All He Needs Is Love - Ein Mann sucht sein Glück 16

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Von den ersten Einkünften aus dem Nebenverdienst kleideten sich Karin und Frank komplett neu ein. Und so erschienen sie beim nächsten Positivisten-Treffen in feinstem Zwirn - und nicht nur das. Er: Hemd von Replay mit Krawatte von René Lezard, dazu Hose von Cerruti, Sakko von Giorgio Armani, schließlich Schuhe von Geox. Sie: im Kleid von Joop mit Hut von Jil Sander, dazu Tuch von Hermes, Tasche von Cartier und Uhr von Baume et Mercier. Was Frank dabei aber am meisten freute, war, dass er Jacke wie Hose in Größe 94 kaufen konnte, dass ihm also endlich diese "jugendlich-schlanke" Größe wieder passte. Eigentlich hätte er ja das blau-gemusterte Sakko aus dem Herrenladen, das ihm seinerzeit nur in Größe 52 passte, kaufen müssen. Denn er hatte sich damals fest vorgenommen: Ich nehme ab, komme zurück und kaufe es in 94. Nur leider war dieses Kleidungsgeschäft heute nicht mehr vornehm genug für ihn.
Und leider hatte Frank sich auch das unschickliche Ohr-lang-Ziehen noch nicht abgewöhnt, was so gar nicht zu der schicken Garderobe passte. Karin war irritiert: "Wenn du schon rumzupfen musst, dann zupfe doch wenigstens mit der rechten Hand an deinem rechten Ohr, das wirkt harmonischer und gefälliger." Frank zupfte brav mit rechts, erst am Ohr und dann die Krawatte zurecht. Als sie dermaßen edel-klamottig ins Positron hereinstolzierten, widerfuhr ihnen das schönste Kompliment: Keiner sagte etwas. Das bedeutete natürlich: Die einen fanden Frank und Karin bereits so "moneymäßig", dass sie diese Ultra-Garderobe bei ihnen als ganz selbstverständlich ansahen. Und die anderen waren zu neidisch, um etwas zu sagen.
Um so redseliger war dagegen Arbeitskollege Karlo. Denn Frank ließ es sich nicht nehmen, sein neues Outfit auch im Büro vorzuführen. Einige Sekunden blieb Karlo allerdings sprachlos. Und die Sekunden genoß Frank am tiefsten; denn dass diese Plaudertasche den Mund nicht aufbekam, hatte Seltenheitswert und zeigte einen Volltreffer an.

"Mein Gott, Frank, du bist ja gestylt wie ein Mode-Zar. Wirklich starhaft! Unglaublich."
Frank holte tief Luft. Jetzt war die Gelegenheit zur Rache. Wie oft hatte dieser Typ mit seiner Markenkleidung geprotzt und Franks "Prolo-Tracht" verspottet.
"Na ja, mein Alter, man muss eben mit der Zeit gehen. Immer nur Lacoste-Pullover aus Wolle - koste es, was es wolle - das reicht halt nicht mehr. Übrigens, ich glaube, du hast ein Loch am Ellbogen. Wahrscheinlich durchgescheuert. Oder du hast die Motten in deinen Klamotten. Du solltest den Pullover mal zum Stopfen bringen. Nein, noch besser, du lässt ein Herzchen aus Kunstleder draufnähen."

Jetzt blieb Karlo sogar 14 Sekunden ohne Worte. Das war einsamer Rekord. Frank ließ ihn einfach stehen und ging aus dem Zimmer. Vor der Tür kostete er seinen Triumph zuerst in ruhiger Feierlichkeit aus, dann musste er lachen und lachen und immer weiter lachen. Schließlich hielt er ein bisschen schuldbewusst inne. Als positiver Mensch sollte er doch wohl darüber erhaben sein, sich zu rächen. Aber nicht umsonst hieß es: Rache ist süß. Und auch bei seinen Posi-Bekannten stellte er fest. Ihr "Positive-Feeling" war dann am reinsten und lebenskräftigsten, wenn sie einem Widersacher so richtig mit Schmackes einen reingewürgt hatten. Ähnlich sah es mit Schadenfreude aus. Anfangs hatte Frank vermutet, solch ein niederes Gefühl sei einem positiven Denker fremd. Denkste! Nie schien die Freude eines Positivisten ehrlicher, nie sein Lachen herzlicher, als wenn er sich über das Missgeschick eines anderen amüsierte, am liebsten natürlich über das eines Neggis. Schadenfreude ist die schönste Freude, dieser Satz galt offensichtlich auch für Positiv-Denker, vielleicht nicht für alle, aber bestimmt für die Moneys.
