Advent

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G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Guten Abend Vera-Lena,

endlich ein Advent-Gedicht, das mich wirklich begleitet. Im Advent.

S1V2 in verschwommenem Grau; ist so schwer laut auszusprechen; 5 von 16 Buchstaben "n+m".

S1V6 leuchtendes Weiß; müsste eine Vogelfeder sein? Welcher Vogel könnte das in unseren Breiten sein?

S1V8 zur Erde segelnd; ich finde, wenn etwas durch die Luft segelt, sollte es schwerer sein; ein Stein, ein Kind. Ich mag es, wenn Federn schweben. Passte m.M.n auch besser zur Stimmung.

S2V9 das stumme Dunkel; ich weiß schon, was die Dichterin sagen will; aber braucht es das Adjektiv wirklich?

Dennoch, alles nur Kleinigkeiten und sehr subjektiv. Weiß auch gar nicht, ob du als Routinier solche Kommentare magst. Du wirst es mich wissen lassen.

Ansonsten mit großem Respekt grüßt
manehans
 

Vera-Lena

Mitglied
Advent

schläfriges Gezweig
in verschwommenem
Grau
aufgeplusterte Vögel
darin
leuchtendes Weiß
vereinzelt
zur Erde segelnd

Hoffnung
steht geschrieben
fernab
unsichtbar noch
eine Ahnung nur
ein Aufglänzen
der Sterne
irgendwann
wenn das stumme Dunkel
am tiefsten ist.
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo manehans,

wie freue ich mich, dass Du mir antwortest! :)

Die vielen Konsonanten sind beabsichtigt, weil sie schon rein vom Sprechen her den Inhalt vermitteln.

Ein Text mit vielen Vokalen ist wie ein Freudenjauchzer, ein Text mit vielen sogar gleichen Konsonanten ist zäh. So etwas vermag man nur in der Lyrik, in der Prosa kommt man nicht weit damit. Ich freue mich aber, dass Dir diese Konsonantenhäufung aufgefallen ist.

Das herabfallende Weiß sind Schneeflocken. Das haben wir gestern hier bei mir erlebt, dass nur einzelne Flocken herab fielen, die aber trotzdem auf dem grauen Hintergrund stark leuchteten.

Da die Flocken notgedrungen vom Himmel kamen, läuteten sie so etwas wie einen Hoffnungsschimmer ein und verwiesen schon auf die zweite Strophe.

Das "stumme Dunkel" brauch ich wieder aus sprachlichen Gründen. Die zwei dunklen Vokale "u" so kurz hintereinander machen das Dunkel noch dunkler. Ich brauche es aber auch noch aus inhaltlichen Gründen. Die stumme Dunkelheit hat etwas sehr Unheimliches. Und hier höre ich jetzt auf, denn...... ich möchte noch auf eventuelle weitere Antworten warten. Je nachdem, wie diese ausfallen, werde ich möglicherweise eine vollständige Interpretation zu diesem Text schreiben.

Herzlichen Dank für Dein genaues Lesen und Deine Gedanken zu diesem Text!

Danke auch für Deine Bewertung!

Liebe Grüße Vera-Lena
 

namibia

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

das ist eine Adventstimmung der besonderen Art . Ich bin sehr angetan von dem Kontrast

"ein Aufglänzen
der Sterne
irgendwann
wenn das stumme Dunkel
am tiefsten ist."


beim Lesen des Wortes Aufglänzen hatte ich sofort den " Aufglanz" des Konsums in diesen Tagen vor Augen..

Das ist ein wundervolles Gedicht, weil es in meinem Augen vielschichtige Lesarten ermöglicht.

Liebe Grüße

Namibia
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

auch Dir Dank für Deine Bewertung!

Liebe Grüße
Vera-Lena

PS.(Deinen Brief habe ich erhalten. Nach Weihnachten werde ich ihn gerne beantworten.)
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe namibia,

danke für Deine positive Antwort! Ja, eine Mehrdeutigkeit war beabsichtigt. Schön, dass Du das herausgefunden hast.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Wie versprochen, will ich den Text jetzt mal interpretieren, also aufschreiben, was ich mir dabei gedacht hatte.

