ihrer Arbeit im Datum irrt, erscheint höchst unwahrscheinlich. (19)

Das bedeutet, dass das Trauerreglement auf einer Schreibmaschine von einem Schlossbediensteten im Arbeitszimmer des Palais bereits am 23.03. mit Durchschlägen getippt worden sein muss. Den Auftrag kann dieser nur vom Oberhofmarschall bekommen haben, der ihm auch diktieren musste. Entweder hat der Oberhofmarschall von Yorry bereits am Samstag zu einer noch passenden Arbeitszeit gewusst, dass sein Herr tot ist oder den Abend nicht überleben wird, oder es handelte sich um eine bewusste Rückdatierung. Letztere kann aber dann nur das aktuelle Tagesdatum tragen, frühestens jedoch den 24.02.1918.

Hat von Yorry an der abendlichen Suche am 23.02. teilgenommen? Das ist anzunehmen. Hat man Mütze und Handschuh gefunden? Dann muss der Großherzog bereits tot gewesen sein und man konnte der Dunkelheit wegen, nicht länger nach ihm suchen. Wenn die Uhr tatsächlich um 21:25 Uhr im Wasser des Kammerkanals stehengeblieben war, wurden die Gegenstände mit Hund erst nach dieser Uhrzeit gefunden. Und es muss mindestens eine halbe Stunde später gewesen sein, denn sonst hätte man den Schuss hören müssen. Das widerspricht den Angaben, man hat die Suche wegen Dunkelheit abgebrochen.

Wobei es möglich sein kann, dass man alles ab 21:40 Uhr auf dem Weg fand und den Leichnam im Kanal vermutete. Dann ging der Leiter der Suchmannschaft vom Tod des Großherzogs aus, ohne dies zu überprüfen. Dieser hätte natürlich zu der Zeit im Wasser liegend noch leben können.

Wenn man also nach 22:00 Uhr ins Palais zurückkehrt, wird man dann noch ein Trauerreglement diktieren? Und darf von Yorry dies so ohne weiteres tun? Ich denke, er braucht dazu die Erlaubnis und Anweisungen einer höher gestellten Persönlichkeit. Das kann in diesem Fall nur Heinrich Bossart anordnen. Und der wird es am 23.02. nach 22 Uhr nicht mehr getan haben. Es sei denn, er gehörte zur Suchmannschaft und hat die Suche nach dem Auffinden der Kleidungsstücke eingestellt. Dann muss er auf jeden Fall Bulli mit ins Palais genommen haben. Der Hund wäre vor den vertrauten Menschen nicht fortgelaufen. Man kann den Hund in dieser Version nicht mehr am nächsten Tag neben der Mütze und dem Handschuh sitzend vorfinden. Auch dann hätte das Trauerreglement Zeit bis zum anderen Tag gehabt, man musste erst die Leiche bergen um sicher zu gehen, dass der Großherzog nicht mehr am Leben war. Zudem muss auch Bossart erkennen, dass sich die Dienerschaft in einem Schockzustand befindet und dieser Ruhe geben, sich zu sammeln.

Vom schriftlich im Brief formulierten Wunsch des Großherzogs, ihn einschlummern zu lassen, kann Bossart erst gegen 11 Uhr am nächsten Morgen beim Auffinden des an ihn gerichteten Briefes erfahren. Wenn man die Kleidungsgegenstände viel früher am Abend gefunden hatte, wovon auszugehen ist, stimmt der von Dr. Wilda angenommene Todeszeitpunkt nicht. Selbst, wenn man keinen Schuss gehört hat, müssen Zweifel an der Selbstmordtheorie aufkommen. Und Dr. Wilda kann den Todeszeitpunkt nicht mit der stehen gebliebenen Uhr gleichsetzen, wenn er weiß, dass die Kleidung sehr viel eher gefunden wurde. Der Großherzog müsste dann ja die ganze Zeit bis die Suchenden weit genug weg sind, um den Schuss nicht wahrnehmen zu können, am kalten Ufer des Kanals abwarten und ausharren, ohne sich zu melden.

Wir sprechen von einer Zeitspanne von 16 Uhr bis 21:25 Uhr innerhalb eines Nachmittags.