Mit dem neuen Dress-Styling hatten Karin und Frank es endlich geschafft. Sie waren akzeptiert und integriert bei den Moneys. Allerdings - sie gehörten nur zum Fußvolk. Um in der Rangordnung höher aufzusteigen oder sogar eine Führungsposition zu erklimmen, fehlten ihnen vor allem zwei Voraussetzungen: 1) Geld. Sie hatten natürlich immer noch viel zu wenig Geld. Und 2) die Teilnahme am sogenannten P.E.S.T.-Training von Erhard Werner (P.E.S.T. stand für Positiv-Erfolg-Sieg-Triumph); einzig dort konnte man die höheren Weihen zum "Supermenschen" erhalten. Nun, für das Geldverdienen konnte man ja etwas tun, aber mit der Teilnahme am P.E.S.T. sah es anders aus. Für dieses Training konnte man sich nicht bewerben, auch Bestechung sollte nichts nutzen, sondern man musste einfach warten, bis die Gnade einer Einladung über einen kam, wenn sie überhaupt kam. Frank und Karin hatten Glück, ihnen wurde die Gnade einer frühen Einladung zuteil. Schon drei Monate nach ihrem ersten Besuch in der Posi-Kneipe überreichte ihnen Smiling Freddy mit feierlicher Miene, wenn natürlich auch nicht ohne Lächeln, die Einladungsurkunden. "Von der Porga", sagte er. "Porga" war die Insider-Abkürzung für "Positiv-Organisation". Zwar gaben sich die Moneys gerne als Individualisten, die feste Gruppenstrukturen und Vereinsmeierei ablehnten, dennoch gab es eine überlokale und überregionale Organisation, die auch das P.E.S.T.-Training veranstaltete. Der - natürlich nur inoffizielle, informelle - Führer ("IP") einer lokalen Positiv-Gruppe ("Pogru") schlug geeignete Aspiranten vor, und die Porga entschied dann. IP bei ihrer Pogru war derzeit Smiley, und so tat Frank sein Möglichstes, ihn anzulächeln, ihm zuzulächeln und ihn zu belächeln, um für den Vorschlag zu danken.

Der Lehrgang "Super Thinking - Fortbildung für Positiv-Denker" fand an einem Weekend statt, in München, der Hauptstadt mit Herz, dem Refugium der Schickeria und der Weißwürste, aber vor allem der Stadt, wo früher Montag, der deutsche Positiv-Papst, residierte. Leider war Montag vor etlichen Jahren nach Österreich umgesiedelt, vielleicht waren die Menschen ja dort freundlicher und nannten ihn direkt „Herrn Hofrat Dr. Montag“. Der Leiter war ein Herr Frisch. Der wirkte wie ein erfolgreicher, aber auch etwas grobschlächtiger Autoverkäufer. Später stellte sich heraus: Er war wirklich - leitender - Autoverkäufer, und wie konnte es in München, der Stadt der Bayrischen Motorenwerke, anders sein, er verkaufte BMWs.
Eins musste man zugeben: Der Mann verstand seinen Job. Weniger die Seminarleitung. Die machte er zwar ganz flott, aber er besaß bei weitem nicht die Ausstrahlung des "seligen" Prof. Feelgood, bei dem Frank seinerzeit - mein Gott, wie viele Leben war das her?! - seinen ersten Positiv-Vortrag hörte, Nein, er verstand sich aufs Autoverkaufen. Am Ende des "Meetings" hatte er drei Teilnehmern einen nagelneuen BMW verkauft. Zwar hatte er auch bei Frank sein Glück versucht, und der empfand das durchaus als ernsthafte Versuchung; aber erst einmal wollte er erfahren, wie man mit Super Thinking sein Einkommen hochdachte, dann erst kam ein neues Auto in Frage. Karin und Frank waren wie die anderen achtzehn TeilnehmerInnen eingeladen. Na ja "eingeladen", also der Kurs war wirklich umsonst, aber das Nobel-Hotel mussten sie schon selbst bezahlen, Karin und Frank für ihr Doppelzimmer 200 Euro pro Nacht. Lieber hätten sie in einer kleineren und billigeren Pension genächtigt, doch das wäre nicht standesgemäß gewesen, sondern regelrecht "neggisch", zumal auch das Seminar selbst in diesem noblen Hotel stattfand. Um so mehr genossen Frank und Karin den Luxus-Komfort ihres fast schon "suitigen" Zimmers, und sie genossen es, sich in der runden Badewarme, im warmem Wasser zu lieben.
