Grace Sheffield erwachte in ihrem Bett.
Dieser verdammte Wecker.
Schmeiß' den verdammten Wecker raus. Wofür braucht eine 2.500 Jahre alte Vampirin so ein Ding? Muss sie rechtzeitig zur Arbeit?
Es war 17.00 Uhr und Grace stand auf.
Beim nächsten Ton ist es Siebzehn Uhr und vier Minuten. Piiep. Wer muss das wissen? der Leser bestimmt nicht.
Stopp.
Ich glaube, wir müssen das etwas grundlegender angehen. Betrachten wir den folgenden Textabschnitt:
Ihr derzeitiger Liebhaber, ein junger Vampir, gerade mal 80 Jahre alt, schlief noch.
Grace war über 2500 Jahre alt.
Und sie war ein Vampir.
Sie sah aus wie eine vierzigjährige europäische Frau mit langen lockigen, braunen Haaren, braunen Augen und einem leicht hervorstehenden Kinn. Sie war weder mager noch dick, ohnehine etwas dazwischen.
Sie machte das Radio an und ging im Seidennegligee ins Bad und duschte.
Ihr Liebhaber, Grace konnte sich eigentlich nicht genau an seinen Namen erinnern, irgendwas mit M - Michael? Mattias? – drehte sich im Bett.
Grace Sheffield war nicht die älteste Vampirin auf diesem recht kleinen Planeten. Sie war jedoch längst nicht die Jüngste.
Sie wurde vor mehr als 2500 Jahren in die Vampirwelt „geboren“.
Ihr Vampirvater war ein Grieche gewesen, er war tot, getötet von einer Gruppe alter Vampirjäger. Ihre tote „wahre“ Mutter war eine Prostituierte in den Straßen von Athen. Den Namen ihres Vaters wusste weder sie noch ihre Mutter.
Und an mehr konnte Grace sich nicht erinnern, nur dass sie einen Sohn gehabt hatte, mehr nicht.
Ihr Vampirvater hatte sie zum Vampir gemacht, als sie gerade 40 geworden war und ihren Sohn verlor. Nachdem der Vampir sie vergewaltigt hatte, er war im Blutrausch und als Inkubus musste erst einen sexuellen Kontakt mit ihr aufnehmen, um sie zum Vampir zu machen. Und während seines Orgasmus hatte er sie gebissen.
Incubi...
Grace schnaubte. Von denen und ihren weiblichen Gegenstücken, den Succubi, gab es nur noch wenige oder gar keine. Doch zurück zu Grace.
Die darauffolgenden zweieinhalb Jahrtausende reiste sie durch die Welt, immer nur in den Nachtstunden, besuchte Hexen, Magier und Dämonen, schlief mit einigen der Dämonen oder erschien bei den Christen, ihren Lieblingsopfern, als Dämon aus der Hölle. Das hatte immer noch am meisten Spaß gemacht.
Nun hatte sie sich eine Identität als zurückgezogen lebende Millionärin verschafft, mit dem Vermögen, das sie im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hatte, war dies kein Problem gewesen. Sie hatte sich ein Penthouse in Deutschland gekauft, von allen westlichen Kulturen ihr absoluter Favorit.
Eine geballte Ladung Information feuert er uns da um die Ohren. Da bleibt dem armen Leser nur, sich weg zu ducken und auf den Fortgang der ERZÄHLUNG zu warten.
Nee, Herr Schäfer, so läßt sich dieses scheue Wild nicht erlegen. Im schlimmsten Falle hat die Leseratte den Pulverdampf als Deckung benutzt und ist aus der Story geflohen.
Anfüttern muss er.
Anfüttern mit SZENE und HANDLUNG und die Informationen in den gerollten Szenenscheibchen verstecken. So zum Beispiel:
Herrn Schäfers Text:
Ihr derzeitiger Liebhaber, ein junger Vampir, gerade mal 80 Jahre alt, schlief noch.