Denkbar ist, dass Bossart durch von Yorry telefonisch über die Suche informiert wurde und nach Eintreffen an der Schlosskoppel dem Suchtrupp nachging. Es war vielleicht um 18:30 Uhr oder 19 Uhr.

Dabei traf er auf den zurückkehrenden potenziellen Mörder. Dieser erklärt ihm geistesgegenwärtig, dass der Großherzog grad seinem Leben ein Ende gesetzt hätte und bittet ihn um Diskretion. Es wäre für alle Beteiligten besser, die Suche abzubrechen und den Leichnam erst am nächsten Morgen aus dem Kanal zu bergen. Dies kann nur jemand erklären, den Bossart, der die pikanten Hintergründe kennt, nicht einer Straftat verdächtigen würde.

Die Selbstmordtheorie ist damit aber in die Welt gesetzt und muss nur noch vom Amtsarzt bestätigt werden. Die Suche wird gegen 20 Uhr oder kurz danach auf Bossarts Anordnung abgebrochen, nachdem er den Suchtrupp erreicht hat. Da hat man auch die Kleidungsstücke bereits gefunden. Die Armbanduhr trug Adolf Friedrich am Handgelenk. Die Differenzen zwischen Wildas Uhren- Todeszeitpunkt und dem unvorhergesehenen Treffen zwischen Mörder und Bossart, könnten nur diesem auffallen.

Vielleicht ahnte Bossart, dass es um mehr als nur eine Geldforderung von Seiten einer Geliebten ging. Vielleicht hatte er bereits vertrauliche Informationen erhalten, dass es schlecht um seinen Großherzog stand. Er konnte dann am Abend dem Oberhofmarschall den Auftrag erteilen, das Trauerreglement zu beginnen, welches sicherlich wegen der umfangreichen zu klärenden Positionen erst am 24. 02 fertiggestellt wurde. Das zu frühe Datum fällt niemandem mehr auf. Die Person, die den Mord begangen haben kann, reist unbehelligt am nächsten Morgen ab.

Bossart telefoniert mit Schwerin und gibt den Tod des Großherzogs bekannt. Er meldet dies auch der Zeitung. Diese gibt die Schlagzeile sofort weiter. (s. 28) Am Sonntag, den 24. 02. 1918 trat die Landesregierung zusammen, an deren Sitzung sicherlich auch Bossart teilgenommen hatte. (20) Interessant wäre ein Bewegungsprofil von Bossart für alle Tage. Um wie viel Uhr trat die Landesregierung zusammen? War es eine außerordentliche Sitzung, wegen des Ablebens des Großherzogs? Das ist anzunehmen, am Sonntag wird so etwas normalerweise nicht stattfinden. Jeder musste das Recht auf den Kirchgang haben. In diesem Fall hat Bossart alle Minister noch am selben Tag erreicht und einbestellt.

Für Heinrich Bossart müssen die Todesumstände und der Tod seines Großherzogs, gleich wie es sich auch immer zugetragen hat, mit Eigen-oder Fremdverschulden, ein Schock gewesen sein. Als eingefleischter Minister funktionierte er nur noch. Es gibt nichts, was erkennen ließe, dass er etwas mit dem Tod zu tun hatte. Er musste entweder schweigen und vertuschen um Schaden vom Großherzog und dessen Ruf zu nehmen oder um die Mission anderer nicht auffliegen zu lassen.

Adolf Friedrich hatte Feinde, wo sie auch aufgrund seiner politischen Vorstellungen zu vermuten waren: bei den Landständen. Wenn Höllrigl kurz vor der anvisierten Hochzeit mit neuen Forderungen auftauchte, brachte sie damit zumindest Chaos in die Vorbereitungen.

Für die Kaiserin kam der vermeintliche Suicid ihren Moralvorstellungen entgegen und wirkte auf sie wie ein Schuldeingeständnis. Für den Kaiser musste es ebenfalls danach ausgesehen haben. (21) Er brachte auch seine Frau nicht damit in Verbindung.