Nachdem Herr Frisch ("bei mir geht's immer frischwärts, har, har, har") zum Kaffee eine erste Einführung gegeben hatte, startete das eigentliche Programm am Abend mit dem Vortrag "Viele Wege zum positiven Menschen". "Meine lieben Posi-Freunde und natürlich Posi-Freundinnen - Sie sehen, ich vergesse unsere positiven Denkerinnen und Denkerinninen nicht, har, har, har. Viele Wege führen nach Rom, und viele Wege führen zum positiven Menschen. Das Positive Denken ist zwar unsere Hauptmethode, die Hauptstraße zu unserem Ziel.
Aber es gibt auch verschiedene Nebenwege, auf denen wir ein Stück der Strecke abkürzen können, Nebenmethoden, die sich gut mit dem Positiv-Denken verbinden lassen, die es ergänzen und verstärken. Und auf diese Zusatzmethoden möchte ich mich hier konzentrieren, denn bei Ihnen als fortgeschrittenen Posis bzw. Moneys darf ich ja wohl das positive Grundlagenwissen voraussetzen, har, har, har." Frank hörte gespannt zu. Denn so intensiv und ausführlich er sich auch schon mit dem Positiv-Denken in verschiedenen Variationen beschäftigt hatte, er hatte sich fast ausschließlich um diese eine Methode gekümmert. Das war vielleicht doch zu einseitig gewesen, für den großen Aufschwung brauchte er womöglich Zusatzkräfte. Als erstes stellte Frisch ("Sie können mich ruhig 'Frischi' nennen, har, har, har") die Technik "Wish Power" vor. Frank dachte zunächst, es ginge um "Wisch Power" oder "Wasch Power": negative Gedanken einfach wegwischen bzw. wegwaschen. Aber dann lieferte Frischi - "für unsere fremdsprachlich Minderbemittelten und Minderbemitteltinnen, har, har, har'' - die deutsche Übersetzung: "Wish Power = die Kraft der Wünsche, die Wunschkraft. Bitte nicht verwechseln mit Witch-Power, der Hexenkraft. So eine dunkle Macht ist für uns Positive natürlich indiskutabel."
Frank dachte reumütig an den Englischunterricht in der Schule zurück. Hätte er nur auf seinen Englischlehrer gehört und damals besser aufgepasst! Aber es hatte ihm ja auch keiner gesagt, dass er seine Englischkenntnisse einmal in einem Fortbildungskurs für Positiv-Denker würde brauchen können. "Wish Power funktioniert ganz easy. Sie müssen sich nur das, was Sie haben wollen, ganz intensiv, mit voller Inbrunst wünschen, gieren Sie richtig danach, har, har, har. So wünschen Sie sich es herbei, Sie ziehen es magnetisch an, wie der Elektromagnet von einem Motor. Apropos Motor. Nehmen wir mal als Beispiel, Sie wünschen sich ganz sehnlichst einen BMW. Wenn Ihre Wunschkraft stark genug ist, kommt der BMW praktisch wie von allein bei Ihnen vorgefahren. Na ja, Sie erleichtern die Wunscherfüllung natürlich, wenn Sie vorher zu mir kommen und einen Kaufvertrag abschließen. Ich kann Ihnen im Moment sehr günstige Sonderkonditionen anbieten. Aber als erstes: Sie müssen sich etwas wünschen, seien Sie richtig geil darauf, genieren Sie sich nicht!"
