Albtraum Supertalent: Heute vor einem Jahr ...

jon

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Teammitglied
Gut, du hast vielleicht im Vorfeld zu wenig fern gesehen, um es wirklich gewusst zu haben. Normalerweise würde ich sagen: Ja, was hast du denn erwartet? Ich weiß, auf was du gehofft hast. Und ich kann nachvollziehen, wie tief die Enttäuschung dich getroffen hat. Du hast Menschen erwartet, wo es nur eine Maschinerie gibt. Das tut heute noch so weh wie damals und macht dich wütend. Aber:

Wenn du mit diesem Tagebuch etwas bewegen willst – andere warnen, dich von der Last dieser tiefen Wunde befreien oder vielleicht sogar etwas für dein Fortkommen tun, wie du es nennst – dann tritt einen Schritt zurück und erzähle aus einer Beobachter-Position heraus! Erzähle, was passiert ist. Ohne Appell und Fazit. Das heißt: Ganz am Ende kann unter Umständen sowas wie ein Fazit stehen, aber ich denke, wenn du das Ganze in dem dir eigenen sachlich-persönlichen Ton erzählst, dann erübrigt sich so eine Zusammenfassung, weil deine Geschichte genau das zeigt.

Ich würde übrigens aus dieser Story eine eigene Geschichte machen. Sie also nicht in das Tagebuch einbinden. Vielleicht etwas wie "Wie ich berühmt wurde" (was sich auf die Resonanz bezieht, die deine Erlebnisse auslösten. Es müsste z. B. klar werden, wie die an die Öffentlichkeit kamen {das hab ich noch nicht rausgekreigt}.) Erzähl die Geschichte so, wie du sie damals(!) erlebt hast (nicht, wie du heute dazu empfindest)!

Übrigens: Du wirst nicht umhin kommen, hier oder in dem "echten Tagebuch" etwas von deiner Vorgeschichte zu offenbaren. Überlege dir vorher, was du überhaupt preisgeben willst. Ich persönlich empfehle dir, dass du dich auf (jeweils relevante) Fakten beschränkst. Zum einen sollte dich das davor bewahren, einen ähnlichen Seelenstriptease wie im Superstar-Vorfeld hinzulegen. Zum anderen hilft das, den Text z.B. nicht zu "weinerlich" klingen zu lassen. Dir selbst würde das helfen, diese Dinge zu verarbeiten, lässt mich meine Erfahrung jedenfalls vermuten.

Es mag dir womöglich ungehörig erscheinen, dass ich mich nicht auf Textarbeit beschränke. Sei versichert, dass ich dir nicht zu nahe treten will. Aber Schreiben fängt sozusagen im Bauch an. Ich bin einfach sicher, dass du mit deiner Erfahrung ("die Welt" und "den Menschen" – mit dir als Beispiel für's Menschsein – betreffend) und deiner Sprachbegabung, richtig starken Text machen kannst. Vielleicht ist das nicht ganz dein Traum, aber er kommt dem Wunsch, etwas "Klingendes mit Seele" zu machen, doch ein bisschen nah. Und wer weiß, vielleicht fängt es ja so an …
 
Interessant und Suchende

Was du berichtest, entspricht meiner Vorstellung von dieser Veranstaltung. Trotzdem ist es interessant, eine persönliche Erfahrung nachzulesen.

Im Übrigen: Wir sind alle Suchende.
 

MBryan

Mitglied
Zunächst erst einmal Danke an Maggie, Pida, Verena (2x), Sandy, Babsy und Timo und alle die sich Sorgen machen: Es geht mir gut und nein, ich esse keine Gurken!

Danke auch für Euren Support in Sachen RTL, auch wenn ich das Thema „Supertalent“ schon vor Monaten abgeschlossen habe. Die Videobotschaft vom Januar sollte eigentlich einen Schlussstrich ziehen, was mir offenbar nicht gelingt, tauchen die alten Geschichten doch immer wieder auf, was mir ehrlich gesagt nicht besonders weiter hilft.

Zu allem Übel las ich dann auch noch, dass die Supertalent-Macher schon wieder zur nächsten Runde blasen, im Herbst 2011 soll´s also weiter gehen und natürlich werde ich nicht daran teilnehmen. Im Gegenteil:

Die nachfolgende Notiz dient der Aufklärung und ist eine Warnung an alle Leute, die glauben zum Supertalent gehen zu müssen, weil sie hoffen, dort Erfüllung zu finden. Ich werde am Ende dieses Textes noch näher darauf eingehen und auch auf die Konsequenz meiner eigenen Bewerbung damals.