Möglicherweise stellte Bossart, der inzwischen eingeweiht war, den Brief sicher und gab ihn nach Berlin zurück. Nahm ihn Ruville sogar mit? Entweder verblieb er dort in der Nachrichtenabteilung oder er wurde der Kaiserin zurückgegeben. Die hat dem ganzen sicherlich nicht viel Bedeutung beigemessen. Es kann sein, dass der Brief sich noch in den Archiven des Nachrichtendienstes oder der privaten kaiserlichen Korrespondenz befindet. Der Kaiser schätzte Daisy von Pless, die ihn oft amüsierte und als sie Wochen später von den schlesischen Zeitungen angegriffen wurde und er von seinem kaisertreuen Ordonnanzoffizier Heinrich von Pless angesprochen wurde, brachte er die Angelegenheit für die von Pless‘ in Ordnung. (21)

Möglicherweise hat Bossart auf Anraten Ruvilles oder anderer Mitarbeiter Nicolais, Wilda aufgetragen, im Bericht nichts über die Wunde und Waffe zu erwähnen und einen klaren Selbstmord zu attestieren. Dies hätte allerdings eine sehr unangenehme Folge für die Großherzogliche Familie nach sich gezogen, was er wusste.

Laut Kirchenrecht durfte ein Selbstmörder nicht mit kirchlichem Segen bestattet werden. Es ist davon auszugehen, dass Adolf Friedrich nicht nur sein eigenes Hausgesetz aus dem Hamburgervergleich 1701 mit dem Zusatz von 1755 kannte, sondern auch das Kirchenrecht. (22) Er hätte niemals seiner Mutter, die bereits den Tod seines geliebten Bruders ertrug, eine derartige Schmach angetan. Ein Selbstmord wäre ein größerer Skandal gewesen, als die Veröffentlichung der Briefe der Höllrigl und seine homosexuellen Ausflüge. Man bedenke, der regierende Großherzog darf wegen einer kirchlichen Verfehlung nicht kirchlich bestattet werden. Was für ein Vorbild wäre er für das Volk gewesen! Das konnte auch nicht im Sinne der Kirche sein.

Adolf Friedrich IV hatte im achtzehnten Jahrhundert nicht nur den landesgrundgesetzlichen Erbvergleich unterschrieben, sondern auch verfügt, dass jemand, der „aus wahrer Melancholie der Verrückung des Verstandes Selbstmord begehe, auf einem ordentlichen Friedhof beerdigt werden solle.“

Sein Grabmal und den Verzicht auf eine Bestattung in der Mirower Fürstengruft hatte Adolf Friedrich VI bereits 1917 testamentarisch festgelegt. An Selbstmord dachte er da angesichts der folgenden Einkäufe, Urlaube und der Aussicht auf die bevorstehende Hochzeit bestimmt nicht.

Er schrieb am 22.02. an Bossart und bat diesen, dem Vater seiner Braut auszurichten, er bedauere schweren Herzens diesen Schritt, aber dessen Tochter hätte mit ihm keine Zukunft gehabt. (22) Die Worte müssen nicht zwangsläufig mit einem geplanten Selbstmord zusammenhängen, sondern können sich darauf beziehen, die angebahnte Verlobung rückgängig zu machen. Er wusste, dass das Damoklesschwert seiner ausschweifenden Lebensweise über ihm hängen blieb und seine künftige Frau mit gesellschaftlicher Ächtung rechnen müsste. Dieser Gedanke würde hinsichtlich der hochadligen Herkunft der Prinzessin die Vermutung geradezu untermauern, dass der ominöse Brief nicht vom Kaiser, sondern von der Kaiserin kam. Benigna würde nach gesellschaftlicher Ordnung der damaligen Zeit als Ehefrau eines Mannes, dem homosexuelle Umtriebe vorgeworfen wurden, nie von ihrer Kaiserin empfangen werden.

In diesem Sinne hatte Adolf Friedrich verstanden, dass er vorerst nicht mehr standesgemäß heiraten konnte und seinem Land somit der Erbe vorenthalten blieb. Er dachte an das Testament von 1917, wo es tatsächlich nur darum ging, dass er jederzeit an der Front fallen konnte. Angesichts der nun „heute wieder eingetretenen Wende“ musste dieses Testament auch ohne vorige rechtliche Absicherung in Kraft treten. Aber es gab noch eine Hoffnung:

Ein Gespräch mit Ruville, der am Ort geblieben war, um Adolf Friedrichs Antwort abzuwarten. So dachte dieser. Er schrieb alle wichtigen Sachen auf, hielt sie jedoch unter Verschluss. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Dass sein Todesurteil bereits in Berlin gefällt worden war und sich weder auf Höllrigl noch auf Ausflüge in die „Homowelt“ gründete, sondern politische Ursachen, möglicherweise die Angst der mecklenburgischen Stände vor ihm hatte, welche zehn Monate später keine Rolle mehr spielten, ahnte er nicht. So gesehen hatte Langfeld Recht gehabt: Das Opfer war unnötig gewesen.