Frank überlegte, auf was er richtig geil war. Gut, manchmal fühlte er sich ganz geil auf Karin bzw. in Karin, wenn er das auch nicht so grob ausdrücken würde. Aber Karin "besaß" er ja schon, jedenfalls saß sie jetzt neben ihm, er brauchte sie nicht erst herbeizuwünschen. Ein BMW wäre natürlich nicht schlecht, aber Frank hatte wirklich keine Lust, sich von dem "Frischling" vorschreiben zu lassen, was sein innigster Wunsch sei. Konnte es sein, dass er wunschlos glücklich war? Nein, richtig glücklich fühlte er sich nicht. War er womöglich wunschlos unglücklich? Das erst recht nicht. Wenn er auch noch nicht den höchsten Gipfel erklommen hatte, er war doch recht zufrieden, es ging ihm ungleich besser als noch vor wenigen Monaten. Ich sollte mir vielleicht intensiv wünschen, dass ich einen intensiven Wunsch bekomme, überlegte er.
Doch diese Reflexionen wurden unterbrochen - Frisch setzte seinen Vortrag fort. "Ich möchte Sie auf die erfolgreiche Kombination von Positivem Denken und Wünschen aufmerksam machen. Positives Denken braucht die Kraft des Wunsches, um volle Durchsetzungskraft zu erzielen. Andererseits brauchen die Wünsche auch die Konzentrierung durch Gedanken, um das Ziel sicher zu treffen. Sehr überspitzt: Gedanken ohne Wünsche sind kraftlos, Wünsche ohne Gedanken sind ziellos. Als Beispiel nehme ich noch einmal unsere prachtvollen BMW-Modelle. Sie müssen zum einen Ihren BMW innigst begehren, aber Sie müssen sich auch in der Vorstellung genau ausmalen, wie er aussehen soll. Um Ihnen das zu erleichtern, verteile ich jetzt die Ausstattungsliste - natürlich mit allen Sonderausstattungen - der 5er Serie, darunter dürfte für Sie als Positivpersönlichkeiten nichts in Frage kommen. Natürlich habe ich auch Informationsunterlagen über die höheren Modellreihen parat. Sie wissen doch: Think big! - Denke groß - Kaufe großzügig - Und du bist großartig."
Für heute war das Programm zu Ende. Karin und Frank hätten eigentlich gerne noch etwas von Montag-Stadt, sprich München kennengelernt, und sei es auch nur das Nachtleben, aber durch so viel "Super Thinking" und "Super Car'' waren sie geschlaucht. Nach einem kurzen Spaziergang über die Leopoldstraße sanken sie in ihre Kissen, es reichte nicht einmal mehr zu einem Quickie, gerade noch zu einem Gute-Positive-Nacht-Kuss.
Am nächsten Morgen wechselte Frischi - "übrigens Sie können mich auch Frischli nennen, mein Urgroßvater väterlicherseits war Schweizer, har, har, har" – von den Wünschen zu den Wimpern. "Ganz wesentlich für Ihre Power, vor allem Ihren Einfluss auf andere Menschen, ist Ihr Blick. Es gibt den sogenannten 'bösen Blick', der vernichten kann; das zeigt Ihnen die Macht des Blickes. Aber wir wollen natürlich nicht bös' gucken, sondern die anderen Menschen vielmehr mit unserem positiven Blick verzaubern, für uns gewinnen. In jedem Fall müssen Sie lernen, Ihre Augen zu kontrollieren. Man nennt die Augen ja auch den Spiegel der Seele. Sie dürfen aber niemals zulassen, dass ein anderer Mensch einfach in Ihren Augen wie in einem Spiegel Ihren Seelenzustand abliest. Nein, Sie müssen mit Ihrem Blick genau das ausstrahlen, was Sie aussenden wollen. So macht Ihr Blick Sie zu einer Machtpersönlichkeit, die anderen tanzen nach Ihren Augen.
Manche sprechen vom 'Adlerblick', doch das klingt a bisserl herb und herrisch; ich verwende lieber die Bezeichnung 'Sonnen-Blick'. Eine Machtpersönlichkeit erkennt man schon an ihrem ‚Augenblick‘; sie weicht im Blickkontakt nie aus, senkt ihr Auge vor niemandem, da blinzelt, flattert und klimpert rein gar nichts. Ihre Augen strahlen wie die Sonne."
