All die Jahre

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Winterling

Mitglied
All die Jahre

Ob die weißen Sommer blühen,
und in leise Winter ziehen?
Weiß ich nicht, das ist zu groß -
Fragen an dem Lebensende:
Hat das Sein noch Hand und Fuß,
manchmal liegt das Leben bloß –
Schickt das Leben einen Gruß
und das Schicksal eine Wende ?

Gibt es denn im Lebenslot,
Kummer und die große Not,
mit dem Sinn zum Uferlosen
und die Zuversicht und Weite,
gilt es Horizonte kosen,
Anfang bis zum Ende polen,
immer auf der sichren Seite?

Soll man Rauschen wiederholen?
Bilder an den Häuserwänden -
sind zu klein in Menschenhänden,
dabei war da noch die Liebe,
Innig lebend durch die Augen
ist sie Anker aller Fragen,
und ist zart im Weltgetriebe.
Sie kann selber an sich glauben,
es bleibt sie im Herz zu tragen.

Sind der Worte viel zu viele,
mit dem Sinn - und ohne Ziele,
und am Ende nur noch seufzen?
Doch nun nehme ich die Taschen
mit in meinen nächsten Tag
um ins Taschentuch zu schnäuzen -
voller alter Endlossmaschen.
Komme was da kommen mag -


Mit dem Sein in vielen Jahren
braucht das Leben auch Bewahren.
 

Winterling

Mitglied
Hallo Mondnein,

danke für Deine Rückmeldung.

Es sind hier wohl wirklich zu viele Worte. Ich konnte einfach nicht aufhören. Die Worte nehme i9ch mit in meine Schnipselschatulle.

LG Winterling
 

sufnus

Mitglied
Hey Winterling,

also ich finde die relative Länge des Gedichts gerade ganz pfiffig vor dem Hintergrund, dass in dem Gedicht eben die Frage aufgeworfen wird, ob wohl zu viele Worte am Start sind (das Zitat von Hansz = mondnein). Das ist ein ganz schöner Verschmitztheitseffekt, den ich mag. Ein bisschen einkassiert wird diese, wie ich finde sehr sympathische, Selbstironie durch die zwei letzten Zeilen, die bei (über-?)empfindlich eingestelltem Lesesensorium einen zarten Blickkontakt zu einem Belehrungston aufnehmen könnte.

Und nur als Einschub zum Thema "Länge": Wirklich richtig lang ist das Gedicht natürlich nicht. Nach meinem Empfinden ist alles bis zum Sonett noch ein (eher) kurzes Gedicht (wenn auch kein "Kurzgedicht", das ich bei kleiner/gleich drei Zeilen ansetzen würde, also Haiku und kürzer); Dein Werk hier, würde ich sagen, bedient mit - wenn ich richtig gezählt habe - 34 Zeilen so etwas wie eine längere Sprintstrecke, vielleicht max. ein 400 m-Lauf.
Die von Marcel Reich-Ranicki für knappe Besprechungen "kurzer Gedichte" festgelegte Obergrenze betrug schlussendlich 42 Zeilen, entsprechend den "Grenzen der Menschheit" (Gedicht von Goethe).

Nichtsdestotrotz würde ich tatsächlich dennoch behutsam kürzen (auch der in heutiger Zeit - behaupte ich jetzt mal kühn-kulturpessismistisch-unernst - kürzer gewordenen Aufmerksamkeitsspanne der Normalbevölkerung geschuldet).
Und ein paar Wendungen würde ich noch etwas pointierter fassen oder reimtechnisch leicht nachpolieren.

Vorschlag als Reflexionsraum:


All die Jahre

Ob die weißen Sommer blühen
und in leise Winter ziehen?
Weiß ich nicht, das ist zu groß -
manchmal liegt das Dasein bloß.
Fragen an das Lebensende:
Hat das Herz noch Hand und Fuß?
Schickt die Zeit uns einen Gruß
und das Schicksal eine Wende?

Gibt es denn beim Lebensloten
Kummer nur und Not nach Noten?
Mit dem Sinn zum Uferleeren
Land und Horizont entbehren?
Oder bleibt man fern der Weite
immer auf der sichren Seite?

Kritzelkunst an Häuserwänden,
ob von großen, kleinen Händen,
Herzgesuch nach etwas Liebe:
Port und Anker aller Fragen,
wer kann sie im Ganzen tragen?
Menschensand im Weltgetriebe.

Sind der Worte viel zu viele,
sinnverwirrt und ohne Ziele?
Doch nun fass ich in die Taschen,
um ins Taschentuch zu schnieben -
voller alter Endlosmaschen.
C'est la vie. Dabeigeblieben.
Aufgehts, Freund, zum nächsten Tag!
Komme, was da kommen mag.


LG!

S.

P.S.:
Hab nochmal ein paar Kleinigkeiten nachjustiert. Aber meine Herumgewerkelung soll eh nur als Anschauungsmaterial und Ideengeber dienen. :)
 
Zuletzt bearbeitet:

Winterling

Mitglied
Hey sufnus,

Meine vielen Worte haben Dich veranlasst ein sufnuswerk zu dichten. Ich muss schmunzeln und es ist bei weitem nicht so düster.