Grace war über 2500 Jahre alt.
Und sie war ein Vampir.
Sie sah aus wie eine vierzigjährige europäische Frau mit langen lockigen, braunen Haaren, braunen Augen und einem leicht hervorstehenden Kinn. Sie war weder mager noch dick, ohnehine etwas dazwischen.
Sie machte das Radio an und ging im Seidennegligee ins Bad und duschte.
Als Leckerli verpackt:
Sie sah auf die nackte Männergestalt herab, die sich träge zwischen den zerknitterten Laken regte, ohne aufzuwachen. Eigentlich ein hübscher Bursche und nicht einmal ungeschickt, wie sie in den letzten Nächten hatte feststellen können. Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, ohne ihre Augen zu erreichen.
Trotzdem. So jung mit seinen achtzig Jahren, so schwach. Ihr Mundwinkel zuckte verächtlich. Was bildete er sich ein, glaubte er etwa wirklich, ihr ein ebenbürtiger Partner sein zu können? Es wurde Zeit, dass sie ihn los wurde.
Entschlossen zog sie den Gürtel ihres seidenen Hausmantels zu und ging in das Bad.
Ha, da schreit er! Rumpel hat dies weg gelassen, das unterschlagen.
Nur ruhig.
Dass die Dame zweieinhalb Jahrtausende auf dem hübschen Buckel hat, muss man ja nicht gleich heraus posaunen. Da reicht für's Erste die zarte Andeutung, dass ein Achtzigjähriger für sie ein Jungspund ist. Wobei der Achtzigjährige auch noch ein knackiges Kerlchen ist!
Für die tumben Leser, jetzt noch nicht vor Neugierde ihre Fingernägel fressen, weil sie ihren Hauptdenksitz in der Hose tragen, eine Prise SEX gestreut. Nicht zu viel, gerade eine Andeutung, ein wissendes Lächeln und hochgezogene Augenbraue (ich hoffe, er versteht).
Was haben wir noch?
Das Wichtigste überhaupt:
Eine Charakterisierung der Protagonistin, ganz ohne Beschreibung: willenstark (auch wenn ihr der Knackarsch gefällt, tritt sie ihn in den selben), anspruchsvoll (nimmt schwache Würstchen nur zum spielen), unabhängig (SIE bestimmt, wer ihr Bett teilt), genussfähig (sonst wäre der Platz zwischen den Laken leer), attraktiv (warum sollte der Lakensparringspartner sonst auf eine dauerhafte Beziehung scharf sein).
Natürlich nicht vollständig, das Bild. Aber das scheue Wild Leser wollen wir ja noch eine ganze Story hindurch mit Leckerli versorgen, da müssen die Köder gut eingeteilt sein.
Eine genauere Beschreibung der äußeren Erscheinung brauchen wir (noch) nicht, da habe ich viel Vertrauen in die Imaginationskraft der Leser. Jedem sein Polycolor, ist meine Devise.
Was zetert er? Vampirin?
Ja ja, langsam, er hat eine ganze Geschichte Zeit, uns die Vampirin zu ZEIGEN.
So, Herr Schäfer, das sollte ihm schon mal zu denken geben. Wenn er den ausgezogenen Abschnitt mit dem Infosperrfeuer (und auch durchaus den weiteren Text!) einmal darauf untersucht, welche Informationen braucht der Leser WIRKLICH und welche nur der Herr Schäfer in seinem Kopf benötigt, um eine schlüssige Szenerie aufbauen zu können.
Irgend ein alter Chinese soll einmal gesagt haben, "Wisse immer was Du sagst, aber sage nicht alles, was Du weißt."
Das gilt unbedingt auch für Autoren, denn es ist für einen Schreiber keine Schande, immer ein wenig klüger als seine Leser zu sein.
In diesem Sinne hielt auch er für jetzt sein Lästermaul (in Wahrheit war er für mehr heut' schlicht zu faul)