Frank fühlte sich müder und müder, die Augen wollten ihm zufallen, hatten nicht die geringste Lust, mit sonnigem Blick zu strahlen. Auch die Ohren wollten Frisch nicht weiter zuhören, und der Kopf wollte keine neuen Informationen mehr aufnehmen. Stattdessen überlegte er, wie es wäre, wenn sich zwei Machtpersönlichkeiten begegneten. Sie müssten sich eigentlich für alle Ewigkeit in die Augen gucken, weil ja keiner zuerst wegsehen durfte. Absurd! Inzwischen hatte Frisch seinen Monolog beendet, und praktisches Üben des "Sonnenblicks" war angesagt. Frank und Karin übten zusammen. Karin meinte kichernd, Frank schaue mehr wie ein Geier als wie ein Adler. Aber auch ihm gefiel Karins Starren wenig - so als ob sie den grauen oder grünen Star habe. Überhaupt erinnerte dieses Adlergucken ihn unangenehm an jenes "Tigerlächeln", das er am Anfang seiner Positivkarriere mit überzeugendem Misserfolg trainiert hatte. Doch im Gegensatz zu früher verunsicherte oder entmutigte ihn sein mangelnder Übungserfolg nicht, sein "Pleitegeierblick" war ihm egal. Er fühlte sich selbstbewusst genug zu sagen: "Ich habe einen positiven Blick, das weiß ich, und im übrigen ist dieses Machtspielchen uninteressant für mich."
Selbstbewusstsein bewies er auch beim Mittagstisch. Dort starrten sich alle unerbittlich an, um sich als Machtpersönlichkeiten darzustellen, so dass man kaum zum Essen kam. Schließlich sprach Frank ein Machtwort: "Jetzt Schluss mit dieser gegenseitigen Anglotzerei! Schaut gefälligst in den Teller, auf den Hühnchenschenkel, und nicht Eurem Gegenüber ins Gesicht!" Diese Aufforderung wurde mit dankbarer Erleichterung aufgenommen, sogar mit Beifall quittiert.
Am Nachmittag startete Frisch (mein Motto: frisch, fromm, fröhlich, frei - har, har, har) eine Positiv-Power-Offensive, die aber mehr eine Tarnung für BMW-Verkaufsgespräche darstellte. Frank überlegte sich schon, ob er angesichts dieser Geschäftemacherei nicht das Geld für den Kurs zurückverlangen sollte; das Dumme war nur, der Kurs kostete ja gar nichts.
"Und nun zum Schluss verrate ich Ihnen ein großes Geheimnis", hörte er Frisch plötzlich sagen und schreckte aus seinen Überlegungen hoch. Ein Geheimnis? Das wollte er nicht verpassen. "Entscheidend für den Erfolg ist Ihre Wirkung, Ihr Aussehen und Auftreten, Ihr Image. Wenn Sie noch nicht wirklich positiv sind, dann tun Sie so als ob! Der - schöne - Schein zählt, das Positiv-Sein kommt schon hinterher; manchmal hinkt es auch hinterher, aber es kommt; denn wenn Sie eine positive Ausstrahlung besitzen, kassieren Sie automatisch Erfolg und Anerkennung. Und die machen Sie dann wirklich positiv. Denken Sie daran: 'Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.' Oder: 'Everybody loves the winner.' Also, schauen Sie freundlich (Frisch grinste breit), kaufen Sie sich nur beste Kleidung (Frisch streichelte über den Ärmel seines Sakkos), besuchen Sie exklusive Restaurants (Frisch schnalzte mit der Zunge)! Und wenn Sie kein Geld dafür haben, egal - machen Sie Schulden! Das Geld kommt schon. Leben Sie immer über Ihre Verhältnisse - und Sie werden sehen, Ihre Verhältnisse passen sich Ihren Ausgaben an. Wenn Sie sich zum Beispiel nur einen BMW der 3er-Serie leisten können, kaufen Sie mindestens einen der nächsten Klasse, also einen 4er; und wenn Sie sich den leisten können, ist es Zeit für einen 5er oder 6er. Halten Sie sich an Oscar Wilde, der sagte: 'Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: einfach immer nur das Beste.' Und Sie wissen ja: 'Es war schon immer etwas teurer, einen besonders einfachen Geschmack zu haben.' Also leben Sie einfach gut! Geld spielt keine Rolex." Frisch machte eine Pause, so als ob er erwartete, es kämen sofort Teilnehmer nach vorne gestürmt, um einen Kauf- oder wenigstens Leasing-Vertrag abzuschließen. Doch er wartete vergebens, und so dröhnte er weiter: "Übrigens, auch wenn Sie es schon geschafft haben, wenn Sie wirklich durch und durch positiv sind, bleibt die Show wichtig. Stellen Sie sich vor, Sie sind positiv und keiner schaut hin. Schrecklich! Also, machen Sie Ihre private Show; Selbstdarstellung ist gefragt. Wir leben heute in einer Welt des Designs, so geht es darum, auch uns selbst zu designen. Schöner denken, schöner leben, schöner sein. Think Design, Life Design, Self Design oder Think Styling, Life Styling, Self Styling. Gedankenkultur, Lebensgestaltung, Selbstinszenierung. Sie brauchen Ihren ganz persönlichen Stil, der aber natürlich voll im Trend liegen muss. Also, denken Sie immer daran: Leben ist eine Personality Show!"