Hamburg, 3. Juni 2010 - Tagebuch Max Bryan

Gestern (2.6.) war ich beim Supertalent-Casting. Es war mein großer Tag, auf den ich mich schon wochenlang vorbereitet hatte. Gegen 09.00 Uhr kam ich an und vor dem HT16 (Sport- und Freizeitzentrum Hamburg) standen schon jede Menge Leute, alle fein rausgeputzt und mit schönen Kleidern. Ich schämte mich, weil meine Sachen nicht mehr so sauber waren und meine Plastiktüte ein paar Löcher hatte. Darin mein Schlafsack, den ich sonst nirgendwo unterbringen konnte, weshalb ich das alles auch dabei hatte. Also meinen Rucksack, die Isomatte und eben diesen Schlafsack.

Ich nähere mich dem Eingang und bleibe in Sichtweite der anderen Kandidaten stehen. Aus der Ferne tuscheln zwei Mädchen: „Als was der hier wohl auftritt ?“ und jemand antwortet: „Als Penner, siehst du doch!“ Mein Blick senkt sich Richtung Boden und am liebsten wäre ich darin auch versunken, es war so peinlich, dass nun alle Augen auf mich starrten und jeder sich fragt, was der hier eigentlich zu suchen hat ?

Dann ging es rein. Am sogenannten „Check-In“ saßen nette Leute und ich musste ein paar Zettel ausfüllen. Dutzende Kopien später war ich dann auch drin und durfte mich vorbereiten. In einem Waschraum neben den Toiletten habe ich mich dann eingesungen. „Smile“ von Michael Jackson und „Memories“ von Andrew Lloyd Webber aus dem Musical „Cats“.

Ein Blick in den Spiegel und mir wurde klar, was mein Handicap an diesem Tag sein wird. Wochenlang hatte ich gehofft, nicht krank zu werden, keine Erkältung zu bekommen und das funktionierte auch, nur eben am 2. Juni, an dem für mich alles entscheidenden Tag, war ich natürlich krank. Halsschmerzen links und die Nase lief.

Habe ich mich an dem Brötchen angesteckt ? Oder war es der Mann in der U-Bahn, der mich gestern angehustet hat ? Ich bin stinksauer, weil ich nicht fassen kann, das ich ausgerechnet an dem Tag, wo es für mich drauf ankommt, nun doch noch krank werde und mein Gesang jetzt schon viel zu nasal klingt.

Es ging zur 1. Runde des Vorsingens. Raum „Orange“, hieß es. War das schon eine Vor-Selektion ? Es gab noch rot, grün und blau. Was soll die Einteilung ? Fragen und keine Antworten.

Ich wurde hereingebeten. Vor mir sitzt, oh Wunder, kein Dieter Bohlen, sondern zwei Redakteure, die mich freundlich begrüßen und mir ein paar Fragen stellen, was ich denn so mache und wie ich dazu komme mich hier beim Supertalent zu bewerben. Ich erzählte dann von meiner CD, die ich Anfang der 90er aufnahm. Zwei Lieder, die nie veröffentlicht wurden. Bevor ich das tun konnte, fing ich an zu schreiben. 15 Jahre Metaphysik, eine Niederschrift zur globalen Ordnung des Seins, bevor ich das vollenden konnte, verlor ich die Wohnung. Nun lebe ich auf der Straße, finde keine Wohnung und versuche zu erinnern, was ich eigentlich kann. Da gab es diesen Traum, vor 15 Jahren, schon einmal stand ich auf einer Bühne, hatte Auftritte, als Sänger und jetzt ? Mein Lebenslauf gleicht einer Null. Keine Referenzen, kein ausgeübter Beruf und dann noch diese Angst. Die abrupte Konfrontation mit dem Hindernis, der Gang zurück auf die Bühne, kann mich das retten ? Ich habe nichts zu verlieren, ich hab schon alles verloren. „Deshalb bin ich heute hier !“ „Ich will etwas tun, was ich 15 Jahre nicht tat, ich will singen“ und die Redakteure antworten: „Schön, dann fang mal an“.

Ich sang also meine zwei Lieder und wurde ohne Urteil aus dem Raum geschickt. Später sagte man mir, dass dies eine Vorab-Selektion sei, Leute, die es durch die 1. Vorrunde schaffen, müssen am selben Tag noch einmal vorsingen, dann auch vor laufender Kamera. Nun hieß es also abwarten und zwar alle zusammen. Gut 500 Leute in dem Saal und alle trällerten die verschiedensten Lieder durcheinander. Künstler, Artisten, Sänger, Tänzer, ein buntes Volk, viele Talente und viele die es heute nicht schaffen werden. Bin ich einer davon ?

Das Warten dauert an und viel länger halte ich es auch nicht aus, ich muss raus, darf ausnahmsweise auf der Treppe vor dem Saal sitzen.

