Advent

Chrissie

Mitglied
Adventssamstag. Vor den aus dem Landkreis einfallenden Horden flüchtend, fahre ich an den Stadtrand zum Einkaufen. Auch hier scheint es, den Menschen brenne ihr Geld im Sack und sie müssten es schnellstens loswerden, um nicht in Flammen aufzugehen. Ich brauche doch nur ein paar Lebensmittel, Shampoo und Toilettenpapier! Nach langem Kampf endlich an der Kasse angelangt, stelle ich fest, dass ich nur mehr wenig Bargeld in der Tasche habe. Abends in der Kneipe kann ich nicht mit Karte zahlen, demnach sollte ich wohl heute noch Geld holen. Also gut, erstmal die Lebensmittel nach Hause bringen - die fahren doch wieder wie die Idioten, diese Landeier. Einmal im Jahr in der Stadt und nicht mal Park and Ride benutzen, die Arschgeigen. Aber dass man bei mir in der Strasse am Wochenende gratis parken kann, das wissen Sie! Verdammt, jetzt muss ich den schweren Kram 600 Meter weit schleppen...

O.K., das wäre geschafft. Jetzt zur Bank. Dummerweise ist die Filiale direkt am Weihnachtsmarkt. Plärrende Kleinkinder, vollbepackte, genervte Erwachsene, Besoffene nachmittags um drei, es stinkt nach fettiger Bratwurst, Kartoffelpuffer mit Apfelmus, Glühwein und Krautschupfnudeln. Eine unbeschreibliche olfaktorische Mischung. Der Würgreiz steigt mir die Speiseröhre hoch, schon beginnt der Speichel zu laufen. Schnell rein in die Bankfiliale und die EC-Karte in den Automaten gesteckt, Geld gezogen und ab. Gerade, als ich flüchten will, stosse ich fast mit einer Bekannten zusammen. Natürlich will sie mit mir einen Glühwein trinken, 'leider' habe ich noch dringende Besorgungen zu machen.

Als ich endlich nach Hause komme, steht ein Obdachloser an unserer Biotonne und isst die angegammelten Mandarinen, die ich morgens weggeworfen habe. Ich schenke ihm fünf Mark und sage ihm, wo die nächste Wärmestube ist.

Wir schenken uns nichts zu Weihnachten.
Wir sind an Heiligabend einfach froh, dass wir uns haben.

CMvM 2000
 

Sensiro

Mitglied
Gut, daß es noch ein paar wenige Menschen gibt, die sich auf das Wesentliche konzentrieren, denn ist Weihnachten denn nicht das Fest der Liebe? Oder inzwischen das der Geschenke und des Umsatzes und der Scheinheiligkeit?

Ave!
Sensiro
 

Chrissie

Mitglied
Leider eher letzteres. Das ist der Grund, warum in unserer Familie nur noch die Kinder Geschenke bekommen. Das wirklich bestürzende ist, dass die Geschichte leider wahr ist.
Es war für mich einfach unfaßbar zu sehen, wie ein Mensch meinen Müll isst.

Unkommerzielle Weihnachten wünscht
Chrissie
 

Brigitte

Mitglied
Hallo Chrissie,
wie heisst es doch Geben ist seliger denn Nehmen.
Ich hätte dem Mann auch lieber ein paar Mark gegeben, als mitanzusehen, wie er sich am Abfall bedient. Die meisten schauen ja weg, damit sie ja nicht helfen müssen, aber man sollte eigentlich nicht nur helfen, weil Weihnachten ist, sondern das ganze Jahr.

Viele Grüße Brigitte
 

Sensiro

Mitglied
Jutta, Du hast recht, plötzlich, wenn man jemand sieht, dem es schlechter geht als einem selbst, besinnen sich die Leute darauf, wie gut es einem doch geht. Hört man denn nicht das ganze Jahr, egal wann man nach dem Befinden fragt, wie schlecht es einem doch geht und daß es schon mal besser ging u.ä.
Ich höre nur selten ein aufrichtiges "Mir geht es gut" oder "Ich bin zufrieden". Aber wehe wehe so ein Mensch erblickt jemand, dem es wirklich schlecht geht. Dann wird mal gleich die Verdrängungsmaschine angestellt, damit man ja nicht feststellt, daß es einem gut geht. Denn würde mancher das feststellen, ginge es ihm wirklich schlecht, entweder, weil er nicht mehr behaupten kann, daß es ihm schlecht geht (scheint wohl entweder eine Modeerscheinung zu sein, oder solche Spinner, denen es nicht gut geht, wenn sie sagen können, es ginge ihnen schlecht) oder weil er dann ein furchtbar schlechtes Gewissen hat.
Ich hoffe mal, daß man mir da noch folgen kann ...

Wie auch immer ich wünsche allen hier einfach ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Sensiro
 

moloe

Mitglied
advent2001

hallo chrissie,

leider konnte ich diesen text erst heute lesen, doch er
sollte allen ein bischen mehr die augen öffnen... nicht
unbedingt was das vorweihnachtliche gehetze angeht, aber
zumindest der teil, der das menschliche anspricht...

ich weiss nicht ob es so geschah, doch wünsche ich allen
hier, auch für die kommenden jahr ein besinnlichen fest,
und denkt zumindest öfters mal, an den rest der welt...

in diesem sinne

all goodness

mfg

manfred loell
>moloe<
 

Alex

Mitglied
Chrissie, dein Text gefällt mir, und der tiefere Sinn erst recht.

Aber Bignose, du bist wahnsinnig...gut als Schriftsteller.
Dieses Gedicht ist zu verdammt witzig, um hier zu versauern und Ende Dezember zu verschwinden.

Alex
 

Alex

Mitglied
Ich weiß, hast du ja schonmal erzählt.
Aber Sci-Fi Horrorkurzgeschichte scheint das ja nicht zu sein.
Der Dingeharrend, die sich 2001 in Bignose-Richtung tun

Alex
 



 
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