Mit diesem Merksatz beendete Frisch das Seminar. Frank fühlte sich erst einmal erschöpft nach derartiger Häufung von Stil und Stilblüten. Und wenn auch insgesamt Karins und Franks Erwartungen an dieses "Seminar für positive Fortgeschrittene" etwas enttäuscht worden waren, sie nahmen doch einige Anregungen mit, die sie zu Hause direkt in die Praxis umsetzten. Frank begann vor allem, sich um Sprach Styling zu bemühen. Er sprach jetzt weniger vom "Positiven Denken" - diesen Begriff benutzte ja jedermann, sogar ein Neggi -, sondern lieber von "Denk Design". Und natürlich versuchte er, seinen Life Style und sein Self Image "trendiger", sprich zeitgeistiger zu gestalten. Wie hatte Frisch gesagt: "Es genügt nicht, ein Zeitgenosse zu sein, man muss ein Zeitgeistgenosse sein." Wenn Frank ihn richtig verstanden hatte, ging es dabei in erster Linie darum, tüchtig zu prahlen, doch so, dass es nicht auffiel. Die hohe Schule verlangte: klotzig zu protzen, das aber gleichzeitig als "neue Bescheidenheit" auszugeben. So nach dem Motto: "Ich fahre einen Rolls Royce - man gönnt sich ja sonst nichts."
Apropos Auto. 9 1/2 Tage nach dem Seminar zeigte sich, dass auch Karin Anregungen aufgegriffen hatte. Als Frank eines Abends nach ihrem Polo Ausschau hielt, traute er seinen Augen nicht: Karin fuhr in einem schneeweißen BMW-Cabriolet vor. Frank fand das Gefährt zwar "superb", andererseits war er schrecklich neidisch. So fragte er mit belegter Stimme: "Hat dich der Frisch also auch rumgekriegt?!" "Nein, nein, ich wollte dann doch keinen gewöhnlichen BMW, dieser hier ist von der Tuning-Firma Alpina. Übrigens hat er 230 PS, 235er Breitreifen auf Chrom-Felgen und ein 300-Watt-Radio." Das war nun doch die Höhe. Mochte Karin ruhig angeben, aber dass sie sogar ihm gegenüber prahlte, das ging einfach zu weit. "Wie willst du denn diesen Schlitten überhaupt finanzieren?" versuchte er, sie auf den Boden runterzubringen. Ihre souveräne Antwort: "Du weißt doch, Frischi hat gesagt: 'Wenn man in positivem Geist mehr ausgibt als man hat, dann füllt das Universum automatisch die Lücke im Portemonnaie.'" Zwar stellte sich dann heraus, dass der BMW nicht neu, sondern immerhin schon drei Jahre auf dem Buckel bzw. auf dem Verdeck hatte, aber Karin würde dennoch ganz schön Kasse machen müssen, um ihn abzubezahlen und zu unterhalten.