Dr. Wilda, (23) der als Rechtsmediziner nur auf diejenigen Fakten eingehen muss, die vor ihm auf dem Tisch liegen, schrieb in hellseherischer Meisterleistung, „der Großherzog habe im Zustand geistiger Umnachtung und unter Aufhebung der freien Willensbestimmung, seinem Leben ein Ende gesetzt.“ (24) Ob er diese Diagnose aus eigenen freien Stücken in Kenntnis der kirchenrechtlichen Probleme stellte oder von Bossart darum gebeten wurde, werden wir ebenso wenig erfahren, wie seine tatsächliche Meinung zu dem Toten und die sicher auch für ihn mysteriösen Todesumstände. Vor allem, wenn sich Schusswunden und mögliche Tatwaffe sowie Projektil nicht klar zuordnen lassen und sich bei einem Selbstmörder, der zum Tatzeitpunkt mit sich allein am Kanal stand, keine Waffe finden lässt.

Über Herrn Dr. Wilda, der als Mitglied der DDP (25) nicht unbedingt kaiser-und fürstentreu gewesen sein kann, ist keine ernsthafte Kritik zu verlieren. Auch er wurde, wie viele andere im Fall Adolf Friedrich VI instrumentalisiert. Hinsichtlich der kirchlichen Bestattung kann man sein Verhalten eher als ehrenhaft bezeichnen.

Ob sein Bericht tatsächlich im Original erhalten geblieben ist und niemand etwas daran manipuliert hat, wäre sicherlich heute mit modernsten Methoden festzustellen.

Im Jahre 2008 wurde der Bericht Herrn Prof. Dr. med. Rudolf Wegener vorgelegt. Der Herr Professor war Direktor der Rechtsmedizin in Rostock. Seiner Meinung nach bestehen hinsichtlich der Beschreibung der Wunden und des Todeszeitpunktes keine Zweifel am Selbstmord. Das Ausziehen des rechten Handschuhs sei eine vorbereitende Maßnahme, weil die Person den Abzug spüren will. Dazu gehört auch das Ablegen der Mütze. Selbstmord am Wasser sei ebenso nicht untypisch und weil der Professor wusste, dass der Großherzog noch viele Notizen machte, sei auch dies etwas Normales in dieser Situation. (26)

Die Aussagen des Professors sind völlig korrekt, beziehen sich aber ausschließlich auf den Bericht von Dr. Wilda. Die Fragen, die dieser aufwirft und die Begleitumstände des Todesfalls beantworten sich dadurch m. E. nicht. Im Gegenteil, je mehr man sich damit beschäftigt und je tiefer man in die Materie einsteigt, umso seltsamer wird die Selbstmordtheorie. Der Verdacht, dass damit eine Straftat vertuscht werden sollte, wird dagegen immer klarer. Ungereimtheiten fallen ins Auge. Wenn es wirklich Selbstmord war und man die kirchenrechtlichen Probleme mit der Diagnose Dr. Wildas beilegen konnte, warum hat man dann nicht die Karten komplett auf den Tisch gelegt? Erläuterungen zur Waffe und zum Projektil, zum genauen Hergang des Abends und auch präzisere Angaben zu den Gründen, mit Wahrung der Persönlichkeitsrechte der wichtigsten Damen, wären für die Zeitungen interessant gewesen und hätten die Auflagen gesteigert.

Stattdessen ergießt man sich in Geheimniskrämerei.

Inzwischen sind 104 Jahre vergangen. Mord verjährt nie. Wir sind heute in der Lage die Mumien von Pharaonen zu untersuchen, die mehr als 3000 Jahre tot sind. Es gibt Geräte, die durch Mauern röntgen. Wir haben mit CT und MRT ganz neue Methoden um auch kleinste Verletzungen an einem Körper aufzuspüren.