Gegen 14.00 Uhr dann die Urteilsverkündung. Ich muss wieder rein und nehme vorne an der Tür Platz. Eine Aufnahmeleiterin tritt vor und hat eine Liste mit Namen in der Hand. „Ich verlese jetzt die Namen der Teilnehmer, die es in die nächste Runde geschafft haben“ und fängt direkt auch an. 11 Namen höre ich und meiner ist nicht dabei. Einer steht noch auf der Liste und keine Ahnung, warum ich der Letzte war, aber es war tatsächlich mein Name, der da durch den Raum hallte. Die Frau schaut in die Runde vor sich und sieht nur fragende Gesichter, jeder schaut sich um, tuschelt zu seinem Nachbarn, aber keiner tritt vor. Wo ist der Typ ? Sie schaut nach links und sieht wie ich mich fassungslos vom Stuhl erhebe und sage: „Ich bin das, meine Name ist Bryan“, „ach Du bist das ?“ und sagt: „Glückwunsch, dann sind wir jetzt ja vollzählig“.

Ich kann nicht in Worte fassen, was dieser Moment mir bedeutet. Es war ein großes Gefühl des Glücks und ich glaubte ich träume und wache gleich auf, irgendwo im Hafen, an der Fischpfanne, wo die Putzfrau mich zwickt und zum Aufstehen ermahnt. Aber nichts dergleichen geschah, es war kein Traum, es war Realität und die Menschen vor mir auch, die alle klatschten, während ich nach rechts schlurfte, zu den 11 anderen Kandidaten, die es auch geschafft hatten.

„Allen Anderen: Danke fürs Kommen“, ruft die Frau mit dem Sprechfunk in die Runde.

Nun saß ich also da, zusammen mit gut einem Dutzend Leuten und zehn mal so viele, die an uns vorbei den Raum verließen. Darunter auch die zwei Mädels, die mich anfangs noch als Penner verspotteten, sie waren nicht weiter.

Wir wurden dann in einen neuen Raum gebracht, ein Raum mit Balkon im 2. Stock des HT16, schöne Terrasse und auch das Personal wechselte. „Ruhe bitte“ und eine Frau mit einer Mappe in der Hand setzt sich vor uns und beginnt uns mitzuteilen: „Erstmal Glückwunsch, Ihr habt die erste Runde des Castings zum Supertalent 2010 bestanden und dürft Euch auf eine zweite Runde freuen“ - „die nicht leichter wird“, fügt sie noch hinzu.

Zweite Runde hieß Fotos, Interviews und erneutes Vorsingen, dieses Mal auch vor laufender Kamera, man will sehen, wie man auf dem Bildschirm so rüberkommt und ob man die Nervosität auch noch vor mehr als nur zwei Zuschauern im Griff hat. An dieser Stelle erfuhren wir auch, dass kein Dieter Bohlen heute hier sein wird, sondern wir erneut nur vor einer Anzahl von Redakteuren singen und wir erst im Juli oder August erfahren, ob wir auch vor Dieter Bohlen und der offiziellen Supertalent-Jury auftreten dürfen. Jetzt also noch mal alles geben, hier und heute punkten und dann hoffen zum Dieter eingeladen zu werden, alles klar, soweit alles verstanden.

Gut 5 Stunden später war es dann soweit. Keine Ahnung warum ich auch hier wieder der Letzte in der Reihe war, aber alle waren schon vor mir dran gewesen und so saß ich mit einem sichtlich gelangweilten Produktionshelfer (seine Beine lagen auf dem Tisch) ganz alleine vor der Tür im 3. Stock des HT16. Er drückte mir dann einen Fragebogen in die Hand: „Den hier bitte ausfüllen, zu Hause, in Ruhe“. Ich blättere und zähle 12 Seiten: „Ja, damit der Dieter dann so tun kann, als ob er Dich nicht kennt“, witzelt der Mann und weist darauf hin, dass ich den Fragebogen spätestens nächste Woche einreichen muss. Ein 12-seitiges Papier-Monstrum mit allerlei persönlichen Fragen, die nur dazu dienen, „den Kandidaten besser kennenzulernen“, heißt es. Aber gut, auch für mich öffnete sich an diesem Tag die dann alles entscheidende Tür und ich betrat den Raum zur zweiten und entscheidenden Prüfung.

Vor mir sitzen gut 10 Leute und starren mich emotionslos an. Sicher haben sie heute schon jede Menge gesehen und ich bin der letzte Kandidat vor dem Feierabend. Ein Mann (Anfang 50) ergreift das Wort und instruiert mich auf den Stern vor der Kamera zu stehen, eine Markierung auf dem Boden und eine Riesen-Kamera vor mir, wohl so ein Studio-Ding. Alles prima ausgeleuchtet und los geht´s. Ich singe erneut meine zwei Lieder, die ich vorbereitet hatte und alle sind begeistert, es gibt sogar Applaus. „Sie hören dann von uns“, heißt es zum Schluss und ich verlasse den Raum.

