akt absurdum

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Tula

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akt absurdum

Der Morgen rekelt sich auf der Leiste.
In mürrischen Falten die Gardine darunter
hängt noch etwas durch. Sie mag den
alten Stänkerer Helios ohnehin nicht.

Expressionistisches Stillleben in der Küche:
Mülleimer (schnarcht mit offenem Maul) vor
Geschirr im Spülbecken (cubism in action).
In der Ecke Fett-flennende Kacheln ...

Vorsichtig taste ich mich durchs Kunstwerk.
Das perfekte Perpeptuum inmobile, lautlos wie ein
toter-Pharaonen-Traum! (Bloß gut, dass der Hacken-
Specht über mir heute ohrenscheinlich frei hat.)

Planung ist der halbe Sonntag. Der Tisch wartet
geduldig auf den ersten Kaffeefleck. Ich kenne
Erbarmen. Nach dem dritten Pott ein Entschluss:
Ich werde endlich ein Gedicht von dir schreiben.

Ob es dich wirklich gibt?



PS: aus Langeweile bei schrecklichem Regenwetter ... eine neue Version, de erste kam 2019
 

Tula

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Lieber Manfred
Du weißt doch, dass sich der Dichter das immer alles nur ausdenkt. Ich trinke den Kaffee nämlich nicht aus dem Pott, sondern kleinen Espressotässchen ;)

Dankend lieben Gruß
Tula
 

sufnus

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Hey Tula!

Die entscheidende (und sehr gute Frage), am Ende der Zeilen, "ob es Dich" wirklich gibt?", führt natürlich unweigerlich zur nächsten Frage, wer dieses hier angesprochene lyrische Du eigentlich sein soll.
Es scheint ja so zu sein, dass vorliegendes Gedicht nicht nur Beschreibung des wenig einladenden Morgenerwachens der Ich-Person ist, sondern zugleich bereits die Einlösung des Versprechens ein Gedicht über das am Schluss angesprochene "Du" zu schreiben.
Unmittelbar vor dem Schreibentschluss ist vom Tisch die Rede, doch steht selbiger nicht allzusehr im Vordergrund der Zeilen, dürfte also nicht der Gegenstand des Gedichts sein.
Der nächste Kandidat wäre das detailliert geschilderte Ambiente, in dem sich das Gedicht abspielt, also die Wohnung. Auch diese Idee überzeugt mich nicht so recht. Ein möglicher Einwand gegen diese Deutung wäre natürlich die offenkundige Paradoxie, dass erst die Wohnung genau beschrieben und dann ihre Existenz in Frage gestellt wird - sowas soll in einem Gedicht schon vorgekommen sein, muss also nicht gegen diese Deutung sprechen. Gewichtiger scheint mir der Einwand zu sein, dass die Wohnung in ihrer künstlerisch wertvollen Unaufgeräumtheit irgendwie "kulissenhaft" wirkt, eine eher ornamentale Staffage für das lyrische Ich, welcher keine große Bedeutung zukommt.
Bliebe noch der Morgen, immerhin habe ich das Gedicht (siehe eingangs) ja zunächst mal als eine Art Morgenkatergedicht gelesen. Andererseits wird der Morgen am Ende von Strophe 1 doch ziemlich einkassiert und spielt im Fortgang der "Handlung" höchstens in Gestalt des Kaffees noch eine (indirekte) Rolle.
Und jetzt fällt mir auf, dass es ja nicht heißt "ein Gedicht über dich" sondern "ein Gedicht von dir". Das bedingt ja eine Doppeldeutigkeit, dass hier nicht nur vom Gegenstand des Gedichts, sondern auch von dessen Urheber die Rede ist. Das lyrische Ich hat sich folglich dazu herabgelassen, dem Autor zu gefallen ein Gedicht von eben demselben zu verfassen, was die üblichen Verhältnisse von Autor zu lyrischem Ich gehörig auf den Kopf stellt. Und dann erfrecht sich das kecke lyrIch auch noch, die Existenz des Autors in Frage zu stellen.
Ein Gedicht ohne Autor? Wo kommen wir denn da hin??!
(verfasst von einer anonymen KI)

LG!
S.
 

Tula

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Hey sufnus
Zum Thema KI könnte man sehr viel schreiben, vor allem an einem verregneten Sonntag bzw. Dienstagabend. Neulich gab ich einer als Stichwort 'Baumschule' für ein Reimgedicht und habe mich beim Ergebnis köstlich amüsiert. Im Gegensatz zu eingeschnappten Leberwürstchen in den Foren, ließ sich die KI höflichst dankend von mir belehren und versuchte es immer wieder. Bemängeln muss ich nur, dass sie partout nicht kapieren wollte, was ein Schweifreim ist und konnte meinen Anweisungen dazu nicht folgen.

Aber kommen wir zur eigentlichen Frage: warum der Tisch im Gedicht? Ich vermute, weil es an einem grauen Sonntagmorgen durchaus unangenehm wäre, sich den noch vom Vorabend brummenden Kopf in den Händen (gut, aber) und dabei mit den Ellenbögen auf den schmierigen Fliesen zu stützen. Nur ein Tisch hat dazu die richtige Höhe!

Was den Autor angeht, kann er sich nicht mehr erinnern, an wen genau der andere (das coole Alter Ego im Stillleben) da wirklich dachte. Ich halte es mit Pessoa, der da irgendwann mal dichtete, dass der Poet den fürs Gedicht erfundenen Schmerz noch intensiver fühlt als den echten. Weshalb mich mein Text jetzt im Nachhinein traurig stimmt. Das würde einer KI nie passieren.

Dankend lieben Gruß
Tula
 

sufnus

Mitglied
Hey Tula,
ja... zumindest die freiverfügbaren KI haben noch ein bisschen Strecke vor sich, bis das mit dem Dichten einigermaßen unfallfrei klappt … einzelne Wendungen und "Ideen" sind bereits sehr schön und originell, aber im Ganzen habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass es bei ein paar elementaren Kenntnissen noch etwas hapert und eine gewisse Lernresistenz vorliegt. :)
Ansonsten vielen Dank für die ergänzenden Anmerkungen zur Kopfstütztischnutzung und den doch einigermaßen komplexen emotionalen Wechselwirkungen zwischen lyr. Ich und Autor! :) Wenngleich sich hier melancholische Verwicklungen ergeben haben, ist das Gedichteschreiben doch eine zu unernste Angelegenheit, um sie "der" KI zu überlassen! :)
LG!
S.
 



 
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