Gibt es außer dem Bericht des Dr. Wilda noch Polizeiberichte? Gibt es Aussagen von Menschen oder Protokolle, die etwas anderes vermuten ließen? Was geht aus den Akten der Abteilung IIIB und ihrer ehemaligen Mitarbeiter hervor? Gibt es Briefe, Tagebücher, Aussagen von Hofdamen, die sich auf Marie Auguste und den versiegelten Brief beziehen? Aussagen von Hotelmitarbeitern des Mecklenburger Hofs oder ihrer Tagebücher, Memoiren? Muss man an ganz anderen Stellen suchen, um diesen Fall aufzudecken? Wo sind die Protokolle der Verhandlungen zwischen den beiden Großherzögen?

Friedrich Franz IV versuchte sich in einem Statement an das Volk im November 1918 noch in letzter Minute zu retten und sagte, er wolle die 1918 abgebrochenen Verhandlungen mit den Landständen wieder aufnehmen, was nachweislich nicht stimmt. (27) Denn bereits Adolf Friedrich V hat versucht, eine neue Verfassung einzuführen. Adolf Friedrich VI hielt 1913 eine Rede vor dem Landtag dazu und noch im November 1917 mit Friedrich Franz wurden Verhandlungen geführt, die lange vorher begonnen hatten.

Irgendwann sprach er seine Absicht, den Verbund zu verlassen und Strelitz mit einer eigenen Verfassung unabhängig von Schwerin zu machen, öffentlich aus.

Wie haben die Stände und Minister, wie hat Friedrich Franz darauf reagiert? Friedrich Franz IV war auf jeden Fall auf der Gewinnerseite, selbst wenn der kleine Christian das große Erbe wegen rechtlicher Bedenken nicht hätte antreten können. Die russische Seite der Strelitzer Familie hatte auf den Titel verzichtet. (27) (Herzog Carl Michael, der als einziger den Thron hätte erben können.) Der Hamburger Vergleich wäre juristisch einwandfrei in Kraft getreten.

Nach dem Tode Adolf Friedrichs führten die beiden Ersten Staatsminister ein interessantes Telefonat über die Thronfolge. Jurist Bossart sagt zu Jurist Langfeld: (27)

„Ja, es ist alles in Ordnung. Ihr Großherzog ist Großherzog von Strelitz geworden.“

Was ist in Ordnung? Was ist damit gemeint? Was steckt hinter dieser Äußerung?

Friedrich Franz IV kommt am 27.02. nach Neustrelitz, allerdings ohne Staatsminister von Langfeld. Er übernimmt die Regierung mit dem Verweis auf das Trauerreglement vom 23.03.1918. Adolf Friedrich starb definitiv erst irgendwann nach 16 Uhr. Hat niemand das gesehen? Langfeld sollte nicht mitfahren, um die Strelitzer nicht zu beunruhigen.

Das wäre doch völlig egal gewesen. Der Hamburger Erbvergleich war Bestandteil der Existenz beider Staaten. Wenn Friedrich Franz nichts vom Tod seines Vetters ahnen konnte, warum gab er sich so zögerlich? Die Strelitzer werden in der Folge Unterschriften sammeln und kundtun, dass sie nicht im großen Mecklenburg aufgehen, sondern ihre Unabhängigkeit behalten wollen. Das würde eigentlich zum Testament passen. Warum hat man das dem Volk nicht veröffentlicht und ihnen bis zur Volljährigkeit des kleinen Christian eine Übergangsregierung angeboten, die kommissarisch die Regentschaft für diesen führt?

Davon, dass im November die Monarchie gestürzt werden würde, konnte niemand ahnen.

Wer immer seine Hände mit im bösen Spiel hatte, musste zehn Monate später die Nutzlosigkeit aller Intrigen erkennen.

Bossart, den wir als fleißigen Tagebuchschreiber auf den gemeinsamen Fahrten mit dem Großherzog erlebten, brach seine Aufzeichnungen just dann ab, als sie wirklich wichtig geworden waren. Sein Wissen und seine Gefühle zum Tod des Mannes, den er als kleinen Jungen hat aufwachsen sehen, wären zu einem Zeitzeugenbericht von herausragender Größe und geschichtlicher Wichtigkeit geworden. Bossart war mutiger Verfechter einer neuen Verfassung und musste passen, nachdem ihm die Ritter sozusagen den Finger zeigten. Ahnte er deshalb, was geschehen war? Ließen seine Kaisertreue und Loyalität nicht einmal den sofortigen Rücktritt zu? Durfte er deshalb nicht selbst trauern? Stand ihm sein Pflichtgefühl entgegen, das ihn nur noch funktionieren ließ? Oder sah er eine Zukunft im neuen Staat für sich?