Mehr Sorge als Karins Finanzsituation machte Frank aber die Frage: Was für ein Auto sollte er sich jetzt kaufen? Wenn er Frischs Aufdringlichkeit auch nicht nachgeben wollte, so hatte er doch ebenfalls mit dem Kauf eines BMW geliebäugelt. Das war jetzt umnöglich, denn Karins Alpina konnte er nicht überbieten. - Was also tun? Als erstes fuhr er sofort zu einem Auto-Designer, um seinen mausgrau(sig)en bzw. graumausigen Golf wenigstens optisch etwas aufzumöbeln. Mit einigen Dekorstreifen und der Aufschrift "exclusive Styling" sah er schon flotter aus. Außerdem ließ Frank das Typenschild TDI abmontieren und stattdessen GTi draufkleben. Aber das war natürlich nur eine provisorische Lösung. Nach ein paar Tagen Nachdenken beschloss er, ganze Sache zu machen. Er würde sich einen Porsche kaufen. Dabei kam für ihn nur der "echte" Porsche, der 911 in Frage, am liebsten 911 Turbo. Natürlich konnte auch er sich nur einen Gebrauchtwagen leisten. Egal, und wenn der schon 200.000 km gelaufen bzw. gefahren war und fast auseinanderfiel, Hauptsache Porsche.
Aber vor dem Kauf musste er noch einiges Geld mit seinen Versicherungen verdienen. Um mehr Versicherungen verkaufen zu können, brauchte er allerdings ein besonderes zusätzliches Training: Positives Verkaufen. Hierfür hatte er sich ein "Multimediasystem" gekauft, das enthielt:1) eine Broschüre "Der positive Versicherungsverkäufer", 2) eine Suggestions-CD "Der positive Versicherungsverkäufer", 3) eine Subliminal "Der positive Versicherungsverkäufer", 4) eine DVD "Der positive Versicherungsverkäufer" und 5) ein PC-Programm "Der positive Versicherungsverkäufer".
Bei dem multimedialen Studium des Systems kristallisierte sich heraus, dass der Versicherungs-Guru im Grunde nur eine, dafür aber brilliante Botschaft zu verkünden hatte: "Kunden sind wie Kinder." Und zwar plädierte er für eine konservative Erziehung der Kunden-Kinder bzw. Kinder-Kunden, allerdings mit einigen liberalen, sogar antiautoritären Zügen. "Wenn Kinder 'nein' sagen, so bedeutet das nur, dass sie etwas noch nicht richtig verstanden haben. Wir müssen es ihnen dann in Ruhe und mit viel Geduld nochmals erklären. Genauso ist es mit unseren Kunden. Wenn ein Kunde 'nein' zu unserem Versicherungsvorschlag sagt, hat er ihn eben noch nicht begriffen. Er ist einfach zu wenig informiert, vielleicht auch ein bisschen dumm. Also erläutern wir ihm den Vertrag noch einmal von vorne, nett, fast liebevoll, wie ein guter Vater. Der Kunde darf auch etwas protestieren oder schimpfen, aber auf Dauer können wir ihm kein 'Nein' durchgehen lassen - ebenso wie die Eltern immer das letzte Wort behalten müssen."
Jetzt wurde es streng. "Unartige, renitente Kunden schüchtern Sie ruhig ein! Erzählen Sie von dem widerspenstigen Herrn X, der auch keine Unfallversicherung abschließen wollte und am nächsten Tag sehr schlimm verunglückte; oder von dem unverantwortlichen Herrn Y, der es nicht für nötig hielt, seine Familie mit einer Lebensversicherung zu schützen. Wenig später war er tot, und jetzt kann sich die arme Witwe mit den weinenden kleinen Kindern kaum über Wasser halten. - Am unerfreulichsten sind jedoch die 'Abschluss-Memmen', Kunden, die hysterisch vor der Unterschrift zurückschrecken, die noch tausend unsinnige Fragen stellen oder es sich 'noch einmal überlegen' wollen. Darauf lassen Sie sich gar nicht ein! Füllen Sie in aller Ruhe den Vertrag aus, machen Sie ein Kreuz, wo der Kunde unterschreiben soll, schieben Sie ihm den Vertrag hin und gehen Sie nicht eher, bevor er unterschrieben hat - und wenn Sie dort übernachten müssen." Immer und immer wieder probte Frank mit diesem Programm alle möglichen und unmöglichen Verkaufsgespräche. Schließlich fühlte er sich topfit, die ganze Welt versicherungsmäßig zu beglücken, jedermann und "jederfrau" eine Versicherung anzutragen, anzudrehen oder aufzuquatschen.
 



 
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