Es war so gegen 19.00 Uhr, als ich noch zum Interview geladen wurde. Auf einem grünen Grashügel ausserhalb des Gebäudes neben einer Schule baut sich ein Team auf. Kamera, Ton, Beisitzer und Reporterin, die mich instruierte, für das was nun folgte.

Es ging um eine Begrüßungsformel und um Fragen zu meinem Lebenslauf, was ich bislang gemacht habe und warum ich gern Supertalent werden will. Ich antwortete ehrlich und erzählte alles so, wie es auch passiert ist. Dass ich 15 Jahre schrieb, ich dann meine Wohnung verlor und seitdem auf der Straße lebe, weil ich hier in Hamburg nichts Neues finde. Hinter der Frau saß auch eine Schreibkraft mit Laptop, sie hatte wohl die Aufgabe mitzuschreiben, ich habe sie später aber auch als Tonassistentin in Wiesbaden gesehen. Das Mädchen, etwa Mitte 20, kurze Haare, so eine 80er-Jahre-Popper-Frisur. Sie sollte schreiben, tat es aber nicht, denn in dieser Haltung war das auch unmöglich. Sie war weit nach vorne geneigt, starrte mir pausenlos ins Gesicht, regungslos, verhalten, offenen Mundes und ihre Augen verraten: Junge, ich glaub Dir kein Wort !

Das war das erste Mal, dass ich begann zu zweifeln, ob es überhaupt gut und richtig sei, so umfassend Einblick in mein Leben zu geben. Meine Geschichte ist sehr komplex und schwierig noch dazu. Hab ich das Richtige getan ? Du kennst doch diese Sendung, willst Du da wirklich hin ?

Nach diesem 2. Juni im Hamburger HT16 hatte ich gut 3 Wochen Zeit über diese und andere Fragen nachzudenken, die richtigen Worte zu suchen, um zu erklären, was mich behindert und warum die Teilnahme an diesem Wettbewerb so wichtig für mich ist.

Da gibt es diesen Fragebogen, sehr ausführlich, sehr privat und auch intim, den habe ich dann eingereicht, zusammen mit einer 25-seitigen Ergänzung, als pdf. Darin dann alles, was mich bewegt und was mich ausmacht, meine Ziele, meine Ängste, mein Leben. Grundy kennt die ganze Geschichte von Anfang an und sie ist nicht öffentlich.

Im Nachhinein - und das denke ich - war es ein Fehler, das alles preiszugeben. Meine Ehrlichkeit und die Ausführlichkeit brachte mir kein Glück. Im Gegenteil. Diese Informationen wurden gnadenlos ausgenutzt und eingesetzt und zwar gegen mich.

Sie waren Grundlage für das, was am 7. August in Wiesbaden geschah. Einiges davon ist inzwischen öffentlich, anderes nicht und so soll vorerst auch bleiben.

Für alle diejenigen, die auch in diesem Jahr den Verlockungen dieser „Bühne“ nicht wiederstehen können. 95% der Kandidaten, die von RTL und Grundy in die Sendung „Das Supertalent“ eingeladen werden, haben keine reelle Chance auf dieser Bühne zu bestehen. Ihr Schicksal steht fest, bevor sie die Bühne betreten. Demütigungen und Beleidigungen gehören zum Geschäft und das Geschäft heißt „Entertainment“. Leute werden vorgeführt zur Belustigung eines Millionen-Publikums, die genau das sehen wollen. Nicht alle, aber viele ! Und so lange die Nachfrage nicht abreißt, wird es Sendungen wie diese auch weiterhin geben.

Deshalb, mein gutgemeinter Rat an alle Menschen guten Glaubens: Lasst Euch nicht verbiegen und erklärt nichts, was Ihr nicht erklären müsst. Tragt die Sachen, die Ihr tragen wollt und beschränkt Euch in Eurer Antwort auf das Wesentliche und beantwortet jede Frage mit maximal einem Satz. Wer obendrein noch gut ist, also richtig gut singen, tanzen oder sonst was kann, der könnte zu den 5% gehören, die nicht vom Auswuchs dieser Sendung gefressen werden.

edit Zeder: [... Ein Satz gelöscht, da Rufschädigung]Darüber sollte man mal nachdenken und auch, warum ich dann überhaupt eingeladen wurde. Vielleicht wäre es unterhaltsamer gewesen, eine bestimmte Antwort von mir zu hören, auf der Bühne, vor 1400 Zuschauern im Staatstheater zu Wiesbaden. Welche Antwort das ist, erzähle ich dann beim nächsten Mal.

Max Bryan
03.06.2011

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