Er wird gewusst haben, dass Friedrich Franz IV nicht direkt an der Ermordung seines jungen Großherzogs beteiligt war und dieser wahrscheinlich auch nichts davon ahnte. Deshalb ordnete er sich ihm sofort unter. Vielleicht hoffte er, die dafür verantwortlichen Verräter aus der Ritterschaft irgendwann entlarven zu können. Das konnte Friedrich Franz nur recht sein. Wie hat Heinrich Bossart die Revolution im November empfunden? Mit dem sicheren Wissen, dass der Junge, den er 35 Jahre lang begleitet hatte, sinnlos starb? Bossart erlebt die wilden Zwanziger mit. Hatte er keine Kraft mehr, sein Wissen für die Nachwelt aufzuschreiben und zu erhalten? Er starb 1930.

Die unbedachten Eskapaden des Großherzogs spielten dessen Gegnern in die Hände. Die Verstrickungen der Höllrigl mit Karl Liebknecht, Daisys harmlose Briefe nach England machten alle drei angreifbar.

Er wurde mit Mütze und Handschuh beerdigt, das werden nicht die Originale gewesen sein und selbst, wenn diese noch irgendwo aufbewahrt werden, dürfte es sich wohl als schwierig erweisen, heute noch Fingerabdrücke und brauchbare D N A sicherzustellen.

Sichere medizinische Erkenntnisse könnte nur eine nach heutigem Standard mit modernen Geräten und allen technischen, ballistischen und gentechnischen Möglichkeiten durchgeführte erneute Autopsie bringen.

Rätselhaft ist auch die für einen Großherzog untypische Bestattung. Die meisten Gäste der hohen Adelshäuser wurden gebeten nicht zu kommen. Selbst Kränze waren nicht erwünscht. Spendenkonten kannte man ja noch nicht. Kaiser und Kaiserin waren nicht anwesend. Adolf Friedrich war als Soldat hochdekoriert und als Großherzog eine Persönlichkeit.

Hatte man Angst, dass die höheren Trauergäste präziser nach den Todesumständen fragen würden? Dem Volk konnte man vielleicht etwas vormachen, den regierenden Königen und Landesfürsten wahrscheinlich nicht.

Für den 24.02.1918 meldete die (noch) unabhängige Presse:

Wahrscheinlich Opfer eines Mordes wird Großherzog Adolf Friedrich VI. in Neustrelitz. Er ist der letzte männliche Regent des Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz. Das Herzogtum fällt an Mecklenburg-Schwerin. (28)



(1) https://chroniknet.de/extra/historisches-wetter/?wetter- datum=23.2.1918

(2)Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrgang 2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(3a) Das Großherzogliche Haus Mecklenburg-Strelitz von Rajko Lippert:: (1994) | der buecherjaeger antiquarischer Buchandel & Büchersuchdienst

(3) Mecklenburgia sacra, Jahrbuch f. Mecklenbur. Kirchengeschic

(4) https://de.wikipedia.org/wiki/6,35_mm_Browning

https://de.wikipedia.org/wiki/6,35_...Sauer&Sohn_6.35_mm_automatic_pistol_M1913.jpg

(5)Pistole Mauser 1910/34 7,65 mm ohne Beschuß - Gunfinder http://www.waffen.at/produkt/faustfeuerwaffen/pistole-fn-browning-baby-cal-635-2/

(6)https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsleben/arbeitssicherheit/die-kugel-fuehrt-taeter/

(7) https://www.hs-nb.de/iugr/landschaf...geschichte/ehemalige-verkehrswege/lloyd-bahn/

(8) Gut Mühlenhof - Wikiwand

(9)https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilda

(10)https://de.wikipedia.org/wiki/Ertrinken,

(11)https://www.carolinum.de/wp-content/uploads/160_winter17.pdf

(12)https://rosdok.uni-rostock.de/file/...95589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(13)Daktyloskopie – Wikipedia

(14)https://www.gutefrage.net/frage/wann-wurden-das-erste-mal-schmauchspuren-entdeckt-

(15)https://www.carolinum.de/wp-content/uploads/160_winter17.pdf

(16)https://de.wikipedia.org/wiki/Taucheruhr

(17)https://www.uniklinikum-jena.de/rem...ungen/Forensische+Medizin/Todeszeitbestimmung.