Zu Lebzeiten Jesu war das Judentum in gewisser Weise in eine Dunkelheit hineingelangt. Die Gläubigen waren lau geworden und selbst die religiösen Lehrer legten die heiligen Bücher nur noch unzureichend aus.

Aber auch politisch litten die Landbezirke, in denen Jesus von Nazareth lehrte, unter der Fremdherrschaft. Der langanhaltende Hellenismus war abgelöst worden durch die Herrschaft der Römer.

Die Römer schickten aber gar nicht nur ihre eigenen Soldaten, sondern Legionäre aus anderen Ländern in das jüdische Land. Diese Legionäre nahmen sich sehr viele Freiheiten heraus. Sie vergewaltigten unter anderem die jüdischen Frauen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Es lag wirklich eine tiefe Finsternis über dem Land religiös und politisch.

Nun fiel mir dazu ein, dass es heute nicht besser aussieht. Das Judentum ist in verschiedene Richtungen gespalten, so dass die Kinder einer Richtung nicht jemanden aus der anderen Richtung heiraten dürfen.

Was sich endlos zwischen Israel und Palästina abspielt, wissen wir alle. Und so wollte ich mit den beiden letzten Zeilen in diesem Text auf diese Situation auch anspielen. Die Juden warten bis heute auf den Erlöser, die Christen feiern seine Ankunft auf Erden in wenigen Tagen. Bei den europäischen Christen bezieht sich die tiefe Dunkelheit auch vordergründig auf die dunkle Jahreszeit.

Wer mir widersprechen möchte, ist herzlich dazu eingeladen.

Allen ein glückliches Weihnachtsfest! :)

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Vera Lena,
das ist schön hier zu lesen. mich interessiert stets und zuallererst, was autor/in selbst zu einem Text zu sagen hat. um zu sehen, ob die essenz eines textes grundlegend das trägt, was zu sagen ist. dein text beschreibt den verfall, die zerstörung des religiösen unterbaues einer kultur und weist auf die vereinzelt aufblitzende hoffnung auf ein besseres morgen. das alte trägt nicht mehr, das neue noch nicht. als metaphern benützt du naturbilder aus der adventszeit in hiesigen breitengraden.
ich las deinen text naiv in den bildern, die du anbietest, hab diese dann in die vorgenannte interpretation übersetzt. wie du siehst, es trägt und trifft sich mit deinen absichten ohne weiteres.

für mich ist jerusalem der heilige gral insofern, als dort drei große religionen ihr unvermögen blutig und grandios zelebrieren. einerseits. andererseits, jerusalem steht noch. dort beten sehr viele muslime, juden und christen anstelle zu schießen. soll heißen, es kann nicht alles falsch sein an diesen religionen. es gilt wohl, herauszufinden, was der tragenden essenz der drei zugrunde liegt, weshalb das so ist. indem wir auf die gewehre starren, übersehen wir wohl die glitzernden schneekristalle der hoffnung, versäumen es diese zu hegen und zu pflegen ...

Gefällt mir gut: Faden und Text

lg
die dohle
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Dohle,

danke für Deinen ausführlichen Kommentar! Es freut mich, von Dir zu hören, dass der Text den von mir gewünschten Inhalt vermittelt.

Die Hoffnung auf eine Annäherung der drei monotheistischen Religionen ist nicht unbegründet, wenn ihre Anhänger sich auf die Essenz ihres Glaubens besinnen.

Die Vermittlung der jeweiligen heiligen Texte ist Auslegungssache und so wird es noch lange Probleme geben, fürchte ich. Aber aus Ängsten ist noch nie etwas Gutes entstanden in der Welt und so will ich weiterhin hoffen.

Der christliche Advent hat sich ja nun im Weihnachtsfest vollendet, das aber erst am 6. Januar beendet ist. So wünsche ich Dir eine gute Zeit.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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