Hey Walther,
ein sehr schönes Sonett im klassischen Oktett/Sextett-Aufbau (um J's nachgängige Lesart zu bestätigen).
Und wenn ich noch kurz beim ersten Teil von J. Frage verweile: walthers Beispiel ist
kein Sonett im italienischen Stil (und so etwas ist im Deutschsprachigen auch extrem selten zu finden).
Um den italienischen Stil nachzuahmen, müsste ein Gedicht im silbenzählend-akzentuierenden Stil geschrieben werden und den italienischen Endecasillabo als Struktur verwenden, der im Deutschen schwer hinzubekommen ist. Anders als der Name Endecasillabo vermuten lässt, genügt es nämlich hier nicht, einfach nur elf (endeca...) Silben zu verwenden, sondern es ist eine komplexe Abfolge von Betonungen (deshalb silbenzählend-akzentuierend) und Zäsuren (Sprechpausen innerhalb einer Zeile) einzuhalten. Die Abfolge der Betonungen entspricht dabei keineswegs den deutschen Betonungsregeln eines sog. alternierenden Metrums (z. B. Jambus).
Nebenbefundlich: Walthers Sonett ist durchgängig 10-Silbig und paradoxerweise, wäre das kein Ausschlusskriterium beim italienischen 11-Silbler, denn der darf durchaus auch 10-Silbig oder 12-Silbig sein und gilt trotzdem ein 11-Silbler. Dieser verwirrende Umstand mag andeuten, dass es sich beim Endecasillabo um ein schwieriges Terrain handelt.
Was die (ich wiederhole mich) sehr schönen Zeilen über ein mehrdeutiges kulinarisches Gipfelerlebnis angeht, sind mir nur zwei Kleinigkeiten aufgefallen:
- Die Aussage, dass die Krüppelkiefern nie ein Loch tropfen (im Gegensatz zu den eingangs genannten Tannen) bleibt für mich etwas unklar. Tropfen die kein Loch, weil sie (Klimawandel) nie mehr Schnee tragen - das würde den Folgezeilen widersprechen ("ewig Weiß") oder gibts keine Krüppelkiefertropfung, weil der Schnee nie taut (das wäre botanisch problematisch). Diese etwas eigenartige Krüppelkieferpassage wirkt insofern aufgrund ihrer A-logik ein bisschen formgeschuldet verkürzt und/oder ungenau formuliert.
- Das "erfleht" finde ich als ein wenig aus dem Rahmen fallend, auf eine etwas unkontrolliert anmutende Weise. Ein Reim mit "-weht" wäre hier für mein Liking passender zum sonstigen Duktus.
Wie gesagt: Kleinigkeiten im ansonsten Walther-gemäßen, großen Lesegenuss! Ein bisschen verschmitzt, ein bisschen sarkastisch, durchaus auch mit Meta-Ebenen (am Schluss klingt für mich übrigens fasst ein bisschen der Herbsttag von Rilke an) und mit einem effektvollen Schlusstusch: Der Berg ist leer. Zackbumm.
LG!
S.