(18)https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserleiche

(19)https://de.wikipedia.org/wiki/Schreibmaschine

(20)72. Jg. – Nr. 141 Winter 2008 - carocktikum.de

(21)https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich) (21) (22)Mecklenburgia sacra, Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte

(22,24)Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrgang 2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(23)https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilda

(24)Deutsche Demokratische Partei – Wikipedia

(26)https://www.amazon.de/Mecklenburg-Strelitz-1918-1945-Ein-Land-Umbruch/dp/394

(26)mecklenburgia sacra, Mecklenburgische Kirchengeschichte

(27)Das Großherzogliche Haus Mecklenburg-Strelitz Dr. Rajko Lippert

(28)https://chroniknet.de/extra/was-war-am/?ereignisdatum=24.2.1918







 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo Manuel,

Das ist erstklassige, professionelle Arbeit! Ich gehe davon aus, dass du alles an Hand der Quellen recherchiert hast, nicht wahr? Sachliche Sprache, ja, nach wissenschaftlichen Konventionen völlig angemessen. Von Sprachstil her würde es meiner Ansicht nach in eine Zeitschrift passen, die historische Fakten für ein breites Publikum populärwissenschaftlich aufbereitet.
Ich bin mit dem Lesen noch nicht ganz durch, bleibe aber dran! Schon die bloßen Ereignisse sind geschichtlich hochinteressant und illustrieren (an einem mir bisher nicht bekannten Beispiel) sehr spannend einen entscheidenen Zeitraum der deutschen Geschichte.

Danke dafür!

Hans
 

Ruedipferd

Mitglied
Hallo Manuel,

Das ist erstklassige, professionelle Arbeit! Ich gehe davon aus, dass du alles an Hand der Quellen recherchiert hast, nicht wahr? Sachliche Sprache, ja, nach wissenschaftlichen Konventionen völlig angemessen. Von Sprachstil her würde es meiner Ansicht nach in eine Zeitschrift passen, die historische Fakten für ein breites Publikum populärwissenschaftlich aufbereitet.
Ich bin mit dem Lesen noch nicht ganz durch, bleibe aber dran! Schon die bloßen Ereignisse sind geschichtlich hochinteressant und illustrieren (an einem mir bisher nicht bekannten Beispiel) sehr spannend einen entscheidenen Zeitraum der deutschen Geschichte.

Danke dafür!

Hans
Vielen Dank, Hans. Ja, ich habe alles recherchiert und bin natürlich auch mehrfach in Mirow und Neustrelitz gewesen. In Mirow befindet sich das Grabmal auf der Liebesinsel. Auf meiner website https://manuelmagiera.hpage.com/ kannst du mehr sehen und lesen, da sind auch unzählige Fotos, die ich gemacht habe. Ich habe eine Facebookgruppe "Historische Schicksale und Schlachten" gegründet, wo ich mich auch mit der Schlacht bei Lenzen, vom 16.09.929 beschäftige. Ich denke, dass bei Adolf Friedrich das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Es deutet sehr viel mehr auf ein Gewaltverbrechen hin, als auf Selbstmord. Während der Recherche habe ich im Kulturquartier in Neustrelitz gelesen und durfte auch das Großherzogliche Palais besichtigen, welches zurzeit in Neustrelitz restauriert wird. Die Fotos sind auf meiner Facebookseite eingestellt. Hier fehlt m. E. eine Gruppe für diese Art von Arbeiten. Das wäre nicht unwichtig, denn meine Aufsätze sind nur im Ansatz wissenschaftlich gehalten. Es kommen noch die Fußnoten dazu. Das muss ich aber selbst noch lernen. Ich suche Leute, die als Historiker und Kriminologen an dem Thema interessiert sind. Und ich freue mich natürlich über jede positive Wortmeldung dazu.
 



 
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