Als ich diesen Text geschrieben hatte, bemerkte ich schon die Wortkaskaden und dachte das ist viel zu viel. Aber es ist gut zu wissen das eine Gedichtlänge wohl subjektiv beurteilt wird.

Deine gekürzte Fassung bereichert mein Wissen, macht Spaß. Ich bedanke mich für Wortideen und Deine Gedanken zu diesem Text. Ich empfinde es als Bereicherung:)

LG Winterling
 

sufnus

Mitglied
Hey liebe Winterling! :)
Ich finde ja, auch die Übungs-Nachbearbeitung ist immer noch ein Winterling-Lied. Mir wären jedenfalls die meisten Deiner Formulierungen (leider) so nicht eingefallen.
Der typischste Sufnuzismus ist vermutlich "Herzgesuch", den könnte man aber leicht durch etwas ersetzen, das mehr nach Dir tönt. :) Und vielleicht ist das "sinnverwirrt" auch noch so ein Beinahe-Neologismus, der eher so in meinem Sprech verortbar ist. Da gilt das Gleiche, wäre leicht austauschbar. :) Und das fremdsprachliche Einsprengsel ist zwar auch etwas, das ich ganz gerne mal praktiziere, aber das ist wirklich kein Spezifikum von mir, sondern eine lange etablierte Technik. Gottfried Benn hat das ja z. B. sehr effektvoll und viel radikaler gehandhabt. :)
LG!
S.
 

sufnus

Mitglied
Ach... und die Ausgangsversion (!) berührt mich so sehr, dass ich unbedingt noch die bis dato vergessen habenden Sterne nachreichen muss. Wohlgemerkt: Auf das Original bezogen. :)
LG!
S.
 

Winterling

Mitglied
Lieber sufnus, :)

danke nochmals für dein Vorbeischauen und für die Sternchen:). Ich finde es ja gut, wenn ein Gedichteforum viele unterschiedliche Charactere hat.
Es ist eine Bereicherung
Neologismen rutschen mir so raus. Dein "sinnverwirrt" verstehe ich sofort. "Herzgesuch" ist auch leicht zu übersetzen. Ein schönes Wort zum Thema Liebe.
Auch hast du viele weibliche Endungen bei den Reimen.

Ich lasse meinen Text einfach so wie er ist. Er ist ein wenig kratziger, aber vielleicht liegt das an der Gegend hier in Norddeutschland.

Ich habe ein Gedicht von Gottfried Benn gefunden, was mir gefällt. Ich kenne ihn nicht so.


GEDICHT von Gottfried Benn

Und was bedeuten diese Zwänge,
halb Bild, halb Wort und halb Kalkül,
was ist in dir, woher die Dränge
aus stillem trauernden Gefühl?

Es strömt dir aus dem Nichts zusammen,
aus Einzelnem, aus Potpourri,
dort nimmst du Asche, dort die Flammen,
du streust und löschst und hütest sie.

Du weißt, du kannst nicht alles fassen,
umgrenze es, den grünen Zaun
um dies und das, du bleibst gelassen,
doch auch gebannt in Mißvertraun.

So Tag und Nacht bist du am Zuge,
auch sonntags meißelst du dich ein
und klopfst das Silber in die Fuge,
dann läßt du es – es ist: das Sein.


Liebe Grüße Winterling
 

petrasmiles

Mitglied
Mit dem Sein in vielen Jahren
braucht das Leben auch Bewahren.
Ich empfinde diesen Satz - wie überhaupt das ganze Gedicht - als einen inneren Monolog, und damit kann es nicht - wie Sufnus argwöhnte - belehrend gemeint sein. Ich glaube einfach, dass diese Selbstvergewisserung im Laufe der Jahre mühevoller wird, weil es soviel 'Gepäck' gibt, aber das Bewahren sich dennoch lohnt.
Ich mag die Stimme, die aus diesen Zeilen spricht!

Liebe Grüße
Petra
 

Winterling

Mitglied
Liebe Petra,

Das Gedicht ist ein innerer Monolog. Eine Rückschau und ein Hoffen, auf das was noch kommt. Es ist nicht belehrend gemeint.
Das lese ich auch nicht aus dem Beitrag von Sufnus. Ich habe lange überlegt, ob ich die Worte abschicke, wie du siehst habe ich mich dazu entschlossen und bin zu einem Ja gekommen.

Je älter man wird, desto größer wird die Lebensstrecke. Im Alter hat man genug Zeit über alles nachzudenken.
Und rückblickend betrachtet lohnt sich alles, nichts war umsonst. Gegen nicht so schöne Moment oder Entscheidungen wehrt man sich ja innerlich manchmal.
Aber alles halb so schlimm.

Mit dem Sein in vielen Jahren
braucht das Leben ein Bewahren.

Ein Stück weit, sind es bei mir auch Texte und Gedichte. Sie dienen auch der Selbstreflexion. jeder Autor, der einen Text / Gedicht verschickt, schenkt etwas dem Leser und sich selbst.

Ich danke Dir für deinen Beitrag und für die Sternchen.

LG Heike
 



 
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